Ein sehr authentischer Coming-of-Age Roman. Man kann den Zeilen nicht entkommen.
S.181: „Oberflächlichkeit wird zum Ziel im Leben bestimmt. Dass darauf niemals etwas Schönes oder Wahres entstehen könnte, sondern Zerstörung, wissen sie nicht. Das nicht zu wissen, ist die größte Dummheit unserer
Zeit.“
Elli wächst bei ihrer alleinerziehenden Mutter am Berliner Ring auf. Stadtrand, und…mehrEin sehr authentischer Coming-of-Age Roman. Man kann den Zeilen nicht entkommen.
S.181: „Oberflächlichkeit wird zum Ziel im Leben bestimmt. Dass darauf niemals etwas Schönes oder Wahres entstehen könnte, sondern Zerstörung, wissen sie nicht. Das nicht zu wissen, ist die größte Dummheit unserer Zeit.“
Elli wächst bei ihrer alleinerziehenden Mutter am Berliner Ring auf. Stadtrand, und teilweise scheinen die Bewohner der Hochhäuser dort auch am Rand der Gesellschaft zu leben. Ausgestoßen von einer pulsierenden Mitte, zu der es nur schwer Zugang gibt.
Die Ich-Erzählerin Elli berichtet von 1992-2002 über ihr Aufwachsen im Ghetto, von ihrer Messie-Mutter, die es kaum schafft, Elli zu erziehen bzw. für sie da zu sein. Schon als Sechsjährige muss Elli die Wohnung in Schuss halten, ist zuständig für das Sauberhalten eines Großteils der Wohnung. Sie erzählt unter anderem, wie sie mit einem Messer den Urinstein in der Toilette abschaben muss.
Ihre einzige Flucht aus der Tristesse des Komplexes ist die Bücherei, in die sie flüchten kann. Sie liest und liest und liest. Ist Klassenbeste. Auch das Milieu, in dem sie aufwächst, kann ihren Willen, es mal besser zu haben, nicht brechen. Sie freundet sich mit Jo an, der im gleichen Haus wohnt und regelmäßig von seinem Vater verdroschen wurde. Jo dealt mit Drogen, entführt Elli ein Stück weit in seine Welt.
Die Autorin beschreibt hier ein zärtliches Chaos, das allgegenwärtig um ihre Protagonistin wuselt. Sie betrachtet es gerne von außen, studiert die Oberflächen (nicht nur von verschimmelten Speiseresten), lernt Wörter und Begriffe, saugt begierig alles auf, ohne zu bewerten.
Nur vielleicht bei ihren Begegnungen mit ihrem Großvater, der sie meistens in einen Gasthof zum Mittagessen einlädt, oder ins Theater, versucht sie tiefer hinter die Fassade zu blicken. Ein Großvater, der keine Ahnung vom Leben seiner Tochter hat, und dessen Rolle im Krieg zu einem schwebenden Fragezeichen wird.
S.180: „Bis jetzt habe ich Ekel, Chaos und Dreck, und vor allem Dummheit, in allen Menschen gefunden, denn niemand ist davor gefeit. Niemand!“
Der Roman von Louisa Linde ist Auftakt einer Trilogie. Er entwickelt von der ersten Seite an einen Sog. Die Sprachführung ist wunderbar klar und einfach. Sie formuliert die Gedanken von Elli in jeder Lebenssituation, und lässt einen nicht mehr los. Ein Mitfiebern, Hoffen, Bangen, rundum alle Emotionen von Elli, werden sehr authentisch wie einfühlsam in die Zeilen gelegt – und man kann nicht entkommen. Ich freue mich sehr auf die Fortsetzungen.
Sehr gerne gebe ich eine absolute Leseempfehlung für diesen wunderbaren Coming-of-Age Roman.