Parteien benötigen Vorsitzende. Politik funktioniert nicht ohne politische Führung. Dieser Band der Göttinger Parteienforschung setzt sich mit den personalisierten Führungsprozessen auseinander. Denn die an der Spitze einer Partei stehende Person stellt eine wesentliche Variable für deren Entwicklungsprozess dar. In einzelnen Studien werden die Parteien, die seit 1949 im Deutschen Bundestag vertreten waren, und ihre insgesamt über 80 Parteivorsitzenden untersucht. Dabei stehen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt: Welches sind Notwendigkeiten und Herausforderungen, welches die Einflussmöglichkeiten und Beschränkungen von politischer Führung? Und ganz konkret: Wer ist ein guter Anführer, wer ein erfolgreicher? Und woran sollte dies gemessen werden?
Anhand der Führungsstrukturen werden auch Rückschlüsse auf die Gesamtpartei gezogen. Die biografische Einzelanalyse ist hierbei nicht Forschungsziel an sich, sondern vielmehr ein möglicher Forschungsschlüssel. Ändert sich das Anforderungsprofil an politische Führung mit der Partei, mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Herausforderungen oder mit der jeweiligen machtpolitischen Ausgangslage? Es geht weniger um eine Aneinanderreihung einzelner Portraits, sondern um Typisierungen und Periodisierungen von Parteiführung.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Anhand der Führungsstrukturen werden auch Rückschlüsse auf die Gesamtpartei gezogen. Die biografische Einzelanalyse ist hierbei nicht Forschungsziel an sich, sondern vielmehr ein möglicher Forschungsschlüssel. Ändert sich das Anforderungsprofil an politische Führung mit der Partei, mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Herausforderungen oder mit der jeweiligen machtpolitischen Ausgangslage? Es geht weniger um eine Aneinanderreihung einzelner Portraits, sondern um Typisierungen und Periodisierungen von Parteiführung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2005Große Vorsitzende
Und kleine Parteichefs: Führungspersönlichkeiten und Anforderungsprofile
Der Aufsatzband über die mehr als achtzig Parteivorsitzenden seit Gründung der Bundesrepublik hat die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der September-Wahl nicht mehr berücksichtigen können - weder den Aufstieg der Linkspartei mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi als west-östlichem Spitzenduo noch den Rücktritt des SPD-Chefs Franz Müntefering, noch dessen Nachfolger Matthias Platzeck. Das schmälert jedoch keineswegs den Wert der informativen Publikation, die sich durch meist gelungene biographische Annäherungen an die vielen Vorsitzenden und oft lohnende Beobachtungen über sehr unterschiedlich ausgeprägte Führungsstile auszeichnet.
Die gescheiterten und längst vergessenen kleinen Nachkriegsparteien untersucht Michael Schlieben: die von Ost-Berlin aus gesteuerte und 1956 verbotene KPD, die Deutsche Zentrumspartei, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung, die Bayernpartei, die - im alten Welfengebiet gegründete und als Koalitionspartner Adenauers in den fünfziger Jahren vorübergehend als "ein bestimmender Akteur" geschätzte - Deutsche Partei, die bald in Deutsche Rechtspartei umbenannte Deutsche Konservative Partei, die - 1952 als eine Art NSDAP-Nachfolgeorganisation verbotene - Sozialistische Reichspartei, die Deutsche Reichspartei (aus der in den sechziger Jahren die NPD hervorging) und den vor allem in Schleswig-Holstein erfolgreichen Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Der BHE stellte im zweiten Kabinett Adenauer zwei Bundesminister, die 1956 zur CDU übertraten.
Schlieben hebt hervor, daß 1949 eine Partei nur in einem einzigen Land, vier Jahre später nach der Verschärfung des Wahlgesetzes allerdings im gesamten Bundesgebiet mindestens fünf Prozent der Stimmen (oder drei Direktmandate) für einen Einzug ins Bonner Parlament brauchte. Allzu autokratische und durch ihr Verhalten im "Dritten Reich" belastete Parteiführer in den kleinen und kleinsten Parteien hätten sich damals oft selbst isoliert. Daneben war für eine große Zahl der insgesamt 402 Mitglieder des Bundestages Parteidisziplin und Parteitreue noch ein Fremdwort, so daß es bis 1953 zu 108 Fraktionswechseln und auch später zu Parteispaltungen und Fusionen kam: "Ein wesentliches Erfolgsmerkmal der Adenauer-CDU war sicher, daß sie viele Strömungen zu integrieren und zu absorbieren vermochte. Das gelang dem ersten Bundeskanzler auch, indem er die Vorsitzenden der Konkurrenzparteien mit belanglosen Ministerien köderte, die zwar formell Regierungsteilhabe, faktisch aber wenige Einfluß- und Profilierungsmöglichkeiten boten."
Von Adenauers frühen Koalitionspartnern "überlebte" nur die FDP - nicht zuletzt, weil sich Thomas Dehler jeglicher Umarmungsstrategie des ausgebufften Kanzlers vehement widersetzte. Die zwölf FDP-Chefs seit 1949 porträtiert der Göttinger Politologe Franz Walter. Schon in Zwischenüberschriften bringt er gekonnt seine Bewertungen auf den Punkt: "Kontemplativ in der Vitrine" über Theodor Heuss (bis 1949), "Vermittelnd und farblos" über Franz Blücher (bis 1954), "Feuerkopf und Wüterich" über Thomas Dehler (bis 1957), "Ruheständler im Remstal" über Reinhold Maier (bis 1960), "Ritterkreuzträger und bürgerlicher Primus" über Erich Mende (bis 1968), "Frohsinn und Härte" über Walter Scheel (bis 1974), "Beweglichkeit aus der Mitte heraus" über Hans-Dietrich Genscher (bis 1985), "Optimismus und lange Leine" über Martin Bangemann (bis 1988), "Haudegen auf Abruf" über Otto Graf Lambsdorff (bis 1993), "Überforderter Beamter" über Klaus Kinkel (bis 1995), "Höfliches Sedativ" über Wolfgang Gerhardt (bis 2001) und "Irrender Prophet" über Guido Westerwelle.
Nach weiteren Aufsätzen - überwiegend von Doktoranden, die umfangreiche Studien vorbereiten - über die CDU, die SPD, die Grünen, die CSU und die PDS bietet Parteienforschungsaltmeister Peter Lösche einige systematische Überlegungen zum Führungsverhalten von Parteivorsitzenden. Sie müßten "reden, erklären, überzeugen, argumentieren, integrieren, Mehrheiten schaffen, Koalitionen schmieden, Kompromisse aushandeln, Konsens herstellen" können, vor allem auch Entscheidungen treffen und diese in ihrer Summe zu einem Konzept verdichten und - als hohe Schule auch der Parteiführungskunst und mit fachlichem Gruß aus Alt-Heidelberg von Max Weber - "auch gegen Widerstand den eigenen Willen" durchsetzen können: "Um erfolgreich zu führen, den Weg zu bestimmen, bedarf es mithin bestimmter Machtressourcen und Machtmittel." Der Göttinger Professor empfiehlt jedenfalls (und kaum überraschend), mittels Anhäufung von Ämtern die eigene Macht zu stärken - beispielsweise als Kanzler und zugleich Parteivorsitzender oder als Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender in Personalunion.
Wiederum in Anlehnung an Weber unterscheidet Lösche drei Typen politischer Führung durch Parteichefs. Der Charismatiker führe seine Partei von außen und "über die Medien" - gerade nicht von der Parteizentrale aus, sondern aus dem Bundeskanzleramt, der Staatskanzlei oder dem Büro des Fraktionsvorsitzenden. Charisma bilde sich häufig erst in Krisen heraus und verblasse schnell, wenn die Alltagsprobleme wiederkehrten: "Es sind dann die Historiker, die Politikwissenschaftler und die ehemaligen Anhänger, die an das Charisma einer Persönlichkeit erinnern, diese zum Helden, ja Heiland stilisieren. In der CDU wie in der SPD wird heute flapsig und zugleich doch voller Verehrung von der ,Heiligsprechung' Adenauers beziehungsweise Brandts gesprochen."
Demgegenüber habe der "organisatorisch-bürokratische" Parteiführer die Ochsentour von der Jugendorganisation bis in die Parteispitze hinter sich und dadurch ein besonderes Gespür für innerparteiliche Stimmungen; er sei sensibel für alle Veränderungen und wittere "Intrigen gegen den Wind und bevor sie so richtig gesponnen werden". Anders als der Charismatiker verstehe sich der Typ des Organisators nicht als Unruhestifter, sondern vielmehr als Ruhestifter. Als Beispiele führt Lösche den SPD-Vorsitzenden der Jahre 1952 bis 1963, Erich Ollenhauer, und PDS-Chef Lothar Bisky an, aber auch Franz Müntefering, Ludwig Vollmer und den frühen Helmut Kohl, der ab 1973 gemeinsam mit Kurt Biedenkopf als Generalsekretär die Modernisierung der CDU einleitete und ihre Mitgliederbasis enorm verbreiterte: "Das ,System Kohl' hat sich erst allmählich entwickelt, war aber Ausdruck von Kohls Organisationskompetenz, die er als Machtressource glänzend zu nutzen wußte."
Zum dritten und letzten stellt Lösche die präsidiale Führung vor, die es hauptsächlich in der FDP Ende der vierziger und während der fünfziger Jahre gegeben habe: "eine Honoratiorenpartei, die gegensätzliche Lebenswelten verband, ländliche und konservative, eher deutschnationale Altmittelständler, dann urbane und eher bürgerrechtliche und freisinnige Mittelständler aus dem Dienstleistungsbereich, aber auch ehemalige Nationalsozialisten". Theodor Heuss und Reinhold Maier hätten nach dem Motto "leben und leben lassen" die FDP geleitet - durch Väterlichkeit, ja Großväterlichkeit, um Ruhe, Stabilität, Verläßlichkeit zu vermitteln und um keine klare Richtung zu weisen: "Ein später Abkömmling dieses Führungsstils, mehr innerer Gelassenheit und vielleicht sogar Faulheit entspringend, nicht aus politischen Notwendigkeiten resultierend, fand sich Mitte der 1980er Jahre in Martin Bangemann."
Lösche gibt offen zu, daß der Versuch, Parteiführung zu typisieren, nicht die historische Wirklichkeit widerspiegelt, sondern nur dabei hilft, den "Dschungel von höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten, Führungsstilen, Machtkonstellationen, von Machtinstrumenten und von politischen und historischen Gegebenheiten etwas zu ordnen" und wenn möglich zu periodisieren. Moderne Parteiführung stelle sich heutzutage immer als "Mischung von charismatischer und organisatorisch-bürokratischer Führung" dar, und den "idealen" Parteiführer gebe es gar nicht, wohl aber den erfolgreichen. Welch ein politikwissenschaftlicher Trost für die Zukunft.
RAINER BLASIUS
Daniela Forkmann / Michael Schlieben (Herausgeber). Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949-2005. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005. 401 Seiten, 29,90 [Euro].
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Und kleine Parteichefs: Führungspersönlichkeiten und Anforderungsprofile
Der Aufsatzband über die mehr als achtzig Parteivorsitzenden seit Gründung der Bundesrepublik hat die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der September-Wahl nicht mehr berücksichtigen können - weder den Aufstieg der Linkspartei mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi als west-östlichem Spitzenduo noch den Rücktritt des SPD-Chefs Franz Müntefering, noch dessen Nachfolger Matthias Platzeck. Das schmälert jedoch keineswegs den Wert der informativen Publikation, die sich durch meist gelungene biographische Annäherungen an die vielen Vorsitzenden und oft lohnende Beobachtungen über sehr unterschiedlich ausgeprägte Führungsstile auszeichnet.
Die gescheiterten und längst vergessenen kleinen Nachkriegsparteien untersucht Michael Schlieben: die von Ost-Berlin aus gesteuerte und 1956 verbotene KPD, die Deutsche Zentrumspartei, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung, die Bayernpartei, die - im alten Welfengebiet gegründete und als Koalitionspartner Adenauers in den fünfziger Jahren vorübergehend als "ein bestimmender Akteur" geschätzte - Deutsche Partei, die bald in Deutsche Rechtspartei umbenannte Deutsche Konservative Partei, die - 1952 als eine Art NSDAP-Nachfolgeorganisation verbotene - Sozialistische Reichspartei, die Deutsche Reichspartei (aus der in den sechziger Jahren die NPD hervorging) und den vor allem in Schleswig-Holstein erfolgreichen Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Der BHE stellte im zweiten Kabinett Adenauer zwei Bundesminister, die 1956 zur CDU übertraten.
Schlieben hebt hervor, daß 1949 eine Partei nur in einem einzigen Land, vier Jahre später nach der Verschärfung des Wahlgesetzes allerdings im gesamten Bundesgebiet mindestens fünf Prozent der Stimmen (oder drei Direktmandate) für einen Einzug ins Bonner Parlament brauchte. Allzu autokratische und durch ihr Verhalten im "Dritten Reich" belastete Parteiführer in den kleinen und kleinsten Parteien hätten sich damals oft selbst isoliert. Daneben war für eine große Zahl der insgesamt 402 Mitglieder des Bundestages Parteidisziplin und Parteitreue noch ein Fremdwort, so daß es bis 1953 zu 108 Fraktionswechseln und auch später zu Parteispaltungen und Fusionen kam: "Ein wesentliches Erfolgsmerkmal der Adenauer-CDU war sicher, daß sie viele Strömungen zu integrieren und zu absorbieren vermochte. Das gelang dem ersten Bundeskanzler auch, indem er die Vorsitzenden der Konkurrenzparteien mit belanglosen Ministerien köderte, die zwar formell Regierungsteilhabe, faktisch aber wenige Einfluß- und Profilierungsmöglichkeiten boten."
Von Adenauers frühen Koalitionspartnern "überlebte" nur die FDP - nicht zuletzt, weil sich Thomas Dehler jeglicher Umarmungsstrategie des ausgebufften Kanzlers vehement widersetzte. Die zwölf FDP-Chefs seit 1949 porträtiert der Göttinger Politologe Franz Walter. Schon in Zwischenüberschriften bringt er gekonnt seine Bewertungen auf den Punkt: "Kontemplativ in der Vitrine" über Theodor Heuss (bis 1949), "Vermittelnd und farblos" über Franz Blücher (bis 1954), "Feuerkopf und Wüterich" über Thomas Dehler (bis 1957), "Ruheständler im Remstal" über Reinhold Maier (bis 1960), "Ritterkreuzträger und bürgerlicher Primus" über Erich Mende (bis 1968), "Frohsinn und Härte" über Walter Scheel (bis 1974), "Beweglichkeit aus der Mitte heraus" über Hans-Dietrich Genscher (bis 1985), "Optimismus und lange Leine" über Martin Bangemann (bis 1988), "Haudegen auf Abruf" über Otto Graf Lambsdorff (bis 1993), "Überforderter Beamter" über Klaus Kinkel (bis 1995), "Höfliches Sedativ" über Wolfgang Gerhardt (bis 2001) und "Irrender Prophet" über Guido Westerwelle.
Nach weiteren Aufsätzen - überwiegend von Doktoranden, die umfangreiche Studien vorbereiten - über die CDU, die SPD, die Grünen, die CSU und die PDS bietet Parteienforschungsaltmeister Peter Lösche einige systematische Überlegungen zum Führungsverhalten von Parteivorsitzenden. Sie müßten "reden, erklären, überzeugen, argumentieren, integrieren, Mehrheiten schaffen, Koalitionen schmieden, Kompromisse aushandeln, Konsens herstellen" können, vor allem auch Entscheidungen treffen und diese in ihrer Summe zu einem Konzept verdichten und - als hohe Schule auch der Parteiführungskunst und mit fachlichem Gruß aus Alt-Heidelberg von Max Weber - "auch gegen Widerstand den eigenen Willen" durchsetzen können: "Um erfolgreich zu führen, den Weg zu bestimmen, bedarf es mithin bestimmter Machtressourcen und Machtmittel." Der Göttinger Professor empfiehlt jedenfalls (und kaum überraschend), mittels Anhäufung von Ämtern die eigene Macht zu stärken - beispielsweise als Kanzler und zugleich Parteivorsitzender oder als Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender in Personalunion.
Wiederum in Anlehnung an Weber unterscheidet Lösche drei Typen politischer Führung durch Parteichefs. Der Charismatiker führe seine Partei von außen und "über die Medien" - gerade nicht von der Parteizentrale aus, sondern aus dem Bundeskanzleramt, der Staatskanzlei oder dem Büro des Fraktionsvorsitzenden. Charisma bilde sich häufig erst in Krisen heraus und verblasse schnell, wenn die Alltagsprobleme wiederkehrten: "Es sind dann die Historiker, die Politikwissenschaftler und die ehemaligen Anhänger, die an das Charisma einer Persönlichkeit erinnern, diese zum Helden, ja Heiland stilisieren. In der CDU wie in der SPD wird heute flapsig und zugleich doch voller Verehrung von der ,Heiligsprechung' Adenauers beziehungsweise Brandts gesprochen."
Demgegenüber habe der "organisatorisch-bürokratische" Parteiführer die Ochsentour von der Jugendorganisation bis in die Parteispitze hinter sich und dadurch ein besonderes Gespür für innerparteiliche Stimmungen; er sei sensibel für alle Veränderungen und wittere "Intrigen gegen den Wind und bevor sie so richtig gesponnen werden". Anders als der Charismatiker verstehe sich der Typ des Organisators nicht als Unruhestifter, sondern vielmehr als Ruhestifter. Als Beispiele führt Lösche den SPD-Vorsitzenden der Jahre 1952 bis 1963, Erich Ollenhauer, und PDS-Chef Lothar Bisky an, aber auch Franz Müntefering, Ludwig Vollmer und den frühen Helmut Kohl, der ab 1973 gemeinsam mit Kurt Biedenkopf als Generalsekretär die Modernisierung der CDU einleitete und ihre Mitgliederbasis enorm verbreiterte: "Das ,System Kohl' hat sich erst allmählich entwickelt, war aber Ausdruck von Kohls Organisationskompetenz, die er als Machtressource glänzend zu nutzen wußte."
Zum dritten und letzten stellt Lösche die präsidiale Führung vor, die es hauptsächlich in der FDP Ende der vierziger und während der fünfziger Jahre gegeben habe: "eine Honoratiorenpartei, die gegensätzliche Lebenswelten verband, ländliche und konservative, eher deutschnationale Altmittelständler, dann urbane und eher bürgerrechtliche und freisinnige Mittelständler aus dem Dienstleistungsbereich, aber auch ehemalige Nationalsozialisten". Theodor Heuss und Reinhold Maier hätten nach dem Motto "leben und leben lassen" die FDP geleitet - durch Väterlichkeit, ja Großväterlichkeit, um Ruhe, Stabilität, Verläßlichkeit zu vermitteln und um keine klare Richtung zu weisen: "Ein später Abkömmling dieses Führungsstils, mehr innerer Gelassenheit und vielleicht sogar Faulheit entspringend, nicht aus politischen Notwendigkeiten resultierend, fand sich Mitte der 1980er Jahre in Martin Bangemann."
Lösche gibt offen zu, daß der Versuch, Parteiführung zu typisieren, nicht die historische Wirklichkeit widerspiegelt, sondern nur dabei hilft, den "Dschungel von höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten, Führungsstilen, Machtkonstellationen, von Machtinstrumenten und von politischen und historischen Gegebenheiten etwas zu ordnen" und wenn möglich zu periodisieren. Moderne Parteiführung stelle sich heutzutage immer als "Mischung von charismatischer und organisatorisch-bürokratischer Führung" dar, und den "idealen" Parteiführer gebe es gar nicht, wohl aber den erfolgreichen. Welch ein politikwissenschaftlicher Trost für die Zukunft.
RAINER BLASIUS
Daniela Forkmann / Michael Schlieben (Herausgeber). Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949-2005. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005. 401 Seiten, 29,90 [Euro].
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"Ohne hier in alte Diskussionen über die Stärken und Schwächen der Göttinger Schule zurückzufallen, kann geschlussfolgert werden, dass [...] die Interpretationsangebote sowohl der Geschichts- wie auch der Sozialwissenschaft [...] helfen können, Annäherungen an ein Forschungsfeld zu finden, das Parteienwandel ebenfalls erklären kann, gerade weil dieser Strang in den diesbezüglichen Untersuchungen und Diskussionen bisher keine Rolle gespielt hat." Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen, 40/2008
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht informativ findet Rainer Blasius diesen Aufsatzband über die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2005. Der Band bietet seiner Ansicht nach "meist gelungene" biografische Annäherungen an die vielen Vorsitzenden sowie "oft lohnende" Beobachtungen über sehr unterschiedlich ausgeprägte Führungsstile. Neben Michael Schliebens Beitrag über die Parteivorsitzenden der gescheiterten, längst vergessenen kleinen Nachkriegsparteien stellt er den Aufsatz des Göttinger Politologen Franz Walter über die zwölf FDP-Chefs seit 1949 vor. Interessant erscheinen ihm ferner Peter Lösches systematische Überlegungen zum Führungsverhalten von Parteivorsitzenden. Lösche gebe zu, dass der Versuch, Parteiführung zu typisieren, nicht die historische Wirklichkeit widerspiegle, sondern nur dabei helfe, den "Dschungel von höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten, Führungsstilen, Machtkonstellationen, von Machtinstrumenten und von politischen und historischen Gegebenheiten etwas zu ordnen" (Lösche) und wenn möglich zu periodisieren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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