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Mit dem Auftreten der karolingischen Dynastie beginnt für die Welt im Raum des alten römischen Reiches und darüber hinaus eine neue, zukunftsträchtige europäische Ordnung zu entstehen. Sie gründet Europa. Zwar mehren die neuen Könige ihr Herrschaftsgebiet zunächst durch zahlreiche Kriege. Aber sie unterhalten auch vielfältige friedliche Beziehungen: Handel, "Freundschaft" und das Gesandtschaftswesen sind wichtige Faktoren einer friedlichen "Außenpolitik". Das karolingische Großreich zwischen 741 und 840 ist bis in die Gegenwart Gegenstand vielfältiger geschichtswissenschaftlicher Forschungen.…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Auftreten der karolingischen Dynastie beginnt für die Welt im Raum des alten römischen Reiches und darüber hinaus eine neue, zukunftsträchtige europäische Ordnung zu entstehen. Sie gründet Europa. Zwar mehren die neuen Könige ihr Herrschaftsgebiet zunächst durch zahlreiche Kriege. Aber sie unterhalten auch vielfältige friedliche Beziehungen: Handel, "Freundschaft" und das Gesandtschaftswesen sind wichtige Faktoren einer friedlichen "Außenpolitik". Das karolingische Großreich zwischen 741 und 840 ist bis in die Gegenwart Gegenstand vielfältiger geschichtswissenschaftlicher Forschungen. Diese völkerrechtsgeschichtliche Studie behandelt die Gestaltung und Ordnung der "auswärtigen Beziehungen" der drei ersten karolingischen Herrscher - Pippin, Karl der Große und Ludwig der Fromme - in Frieden und Krieg. Auf der Grundlage einer religiös-kirchlichen Einheit und einer weltlich-herrschaftlichen Pluralität hat sich in dieser Zeit eine Ordnung herausgebildet, deren Grundstruktur die Beziehungen zwischen den europäischen Mächten für Jahrhunderte bis zum Entstehen des modernen Völkerrechts bestimmt hat.
Autorenporträt
Steiger, Heinhard
Heinhard Steiger ist Professor em. für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Gießen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2011

Der Elefant des Kalifen reiste nach Aachen

Doch die Christenheit blieb trotzdem unter sich: Heinhard Steiger will die völkerrechtliche Ordnung Europas bis in die Karolingerzeit zurückverfolgen.

Nach ihrer Satzung vom 26. Juni 1945 verpflichten sich die Vereinten Nationen, "den Völkerfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren" sowie "freundschaftliche zwischenstaatliche Beziehungen zu entwickeln" (Artikel 1, Absatz 1 und 2). Die gleiche zweischichtige Beziehung zwischen "Mächten" hat der Gießener Völkerrechtler Heinhard Steiger soeben in einer umfassenden Studie für die Zeit Karls des Großen nachzuweisen versucht. Ohne dass dies in den Quellen explizit zum Ausdruck gebracht werde, sei doch "eine rudimentäre gemeinsame normative Ordnung" als "Normalzustand" des äußeren Friedens vorauszusetzen. "Es bedurfte keiner ausdrücklichen Aufnahme normativ geregelter Beziehungem, vor allem keines Vertrages, um in friedlichen Beziehungen zu stehen." Andererseits hätten "Verträge, amicitia und anderes in der Regel nicht der Begründung freundlicher normativer Beziehungen, sondern deren Ausbau, Vertiefung, Verfestigung und Spezifizierung" gedient. Für Steiger bestätigte seine Untersuchung "eine Grundannahme der Geschichtswissenschaft, dass sich in dieser Epoche jene Ordnung Europas herauszubilden begann, die diesen Raum auf der Grundlage einer pluralen politischen Struktur zu einer kulturellen, religiösen und normativen Einheit machen sollte. Die amicitia der Karolingerzeit bildet als ,allgemeine Freundschaft der Völker' eine tragende Grundlage der gegenwärtigen universellen Völkerrechtsordnung."

Das sind starke Behauptungen, zumal Rechtstexte zur Regelung der "Außenpolitik" aus der Zeit von Karls Großvater Karl Martell bis zu seinem Sohn Ludwig dem Frommen vollständig fehlen und nur durch minutiöse Analysen der historischen Erzählungen aus dem Verhalten der Akteure auf deren Grundsätze geschlossen werden konnte. Steiger hat, um die Mängel der Überlieferung auszugleichen, auch auf normative Äußerungen zur innergesellschaftlichen Ordnung mit pax, concordia und dilectio zurückgegriffen und deren Geltung auf die äußeren Verhältnisse extrapoliert. Das Arsenal seiner Argumente ist aber bescheiden und von geringer Durchschlagskraft.

Zwar haben die Frankenkönige ohne Zweifel die Existenz anderer Reiche akzeptiert; wenn Karl in einem Brief an König Offa von Mercien betont, dass königliche Personen im einmütigen Frieden vereint und zur Übereinkunft in Nächstenliebe angehalten seien, kann man eine solche Gelegenheitsäußerung aber nicht als Reflex einer normativ gedachten Weltordnung lesen. In seiner Zeit stellte sich nur ein "Zwischen-Mächte"-Problem, und das war das Verhältnis seiner Kaiserwürde zu Byzanz, während eine europäische Pluralität von Staaten erst mit dem Zerfall des westlichen Großreiches seit Mitte des neunten Jahrhunderts geordnet werden musste. Auch im Umgang mit anderen Zeugnissen hatte Steiger keine glückliche Hand. Sein Kronzeugnis für eine angeblich normativ geregelte Staatenordnung, eine theologische Denkschrift für den Papst, die Rom freilich nie erreichte und bis ins 16. Jahrhundert unbekannt blieb, spricht keineswegs davon, dass alle Herrscher Leben und Macht von Gott ableiteten, sondern nur über Karl und den Basileus in Konstantinopel. Und bei der Deutung einer vatikanischen Karte, die die Ordnung der "realen Welt" in der Zeit um 775 darstellen soll, saß Steiger der phantastischen Interpretation einer jungen Historikerin auf, die von der Fachwissenschaft inzwischen einhellig verworfen worden ist.

Die Weltordnung, die der Autor in ihrer Entstehung zu erfassen sucht, ist eine Ordnung christlicher Reiche und Herrschaften. Steiger unterschätzt aber die Gegensätze innerhalb der Christenheit; anders als die Kaiser im Westen hat Byzanz im Osten die neuen Reiche auf dem Boden des alten Imperiums niemals als gleichwertig anerkannt und seit dem frühen Mittelalter eine Staatenhierarchie mit seinem Kaiser an der Spitze konstruiert. Unbewältigt bleiben auch die Beziehungen der Karolinger zu muslimischen Herrschern; während Einhard, der Biograph Karls des Großen, dem Kalifen Harun ar-Raschid von Bagdad sogar zuschreibt, dieser habe die Freundschaft mit dem Franken allen anderen Beziehungen vorgezogen, wertet Steiger die karolingisch-abbasidischen Verbindungen als locker, ephemer und von geringer Bedeutung ab. Hier bleibt er hinter seinem Anspruch zurück, die Verhältnisse ohne das gebräuchliche Instrumentarium des modernen Völkerrechts mit einer "geschichtsoffenen Methode" aus der Überlieferung der Zeit zu erhellen.

Seine eurozentrische Horizontbeschränkung rechtfertigt Steiger mit der fast ausschließlich lateinischen Überlieferung. Er hat aber unterschätzt, dass sich aus den Quellen des Westens ein multipolares Handlungsfeld erschließen lässt, das sich nur teilweise dem Konstrukt einer normativen christlichen Weltordnung fügt. Ein Indikator hierfür ist das berühmte Geschenk eines Elefanten durch Harun an Karl den Großen; dieses muss wohl anders als bisher üblich gedeutet werden. Das exotische Tier erreichte den Franken kurz nach seiner Kaiserkrönung in Rom und konnte dessen weltweites Ansehen an seinem Hof und vor seinen Untertanen nachdrücklich demonstrieren. Sogar auf Kriegszügen scheint Karl den Elefanten mitgenommen zu haben, denn 810 verendete das Tier bei einer militärischen Aktion gegen die Dänen.

Schon mehr als zweihundert Jahre vorher hatte ein "barbarischer" Herrscher einen Elefanten zum Geschenk erhalten: der Khagan der Awaren durch Kaiser Maurikios. Die Byzantiner hatten im Perserkrieg vierundzwanzig indische Elefanten erbeutet, von denen der Herrscher im Karpatenbecken, dem die Kaiser tributpflichtig waren, offenbar seinen Anteil forderte. "Sobald der Khagan aber das indische Tier, den Elefanten, gesehen hatte, beendete er sogleich das Schauspiel und befahl, das Tier zum Kaiser zurückzuschicken"; für den spanischen Berichterstatter war unklar, ob dies "aus Schrecken über oder aus Verachtung für das Wunderwesen" geschehen war; doch fügt er an, der Aware habe vom Kaiser stattdessen ein kunstvoll gefertigtes goldenes Bett gefordert und erhalten.

Karl der Große konnte an Harun ar-Raschid solche Ansprüche zweifellos nicht stellen; trotzdem soll er den einzigen Elefanten im Besitz des Kalifen erhalten haben, den dieser sogar nach dem Gründer seiner Dynastie Abul Abaz benannte. Als der Elefant nach vielen Strapazen in Italien und dann in Aachen eintraf, waren die Franken offenkundig unvorbereitet; vor allem drückte sie die Verlegenheit, wie sie ein solches Geschenk parieren oder besser noch übertreffen sollten? Keine zeitgenössische Quelle erwähnt, was Karl den muslimischen Gesandten auf ihrem Heimweg mitgeben konnte, und erst zwei oder drei Generationen später behauptet ein dem Hof fernstehender Mönch, es seien friesische Tuche und einige Jagdhunde gewesen. So willkommen das Geschenk Haruns für die fränkische Herrschaftsrepräsentation gewesen war, so problematisch musste die Gabe im Verkehr zwischen den "Mächten" erscheinen. Erst allmählich fand man in Karls Umgebung hier zu einer befriedigenden Lösung. Lange nach Karls Tod behaupteten Einhard und andere Autoren, der Herrscher habe von Harun den Elefanten selbst erbeten; erst mit dieser Sprachregelung wurde die Demütigung, die im unübertrefflichen Geschenk lag, erträglich, ja geradezu in eine Auszeichnung umgemünzt.

Ebenso wenig wie die Byzantiner ließen sich die Abbasiden im Zweistromland oder die Emire in Spanien ihren Platz in einer von den Franken konzipierten Weltordnung zuweisen. Die Karolinger mochten eine "Freundschaft" mit den Kalifen behaupten, aber die Normen, die diese leiteten, hatten in Koran, Hadithen und den Gutachten ihrer Rechtsgelehrten ihre eigene Grundlage. Die universalen Normen des Völkerrechts, wie sie die Vereinten Nationen leiten, lassen sich selbst über historische Brüche hinweg nicht aufs Reich der Karolinger zurückführen. Denn dafür war deren eigene Welt viel zu partikular.

MICHAEL BORGOLTE.

Heinhard Steiger: "Die Ordnung der Welt". Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741 bis 840).

Böhlau Verlag, Wien, Köln 2010. 806 S., geb., 98,- [Euro].

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