Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2005Finanzierung von Terror
Ein Blick auf die wirtschaftlichen Hintergründe
Wer das Buch in die Hand nimmt und den Klappentext liest, ist zunächst enttäuscht. Dort wird doch tatsächlich postuliert, dies sei die erste ökonomische Analyse des "internationalen Terrorismus". Dies ist schlicht falsch, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens gibt es zahlreiche - und gelungene - ökonomische und politikwissenschaftliche Analysen über den internationalen Terrorismus, und zweitens ist das vorliegende Buch keine ökonomische Analyse im strengen Sinne.
Dennoch ist die Lektüre dieses Buches ein Gewinn. Die Verfasserin zeigt darin, daß der internationale Terrorismus keine schwärmerische Basis hat, daß ihm gerade kein Kulturkampf zugrunde liegt und daß er im Gegenteil maßgeblich auf geopolitische Strategien während der Zeit des Kalten Krieges zurückzuführen ist. Der Anerkennung wert ist außerdem, daß die Verfasserin kaum der Versuchung erliegt, Wertungen vorzunehmen - sei es gegen die Terroristen oder gegen deren Ziele. Sie hält sich überdies mit politischen Empfehlungen zur Terrorbekämpfung sehr zurück. Damit löst sie ihr Versprechen, eine Analyse zu bieten, annähernd ein.
Anhand vieler Einzelbeispiele erfährt der Leser zunächst, wie Terrornetze zustande kommen, wie sie sich finanzieren und wie sich diese Finanzierung im Zeitablauf gewandelt hat. So waren es vor dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa vor allem staatliche Zuwendungen der beiden Supermächte, die eine Vielzahl von Terrortruppen mit großer Mannstärke hervorbrachten. Sie wurden vornehmlich für Stellvertreterkriege gebraucht. Dies führte von Beginn an zu einer sehr kritischen Haltung den Geldgebern (insbesondere den Vereinigten Staaten) gegenüber.
Diese Truppen wurden mit Ende des Kalten Krieges nicht mehr benötigt und spätestens nach dem 11. September 2001 auch offiziell zu terroristischen Gruppen und damit zu Feinden erklärt. Dies bedeutete naturgemäß nicht ihr Ende, denn es hatte - ökonomisch gesprochen - eine Spezialisierung stattgefunden. Die finanzielle Lücke schlossen die Netzwerke mit legalen und vor allem illegalen Geschäften, dabei insbesondere dem Drogenhandel, und mit scheinbar gemeinnützigen Stiftungen. Dies wird sehr anschaulich und mit vielen Details erläutert. Anschließend stellt die Autorin die Strategien der Netzwerke zur Bildung sogenannter Schattenstaaten sorgfältig und wieder sehr detailliert dar. Dabei wirft sie einen genauen Blick auf die Geschäfte legaler und illegaler Art.
Es wäre indes verfehlt, das Buch nur positiv zu sehen. Die Gliederung wirkt sprunghaft und enthält Dopplungen; allerdings muß man Napoleoni zugute halten, daß das Thema überaus komplex ist und oftmals Bezüge zu früheren oder späteren Abschnitten im Buch erfordert. Diese Schwäche ist somit verzeihlich wie auch die große Liebe zum Detail und die kleinen Geschichten zu Beginn eines jeden Kapitels. Die vielen Namen aber, mit denen der Leser dadurch konfrontiert wird, erleichtern den Zugang zum Thema nicht unbedingt. Außerdem wirken diese Anekdoten dem Anspruch, eine Analyse zu bieten, deutlich entgegen.
Schwerer jedoch schlagen die ökonomischen Mängel zu Buche. Die Verfasserin konfrontiert den Leser mit unglaublich vielen (sehr hohen) Zahlen über Finanzströme. Teilweise werden Milliarden und Millionen verwechselt, statistisch fundierte Belege finden sich kaum. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich sind Statistiken über illegale Geschäfte naturgemäß nicht vorhanden. An dieser Stelle hätte es sich aber gelohnt, wenn Napoleoni die bereits erwähnten ökonomischen Studien zum Terror und besonders zur Geldwäsche in die Hand genommen hätte; nicht eine der zahlreichen Arbeiten findet Erwähnung. Schließlich liegen Studien vor, deren Verfasser versuchen, akademisch fundierte Zahlen zur Finanzierung des Terrors zu präsentieren. Möglicherweise hätte ein statistischer Anhang dem Buch genützt.
Ein weiterer schwerer Mangel liegt darin, daß die Verfasserin ohne Scheu ökonomische Fachtermini in falschem Zusammenhang verwendet. Der Begriff Zahlungsbilanz wird irrtümlicherweise (wenn auch implizit) als Gewinn-und-Verlust-Rechnung interpretiert. Dies ist ökonomisch unsinnig. Ein Saldo der Handelsbilanz darf nicht als ein Einnahmeüberschuß oder -fehlbetrag gedeutet werden.
Schließlich analysiert Napoleoni zwar das ökonomische Kalkül der Terroristen sehr gut - insbesondere die Ausführungen zum "Wert" der Selbstmordattentäter sind gelungen. Sie unterläßt es aber, daraus Schlüsse für die Terrorbekämpfung zu ziehen. Hier kehrt sich die Stärke, keine Empfehlungen zu geben, in eine Schwäche um: Wenn sich die Verfasserin bewußt gewesen wäre, daß sie das gesamte Buch hindurch von Opportunitätskosten der führenden Köpfe, Mitglieder und Sympathisanten der Terrorgruppen spricht, dann hätte sie auch einige gute Argumente gegen eine repressive Anti-Terror-Politik aufbieten können. Sie hätte auch zeigen können, wie die globale repressive Anti-Drogen-Politik erst die hohen Gewinne für die Drogen-Terror-Netzwerke ermöglicht. Und sie hätte zeigen können, daß auf kurzfristige Markterfolge für heimische Unternehmen setzende Außenpolitik die Opportunitätskosten des Terrors erheblich verringert und damit langfristig nur schadet. Faßt man die Eindrücke zusammen, so überwiegen die positiven. Das Buch zur Ökonomie des Terrors kann zur Lektüre empfohlen werden; ein wenig skeptische Distanz hilft jedoch.
ANDREAS FREYTAG.
Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. Antje Kunstmann Verlag, München 2005, 445 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Blick auf die wirtschaftlichen Hintergründe
Wer das Buch in die Hand nimmt und den Klappentext liest, ist zunächst enttäuscht. Dort wird doch tatsächlich postuliert, dies sei die erste ökonomische Analyse des "internationalen Terrorismus". Dies ist schlicht falsch, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens gibt es zahlreiche - und gelungene - ökonomische und politikwissenschaftliche Analysen über den internationalen Terrorismus, und zweitens ist das vorliegende Buch keine ökonomische Analyse im strengen Sinne.
Dennoch ist die Lektüre dieses Buches ein Gewinn. Die Verfasserin zeigt darin, daß der internationale Terrorismus keine schwärmerische Basis hat, daß ihm gerade kein Kulturkampf zugrunde liegt und daß er im Gegenteil maßgeblich auf geopolitische Strategien während der Zeit des Kalten Krieges zurückzuführen ist. Der Anerkennung wert ist außerdem, daß die Verfasserin kaum der Versuchung erliegt, Wertungen vorzunehmen - sei es gegen die Terroristen oder gegen deren Ziele. Sie hält sich überdies mit politischen Empfehlungen zur Terrorbekämpfung sehr zurück. Damit löst sie ihr Versprechen, eine Analyse zu bieten, annähernd ein.
Anhand vieler Einzelbeispiele erfährt der Leser zunächst, wie Terrornetze zustande kommen, wie sie sich finanzieren und wie sich diese Finanzierung im Zeitablauf gewandelt hat. So waren es vor dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa vor allem staatliche Zuwendungen der beiden Supermächte, die eine Vielzahl von Terrortruppen mit großer Mannstärke hervorbrachten. Sie wurden vornehmlich für Stellvertreterkriege gebraucht. Dies führte von Beginn an zu einer sehr kritischen Haltung den Geldgebern (insbesondere den Vereinigten Staaten) gegenüber.
Diese Truppen wurden mit Ende des Kalten Krieges nicht mehr benötigt und spätestens nach dem 11. September 2001 auch offiziell zu terroristischen Gruppen und damit zu Feinden erklärt. Dies bedeutete naturgemäß nicht ihr Ende, denn es hatte - ökonomisch gesprochen - eine Spezialisierung stattgefunden. Die finanzielle Lücke schlossen die Netzwerke mit legalen und vor allem illegalen Geschäften, dabei insbesondere dem Drogenhandel, und mit scheinbar gemeinnützigen Stiftungen. Dies wird sehr anschaulich und mit vielen Details erläutert. Anschließend stellt die Autorin die Strategien der Netzwerke zur Bildung sogenannter Schattenstaaten sorgfältig und wieder sehr detailliert dar. Dabei wirft sie einen genauen Blick auf die Geschäfte legaler und illegaler Art.
Es wäre indes verfehlt, das Buch nur positiv zu sehen. Die Gliederung wirkt sprunghaft und enthält Dopplungen; allerdings muß man Napoleoni zugute halten, daß das Thema überaus komplex ist und oftmals Bezüge zu früheren oder späteren Abschnitten im Buch erfordert. Diese Schwäche ist somit verzeihlich wie auch die große Liebe zum Detail und die kleinen Geschichten zu Beginn eines jeden Kapitels. Die vielen Namen aber, mit denen der Leser dadurch konfrontiert wird, erleichtern den Zugang zum Thema nicht unbedingt. Außerdem wirken diese Anekdoten dem Anspruch, eine Analyse zu bieten, deutlich entgegen.
Schwerer jedoch schlagen die ökonomischen Mängel zu Buche. Die Verfasserin konfrontiert den Leser mit unglaublich vielen (sehr hohen) Zahlen über Finanzströme. Teilweise werden Milliarden und Millionen verwechselt, statistisch fundierte Belege finden sich kaum. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich sind Statistiken über illegale Geschäfte naturgemäß nicht vorhanden. An dieser Stelle hätte es sich aber gelohnt, wenn Napoleoni die bereits erwähnten ökonomischen Studien zum Terror und besonders zur Geldwäsche in die Hand genommen hätte; nicht eine der zahlreichen Arbeiten findet Erwähnung. Schließlich liegen Studien vor, deren Verfasser versuchen, akademisch fundierte Zahlen zur Finanzierung des Terrors zu präsentieren. Möglicherweise hätte ein statistischer Anhang dem Buch genützt.
Ein weiterer schwerer Mangel liegt darin, daß die Verfasserin ohne Scheu ökonomische Fachtermini in falschem Zusammenhang verwendet. Der Begriff Zahlungsbilanz wird irrtümlicherweise (wenn auch implizit) als Gewinn-und-Verlust-Rechnung interpretiert. Dies ist ökonomisch unsinnig. Ein Saldo der Handelsbilanz darf nicht als ein Einnahmeüberschuß oder -fehlbetrag gedeutet werden.
Schließlich analysiert Napoleoni zwar das ökonomische Kalkül der Terroristen sehr gut - insbesondere die Ausführungen zum "Wert" der Selbstmordattentäter sind gelungen. Sie unterläßt es aber, daraus Schlüsse für die Terrorbekämpfung zu ziehen. Hier kehrt sich die Stärke, keine Empfehlungen zu geben, in eine Schwäche um: Wenn sich die Verfasserin bewußt gewesen wäre, daß sie das gesamte Buch hindurch von Opportunitätskosten der führenden Köpfe, Mitglieder und Sympathisanten der Terrorgruppen spricht, dann hätte sie auch einige gute Argumente gegen eine repressive Anti-Terror-Politik aufbieten können. Sie hätte auch zeigen können, wie die globale repressive Anti-Drogen-Politik erst die hohen Gewinne für die Drogen-Terror-Netzwerke ermöglicht. Und sie hätte zeigen können, daß auf kurzfristige Markterfolge für heimische Unternehmen setzende Außenpolitik die Opportunitätskosten des Terrors erheblich verringert und damit langfristig nur schadet. Faßt man die Eindrücke zusammen, so überwiegen die positiven. Das Buch zur Ökonomie des Terrors kann zur Lektüre empfohlen werden; ein wenig skeptische Distanz hilft jedoch.
ANDREAS FREYTAG.
Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. Antje Kunstmann Verlag, München 2005, 445 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Johano Strasser zeigt sich von diesem Buch über die Finanzierung terroristischer Bewegungen sehr beeindruckt. Auf mehr als 300 Seiten zeigt die italienische Autorin Loretta Napoleoni die "verzweigten Geldströme" auf, die die finanziellen Bedürfnisse terroristischer Aktivitäten decken, erklärt der Rezensent. Er hebt hervor, dass die Autorin deutlich macht, wie sich die Finanzierung terroristischer Bewegungen im Lauf der Zeit verändert hat. Während nämlich während des Kalten Krieges Terrorismus größtenteils staatlich finanziert und unterstützt wurde, finanziert sich heute der Terror weitgehend selbst, so Strasser beeindruckt. Als besondere "politische Pointe" dieser Ausführungen hebt er die Feststellung der Autorin hervor, dass die "gegenwärtige Anti-Terror-Politik" der USA durch diese Erkenntnis als absurd entlarvt wird. Denn wenn die "Infrastruktur des Terrors" schlicht ein "Teil der Weltökonomie" darstellt, dann macht es auch keinen Sinn, zur Terror-Bekämpfung Krieg gegen einzelne Staaten zu führen, so Strasser zustimmend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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