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Neil Beltons ermutigendes Buch über Helen Bamber und ihr weltweites Engagement gegen Folter ist die Biographie einer außergewöhnlichen Frau. Geschrieben mit großem Takt, mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen, zeichnet es auch die Geschichte all der Menschen nach, denen Helen Bamber in ihrer Arbeit begegnet ist und von deren Schicksalen sie Zeugnis ablegt.

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Produktbeschreibung
Neil Beltons ermutigendes Buch über Helen Bamber und ihr weltweites Engagement gegen Folter ist die Biographie einer außergewöhnlichen Frau.
Geschrieben mit großem Takt, mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen, zeichnet es auch die Geschichte all der Menschen nach, denen Helen Bamber in ihrer Arbeit begegnet ist und von deren Schicksalen sie Zeugnis ablegt.
Autorenporträt
Belton, Neil
Neil Belton stammt aus Dublin und lebt in London, wo er als Lektor für Faber & Faber arbeitet. Für »Die Ohrenzeugin«, seine Biographie über die amnesty international-Gründerin Helen Bamber, erhielt Neil Belton 1999 den Irish Times Literary Prize. »Ein Spiel mit geschliffenen Klingen« ist sein erster Roman.Literaturpreise:Irish Times Literary Prize 1999
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2000

Dem Grauen zugewandt
Ein Leben für die Opfer: Neil Belton über Helen Bamber

Als die Weltöffentlichkeit 1945 mit der Befreiung der ersten Konzentrationslager durch die alliierten Truppen das Ausmaß der von den Nazis verübten Greueltaten zu begreifen begann, schlug das Entsetzen der Zeitgenossen für eine kurze Zeitspanne in die Zuversicht um, daß der menschliche Körper von nun an politisch sakrosankt sein werde. Heute, ein halbes Jahrhundert nach der Menschenrechtserklärung durch die Vereinten Nationen, so hat der Ire Neil Belton für sein Buch über Helen Bamber recherchiert, leben mehr Menschen in Staaten, in denen gefoltert wird, als in Ländern, die per Gesetz die Folter verbieten.

Helen Bamber gründete 1985 in London eine Hilfsorganisation für die Opfer politisch motivierter Gewalt. Mittlerweile hat diese Stiftung über 17 000 Menschen aus achtzig Ländern betreut. Ins Leben gerufen hatte Bamber ihre "medical foundation for the care of victims of torture", als sie erkannte, daß Briefkampagnen wie die von Amnesty International, in deren Britischer Sektion sie lange Zeit die Galionsfigur war, zwar dazu beitragen mögen, Häftlinge freizubekommen, den an Körper und Seele Verstümmelten aber keine Hilfe dabei sind, damit leben zu lernen, daß für sie nichts mehr so sein würde, wie es vorher war.

Neil Belton lernte Helen Bamber Anfang der neunziger Jahre bei einer Abendveranstaltung der "medical foundation" kennen. Während einer langen Zugfahrt im November 1995, auf der sich die beiden wiederbegegneten, begann Bamber, eine kleine, alte Dame, ausgestattet mit schier unerschöpflicher Energie, dem jungen Schriftsteller und Lektor zu berichten: von Kindern, deren Eltern im KZ ermordet worden waren, von traumatisierten Heimkehrern aus japanischer Kriegsgefangenschaft und von Opfern des Terrors in Algerien und Nordirland, von Männern und Frauen, die Diktatoren wie Pinochet oder Milton Obote durch ihre Schergen hatten quälen lassen, und von den Leidtragenden der Eruption eines neuen Rassenwahns im Gefolge der geopolitischen Umbrüche am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts. Zweieinhalb Jahre später begann Belton, den Lebensspuren Helen Bambers zu folgen, um zu ergründen, was eine Frau ohne jede Fachausbildung dazu treibt, sich ihr Leben lang auf einem Gebiet zu bewegen, das so voller Grauen ist, daß die meisten Menschen nichts davon wissen wollen.

Der Keim zu Bambers Aktivismus dürfte sehr früh gelegt worden sein. Aufgewachsen in London als einzige Tochter russisch-jüdischer Eltern, bekommt sie in einem Alter, da andere Kinder mit Märchen gefüttert werden, vom Vater, einem überzeugten Hitler-Gegner, die Reden Goebbels' übersetzt, um das Denken des Feindes durchschauen zu lernen. Als sie im April 1945 mit ersten Fotos aus Belsen, Dachau und Buchenwald konfrontiert wird, beschließt Helen Bamber, keine zwanzig Jahre alt, im Auftrag der "jewish relief unit" nach Bergen-Belsen zu gehen, um "einigen zu helfen, anstatt über alle zu verzweifeln".

In dem Lager unweit von Celle begreift die junge Jüdin aus England sehr schnell, daß die halbtot vor sich hin vegetierenden Schattengestalten, die die britischen Soldaten in den Baracken vorgefunden haben, mehr benötigen als ärztliche Hilfe und Nahrungsmittel. Intuitiv entwickelt Helen Bamber die ihr lebenslang bleibende Fähigkeit, Menschen, die fürchterlichen Mißhandlungen ausgesetzt waren, voller Empathie gleichsam produktiv zuzuhören, um ihnen zu erleichtern, für ihr Martyrium Worte zu finden. Die wohl wichtigste Funktion dieser Art Redekur: Es gelingt den Gequälten, sich aus der fatalen unfreiwilligen Komplizenschaft mit ihren eigenen Peinigern zu befreien, die bekanntlich die Folter stets leugnen - nur zu genau wissend, daß sich auch die Opfer in Schweigen vergraben, wenn die Scham über ihre Erniedrigung groß genug ist.

Beltons Buch "Ohrenzeugin" ist die Hommage an eine Frau, die es vermag, in den Opfern die schöpferische Kraft freizusetzen, deren sie bedürfen, um ein Minimum an Weltvertrauen wiederaufzubauen. Unkritisch ist Beltons Porträt der Helen Bamber jedoch nicht. Feinfühlig, aber deutlich ist der Autor bemüht, Bamber die Aura einer Heiligen zu nehmen, indem er auch die Kehrseite ihres Engagements zeigt. Bambers Ehe mit einem deutschen Holocaust-Überlebenden zerbricht über ihrem aufreibenden Einsatz für andere Menschen, und das Verhältnis zu ihren zwei Kindern ist bis heute spannungsgeladen: Ihr Sohn David glaubt, die Mutter könne die Welt "nur im Sinne von Opfern, Tätern und Helfer der Opfer sehen". Es war, sagt David Bamber über sein Leben als Sohn, "als würden alle meine Bedürfnisse wie die eines Opfers befriedigt, damit ich überleben konnte". Beltons Vermutung, daß sich hinter einer Fassade altruistischen Gutmenschentums häufig ungestillte elementare Sehnsüchte verbergen, spricht nicht gegen Bambers Lebensleistung - wohl aber für den differenzierten Blick ihres Biographen.

Wer darüber schreiben will, was im Innern einer Folterkammer geschieht, steht vor einem Dilemma. Er muß verhindern, daß die Leser vor Entsetzen das Buch zuklappen. Deshalb aber die unsägliche Realität der Tortur in einen zivilisierten Diskurs übersetzen zu wollen birgt die Gefahr, das Verbrechen zu banalisieren. Und keine Ästhetik des Erhabenen gibt dem Gemarterten die menschliche Sprache zurück, die ihm unter der Folter geraubt worden ist. Also Leerstellen lassen?

Neil Belton ist ein beeindruckender Balanceakt gelungen. Die "Ohrenzeugin" enthält detaillierte Beschreibungen von Folterszenen, ohne die Würde der Opfer zu verletzen. Mit dieser Collage aus Erinnerungen, Reflexionen und historischem Material ist die unorthodoxe Biographie einer außergewöhnlichen Frau entstanden - und eine Biographie all jener, denen Helen Bamber ermöglicht hat, ihren Bericht zu geben. Fast zwangsläufig führt die Lektüre dieser skandalösen Protokolle die Frage nach der Inkommensurabilität des Holocaust herbei.

Keines der Gefangenenlager auf dem Balkan sei mit einem Nazi-KZ vergleichbar, will Neil Belton klargestellt wissen. Weil aber dieses Faktum nur zynische Bedeutung besitzt für die unzähligen Männer, Frauen und Kinder, die wehrlos den Widerwärtigkeiten ausgesetzt sind, die sich Menschen nach Auschwitz noch ausdenken konnten, hat Helen Bamber 1993 einen Entschluß gefaßt, den sie als den schwierigsten ihres Lebens bezeichnet: Sie ist in die Stadt Hebron gereist, um vor einem israelischen Militärgericht zugunsten eines gefolterten palästinensischen Häftlings auszusagen. Ihr war der Gedanke unerträglich, daß das Land, in das sie so viele der nach 1945 von ihr betreuten "displaced persons" hat ziehen sehen, zum weltweit einzigen Staat geworden war, dessen Strafprozeßrecht sogenannte körperliche Zwangsmittel ausdrücklich erlaubt.

ALMUT FINCK

Neil Belton: "Die Ohrenzeugin". Helen Bamber. Ein Leben gegen die Gewalt. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 461 S., geb., 49,80 DM.

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