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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2007

Zähneknirschende Anerkennung
Wie Frauen in die Richterrobe wuchsen – eine Realsatire in 21 Kapiteln
Dem Abgeordneten schwante Schlimmes. Er befürchtete eine „Verweichlichung der Strafrechtspflege” – durch Frauen im Richterrock. Wenn sie miturteilen dürften, ginge „die Achtung vor den Gerichten und deren Ansehen” verloren. Denn „der Mann” habe „überwiegend eine Abneigung, sich von Frauen aburteilen zu lassen und sich ihrem Urteil zu unterwerfen.” Der Mann, dem die einfühlsame Solidarität galt, war – genau besehen – der kriminelle Mann. Indirekt hieß das zugleich: Mute keinem Ganoven eine Frau in Robe zu! Das Ganze kam vor etwa 80 Jahren im Reichstag zur Sprache. Unfreiwillige Selbstentblößungen solcher Art gehören in die Rubrik Realsatire. Diese hier schmückt ein Buch, das mit distanzierter Ironie und Selbstironie den langen Marsch der Frauen durch die Institution „Justiz” zum Thema hat. Das entlarvende Zitat findet sich im Vorwort von Justizministerin Brigitte Zypries.
Sie gehört ebenso wie die drei Herausgeberinnen und die 18 Autorinnen zu den Juristinnen, die etwas geworden sind. Alle miteinander entwerfen ein Porträt eigener Art. „Die OLG-Präsidentin”, der ihre „Gedenkschrift” gewidmet ist, heißt Henriette Heinbostel – eine Kunstfigur, die alles verkörpert und widerspiegelt, was Juristinnen im letzten Jahrhundert erlebt und erlitten haben: Zumutungen, Zurücksetzungen, Arroganz, schließlich zähneknirschende Anerkennung.
Weil sie am Ziel sind, können die Autorinnen den Weg dahin souverän und pfiffig beschreiben. Schon im Datum steckt Würze. Sie feiern den „50sten Jahrestag” der Ernennung ihres „Vorbildes”, der „ersten Oberlandesgerichtspräsidentin”. Der Gag liegt im Zeitsprung. Tatsächlich gab es erst 1989, 32 Jahre später, eine erste Frau an der Spitze: in Celle. Und heute? Die drei Herausgeberinnen sind selbst OLG-Präsidentinnen.
Es gibt bereits zwei andere fiktive Biographien. Das erste Phantom hieß Edmund Friedemann Dräcker. Er zog Fäden im Auswärtigen Amt. Sein Erfinder war ein (wirklicher) Diplomat. Hasso von Etzdorf hatte sich, um einer öden Sitzung zu entfliehen, einen fingierten Anruf bestellt: Ministerialrat Dräcker sei da und wolle ihn sprechen. Dräcker geisterte fortan durch die Medien. „Friedrich Gottlieb Nagelmann” gilt seit 1984 als der Verfassungsjurist. Die Festschrift zu seinen Ehren stand unter dem Motto „Das wahre Verfassungsrecht – zwischen Lust und Leistung”. Da kamen nicht nur Prominente wie Roman Herzog, Ernst Benda und Kay Nehm zu Wort, sondern auch jene wissenschaftlichen Mitarbeiter, die den Alltag des Verfassungsgerichts bestimmen. Die jungen Autoren von damals sind inzwischen bis an die Spitze der Justiz vorgedrungen.
Die Damen, die Henriette Heinbostel feiern, sind schon länger dort angekommen, wie etwa Jutta Limbach, Ex-Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Ninon Colneric, bis 2006 Richterin am Europäischen Gerichtshof, oder Christine Hohmann-Dennhardt, Bundesverfassungsrichterin – nicht zu reden von den Professorinnen, Justizsenatorinnen und „normalen” Gerichtspräsidentinnen.
Es scheint fast so, als ob der heitere Ton des Buches mit weiblicher Urerfahrung zu tun hat. Keine klagt über die schwere Geburt, jede schwärmt vom gesunden Kind. So lesen sich die meisten Kapitel unprätentiös, selbstbewusst und ein bisschen stolz. Die Arrivierten berichten, was auf der Zielgeraden vom Unerhörten bis zum Selbstverständlichen so alles passiert ist. Und das mit Witz!
Uta Fölster (Präsidentin des Amtsgerichts Berlin-Mitte) persifliert die männliche Eitelkeit, die Gefühle eines „Vorgesetzten”, an dem die „Untergebene” mit seiner Hilfe vorbei befördert worden ist: „Irgendwie war sie ja ein Teil von ihm, sein Werk, er hatte sie entdeckt, gefördert, weiterempfohlen (. . .) Ja, dafür liebte er diese Frau . . .”
ROLF LAMPRECHT
Konstanze Görres-Ode, Monika Nöhre, Anne-José Paulsen (Hrsg.)
Die OLG-Präsidentin
Gedenkschrift für Henriette Heinbostel. Berliner Wissenschafts-Verlag, 2007. 177 Seiten, 29 Euro.
„Er hatte sie entdeckt, gefördert. Ja, dafür liebte er diese Frau”
Die bekannteste deutsche Richterin: Barbara Salesch wurde aber erst durch ihre pseudodokumentarische TV-Gerichtsshow in Sat.1 so prominent. Foto: Schuller
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Amüsiert hat sich Rolf Lamprecht bei der Lektüre dieses Bands, der aufzeigt, "wie Frauen in die Richterrobe wuchsen". Die Idee, den steinigen Weg von Frauen in die Justiz anhand einer Gedenkschrift für die Kunstfigur Henriette Heinbostel vor Augen zu führen, hält er für witzig und zudem für gelungen umgesetzt. Heinbostel, die (fiktiv) erste OLG-Präsidentin in Deutschland, verkörpere alles, was Juristinnen im letzten Jahrhundert an Zumutungen, Zurückweisungen oder Arroganz von männlicher Seite erlebt und erlitten hätten. Die Beiträge der Herausgeberinnen sowie weiterer 18 Autorinnen, allesamt hochrangige Juristinnen, zeichnen sich in Lamprechts Augen durch Ironie, Selbstironie sowie einen unprätentiösen, heiteren Ton aus.

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