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Die Orestie des Aischylos bildet einen Höhepunkt der Weltliteratur. Peter Stein, international renommierter Theaterintendant und Regisseur, hat eine kraftvolle und klare Übersetzung von hoher literarischer Qualität geschaffen. In dem vorliegenden Band wird dieser Text, der während der Aufführung an der Berliner Schaubühne viel Beifall gefunden hat, erstmals einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht. Die Interpretation des antiken Stoffes gelang Peter Stein so vorzüglich, daß seine Inszenierung unter anderem nach Frankreich, Italien, Venezuela, Griechenland, England, Rußland und in die Ukraine eingeladen wurde. …mehr

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Produktbeschreibung
Die Orestie des Aischylos bildet einen Höhepunkt der Weltliteratur. Peter Stein, international renommierter Theaterintendant und Regisseur, hat eine kraftvolle und klare Übersetzung von hoher literarischer Qualität geschaffen. In dem vorliegenden Band wird dieser Text, der während der Aufführung an der Berliner Schaubühne viel Beifall gefunden hat, erstmals einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht.
Die Interpretation des antiken Stoffes gelang Peter Stein so vorzüglich, daß seine Inszenierung unter anderem nach Frankreich, Italien, Venezuela, Griechenland, England, Rußland und in die Ukraine eingeladen wurde.
Autorenporträt
Peter Stein, 1937 geboren, begann 1964 als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen. 1970 war er Mitbegründer der Schaubühne am Halleschen Ufer in West-Berlin, die sich schnell zu einer der führenden deutschsprachigen Bühnen entwickelte. Deren Künstlerischer Leiter war Peter Stein bis 1985 und schuf mit Stücken wie Peer Gynt (1971), Prinz von Homburg (1972), Sommergäste (1974), Trilogie des Wiedersehens und Drei Schwestern (1984) Meilensteine des Regietheaters.

Bernd Seidensticker studierte Klassischen Philologie und Germanistik in Tübingen und Hamburg. Seit 1987 hat er eine Professor für Klassische Philologie an der FU Berlin inne.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2016

Der Ochse auf der Zunge
Kurt Steinmann hat die „Orestie“ des Aischylos neu übersetzt.
Im hohen Ton und mit modernen Redensarten macht er dieses Kunstwerk der Kunstwerke zugänglich
VON GUSTAV SEIBT
Dem Wächter, der zu Beginn der „Orestie“ des Aischylos über das Unglück der Atriden, der Familie von Agamemnon und Orestes also, sprechen will, fühlt einen „Ochsen auf seiner Zunge“, so schwer fällt es ihm. Was einem heutigen Leser wie ein kühnes poetisches Bild erscheint, war im Griechischen des fünften Jahrhunderts vor Christus eine geläufige Redensart – wir dürfen an den „Kloß im Hals“ denken. Kurt Steinmann, der jetzt eine hochrespektable Neuübersetzung der Trilogie des Aischylos vorgelegt hat, entscheidet sich für die Beibehaltung des beeindruckenden Sprachbilds.
  Frühere Übersetzer, darunter Meister des Griechischen wie Johann Gustav Droysen und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff haben es anders gehalten: Droysen spricht von einem „goldenen Schlüssel“, der dem treuen Diener den Mund verschließt; Wilamowitz lässt ihn sagen: „Mir ist der Mund zu fest gestopft“. Nicht einmal Wilhelm von Humboldt ließ in seiner 1816 erschienenen, wegen ihrer verfremdenden Unverständlichkeit berüchtigten Übertragung den Ochsen stehen: „Schwere Fessel bindet fest die Zunge“, schrieb er. Nur Peter Stein, dessen Theatertext bisher die zugänglichste deutsche Version bereitstellte, ließ es beim Rind: Bei ihm ist es ein Stier (das griechische Wort ist übrigens „bous“).
  An solchen Einzelentscheidungen lässt sich die Strategie einer Übersetzung ablesen: Welche Fremde wird übersetzt und fühlbar? Die allgemeine kulturelle eines sehr alten Textes, oder die Innovationen und Abweichungen von damals, also die Fremdheit für die dem Werk zeitgenössischen Rezipienten? Wilamowitz beanspruchte eine so vollkommene Vertrautheit mit dem Griechischen, dass er mit Bedacht alles modernisierte, was nach seinem Urteil für Athener des fünften Jahrhunderts unproblematisch war. Humboldt verlachte er: „Das ist kein Deutsch“. Dabei hatte dieser die beiden Fremdheiten (die kulturelle und die poetische) methodisch scharf unterschieden – ein wichtiger Schritt in der Theorie des Übersetzens. Praktisch lässt sich die Unterscheidung bei einem so alten, im Vergleich zu späterer Literatur auch so kontextarmen Text kaum lupenrein durchführen. Kurt Steinmann weist im Kommentar auf die Geläufigkeit des Ochsenbildes eigens hin.
  Dass er kein Dogmatiker ist, zeigen zahllose andere Entscheidungen. Wenn Apollon in den „Eumeniden“, dem letzten Stück der Trilogie, vor der Auszählung der Stimmen im Prozess gegen Orestes zur Sorgfalt mahnt, lässt er ihn sagen: „Zählt, was an Steinen, Fremde, aus den Urnen fiel, korrekt.“ Peter Stein, Droysen und Wilamowitz haben hier „sorgfältig“, Emil Staiger „genau“ (griechisch: „orthos“ als Adverb). Solche Modernismen erlaubt sich Steinmann immer wieder. Da gibt es ein „ja, klar“, mehrfach „klipp und klar“ oder, sehr kühn „Normen“, einen „herrschaftsfreien Raum“ (für „anarchon“), gar einen „öffentlichen Raum“ (es geht darum, mit dem Volk an Altären zu opfern).
  Doch solche Kolloquialität gleicht nur aus, was Steinmann mit Entschiedenheit wieder versucht: den hohen Ton, das tragische Versmaß. Und da darf man rühmen: Gemessen an den fast übermenschlichen Schwierigkeiten, die sich hier zeigen, hat Steinmann eine bewundernswerte Leistung vollbracht. Sein Text ist nah am Original und seiner Bildwelt, darin nur dem von Peter Stein vergleichbar. Doch anders als Stein versucht sich Steinmann auch an den originalen Satzbauten und den sechshebigen Jamben (auch „Jambische Trimeter“ genannt) des antiken Theaterverses.
  Und er versucht darüberhinaus auch die variablen hymnischen Versarten der Chorlieder in ihrer radikalen Andersartigkeit hörbar zu machen – beides ohne Pedanterie, jedoch, wie das laute Lesen zeigt, mit beachtlicher Wirksamkeit. Ob Regisseure an diesem Text Gefallen finden werden? Peter Steins parataktisches, zuweilen umschreibendes, die Verse einförmig aufbrechendes Libretto, das sehr gute Sprecher erfordert, um nicht wässrig zu wirken, hat nun eine starke Konkurrenz.
  Dass den mit Kommentaren bewaffneten Philologen viel einzuwenden bleibt, ist unvermeidlich: Wie hält Steinmann es mit der „Dike“, dem vielsinnigen Zentralbegriff der einen gewaltigen Rechtsfortschritt inszenierenden Trilogie? Manchmal sagt er einfach „Dike“, belässt es also bei der Vergöttlichung von Recht und Gerechtigkeit. An anderen Stellen wird variiert: „Pflicht“, „Rechtsansprüche“ und „Klagepunkte“ kommen zum Vorschein, wo im Original nur „Dike“ und „dikaios“ steht.
  Steinmann ist ein erfahrener Übersetzer aus den alten Sprachen, sein Portefeuille reicht von Homer bis zu Erasmus von Rotterdam. Die Schule der Genauigkeit, die er hier durchlaufen hat, findet in seiner „Orestie“ jetzt ihre stärkste Probe. Denn auch im deutschen Text kann man die Streitfragen, die sich an diesem „Kunstwerk der Kunstwerke“ (Goethe), der „größten Errungenschaft der Menschheit“ (Swinburne), dem Inspirationstext von Wagners „Ring des Nibelungen“ seit zweihundert Jahren entzünden, mitverfolgen. Aus dem Gesetz der Blutrache wird ein Gerichtsverfahren, bei dem die Rechtsgüter detailliert abgewogen werden: Was ist die größere Blutschuld, der Gattenmord von Klytaimestra, die Agamemnon wegen der Opferung Iphigenies tötete, oder der Muttermord des Orestes, der Klytaimestra wegen des Mords an seinem Vater Agamemnon umbrachte? Die riesenhaften Schuldgebirge, die sich hinter diesen Taten auftürmen – darunter das Verspeisen von Kindern, die Entführung der Helena, die Zerstörung Troias – stellen die Frage nach göttlichem und menschlichem Recht überhaupt.
  Dass die alte These vom großen Schritt von der Blutrache zum Rechtsstaat zu einfach ist, hat Jonas Grethlein 2003 in seiner Doktorarbeit über „Asyl und Athen“ gezeigt. Der Prozess auf dem Areopag ist wenig rechtsförmig, eher zeigt er den Charakter eines großen Wettstreits. Am Ende geht er mit Stimmengleichheit aus, Orestes wird vom Bann nur gelöst, weil eine Mehrheit für seine Verurteilung nicht zustande kommt. So geht Demokratie, das zeigte Christian Meier in seiner unverändert lesenswerten Studie zur „Politischen Kunst der griechischen Tragödie“: Es kann knapp werden, und am Ende muss man die unterlegene Partei integrieren. Die Erinyen, die grauenhaften Rachegeister, werden zu wohlwollenden Eumeniden, die die Bürger Athens aber weiterhin mit jenem Quantum Furcht versorgen, ohne das für Aischylos Rechtstreue nicht denkbar ist.
  Zwischen Despotie und Herrschaftsfreiheit gibt es eine Mitte, in der Schuld immer etwas Entsetzliches bleibt. Die „Orestie“ gehört zu der Handvoll Texte, um die sich jeder ernste Leser einmal in seinem Leben bemüht haben sollte. Kurt Steinmann macht das Schwere nicht leicht und das Ferne nicht nah, aber zugänglich, das ist sein Verdienst.
Aischylos: Die Orestie. Agamemnon. Choephoren. Eumeniden. Übersetzung und Anmerkungen von Kurt Steinmann. Nachwort von Anton Bierl. Reclam Verlag, Stuttgart 2016. 290 Seiten. 24,95, E-Book 20,99 Euro.
Gemessen an den gewaltigen
Schwierigkeiten, gelang hier
Bewundernswertes
Die tote Klytaimnestra (Constanze Becker), Orest (Stefan Konarske, links) und Agamemnon (Henning Vogt) in der Inszenierung Michael Thalheimers am Deutschen Theater in Berlin, 2006. Foto: Claudia Esch-Kenkel, dpa
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