Zur zeitenübergreifenden Be deu tung der Kirchenmusik und der Orgel inAndechs erscheint dieser neu geschaffene Band 4 der edition andechs.Weithin bekannt und gern besucht ist der Andechser Orgelsommer, derOrganisten und Orgelmusik landschaften Europas zusammen führt undauch die zeitgenössische Orgelmusik pflegt. Im Mittelpunkt steht jedochdie neue Orgel von Andechs, von der Grundidee, sie zu schaffen, ihrerKonzeptio nierung und Verwirklichung bis zum Festtag der Orgelweihe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2016Die Wunder des Windwerks
Hans Maier ordnet die Geschichte der Orgel, verrät aber wenig von seinen Erfahrungen als Organist
Als Elfjähriger begann der heute fünfundachtzig Jahre alte Hans Maier mit dem Orgelspiel und blieb auch als Professor für politische Wissenschaft und bayerischer Staatsminister kirchenmusikalisch aktiv. Niederschlag findet diese lebenslange Leidenschaft jetzt in einem Buch, das der Geschichte des Instruments gewidmet ist. Maier informiert zunächst über den technischen Aufbau einer Orgel, zählt die wichtigsten Register auf und erklärt die Funktionsweise des Instruments. Das gelingt ihm auf wenigen Seiten sehr gut, auch dank eingängiger Metaphern wie "Lunge" für das Windwerk und "Nervensystem" für das Regierwerk.
Es folgt ein Abschnitt über die Orgel als Baukunstwerk, in dem der Autor die Form und Raumposition von Orgelprospekten erörtert. Ergänzt werden die Ausführungen hier durch beispielhafte Abbildungen, freilich nicht gerade in bester Reproduktionsqualität. Das mit Abstand längste Kapitel des Buches ist der Orgelmusik und Orgelkomponisten gewidmet. Da Maier möglichst viele Komponisten unterbringen möchte, gleicht der Text zuweilen einer Namensliste mit sehr kurzen oder auch gar keinen zusätzlichen Informationen. In dieser Form nützen die Namen nur wenig, dafür gibt es (auf Vollständigkeit bedachte) Repertorien oder Datenbanken. Wirklich überzeugend ist hier der Abschnitt über Olivier Messiaen, in dem sich der Autor etwas mehr Zeit nimmt. Mit Zitaten und kurzen Werkbeschreibungen entsteht ein plastisches Bild des Organisten Messiaen.
Unklar bleibt bei der Lektüre, welche "Erfahrungen" Hans Maiers "aus mehr als siebzig Jahren praktischer Tätigkeit als Organist im Nebenamt" in das Buch eingegangen sein sollen. Der technische Aufbau einer Orgel kann es ebenso wenig sein wie die Aufzählung der vielen Komponistennamen. Und gerade an diesem Punkt hätte Hans Maier aus seinem Buch eine persönliche, unverwechselbare Darstellung machen können: Welche Erfahrungen mit den Liturgen und mit der singenden (respektive die Kirche während des Nachspiels verlassenden) Gemeinde macht man denn als Organist? Welche Orgeln oder Orgelbauer mag der Autor ganz besonders und warum? Was genau faszinierte ihn am Spiel Olivier Messiaens, den er in den fünfziger Jahren in Paris als Organist von Gottesdiensten erlebte? Solche und ähnliche persönlichen Ansätze jedoch vermisst man. Stattdessen ist Maier stets darauf bedacht, die historischen Gegebenheiten zur Orgel in eine geordnete Entwicklungslinie zu bringen. Das ist honorig und in einem schlanken Buch über das komplexe Phänomen Orgel wahrscheinlich auch am zweckmäßigsten, verstellt aber die Sicht auf vielfältige Parallelentwicklungen. Wenn Maier etwa den Weg "von den bescheidenen Instrumenten der Frühzeit zu den großen, oft übermächtigen Orgeln des 17. und 18. Jahrhunderts" andeutet, wird außer Acht gelassen, dass schon im Mittelalter große Orgeln gebaut wurden.
Zudem neigt der Autor regelmäßig zu diskussionswürdigen Festlegungen wie: "Der größte deutsche Orgelmeister vor Bach war Dietrich Buxtehude." Hinzu kommen gelegentliche Ungenauigkeiten in der Darstellung, wenn etwa Johann Sebastian Bachs Amtsantritt als Leipziger Thomaskantor auf 1722 vorverlegt und als beruflicher "Abstieg" bezeichnet wird. Bleibt die Frage nach der Zielgruppe: Kirchenmusikern, Musikwissenschaftlern, Organisten und Orgelfans wird dieses Buch kaum Neues bieten. Musikbegeisterte Leser dagegen, die sich nicht aus diesen informierten Kreisen rekrutieren, werden möglicherweise schnell von der Faktenfülle und den vielen Fachbegriffen frustriert sein. Man liest beispielsweise, dass die Orgel ein Element der "musica mundana" sei; weitere Erläuterungen zu diesem philosophischen Terminus folgen aber nicht. Auch zu Begriffen wie "Prinzipalpyramide", "Orgelpunkt", "Schleiflade" oder "Wellenbrett" erfährt man weder im Text noch im knappen, zweiseitigen Glossar Näheres. Vielleicht sollte Hans Maier aus seiner "kleinen" Orgelgeschichte eine "große" machen und darin die Abhandlungen mit persönlichen Gedanken und Thesen erweitern.
BERNHARD SCHRAMMEK
Hans Maier: "Die Orgel". Kleine Geschichte eines
großen Instruments.
C. H. Beck Verlag,
München 2016.
160 S., Abb., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Maier ordnet die Geschichte der Orgel, verrät aber wenig von seinen Erfahrungen als Organist
Als Elfjähriger begann der heute fünfundachtzig Jahre alte Hans Maier mit dem Orgelspiel und blieb auch als Professor für politische Wissenschaft und bayerischer Staatsminister kirchenmusikalisch aktiv. Niederschlag findet diese lebenslange Leidenschaft jetzt in einem Buch, das der Geschichte des Instruments gewidmet ist. Maier informiert zunächst über den technischen Aufbau einer Orgel, zählt die wichtigsten Register auf und erklärt die Funktionsweise des Instruments. Das gelingt ihm auf wenigen Seiten sehr gut, auch dank eingängiger Metaphern wie "Lunge" für das Windwerk und "Nervensystem" für das Regierwerk.
Es folgt ein Abschnitt über die Orgel als Baukunstwerk, in dem der Autor die Form und Raumposition von Orgelprospekten erörtert. Ergänzt werden die Ausführungen hier durch beispielhafte Abbildungen, freilich nicht gerade in bester Reproduktionsqualität. Das mit Abstand längste Kapitel des Buches ist der Orgelmusik und Orgelkomponisten gewidmet. Da Maier möglichst viele Komponisten unterbringen möchte, gleicht der Text zuweilen einer Namensliste mit sehr kurzen oder auch gar keinen zusätzlichen Informationen. In dieser Form nützen die Namen nur wenig, dafür gibt es (auf Vollständigkeit bedachte) Repertorien oder Datenbanken. Wirklich überzeugend ist hier der Abschnitt über Olivier Messiaen, in dem sich der Autor etwas mehr Zeit nimmt. Mit Zitaten und kurzen Werkbeschreibungen entsteht ein plastisches Bild des Organisten Messiaen.
Unklar bleibt bei der Lektüre, welche "Erfahrungen" Hans Maiers "aus mehr als siebzig Jahren praktischer Tätigkeit als Organist im Nebenamt" in das Buch eingegangen sein sollen. Der technische Aufbau einer Orgel kann es ebenso wenig sein wie die Aufzählung der vielen Komponistennamen. Und gerade an diesem Punkt hätte Hans Maier aus seinem Buch eine persönliche, unverwechselbare Darstellung machen können: Welche Erfahrungen mit den Liturgen und mit der singenden (respektive die Kirche während des Nachspiels verlassenden) Gemeinde macht man denn als Organist? Welche Orgeln oder Orgelbauer mag der Autor ganz besonders und warum? Was genau faszinierte ihn am Spiel Olivier Messiaens, den er in den fünfziger Jahren in Paris als Organist von Gottesdiensten erlebte? Solche und ähnliche persönlichen Ansätze jedoch vermisst man. Stattdessen ist Maier stets darauf bedacht, die historischen Gegebenheiten zur Orgel in eine geordnete Entwicklungslinie zu bringen. Das ist honorig und in einem schlanken Buch über das komplexe Phänomen Orgel wahrscheinlich auch am zweckmäßigsten, verstellt aber die Sicht auf vielfältige Parallelentwicklungen. Wenn Maier etwa den Weg "von den bescheidenen Instrumenten der Frühzeit zu den großen, oft übermächtigen Orgeln des 17. und 18. Jahrhunderts" andeutet, wird außer Acht gelassen, dass schon im Mittelalter große Orgeln gebaut wurden.
Zudem neigt der Autor regelmäßig zu diskussionswürdigen Festlegungen wie: "Der größte deutsche Orgelmeister vor Bach war Dietrich Buxtehude." Hinzu kommen gelegentliche Ungenauigkeiten in der Darstellung, wenn etwa Johann Sebastian Bachs Amtsantritt als Leipziger Thomaskantor auf 1722 vorverlegt und als beruflicher "Abstieg" bezeichnet wird. Bleibt die Frage nach der Zielgruppe: Kirchenmusikern, Musikwissenschaftlern, Organisten und Orgelfans wird dieses Buch kaum Neues bieten. Musikbegeisterte Leser dagegen, die sich nicht aus diesen informierten Kreisen rekrutieren, werden möglicherweise schnell von der Faktenfülle und den vielen Fachbegriffen frustriert sein. Man liest beispielsweise, dass die Orgel ein Element der "musica mundana" sei; weitere Erläuterungen zu diesem philosophischen Terminus folgen aber nicht. Auch zu Begriffen wie "Prinzipalpyramide", "Orgelpunkt", "Schleiflade" oder "Wellenbrett" erfährt man weder im Text noch im knappen, zweiseitigen Glossar Näheres. Vielleicht sollte Hans Maier aus seiner "kleinen" Orgelgeschichte eine "große" machen und darin die Abhandlungen mit persönlichen Gedanken und Thesen erweitern.
BERNHARD SCHRAMMEK
Hans Maier: "Die Orgel". Kleine Geschichte eines
großen Instruments.
C. H. Beck Verlag,
München 2016.
160 S., Abb., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main