Eine Gesellschaft, in der jeder Sozialpunkte sammelt und anhand dieser seinen unverrückbaren Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommt? Klingt wie Zukunftsmusik, gibt es in China aber tatsächlich. Theresa Hannig stellt in ihrem dystopischen Roman »Die Optimierer« die Frage, ob solch eine
Gesellschaft das Paradies oder ein Alptraum wäre.
Samson Freitag ist Lebensberater. Anhand einer…mehrEine Gesellschaft, in der jeder Sozialpunkte sammelt und anhand dieser seinen unverrückbaren Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommt? Klingt wie Zukunftsmusik, gibt es in China aber tatsächlich. Theresa Hannig stellt in ihrem dystopischen Roman »Die Optimierer« die Frage, ob solch eine Gesellschaft das Paradies oder ein Alptraum wäre.
Samson Freitag ist Lebensberater. Anhand einer umfassenden Datenbank über jeden Bürger stellt er ein Profil seines Kunden zusammen, mit dessen Hilfe er den optimalen Platz für den Bürger in der Gesellschaft bestimmen kann. Einmal festgelegt kann ein Bürger seinen ihn zugewiesenen Platz nicht mehr verlassen, es sei denn, er sammelt massiv Sozialpunkte an. Samson ist glühender Verfechter des Systems, doch als er irrtümlicherweise beschuldigt wird, eine falsche Beratung gegeben zu haben, geht es auf einmal steil bergab mit ihm. Das System will ihn um jeden Preis optimieren, ob er nun will oder nicht.
Normalerweise wird so eine Dystopie eher aus der Sicht ihrer Gegner erzählt. Interessant ist hier, dass Samson, unser Protagonist, jedoch ein glühender Verfechter des Systems ist. Er selbst merkt gar nicht, was das für negative Auswirkungen auf ihn und sein Umfeld hat.
Die Menschen der nahen Zukunft gehen fast nur noch mit einer optischen Linse durch das Leben, das ihnen steten Zugang zu einem personifizierten Onlinefeed ermöglicht und über das sie ihre Umwelt steuern können, beispielsweise ihre Autos oder Fahrstühle. Segen oder Fluch? Scheinbar ist alles dadurch leichter und bequemer geworden. Gleichzeitig wird aber alles, was durch die Linse gesehen wird, ausgenommen, gespeichert und ausgewertet. So beziehen die Lebensberater beispielsweise auch ihre Daten für die Beratung und die Sozialpunkte eines jeden Bürgers werden auf dieser Grundlage berechnet. Es sind die totalen gläsernen Bürger.
Auch wenn Samson anfangs voll hinter diesem System steht, merkt man durch die Reaktion seiner Mitmenschen auf ihn und das, was er sagt, was in vielen anderen vor sich geht, wenn sie mit diesem System konfrontiert sind. Und dass das alles nur an der Oberfläche so toll erscheint, merkt man ohnehin schnell daran, als Samson auf einmal eine Menge Punkte verliert, ohne wirklich was dafür zu können.
Mich persönlich hat sehr schockiert, wie diese Gesellschaft mit psychischen Krankheiten umgeht. Da wird nicht lang gefackelt und anhand einer billigen Checkliste Samson eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, die vielleicht nicht einmal existiert. Und dann werden ihm dafür auch noch Sozialpunkte abgezogen! Für mich ist so etwas eine absolute Horrorvorstellung, pure Stigmatisierung, die extreme Folgen hat und zu einer sozialen Abwertung führt.
Das zentrale Thema des Romans ist ganz klar Überwachung durch den Statt, der die absolute Kontrolle über die Leben seiner Bürger hat und mit ihnen machen kann, was er will. Auch wenn zunächst alles ganz toll und rosig erscheint, erkennt man doch schnell, wie es unter der Oberfläche modert. Das ist kein feel good Roman, ganz im Gegenteil! Er löst durchaus Unbehagen aus, wenn man darüber nachdenkt, dass das alles gar nicht so unwahrscheinlich ist. Wie viele von uns geben schon jetzt ihr ganzes Privatleben auf Facebook preis? Viel zu viele. Der Schritt zu einer Gesellschaft wie der in »Die Optimierer« ist da weiß Gott nicht mehr so weit.
»Die Optimierer« ist ein Roman, den ich nur wärmstens empfehlen kann. Er regt zum Nachdenken an, ist gleichzeitig aber durch seinen eingängigen Schreibstil sehr zugänglich und ist zudem sehr aktuell! Aktueller, als man so denken mag.