»Ich will dem Leben die leuchtende Seite zurückgeben - ungeachtet des vorherrschenden Zynismus«. Felwine Sarr
Felwine Sarr hat in seinen Büchern über Afrikas Zukunft nachgedacht (u.a. in »Afrotopia«) und weltweit für breite Debatten gesorgt. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben.
Die Zwillingsbrüder Fodé und Bouhel wachsen im Senegal auf und sind auf der Suche nach ihrem Selbst. Fodé ist Schreiner, er führt ein traditionelles Leben in seiner Heimat und folgt seiner spirituellen Berufung. Bouhel entscheidet sich für die Literatur und die Musik. Er studiert in Frankreich und findet in der Liebe mit Ulga, einer polnische Studentin, seine Erfüllung. Doch ein Unglück versperrt ihren gemeinsamen Weg in die Zukunft.
Erst Jahre später finden die Brüder wieder zusammen. Felwine Sarr nimmt uns mit auf ihre Suche, ohne ihre Entscheidungen gegeneinander auszuspielen. »Die Orte, an denen meine Träume wohnen« ist ein philosophischer, poetischer und zutiefst menschlicher Roman.
Felwine Sarr hat in seinen Büchern über Afrikas Zukunft nachgedacht (u.a. in »Afrotopia«) und weltweit für breite Debatten gesorgt. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben.
Die Zwillingsbrüder Fodé und Bouhel wachsen im Senegal auf und sind auf der Suche nach ihrem Selbst. Fodé ist Schreiner, er führt ein traditionelles Leben in seiner Heimat und folgt seiner spirituellen Berufung. Bouhel entscheidet sich für die Literatur und die Musik. Er studiert in Frankreich und findet in der Liebe mit Ulga, einer polnische Studentin, seine Erfüllung. Doch ein Unglück versperrt ihren gemeinsamen Weg in die Zukunft.
Erst Jahre später finden die Brüder wieder zusammen. Felwine Sarr nimmt uns mit auf ihre Suche, ohne ihre Entscheidungen gegeneinander auszuspielen. »Die Orte, an denen meine Träume wohnen« ist ein philosophischer, poetischer und zutiefst menschlicher Roman.
Der Roman schafft es zu zeigen, wie sowohl rationales, aber auch spirituelles, metaphysisches Wissen jahrhundertelang nebeneinander existiert und auch weiter wirkt, egal auf welchem Kontinent. Miriam Zeh Deutschlandfunk Kultur Lesart 20230526
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tobias Schweitzer ist von Felwine Sarrs zweitem Roman enttäuscht. Dagegen, dass Sarr sein "postkoloniales Interesse" nun auch in Romanform bringt, hat der Kritiker gar nichts einzuwenden. Und auch die Geschichte um ein ungleiches Zwillingspaar aus dem Senegal ist von der Grundidee her nicht schlecht, meint Schweitzer: Fodé bleibt in seinem afrikanischen Heimatdorf und widmet sich der Aufrechterhaltung spiritueller Traditionen, Bouhel studiert Semiotik in Frankreich und bringt in Notwehr den gewalttätigen Bruder seiner Freundin um. Fodé versucht daraufhin, seinen Bruder auch mit Hilfe spiritueller Riten aus der Haft zu befreien, resümiert der Rezensent. Eine überzeugende Verbindung der Handlungsstränge vermisst Schweitzer allerdings ebenso wie Pointen und sprachliche Abwechslung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2023Die Last des Erbes
Felwine Sarr versucht sich an einem Roman
Der senegalesische Ökonom Felwine Sarr hat sich in der europäischen Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren insbesondere durch seine Beteiligung an den Debatten um die Restitution geraubter Kulturgüter hervorgetan. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy verfasste Sarr einen vom französischen Präsidenten Macron in Auftrag gegebenen "Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter". Nun hat sich der auch dem deutschsprachigen Publikum als Verfasser eines visionär ausgreifenden, das Eigenrecht nicht westlicher Traditionen einklagenden Sachbuchs zur Zukunft des afrikanischen Kontinents bekannte Autor an die Überführung seines postkolonialen Interesses in einen Roman gewagt.
Sarr stützt sich dafür auf das literaturgeschichtlich nicht gerade selten beschriebene Motiv zweier ungleicher Brüder: Während Fodé sich für den Verbleib in seinem afrikanischen Heimatland entscheidet und einen großen Teil seines Alltags der Aufrechterhaltung ritueller Initiationsriten der heimischen Dorfgemeinschaft widmet, drängt es den gegenüber den lokalen Usancen skeptischen Bouhel zur Migration nach Frankreich, um dort ein Studium der Semiologie aufzunehmen. Fodé wurde in den letzten Jahren vor dem Tod des "Kumax" Ngof in das arkane Wissen des Beschneidungsritus eingeweiht und sieht sich nun mit der psychischen Last konfrontiert, die die Fortführung dieses Erbes bedeuten kann. Bouhel hingegen trifft im studentischen Milieu der Stadt Orléans auf die aus Warschau stammende Ulga, mit der sich eine anfangs intensive, zum Ende hin jedoch scheiternde Liebesbeziehung entwickelt.
Es ist das Verwandtschaftsverhältnis des Zwillingspaars, das dessen in äußerst kurzen Kapiteln geschilderte, nicht bloß geographisch, sondern kulturell disparate Lebensumstände miteinander verbinden soll. Dabei kommt jedoch der Beziehung der beiden eine für den Handlungsverlauf allenfalls marginale, über weite Strecken eher ausgeblendete und gegen Ende hin gänzlich konstruiert wirkende Rolle zu.
An diesem Kreuzungspunkt zum Ende seines Romans versucht Fodé, seinen zu Unrecht in französischer Untersuchungshaft sitzenden Bruder aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dieser sitzt ein, weil er seine Freundin gegenüber ihrem gewalttätig gewordenen Bruder verteidigte, diesen dabei jedoch nicht nur verletzte, sondern umbrachte. Fodé rät der Freundin am Telefon, ein Samenkorn vor dem Gefängnis zu pflanzen, um damit auf die Freilassung seines Bruders hinzuwirken. Die junge Frau nimmt diese lokalafrikanischen Wissensbeständen entstammende Anweisung mit den Worten auf: "Meine wissenschaftliche Seite ließ Unerklärtes zu. Schließlich bildet das, was wir nicht wissen, den größten und fruchtbarsten Raum."
Die Stelle steht exemplarisch für das verspielte Potential, das die motivische Ausgangskonstellation des Buches an Widersprüchen und Spannungen hätte hervortreiben können, wenn die Handlungsstränge gekonnter miteinander verschränkt wären und die Sprache mit etwas anderem als kraft- und gestaltlosen, oftmals in parataktischer Einfachheit gehaltenen Registrier- und Vermerksätzen überzeugen könnte. Auch die Perspektivwechsel zwischen Fodé, Bouhel und ihren Frauen in den einzelnen Kapiteln erzeugen durch die Gleichförmigkeit des sprachlichen Ausdrucks eher Verwirrung aufseiten des Lesers als eine Vervielfältigung der dargebotenen Szenerie.
Angesprochen ist mit dieser Situation ebenfalls das für den Roman zentrale Thema der Spiritualität, das als weiterer Versuch gewertet werden kann, die Lebenswelten der beiden Brüder zu parallelisieren: Fodés Verantwortlichkeiten für die dörfliche Initiationszeremonie "Ndut", die ihm vom aus dem Jenseits zu ihm sprechenden Ngof übermittelt werden, auf der einen Seite, Bouhels Versuche, in der Begegnung mit einem Mönch im Kloster Entlastung vom Alltag zu finden, auf der anderen Seite. Für sich genommen fehlt beiden Erzählungen die Pointe, und so bleibt, wie so häufig in diesem Roman, am Ende die unbeantwortete Frage nach einheitsstiftendem Zusammenhang. TOBIAS SCHWEITZER
Felwine Sarr:
"Die Orte, an denen meine Träume
wohnen". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 192 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Felwine Sarr versucht sich an einem Roman
Der senegalesische Ökonom Felwine Sarr hat sich in der europäischen Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren insbesondere durch seine Beteiligung an den Debatten um die Restitution geraubter Kulturgüter hervorgetan. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy verfasste Sarr einen vom französischen Präsidenten Macron in Auftrag gegebenen "Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter". Nun hat sich der auch dem deutschsprachigen Publikum als Verfasser eines visionär ausgreifenden, das Eigenrecht nicht westlicher Traditionen einklagenden Sachbuchs zur Zukunft des afrikanischen Kontinents bekannte Autor an die Überführung seines postkolonialen Interesses in einen Roman gewagt.
Sarr stützt sich dafür auf das literaturgeschichtlich nicht gerade selten beschriebene Motiv zweier ungleicher Brüder: Während Fodé sich für den Verbleib in seinem afrikanischen Heimatland entscheidet und einen großen Teil seines Alltags der Aufrechterhaltung ritueller Initiationsriten der heimischen Dorfgemeinschaft widmet, drängt es den gegenüber den lokalen Usancen skeptischen Bouhel zur Migration nach Frankreich, um dort ein Studium der Semiologie aufzunehmen. Fodé wurde in den letzten Jahren vor dem Tod des "Kumax" Ngof in das arkane Wissen des Beschneidungsritus eingeweiht und sieht sich nun mit der psychischen Last konfrontiert, die die Fortführung dieses Erbes bedeuten kann. Bouhel hingegen trifft im studentischen Milieu der Stadt Orléans auf die aus Warschau stammende Ulga, mit der sich eine anfangs intensive, zum Ende hin jedoch scheiternde Liebesbeziehung entwickelt.
Es ist das Verwandtschaftsverhältnis des Zwillingspaars, das dessen in äußerst kurzen Kapiteln geschilderte, nicht bloß geographisch, sondern kulturell disparate Lebensumstände miteinander verbinden soll. Dabei kommt jedoch der Beziehung der beiden eine für den Handlungsverlauf allenfalls marginale, über weite Strecken eher ausgeblendete und gegen Ende hin gänzlich konstruiert wirkende Rolle zu.
An diesem Kreuzungspunkt zum Ende seines Romans versucht Fodé, seinen zu Unrecht in französischer Untersuchungshaft sitzenden Bruder aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dieser sitzt ein, weil er seine Freundin gegenüber ihrem gewalttätig gewordenen Bruder verteidigte, diesen dabei jedoch nicht nur verletzte, sondern umbrachte. Fodé rät der Freundin am Telefon, ein Samenkorn vor dem Gefängnis zu pflanzen, um damit auf die Freilassung seines Bruders hinzuwirken. Die junge Frau nimmt diese lokalafrikanischen Wissensbeständen entstammende Anweisung mit den Worten auf: "Meine wissenschaftliche Seite ließ Unerklärtes zu. Schließlich bildet das, was wir nicht wissen, den größten und fruchtbarsten Raum."
Die Stelle steht exemplarisch für das verspielte Potential, das die motivische Ausgangskonstellation des Buches an Widersprüchen und Spannungen hätte hervortreiben können, wenn die Handlungsstränge gekonnter miteinander verschränkt wären und die Sprache mit etwas anderem als kraft- und gestaltlosen, oftmals in parataktischer Einfachheit gehaltenen Registrier- und Vermerksätzen überzeugen könnte. Auch die Perspektivwechsel zwischen Fodé, Bouhel und ihren Frauen in den einzelnen Kapiteln erzeugen durch die Gleichförmigkeit des sprachlichen Ausdrucks eher Verwirrung aufseiten des Lesers als eine Vervielfältigung der dargebotenen Szenerie.
Angesprochen ist mit dieser Situation ebenfalls das für den Roman zentrale Thema der Spiritualität, das als weiterer Versuch gewertet werden kann, die Lebenswelten der beiden Brüder zu parallelisieren: Fodés Verantwortlichkeiten für die dörfliche Initiationszeremonie "Ndut", die ihm vom aus dem Jenseits zu ihm sprechenden Ngof übermittelt werden, auf der einen Seite, Bouhels Versuche, in der Begegnung mit einem Mönch im Kloster Entlastung vom Alltag zu finden, auf der anderen Seite. Für sich genommen fehlt beiden Erzählungen die Pointe, und so bleibt, wie so häufig in diesem Roman, am Ende die unbeantwortete Frage nach einheitsstiftendem Zusammenhang. TOBIAS SCHWEITZER
Felwine Sarr:
"Die Orte, an denen meine Träume
wohnen". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 192 S., geb., 24,- Euro.
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Rezensent Jörg Häntzschel ist ratlos angesichts von Felwine Sarrs neuem Roman, der ihn von fern an "Afrotopia" erinnert, aber dann den unterschiedlichen Lebenswege zweier Brüder aus dem Senegal folgt, um … Ja, um was? Häntzschel ist sich nicht so sicher, was der Autor eigentlich bezweckt mit seiner in kurzen Gegenschnitten erzählten Geschichte. Will er die spirituellen Traditionen Afrikas gegen das moderne Leben in Europa ausspielen? Die langwierigen Schilderungen von Riten verweisen darauf, glaubt Häntzschel. Was das kulturelle Erbe mit der Gegenwart zu tun hat, erklärt der oft "tonlosund anämisch" wirkende Text aber nicht, so der Rezensent. So richtig warm wird der Text für Häntzschel erst gegen Ende, als einer der Brüder sich verliebt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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