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Produktdetails
  • Piper Taschenbuch
  • Verlag: Piper
  • Abmessung: 15mm x 120mm x 190mm
  • Gewicht: 232g
  • ISBN-13: 9783492121330
  • Artikelnr.: 25028027
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.1995

Optanten und Dableiber
Blinde Flecken im Selbstbespiegelungsglas der Südtiroler

Reinhold Messner (Herausgeber): Die Option. 1939 stimmten 86 Prozent der Südtiroler für das Aufgeben der Heimat. Warum? Ein Lehrstück in Zeitgeschichte. Serie Piper 2133. Piper Verlag, München 1995. 272 Seiten, 19,90 Mark.

8. 9. 43 Italien und Südtirol 1943-1945. Geschichte und Region. Jahrbuch der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte Bozen, 3. Jahrgang 1994. Folio Verlag, Bozen und Wien 1995. 325 Seiten, 26,- Mark.

Der Rückblick auf das Kriegsende vor 50 Jahren förderte neben ins Kraut schießenden Pflichtübungen auch Unkonventionelles und Neues zutage, das nicht einmal randständig sein muß. So bemühten sich etwa im Sichtfeld der Südtiroler - 1918 getrennt vom österreichischen Vaterland, zwischen 1922, der Machtübernahme der Faschisten in Italien, und 1945 beinahe zwischen Mussolini und Hitler aufgerieben - Autoren, blinde Flecken im (landes-)geschichtlichen Selbstbespiegelungsglas aufzuhellen. Im Mittelpunkt standen die Folgen des deutsch-italienischen Optionsabkommens von 1939 und die Auswirkungen der Zugehörigkeit Südtirols zur "Operationszone Alpenvorland".

Jenem Abkommen ging eine auf Italianisierung zielende Politik der Entnationalisierung der Südtiroler voraus. Die erhofften sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Schwarzhemden das Abwerfen des faschistischen Jochs, als Österreich 1938 dem Deutschen Reich angeschlossen wurde und deutsche Truppen über Nacht am Brenner standen. Doch Hitler erklärte dem mißtrauischen späteren Achsenpartner Mussolini anläßlich seines Staatsbesuchs in Rom am 7. Mai 1938: "Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, daß es die von der Natur uns beiden aufgerichtete Alpengrenze immer als eine unantastbare ansieht." Daher vereinbarten die Paladine der beiden Diktatoren Wochen später, daß die Südtiroler bis zum 31. Dezember 1939 für die deutsche Staatsbürgerschaft optieren - mit der Verpflichtung der Auswanderung - oder sich für die Beibehaltung der italienischen entscheiden konnten - verbunden mit der unterschwelligen Drohung, keinen Schutz für ihr Volkstum mehr in Anspruch nehmen zu können.

Als diese Entscheidung bekannt wurde, lehnte sie der "Völkische Kampfring Südtirol" (VKS), eine dem nationalsozialistischen Deutschland verbundene Organisation, zunächst ab. Ihre "Führer" reisten in Verkennung der Verhältnisse nach München ins Braune Haus, um die NS-Führung bei Erinnerung an deren volkstumspolitische Verlautbarungen "umzustimmen". "Umgestimmt" wurde jedoch die VKS-Führung. Sie hatte vom 22. Juli 1939 an die Abstimmung für die Option ideologisch als Politik des "Heim ins Reich" zu rechtfertigen und zu organisieren. Dagegen stemmte sich nur der kleine "Andreas Hofer-Bund" des Kanonikus Michael Gamper. Von den 246036 Optionsberechtigten stimmten 211799 für die deutsche Staatsbürgerschaft und Aussiedeln, 34237 für die Beibehaltung der italienischen und Bleiben. Von den Optanten wurden schließlich etwa 76000 umgesiedelt. Der Gang der (Kriegs-)Ereignisse 1943 verhinderte die vollständige Verwirklichung der Pläne.

In Rom wurde Mussolini vom Faschistischen Großrat abgesetzt, Italien schloß mit den Alliierten einen Waffenstillstand, diese landeten auf Sizilien. Deutsche Truppen besetzten den größten Teil des Landes und entwaffneten das italienische Heer. Mussolini regierte von Salò am Gardasee aus als Satrap Hitlers die Repubblica Sociale Italiana (RSI). Und im Norden gebot der Tiroler Gauleiter Franz Hofer als Oberster Kommissar über die sogenannte "Operationszone Alpenvorland", die aus den drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno gebildet worden war.

Damit gehörte Südtirol zwar militärisch und administrativ dem Reich an, und für zwei Jahre erhielt das Land sein deutsches Gepräge nach Unterricht, Kultur und Verwaltung zurück. Doch formell unterstand es nach wie vor jener italienischen Republik von Salò, deren Duce freilich seine Anweisungen aus der Berliner Reichskanzlei erhielt. Die Entscheidung für Gehen oder Bleiben war damit obsolet geworden, doch die nationalsozialistische Besatzungspolitik fragte fortan nicht mehr nach "Optanten" oder "Dableibern". Gestellungsbefehle erreichten Angehörige beider Lager, Reichsfettverordnung und Nahrungsmittelablieferungspflicht ebenso. Das Land zwischen Brenner und Salurn, zwischen Reschen und Rosengarten war wie alle deutschen Gaue der kriegswirtschaftlichen Aussaugung unterworfen, seine Bewohner entrichteten wie die Bewohner aller Reichsgaue fortan ihren Blutzoll.

Die Autoren der beiden vorliegenden Publikationen gehen in materialreichen Beiträgen den Existenzbedingungen der Jahre 1939 bis 1945, besonders 1943 bis Kriegsende, nach. Und sie fördern, wie etwa Lutz Klinkhammer in seiner Studie über die deutsche Besatzungsherrschaft in Italien, südtirolspezifische Befunde zutage, die den Weg in die Nachkriegspolitik der Autonomieregelungen gemäß Pariser Abkommen von 1946 folgerichtiger als bisher aufgezeigt scheinen lassen. Besonders der Graben, der sich zwischen Optanten und Dableibern auftat, wird in mehreren Beiträgen mit gleißendem Licht ausgeleuchtet. Trotz mannigfacher Bemühungen der Südtiroler Volkspartei (SVP) - im Mai 1945 gegründet von Angehörigen beider Lager - konnte er bis heute nicht restlos zugeschüttet werden.

Die Autoren verstehen sich sowohl als Publizisten und Wissenschaftler als auch politisch vorwiegend als "Alternative". Das zeigt sich daran, daß es ihnen zuvörderst um vom Herkömmlichen unterscheidende Sichtweisen des Geschehenen und dessen Ausdeutung für die politisch-gesellschaftliche Gegenwart zu tun ist. Der historischen Wahrheitsfindung tut dies keinen Abbruch, sondern manches wird in einer Klarheit geboten, die zuvor wegen gelegentlich einseitiger Fixierung vermißt wurde. Unter diesen "Alternativen" tut sich besonders Reinhold Messner hervor, als Herausgeber und Beiträger. Der das Ausloten des Extremen zum persönlichen Lebensprinzip erhebende, international wohl bekannteste Südtiroler schreckt dabei allerdings nicht vor persönlichen Verunglimpfungen von Angehörigen der Erlebnisgeneration zurück. Das mindert den Wert der guten Absicht, gibt Messner doch vor, "Trauer über Option und Umsiedlung" als "Wiedergutmachung . . . der Heimat gegenüber" verstanden wissen zu wollen. Ob sie es ihm dankt? Zweifel sind angebracht. REINHARD OLT

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