Nasrija, Irak, 1989: Am Tag der letzten Abiturprüfung wird Mahdi zu einem Ausflug eingeladen. Sein Klassenkamerad Ali hat sich ein Auto ausgeliehen, und die beiden wollen das Ende der Schulzeit feiern. Doch es ist das falsche Auto, und Ali kennt die falschen Leute die beiden werden ohne Anklage und Prozess inhaftiert. Mahdi stehen zwei Jahre Gefängnisalltag bevor, Hunger, Folter, Grausamkeiten, Zynismus: Zum Geburtstag Saddam Husseins wird den Häftlingen eine Amnestie in Aussicht gestellt doch dann bekommt jeder nur eine Orange als Geschenk. Mahdi rettet sich in dieser Hölle durch seine Begabung zum Geschichtenerzählen. Drastisch, tragikomisch und ergreifend berichtet er Episoden aus seiner Kindheit und Jugend, besonders von der Freundschaft mit dem Taubenzüchter Sami und dem Geschichtslehrer und Literaturübersetzer Razaq. Der Roman lässt ein eindrucksvolles Bild des Irak der achtziger und neunziger Jahre entstehen. Nach seinem fulminanten, viel beachteten Debüt legt Abbas Khider hier seinen zweiten Roman vor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2011Die Frucht der Freiheit
Abbas Khider porträtiert die Ära Saddam Husseins
Von Wolfgang Günter Lerch
Auch im Islam gilt die Taube als ein Symbol für Liebe und Frieden. "Tauq al hamama", das Halsband der Taube, nannte der berühmte mittelalterliche Schriftsteller Ibn Hazm al Andalusi, den der Autor auch erwähnt, seine poetische Liebes- und Lebenslehre; und in arabischen Dörfern - etwa im Niltal oder in Mesopotamien, an den Ufern von Euphrat und Tigris - stechen dem Besucher überall die turmhohen Taubenschläge in die Augen.
In "Die Orangen des Präsidenten", seinem zweiten Roman, lässt Abbas Khider seinen Protagonisten Mahdi Hamama, der mit dem Taubenzüchter Sami befreundet ist und später auch ein wenig in diese Kunst eingewiesen wird, seine Lebensgeschichte erzählen. Es ist, zu großen Teilen, auch die Lebensgeschichte des Autors selbst. Der Iraker Abbas Khider, dessen Erstling "Der falsche Inder" als Geschichte einer Flucht aus der verwüsteten irakischen Heimat schon für Aufsehen sorgte, lebt heute in Berlin. Der 1973 in der irakischen Hauptstadt Bagdad geborene Schriftsteller verließ 1996 den Irak, wo er aus politischen Gründen verurteilt und zwei Jahre lang unter entwürdigenden Umständen inhaftiert war.
Ein ähnliches Schicksal erleidet sein Romanheld. Im Jahre 1989 - der Krieg zwischen dem Irak Saddam Husseins und der Islamischen Republik Iran unter Ajatollah Chomeini ist gerade ein Jahr vorüber - wird der Abiturient Mahdi kurz nach dem Ende seiner schriftlichen Prüfungen festgenommen, als er mit seinem Freund Ali eine Spritztour mit dem Auto unternimmt. Was man ihm vorwirft, weiß er nicht. Im Irak des Diktators Saddam Hussein, der von Samir al Khalil, alias Kanan Makkija, als "Republik der Angst" beschrieben worden ist, bedarf es auch keiner Beweise; es genügt, dass man "die falschen Leute" kennt: Religiöse, Kommunisten, Demokraten, Kurden und andere, die das Regime nur als Staatsfeinde wahrnimmt. Mitgliedschaft in einer solchen staatsfeindlichen Gruppierung, lautet der Vorwurf.
Zwei Jahre bleibt Mahdi Gefangener in Saddams Kerkern. Eigene Erfahrungen des Autors aus dem Gefängnis fließen in dieses knappe, doch präzise geschriebene Buch ein, dessen unprätentiöse Sprache auf den Leser einen Sog ausübt. Ohne zu moralisieren, gelingt es dem Autor, durch die nüchterne Schilderung der zwiespältigen Alltagswirklichkeit jenes Klima der Angst zu rekonstruieren, in dem damals all jene lebten, die nicht zu den wenigen Nutznießern des "Systems" gehörten.
Im Wechsel mit den Kapiteln über die Haft Mahdi Hamamas erzählt Khider anhand seines Helden die Geschichte einer schiitischen Jugend. Die Hamamas ziehen von Hilla-Babylon im zentralen Irak in den Süden des Landes, nach Nasrija, in ein Kerngebiet der Schiiten. Die Familie ist traditionell religiös, doch nicht übertrieben eifrig. Sie hat sogar Kontakte zu Christen, die in vielem (etwa was die westliche Kleidung der Frauen angeht) so ganz anders sind. Doch selbst in der Republik der Angst gibt es einen normalen Alltag; der beginnt bei den persönlichen Problemen, die man meistern muss, und reicht bis zu den religiösen Festen der Schiiten, die das Regime freilich mit Misstrauen beobachtet. Mahdis Vater fällt im Krieg mit Iran, als der Junge neun ist; die Mutter stirbt später an Krebs. Mahdi kommt bei einem Onkel unter. Bald schon beginnt der nächste Krieg, nachdem der Irak Kuweit besetzt und sich einverleibt hatte. Repression, Gefangenschaft, Kriege - dies ist der Lebenshintergrund vieler Iraker, denen Khider hier eine Stimme verleiht.
Im Gefängnis trifft Mahdi auf Mitgefangene, die eines Tages verschwunden sind, Opfer des Geheimdienstes, der sie zuvor gefoltert hat, wie auch ihn. Doch eines Tages keimt Hoffnung auf - und der Roman bekommt seinen Titel: Denn immer am Geburtstag des großen Führers Saddam Hussein wird eine Amnestie verfügt. Euphorie bricht aus im Gefängnis; der Beamte, der die Amnestie verkündet, erscheint tatsächlich. Höchste, fast ekstatische Erwartungen schießen unter den Malträtierten ins Kraut. Dann der Tiefschlag: Niemand wird freigelassen, es gibt keine Amnestie. Lediglich eine Orange erhält jeder Gefangene. Nichts könnte den menschenverachtenden Zynismus im Reiche Saddams besser illustrieren als dieses Ereignis. Nur die Macht der Phantasie und das Erzählen von Geschichten helfen Mahdi Hamama über das Gefangensein hinweg. Es ist das aus den Erzählungen von "Tausendundeiner Nacht" bekannte Motiv, das auch Scheherazade, die mit dem Tod bedrohte Gefangene des Königs, am Leben erhält.
Abbas Khider: "Die Orangen des Präsidenten". Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2011. 160 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abbas Khider porträtiert die Ära Saddam Husseins
Von Wolfgang Günter Lerch
Auch im Islam gilt die Taube als ein Symbol für Liebe und Frieden. "Tauq al hamama", das Halsband der Taube, nannte der berühmte mittelalterliche Schriftsteller Ibn Hazm al Andalusi, den der Autor auch erwähnt, seine poetische Liebes- und Lebenslehre; und in arabischen Dörfern - etwa im Niltal oder in Mesopotamien, an den Ufern von Euphrat und Tigris - stechen dem Besucher überall die turmhohen Taubenschläge in die Augen.
In "Die Orangen des Präsidenten", seinem zweiten Roman, lässt Abbas Khider seinen Protagonisten Mahdi Hamama, der mit dem Taubenzüchter Sami befreundet ist und später auch ein wenig in diese Kunst eingewiesen wird, seine Lebensgeschichte erzählen. Es ist, zu großen Teilen, auch die Lebensgeschichte des Autors selbst. Der Iraker Abbas Khider, dessen Erstling "Der falsche Inder" als Geschichte einer Flucht aus der verwüsteten irakischen Heimat schon für Aufsehen sorgte, lebt heute in Berlin. Der 1973 in der irakischen Hauptstadt Bagdad geborene Schriftsteller verließ 1996 den Irak, wo er aus politischen Gründen verurteilt und zwei Jahre lang unter entwürdigenden Umständen inhaftiert war.
Ein ähnliches Schicksal erleidet sein Romanheld. Im Jahre 1989 - der Krieg zwischen dem Irak Saddam Husseins und der Islamischen Republik Iran unter Ajatollah Chomeini ist gerade ein Jahr vorüber - wird der Abiturient Mahdi kurz nach dem Ende seiner schriftlichen Prüfungen festgenommen, als er mit seinem Freund Ali eine Spritztour mit dem Auto unternimmt. Was man ihm vorwirft, weiß er nicht. Im Irak des Diktators Saddam Hussein, der von Samir al Khalil, alias Kanan Makkija, als "Republik der Angst" beschrieben worden ist, bedarf es auch keiner Beweise; es genügt, dass man "die falschen Leute" kennt: Religiöse, Kommunisten, Demokraten, Kurden und andere, die das Regime nur als Staatsfeinde wahrnimmt. Mitgliedschaft in einer solchen staatsfeindlichen Gruppierung, lautet der Vorwurf.
Zwei Jahre bleibt Mahdi Gefangener in Saddams Kerkern. Eigene Erfahrungen des Autors aus dem Gefängnis fließen in dieses knappe, doch präzise geschriebene Buch ein, dessen unprätentiöse Sprache auf den Leser einen Sog ausübt. Ohne zu moralisieren, gelingt es dem Autor, durch die nüchterne Schilderung der zwiespältigen Alltagswirklichkeit jenes Klima der Angst zu rekonstruieren, in dem damals all jene lebten, die nicht zu den wenigen Nutznießern des "Systems" gehörten.
Im Wechsel mit den Kapiteln über die Haft Mahdi Hamamas erzählt Khider anhand seines Helden die Geschichte einer schiitischen Jugend. Die Hamamas ziehen von Hilla-Babylon im zentralen Irak in den Süden des Landes, nach Nasrija, in ein Kerngebiet der Schiiten. Die Familie ist traditionell religiös, doch nicht übertrieben eifrig. Sie hat sogar Kontakte zu Christen, die in vielem (etwa was die westliche Kleidung der Frauen angeht) so ganz anders sind. Doch selbst in der Republik der Angst gibt es einen normalen Alltag; der beginnt bei den persönlichen Problemen, die man meistern muss, und reicht bis zu den religiösen Festen der Schiiten, die das Regime freilich mit Misstrauen beobachtet. Mahdis Vater fällt im Krieg mit Iran, als der Junge neun ist; die Mutter stirbt später an Krebs. Mahdi kommt bei einem Onkel unter. Bald schon beginnt der nächste Krieg, nachdem der Irak Kuweit besetzt und sich einverleibt hatte. Repression, Gefangenschaft, Kriege - dies ist der Lebenshintergrund vieler Iraker, denen Khider hier eine Stimme verleiht.
Im Gefängnis trifft Mahdi auf Mitgefangene, die eines Tages verschwunden sind, Opfer des Geheimdienstes, der sie zuvor gefoltert hat, wie auch ihn. Doch eines Tages keimt Hoffnung auf - und der Roman bekommt seinen Titel: Denn immer am Geburtstag des großen Führers Saddam Hussein wird eine Amnestie verfügt. Euphorie bricht aus im Gefängnis; der Beamte, der die Amnestie verkündet, erscheint tatsächlich. Höchste, fast ekstatische Erwartungen schießen unter den Malträtierten ins Kraut. Dann der Tiefschlag: Niemand wird freigelassen, es gibt keine Amnestie. Lediglich eine Orange erhält jeder Gefangene. Nichts könnte den menschenverachtenden Zynismus im Reiche Saddams besser illustrieren als dieses Ereignis. Nur die Macht der Phantasie und das Erzählen von Geschichten helfen Mahdi Hamama über das Gefangensein hinweg. Es ist das aus den Erzählungen von "Tausendundeiner Nacht" bekannte Motiv, das auch Scheherazade, die mit dem Tod bedrohte Gefangene des Königs, am Leben erhält.
Abbas Khider: "Die Orangen des Präsidenten". Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2011. 160 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2011Lachen unter der Folter
Im irakischen Gefängnis: Abbas Khiders außergewöhnlicher Roman „Die Orangen des Präsidenten“ berichtet so poetisch wie nüchtern uns Unvorstellbares
Das hätte sich Abbas Khider, als er 1996 aus dem Irak floh, wohl kaum träumen lassen: Dass er eines Tages in Deutschland, wo er nach vierjähriger Odyssee durch zahlreiche Länder vor elf Jahren strandete, zum gefragten Gesprächspartner werden würde. Seit dem Beginn der Revolutionen in der arabischen Welt ist das Lachen des 1973 in Bagdad geborenen Schriftstellers, das sein Sprechen wie Musik begleitet, oft in den Medien zu sehen und zu hören. Es ist ein sehr spezielles Lachen, eine Eruption von Freundlichkeit und Melancholie, und es überkommt ihn selbst dann, wenn er von den Foltermethoden des Saddam-Regimes erzählt, die er am eigenen Leib erfahren hat.
Sein zweiter Roman, „Die Orangen des Präsidenten“, ist dem Geheimnis dieses Lachens auf der Spur und nicht nur ihm. Mit einer erzählerischen Ökonomie, die an ein Wunder grenzt, weil sie eine Vielzahl von Geschichten so anschaulich miteinander verknüpft, dass knapp hundertsechzig Seiten genügen, um dem Leser eine fremde Welt zu erschließen, schildert er das Leben im Irak der 1980er und frühen 90er Jahre.
Wie sein preisgekrönter, ebenfalls im Nautilus Verlag erschienener Erstling, „Der falsche Inder“, der die grausam abenteuerliche Flucht durch arabische, afrikanische und europäische Länder als Schelmengeschichte in acht Variationen erzählt, wäre auch dieser Roman schon ohne aktuellen Anlass eine Bereicherung. Abbas Khider schenkt dem Land, dessen Staatsbürger er mittlerweile ist und in dessen Sprache er schreibt, etwas sehr Wertvolles: Er übersetzt seine Erfahrungen in eine verstehbare Form. Die politischen Ereignisse haben uns gelehrt, dass die Probleme der arabischen Welt weniger mit dem Islam als mit Diktatur und sozialer Ungerechtigkeit zu tun haben. Davon erzählt auch sein neuer Roman.
Ein Gedicht von Hilde Domin liefert das Motto für die „wahre Geschichte“ des jungen Irakers Mahdi, die von einer Rahmenhandlung begleitet wird. Der Ich-Erzähler, erst vor kurzem aus dem Gefängnis befreit, sitzt mitten in der Wüste in einem Flüchtlingslager an der kuwaitisch-irakischen Grenze. Sonne, Wind und Sand setzen ihm zu, doch vor allem droht ihm die „unsägliche Langeweile“ dieses „Nicht-Orts“ (wie der französische Ethnologe Marc Augé solche Räume des Transits nennt), den Verstand zu rauben. Er weiß nicht, worauf er wartet, „jedenfalls nicht auf Godot“. Und so erzählt er gegen die Langeweile an.
Auf einer Spritztour zur Feier der letzten Abiturprüfung wird der achtzehnjährige Mahdi vor den Überresten der alten Stadt Ur verhaftet. Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, nicht einmal Flugblätter verteilt wie sein Autor. Doch Ali, der Klassenkamerad, mit dem er unterwegs ist, hat Kontakt zu Oppositionellen. Beide kommen in Untersuchungshaft. Ali überlebt sie nicht. Für Mahdi, aufgewachsen in einer schiitischen Familie im Kurdenviertel Babylons, beginnt ein zweijähriges Martyrium im Gefängnis von Nasrijah, der Stadt, in die er ein Jahr zuvor gezogen ist, nachdem der Vater im Iran-Irak-Krieg gefallen war und die Mutter wenige Tage vor dem Ende des Krieges an Krebs starb.
Mit einfachen Mitteln und doch mit ungeheurem Geschick erzählt Abbas Khider die Geschichte seines Helden. Genau gesetzte Details lassen erkennen, dass er dabei immer die Vermittlung im Auge hat. Mal stiefeln Touristen durch die Ruinen von Babylon und huldigen den heiligen Stätten der Menschheitsgeschichte, während sie den Alltag der dort lebenden Menschen ignorieren, mal zeigt die Todesart der Mutter, dass man auch in Kriegszeiten an Krankheiten sterben kann. Er weiß, dass er für deutsche Leser schreibt, und so versucht er die grausamen Schilderungen aus dem Gefängnis erträglich zu machen, in dem er sie mit Szenen aus der Kindheit und Jugend abwechseln lässt. Und auch sein Stil wechselt. Während der Alltag in poetischer Sprache geschildert wird, ist der Duktus der Gefängnisszenen von großer Nüchternheit.
Zwanzig Männer sind in den unterirdischen Zellen des Gefängnisses auf sechzehn Quadratmetern zusammengepfercht. Keine Sonne, keine Ablenkung, keine Bücher oder Zeitschriften, nur Feuchtigkeit, Enge, Ungeziefer und die ständige Angst, zum Verhör geholt zu werden. Immer wieder verschwindet einer, und die anderen hören seine Schreie. Die Foltermethoden sind vielfältig, von Stromschlägen bis zum tagelangen Aufhängen an den Beinen wie „Schlachtvieh“, und auch die Arten des Selbstmords. Der eine schlägt so lange mit dem Kopf gegen die Wand, bis er tot umfällt, der andere, der nach brutaler Folter schließlich wegen eines Kebabs Namen preisgab, hungert sich zu Tode.
Wie man mit dem beißenden Hunger, der zermürbendsten Foltermethode, zurechtkommt und die Tagesration Brot in drei Teile teilt, die wiederum zu kleinen Kügelchen geformt und getrocknet werden, um sie mit Wasser aufzuquellen, schildert dieser Roman ebenso wie die Regeln, die sich die Gefangenen geben, um durchzuhalten. Mangels Papier schreibt Mahdi seine Gedichte an die Wand und liest, was andere Gefangene dort hinterlassen haben. Jeder erzählt seine Lebensgeschichte so farbenprächtig, dass er damit die anderen unterhalten kann. Selbst mit den Wanzen, den Quälgeistern und Schlafräubern, lässt sich etwas anfangen. Es ist ein Spiel der Gefangenen, sie zu Tode zu quälen. Einer von ihnen, der eloquente Dhalal, der zu einer irakischen Existentialistengruppe gehört, sperrt je zwei in eine Plastiktüte und hetzt sie als Repräsentanten seiner ärgsten Feinde, Islam und Kommunismus, aufeinander los.
Mahdi ist der jüngste Gefangene und damit gleichsam der Novize, dem die Älteren, die davon ausgehen müssen, dass sie die Haft nicht überleben, ihr Wissen überantworten. Am 28. April geraten sie in freudige Erwartung. Es ist der Geburtstag Saddam Husseins, für alle politischen Gefangenen des Irak der wichtigste Tag des Jahres. Doch statt der erhofften Amnestie wird jedem Gefangenen mit großer Geste eine Blutorange überreicht. Auch Enttäuschung kann eine Foltermethode sein, tagelang rasen die Gefangenen vor Schmerz über diese Demütigung.
Im Gefängnis gibt es nichts Schlimmeres als Hoffnung, weil sie den Panzer der Emotionslosigkeit aufbricht. Davon erzählt „Die Orangen des Präsidenten“ ebenso eindrücklich wie von der Kindheit und Jugend des Helden, die trotz des Krieges und zahlreicher Verluste auch die normalen Höhen und Tiefen des Alltags kennt. Da gibt es die Freundschaft mit Jack und seiner älteren Schwester Rosa, Kinder reicher Christen, und den Stolz darauf, dass man sich gegenseitig achtet und bewundert. Und da ist die tiefe Freundschaft zu Sami, einem Jugendfreund des Vaters, der ihn in Nasrijah gleichsam adoptiert und in die Geheimnisse der Taubenzucht einweist. Sami kommt schließlich einer schönen Taube wegen ums Leben, und das hält er für ein durchaus würdigeres Ende als wegen der „dummen Kriege“ zu sterben.
Die Kriege skandieren den Roman wie ein dumpfes Hintergrundgrollen. Als Mahdi 1991 nach dem Einmarsch der Alliierten von Aufständischen aus dem Gefängnis befreit wird, erkennt er das Land kaum wieder. Die Bilder Saddam Husseins sind abgehängt, stattdessen sieht man alte Männer mit langen Bärten. Sein Onkel gibt ihm Geld, um sich den abziehenden amerikanischen Truppen anzuschließen. Die bringen ihn an die Grenze zum eben befreiten Kuwait, in das Flüchtlingslager, in dem er von seinem Leben und seinem Lachen erzählt. Eines Tages ist es unter der Folter aus ihm herausgeplatzt und er entdeckte, dass es ihn unempfindlich macht gegen Schmerz, Angst und Verzweiflung. Im harten Wechsel von Poesie und Nüchternheit ist Abbas Khider ein außergewöhnlicher Roman gelungen, der von Dingen erzählt, die unser Vorstellungsvermögen kaum fassen kann.
MEIKE FESSMANN
ABBAS KHIDER: Die Orangen des Präsidenten. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2011. 160 Seiten, 16 Euro.
Keine Sonne, keine Ablenkung,
Enge, Ungeziefer und Angst
Abbas Khider, 1973 in Bagdad geboren, lebt seit dem Jahr 2000 in Deutschland.
„Die Orangen des Präsidenten“ ist sein zweiter Roman. Foto: Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Im irakischen Gefängnis: Abbas Khiders außergewöhnlicher Roman „Die Orangen des Präsidenten“ berichtet so poetisch wie nüchtern uns Unvorstellbares
Das hätte sich Abbas Khider, als er 1996 aus dem Irak floh, wohl kaum träumen lassen: Dass er eines Tages in Deutschland, wo er nach vierjähriger Odyssee durch zahlreiche Länder vor elf Jahren strandete, zum gefragten Gesprächspartner werden würde. Seit dem Beginn der Revolutionen in der arabischen Welt ist das Lachen des 1973 in Bagdad geborenen Schriftstellers, das sein Sprechen wie Musik begleitet, oft in den Medien zu sehen und zu hören. Es ist ein sehr spezielles Lachen, eine Eruption von Freundlichkeit und Melancholie, und es überkommt ihn selbst dann, wenn er von den Foltermethoden des Saddam-Regimes erzählt, die er am eigenen Leib erfahren hat.
Sein zweiter Roman, „Die Orangen des Präsidenten“, ist dem Geheimnis dieses Lachens auf der Spur und nicht nur ihm. Mit einer erzählerischen Ökonomie, die an ein Wunder grenzt, weil sie eine Vielzahl von Geschichten so anschaulich miteinander verknüpft, dass knapp hundertsechzig Seiten genügen, um dem Leser eine fremde Welt zu erschließen, schildert er das Leben im Irak der 1980er und frühen 90er Jahre.
Wie sein preisgekrönter, ebenfalls im Nautilus Verlag erschienener Erstling, „Der falsche Inder“, der die grausam abenteuerliche Flucht durch arabische, afrikanische und europäische Länder als Schelmengeschichte in acht Variationen erzählt, wäre auch dieser Roman schon ohne aktuellen Anlass eine Bereicherung. Abbas Khider schenkt dem Land, dessen Staatsbürger er mittlerweile ist und in dessen Sprache er schreibt, etwas sehr Wertvolles: Er übersetzt seine Erfahrungen in eine verstehbare Form. Die politischen Ereignisse haben uns gelehrt, dass die Probleme der arabischen Welt weniger mit dem Islam als mit Diktatur und sozialer Ungerechtigkeit zu tun haben. Davon erzählt auch sein neuer Roman.
Ein Gedicht von Hilde Domin liefert das Motto für die „wahre Geschichte“ des jungen Irakers Mahdi, die von einer Rahmenhandlung begleitet wird. Der Ich-Erzähler, erst vor kurzem aus dem Gefängnis befreit, sitzt mitten in der Wüste in einem Flüchtlingslager an der kuwaitisch-irakischen Grenze. Sonne, Wind und Sand setzen ihm zu, doch vor allem droht ihm die „unsägliche Langeweile“ dieses „Nicht-Orts“ (wie der französische Ethnologe Marc Augé solche Räume des Transits nennt), den Verstand zu rauben. Er weiß nicht, worauf er wartet, „jedenfalls nicht auf Godot“. Und so erzählt er gegen die Langeweile an.
Auf einer Spritztour zur Feier der letzten Abiturprüfung wird der achtzehnjährige Mahdi vor den Überresten der alten Stadt Ur verhaftet. Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, nicht einmal Flugblätter verteilt wie sein Autor. Doch Ali, der Klassenkamerad, mit dem er unterwegs ist, hat Kontakt zu Oppositionellen. Beide kommen in Untersuchungshaft. Ali überlebt sie nicht. Für Mahdi, aufgewachsen in einer schiitischen Familie im Kurdenviertel Babylons, beginnt ein zweijähriges Martyrium im Gefängnis von Nasrijah, der Stadt, in die er ein Jahr zuvor gezogen ist, nachdem der Vater im Iran-Irak-Krieg gefallen war und die Mutter wenige Tage vor dem Ende des Krieges an Krebs starb.
Mit einfachen Mitteln und doch mit ungeheurem Geschick erzählt Abbas Khider die Geschichte seines Helden. Genau gesetzte Details lassen erkennen, dass er dabei immer die Vermittlung im Auge hat. Mal stiefeln Touristen durch die Ruinen von Babylon und huldigen den heiligen Stätten der Menschheitsgeschichte, während sie den Alltag der dort lebenden Menschen ignorieren, mal zeigt die Todesart der Mutter, dass man auch in Kriegszeiten an Krankheiten sterben kann. Er weiß, dass er für deutsche Leser schreibt, und so versucht er die grausamen Schilderungen aus dem Gefängnis erträglich zu machen, in dem er sie mit Szenen aus der Kindheit und Jugend abwechseln lässt. Und auch sein Stil wechselt. Während der Alltag in poetischer Sprache geschildert wird, ist der Duktus der Gefängnisszenen von großer Nüchternheit.
Zwanzig Männer sind in den unterirdischen Zellen des Gefängnisses auf sechzehn Quadratmetern zusammengepfercht. Keine Sonne, keine Ablenkung, keine Bücher oder Zeitschriften, nur Feuchtigkeit, Enge, Ungeziefer und die ständige Angst, zum Verhör geholt zu werden. Immer wieder verschwindet einer, und die anderen hören seine Schreie. Die Foltermethoden sind vielfältig, von Stromschlägen bis zum tagelangen Aufhängen an den Beinen wie „Schlachtvieh“, und auch die Arten des Selbstmords. Der eine schlägt so lange mit dem Kopf gegen die Wand, bis er tot umfällt, der andere, der nach brutaler Folter schließlich wegen eines Kebabs Namen preisgab, hungert sich zu Tode.
Wie man mit dem beißenden Hunger, der zermürbendsten Foltermethode, zurechtkommt und die Tagesration Brot in drei Teile teilt, die wiederum zu kleinen Kügelchen geformt und getrocknet werden, um sie mit Wasser aufzuquellen, schildert dieser Roman ebenso wie die Regeln, die sich die Gefangenen geben, um durchzuhalten. Mangels Papier schreibt Mahdi seine Gedichte an die Wand und liest, was andere Gefangene dort hinterlassen haben. Jeder erzählt seine Lebensgeschichte so farbenprächtig, dass er damit die anderen unterhalten kann. Selbst mit den Wanzen, den Quälgeistern und Schlafräubern, lässt sich etwas anfangen. Es ist ein Spiel der Gefangenen, sie zu Tode zu quälen. Einer von ihnen, der eloquente Dhalal, der zu einer irakischen Existentialistengruppe gehört, sperrt je zwei in eine Plastiktüte und hetzt sie als Repräsentanten seiner ärgsten Feinde, Islam und Kommunismus, aufeinander los.
Mahdi ist der jüngste Gefangene und damit gleichsam der Novize, dem die Älteren, die davon ausgehen müssen, dass sie die Haft nicht überleben, ihr Wissen überantworten. Am 28. April geraten sie in freudige Erwartung. Es ist der Geburtstag Saddam Husseins, für alle politischen Gefangenen des Irak der wichtigste Tag des Jahres. Doch statt der erhofften Amnestie wird jedem Gefangenen mit großer Geste eine Blutorange überreicht. Auch Enttäuschung kann eine Foltermethode sein, tagelang rasen die Gefangenen vor Schmerz über diese Demütigung.
Im Gefängnis gibt es nichts Schlimmeres als Hoffnung, weil sie den Panzer der Emotionslosigkeit aufbricht. Davon erzählt „Die Orangen des Präsidenten“ ebenso eindrücklich wie von der Kindheit und Jugend des Helden, die trotz des Krieges und zahlreicher Verluste auch die normalen Höhen und Tiefen des Alltags kennt. Da gibt es die Freundschaft mit Jack und seiner älteren Schwester Rosa, Kinder reicher Christen, und den Stolz darauf, dass man sich gegenseitig achtet und bewundert. Und da ist die tiefe Freundschaft zu Sami, einem Jugendfreund des Vaters, der ihn in Nasrijah gleichsam adoptiert und in die Geheimnisse der Taubenzucht einweist. Sami kommt schließlich einer schönen Taube wegen ums Leben, und das hält er für ein durchaus würdigeres Ende als wegen der „dummen Kriege“ zu sterben.
Die Kriege skandieren den Roman wie ein dumpfes Hintergrundgrollen. Als Mahdi 1991 nach dem Einmarsch der Alliierten von Aufständischen aus dem Gefängnis befreit wird, erkennt er das Land kaum wieder. Die Bilder Saddam Husseins sind abgehängt, stattdessen sieht man alte Männer mit langen Bärten. Sein Onkel gibt ihm Geld, um sich den abziehenden amerikanischen Truppen anzuschließen. Die bringen ihn an die Grenze zum eben befreiten Kuwait, in das Flüchtlingslager, in dem er von seinem Leben und seinem Lachen erzählt. Eines Tages ist es unter der Folter aus ihm herausgeplatzt und er entdeckte, dass es ihn unempfindlich macht gegen Schmerz, Angst und Verzweiflung. Im harten Wechsel von Poesie und Nüchternheit ist Abbas Khider ein außergewöhnlicher Roman gelungen, der von Dingen erzählt, die unser Vorstellungsvermögen kaum fassen kann.
MEIKE FESSMANN
ABBAS KHIDER: Die Orangen des Präsidenten. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2011. 160 Seiten, 16 Euro.
Keine Sonne, keine Ablenkung,
Enge, Ungeziefer und Angst
Abbas Khider, 1973 in Bagdad geboren, lebt seit dem Jahr 2000 in Deutschland.
„Die Orangen des Präsidenten“ ist sein zweiter Roman. Foto: Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wie ein Schlag hat dieser Roman den Rezensenten Jens Jessen getroffen: Wenn der aus dem Irak nach Deutschland geflohene Abbas Khider von den Erniedrigungen erzählt, die sein jugendlicher Protagonist in den Gefängnissen des Saddam Husseins ausgesetzt war, dann wird Jessen klar: "Der Lagerroman ist keine historische Gattung", er ist immer noch aktuell und "der Roman der Moderne par excellence". Seinen Schrecken bezieht er nicht nur aus deutschen Konzentrationslagern und russischen Gulags, sondern auch aus den orientalischen Gefängnissen und Folterkellern. Für Khider ist es der Kokon aus menschlichen Erfahrungen und Beziehungen, der den Menschen davor schützt, seine Würde und Identität unter den brutalen Schlägen der Staatsmacht zu verlieren, wie Jessen beeindruckt schildert und betont, dass Khider dabei aber nichts idealisiere, die hier geschilderte Jugend sei durchaus überschattet von fragwürdigen Erlebnissen und Charakteren. Außerdem weiß der Rezensent sehr zu schätzen, dass Khider nah am Geschehen bleibt und dies in einer Sprache erzählt, deren Poesie aus ihrer Lakonie rührt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH