Produktdetails
- Verlag: Motorbuch
- ISBN-13: 9783613022683
- ISBN-10: 3613022680
- Artikelnr.: 08137044
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.1998Die bessere Hälfte?
Ein gescheites Buch übers Motorradfahren? Uneingeschränkt ja, wenn Bernt Spiegel der Autor ist: Professor, Verhaltensforscher, Psychologe, nicht nur exzellenter Motorradfahrer, sondern Instruktor in vielen Perfektionskursen. Ein solcher Mann kann den Bikern auf ganz unübliche Weise die Augen öffnen. Und er tut es in seinem Buch "Die obere Hälfte des Motorrads" mit dem Untertitel "Vom Gebrauch der Werkzeuge als künstliche Organe", an dem er lange und immer wieder verbessernd geschrieben hat. Man muß sich freilich einlassen wollen auf die Argumentationsketten, mit denen Spiegel die vordergründige Beziehung Mensch-Motorrad angeht. Belohnt wird man mit einer bei aller Wissenschaftlichkeit lockeren, freundschaftlich erklärenden, aber nie belehrenden Darstellung. Am Anfang steht die Verwunderung darüber, daß der Mensch überhaupt Motorrad fahren, also eine so komplexe und die Koordination so vieler Sinne und Bewegungen erfordernde Tätigkeit ausüben kann. Obwohl das Motorrad in dem Buch als Exempel im Mittelpunkt steht, kann man an seine Stelle auch jedes ähnlich schwierig zu handhabende "Werkzeug" setzen, sei es ein Klavier, sei es ein Tennisschläger. Spiegel legt dar, wie sich Kopf und Bauch, "Ichperson" und "Tiefenperson" bei der Bewältigung der Aufgaben gegenseitig helfen, wie es dem Fahrer auf dem Weg zur Perfektion gelingt, immer mehr Handlungen an die "Tiefenperson" zu delegieren und Vertrauen in ihre Leistung zu gewinnen, statt ihr durch Bewußtmachen dessen, was er tut, störend und bis zur Selbstblockade dreinzureden. Er weckt aber auch Aufmerksamkeit für die "Schnittstellenverschiebung", die den menschlichen Organismus und seine Sensorik sozusagen ins Werkzeug hinein verlängert: beim Motorrad bis in die Aufstandsflächen der beiden Reifen. Der Fahrer "spürt" die Straße, als ob er selbst - und nicht die Maschine - direkten Kontakt mit ihr hätte. So wird die "obere Hälfte des Motorrads", der Mensch also, nach Spiegels plastischer Wortwahl "vom Ladegut zum Einbauteil". Der Autor bleibt bei Beschreibung und Interpretation aber nicht stehen. Für jeden Motorradfahrer wertvoll sind seine Ratschläge zum besseren, bewußteren Fahren. Das fängt beim Fehlerzählen als Mittel zur Selbstbeobachtung und -kritik an und führt bis zu konkreten Anleitungen, wie man Reaktionen mental einüben kann, bevor man sie - hoffentlich nie - in einer gefährlichen Situation auf der Straße braucht.
GEROLD LINGNAU.
Die obere Hälfte des Motorrads. Von Bernt Spiegel. Verlag Heinrich Vogel, München, 302 Seiten, 53 Abbildungen, 48,15 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein gescheites Buch übers Motorradfahren? Uneingeschränkt ja, wenn Bernt Spiegel der Autor ist: Professor, Verhaltensforscher, Psychologe, nicht nur exzellenter Motorradfahrer, sondern Instruktor in vielen Perfektionskursen. Ein solcher Mann kann den Bikern auf ganz unübliche Weise die Augen öffnen. Und er tut es in seinem Buch "Die obere Hälfte des Motorrads" mit dem Untertitel "Vom Gebrauch der Werkzeuge als künstliche Organe", an dem er lange und immer wieder verbessernd geschrieben hat. Man muß sich freilich einlassen wollen auf die Argumentationsketten, mit denen Spiegel die vordergründige Beziehung Mensch-Motorrad angeht. Belohnt wird man mit einer bei aller Wissenschaftlichkeit lockeren, freundschaftlich erklärenden, aber nie belehrenden Darstellung. Am Anfang steht die Verwunderung darüber, daß der Mensch überhaupt Motorrad fahren, also eine so komplexe und die Koordination so vieler Sinne und Bewegungen erfordernde Tätigkeit ausüben kann. Obwohl das Motorrad in dem Buch als Exempel im Mittelpunkt steht, kann man an seine Stelle auch jedes ähnlich schwierig zu handhabende "Werkzeug" setzen, sei es ein Klavier, sei es ein Tennisschläger. Spiegel legt dar, wie sich Kopf und Bauch, "Ichperson" und "Tiefenperson" bei der Bewältigung der Aufgaben gegenseitig helfen, wie es dem Fahrer auf dem Weg zur Perfektion gelingt, immer mehr Handlungen an die "Tiefenperson" zu delegieren und Vertrauen in ihre Leistung zu gewinnen, statt ihr durch Bewußtmachen dessen, was er tut, störend und bis zur Selbstblockade dreinzureden. Er weckt aber auch Aufmerksamkeit für die "Schnittstellenverschiebung", die den menschlichen Organismus und seine Sensorik sozusagen ins Werkzeug hinein verlängert: beim Motorrad bis in die Aufstandsflächen der beiden Reifen. Der Fahrer "spürt" die Straße, als ob er selbst - und nicht die Maschine - direkten Kontakt mit ihr hätte. So wird die "obere Hälfte des Motorrads", der Mensch also, nach Spiegels plastischer Wortwahl "vom Ladegut zum Einbauteil". Der Autor bleibt bei Beschreibung und Interpretation aber nicht stehen. Für jeden Motorradfahrer wertvoll sind seine Ratschläge zum besseren, bewußteren Fahren. Das fängt beim Fehlerzählen als Mittel zur Selbstbeobachtung und -kritik an und führt bis zu konkreten Anleitungen, wie man Reaktionen mental einüben kann, bevor man sie - hoffentlich nie - in einer gefährlichen Situation auf der Straße braucht.
GEROLD LINGNAU.
Die obere Hälfte des Motorrads. Von Bernt Spiegel. Verlag Heinrich Vogel, München, 302 Seiten, 53 Abbildungen, 48,15 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main