Im ganzen Land findet man sie, in guten und weniger guten Kreisen, und niemand regt sich mehr über sie auf: Patchwork-Familien. Patchwork ist Flickwerk, das klingt nett und harmlos. Aber taugt es als Muster für unser Leben, unsere Gesellschaft und die Ehe? Melanie Mühl sieht in Patchwork-Familien das Resultat einer weit verbreiteten Lebenshaltung, die Festlegungen scheut. Doch können wir auf Verlässlichkeit so einfach verzichten? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Vertrauen regelmäßig enttäuscht wird? Ein unzeitgemäßes Buch, das eine längst fällige Debatte auslösen wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2011MELANIE MÜHL, Feuilletonredakteurin dieser Zeitung, hat ein Buch über die Patchwork-Lüge geschrieben. Vorbei sind die Zeiten, da von der bösen Stiefmutter die Rede war: Mittlerweile findet man Patchworkfamilien im ganzen Land, sogar im Schloss Bellevue, und die Fernsehsoap zeigt, wie spannend das Leben sein kann, wenn sich die Familienverhältnisse verändern. Hinter dem freundlichen Wort Patchwork verbergen sich freilich familiäre Tragödien. Und dennoch: Die ständige Sorge, ein besseres Leben zu versäumen, vergiftet unser eigentliches Leben. Arbeit, Familie, Freundschaften: Was früher auf Dauer angelegt war, löst sich in eine bloße Abfolge von Episoden auf. Wollen wir wirklich in einer Patchworkgesellschaft leben, in der Vertrauen regelmäßig enttäuscht wird und unsere Kinder am Ende den Preis zahlen müssen? (Melanie Mühl: "Die Patchwork-Lüge". Eine Streitschrift. Hanser Verlag, München 2011. 176 S., geb., 16,90 [Euro].)
F.A.Z.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Viel Diskussionsstoff findet Johan Schloemann in Melanie Mühls Streitschrift "Die Patchwork-Lüge". Deren Kritik an Schönfärberei von Trennungen und Scheidungen als Standardlösung für Enttäuschte sowie an der Idealisierung von Patchwork-Familien kann er durchaus etwas abgewinnen. In vielen Punkten kann er der Autorin zustimmen. Das Buch zeichnet sich für ihn auch dadurch aus, dass es sich keinen Gegner auf der Meta-Ebene wie den "Feminismus" oder die "Achtundsechziger" aussucht, sondern die Bindungsunfähigen "direkt moralisch" angeht. Im Blick auf Mühls Ausführungen der hohen Zahl von Trennungen allerdings bedarf es nach Ansicht von Schloemann genauerer Analysen als der von der Autorin "mit gutem Willen zusammengerührte Kulturkritik".
© Perlentaucher Medien GmbH
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