Ein Feuerwerk erstaunlicher und sinnlicher Details aus dem Leben Ludwigs II.Als Kind will er Schiffskapitän werden. Als König fördert er die moderne Luftfahrt. In der Nähe von Neuschwanstein plant er einen Chinesischen Sommerpalast. Dass er lange überlegt, Bayern zu verkaufen und auszuwandern, geht aus Unterlagen hervor, die Klaus Reichold und Thomas Endl im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher aufgestöbert haben. Zur Debatte standen u.a. Afghanistan, Ägypten - und Rügen.Die Autoren portraitieren Ludwig II. als Kind des 19. Jahrhunderts, der eine rasante gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklung erlebt, aber lieber in die Gegenwelten des Historismus und des Orientalismus flüchtet.Mit über 90 Abbildungen und vielen Verweisen zu digitalisierten Quellen und weiterführenden Informationen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2017Der „Kini“ wollte weg
Ludwig II. überlegte ernsthaft, Bayern zu verlassen und auf „ein stilles, erhabenes Eiland“ auszuwandern.
Sein Kundschafter suchte von Zypern bis San Ambrosio, von Quito bis zum Hindukusch nach einem passenden Ort
VON HANS KRATZER
München – Es ist ja nicht so, dass König Ludwig II. trotz seiner global ausgerichteten Fantasie viel von der Welt gesehen hätte. Ausgerechnet er, der sich beim Bau seiner Schlösser von der hohen Kunst Asiens und des Orients inspirieren ließ, war ein extrem sesshafter Mensch. Nur zweimal ist er nach Frankreich gereist, die Schweiz hat er gesehen und den Rhein, dazu Franken und die Wartburg in Eisenach, sonst hielt er sich meistens in seiner Residenz in München und in der Einsamkeit der Alpen auf. Getrost kann man resümieren: Ludwig II. hat die Welt nicht durchmessen, aber er las unentwegt Reiseberichte, und seine Sehnsucht nach der Ferne war unstillbar.
Diese Neigung verstärkte sich erst recht nach dem entscheidenden Bruch in seinem Leben in den Jahren 1870/71. Wider Willen verloren Bayern und Ludwig II. nach der Reichsgründung ihre Souveränität. Das traf den König ins Mark, er war nicht länger sein eigener Herr, sondern unterstand fortan den Preußen. Ein Hofsekretär sagte später, die Beeinträchtigung der bayerischen Selbständigkeit habe dem König alle Lust zur Regierung geraubt. Er habe mit dem Gedanken gespielt, abzudanken und auszuwandern.
Die Forschung hat das Thema Auswanderung bislang wenig beachtet, obwohl im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher (GHA) dazu eine Menge Akten vorliegen. Der Münchner Autor Klaus Reichold hat bei der Auswertung eines Teils dieser Papiere überraschende Funde gemacht. Ludwig II. hat demnach zweifelsfrei mit dem Gedanken an eine Auswanderung gespielt. Im Oktober 1871 erteilte er dem Geheimrat Franz von Löher den Auftrag, für ihn fern der Welt „ein stilles, erhabenes Eiland“ als Wohnort zu suchen. 1873 und 1874 bereiste Löher deshalb die Kanaren und die griechischen Inseln, 1875 führten ihn seine Erkundungen nach Zypern und Kreta. Auch auf der Halbinsel Krim hat er diesbezüglich Erkundigungen eingezogen.
Wie sich Ludwig die Sache konkret vorgestellt hat, ist nach Auskunft von Gerhard Immler, dem Direktor des Geheimen Hausarchivs, weitgehend unklar. Wollte er eine Insel kaufen? Wenn ja, von welchem Geld? Wollte er etwa Bayern verkaufen? Reichold führt dazu an, dass in Spanien nach der Revolution von 1868 Chaos herrschte. Die Möglichkeit, als fremder Regent die Herrschaft zumindest über ein Teilgebiet Spaniens (die Kanaren) anzutreten und die Ordnung wiederherzustellen, war nicht ausgeschlossen. Eine bayerische Kommission riet sogar dazu, das Projekt „Königreich der Kanaren“ in Angriff zu nehmen. Im GHA liegt sogar ein Entwurf für eine Verfassung. Nachdem sich die Lage in Spanien beruhigt hatte, sah Ludwig II. ein, dass dort nichts mehr zu holen war. Er beauftragte Löher, nach anderen Territorien Ausschau zu halten. Die Autoren Klaus Reichold und Thomas Endl haben dieses kuriose, aber noch unbekannte Auswanderungsthema in ihrer soeben erschienenen und flott erzählten Biografie über den „Märchenkönig“ erstmals breit dargestellt. Insgesamt schildern sie Ludwig II. aus vielen neuen Blickwinkeln als Kind des 19. Jahrhunderts, der eine rasante gesellschaftliche und technische Entwicklung erlebt, bevor er sich in die Gegenwelten des Historismus und des Orientalismus flüchtet.
Aus den Akten las Reichold heraus, dass Ludwig II. seine Auswanderungspläne bis 1884 verfolgt hat. Demnach klopfte Löher immer fernere Territorien auf ihre Tauglichkeit ab, etwa die Inseln San Ambrosio, San Félix und den Juan-Fernández-Archipel vor Chile. Oder die Umgebung der ecuadorianische Hauptstadt Quito. Löher schickte Berichte über die Fidschi- und Samoa-Inseln, über Tahiti und Tonga, über La Réunion im Indischen Ozean, die Philippinen, und die persische Provinz Mazandaran sowie über Somalia.
Für eine Ansiedlung schien ihm der Hindukusch in Afghanistan besonders geeignet zu sein. „Die Vorberge des Hindu-Kuh haben Ähnlichkeit mit den lieblichsten Alpengeländen“, schrieb Löher in seiner Empfehlung, um dann zu schwärmen: „Was könnte bei einer solchen Lage aus den bedeutenden Städten Kabul und Herat unter einer geordneten Regierung werden!“ Auch Ägypten stand hoch im Kurs: „Es dürfte kein Land der Erde geben, das interessanter wäre und zugleich für eventuelle Erwerbung der Herrschaft günstigere Chancen böte.“ Letztlich riet er aber, sich die Sache gut zu überlegen. „Übersiedlung in ein fremdes Land, in ungewohntes Klima, unter neue Menschen und Verhältnisse ist ein höchst gewagtes Unternehmen. Sehr häufig verbindet sich damit unsägliches Elend.“ Bevor Ludwig II. eine längere Schiffsreise antrete, sei zu prüfen, „ob Neigung für Seekrankheit besteht.“ Außerdem stünden der Besitzergreifung Hindernisse entgegen, als da wären „Korallenriffe und Meeresströmungen, Beunruhigungen durch wildes rohes Volk in der Nähe oder Fieber und Krankheiten“. Auch der Hofsekretär Ludwig von Bürkel riet dem König von der Auswanderung ab – schon deshalb, weil in vielen Ländern „die ungeheure Mehrheit der Bewohner uncivilisiert“ sei. „Es ist mir ein unfaßlicher Gedanke, daß Eure Majestät an einer von der Weltkultur so entlegenen Küste lande, um inmitten einer halbwilden Bevölkerung, an Leib und Gut bedroht, die Tage zu verbringen. Tatsächlich, so resümiert Reichold, habe Ludwig II. seine Auswanderung immer weiter hinausgezögert. Bis er schließlich in eine andere Parallelwelt eintauchte – in die des Theaters und seiner Schlösser.
Klaus Reichold/Thomas Endl, Die phantastische Welt des Märchenkönigs, Edition Luftschiffer, 2017, 280 Seiten, 14,90 Euro.
Eine Kommission riet, das Projekt
„Königreich der Kanaren“
in Angriff zu nehmen
Als Hindernisse galten Fieber
sowie „Beunruhigungen durch
wildes rohes Volk in der Nähe“
Auf dem Dach der Münchner Residenz baute sich Ludwig II. einen monumentalen Wintergarten. Große Wandbilder schufen die Illusion ferner Länder.
Foto: privat
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Ludwig II. überlegte ernsthaft, Bayern zu verlassen und auf „ein stilles, erhabenes Eiland“ auszuwandern.
Sein Kundschafter suchte von Zypern bis San Ambrosio, von Quito bis zum Hindukusch nach einem passenden Ort
VON HANS KRATZER
München – Es ist ja nicht so, dass König Ludwig II. trotz seiner global ausgerichteten Fantasie viel von der Welt gesehen hätte. Ausgerechnet er, der sich beim Bau seiner Schlösser von der hohen Kunst Asiens und des Orients inspirieren ließ, war ein extrem sesshafter Mensch. Nur zweimal ist er nach Frankreich gereist, die Schweiz hat er gesehen und den Rhein, dazu Franken und die Wartburg in Eisenach, sonst hielt er sich meistens in seiner Residenz in München und in der Einsamkeit der Alpen auf. Getrost kann man resümieren: Ludwig II. hat die Welt nicht durchmessen, aber er las unentwegt Reiseberichte, und seine Sehnsucht nach der Ferne war unstillbar.
Diese Neigung verstärkte sich erst recht nach dem entscheidenden Bruch in seinem Leben in den Jahren 1870/71. Wider Willen verloren Bayern und Ludwig II. nach der Reichsgründung ihre Souveränität. Das traf den König ins Mark, er war nicht länger sein eigener Herr, sondern unterstand fortan den Preußen. Ein Hofsekretär sagte später, die Beeinträchtigung der bayerischen Selbständigkeit habe dem König alle Lust zur Regierung geraubt. Er habe mit dem Gedanken gespielt, abzudanken und auszuwandern.
Die Forschung hat das Thema Auswanderung bislang wenig beachtet, obwohl im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher (GHA) dazu eine Menge Akten vorliegen. Der Münchner Autor Klaus Reichold hat bei der Auswertung eines Teils dieser Papiere überraschende Funde gemacht. Ludwig II. hat demnach zweifelsfrei mit dem Gedanken an eine Auswanderung gespielt. Im Oktober 1871 erteilte er dem Geheimrat Franz von Löher den Auftrag, für ihn fern der Welt „ein stilles, erhabenes Eiland“ als Wohnort zu suchen. 1873 und 1874 bereiste Löher deshalb die Kanaren und die griechischen Inseln, 1875 führten ihn seine Erkundungen nach Zypern und Kreta. Auch auf der Halbinsel Krim hat er diesbezüglich Erkundigungen eingezogen.
Wie sich Ludwig die Sache konkret vorgestellt hat, ist nach Auskunft von Gerhard Immler, dem Direktor des Geheimen Hausarchivs, weitgehend unklar. Wollte er eine Insel kaufen? Wenn ja, von welchem Geld? Wollte er etwa Bayern verkaufen? Reichold führt dazu an, dass in Spanien nach der Revolution von 1868 Chaos herrschte. Die Möglichkeit, als fremder Regent die Herrschaft zumindest über ein Teilgebiet Spaniens (die Kanaren) anzutreten und die Ordnung wiederherzustellen, war nicht ausgeschlossen. Eine bayerische Kommission riet sogar dazu, das Projekt „Königreich der Kanaren“ in Angriff zu nehmen. Im GHA liegt sogar ein Entwurf für eine Verfassung. Nachdem sich die Lage in Spanien beruhigt hatte, sah Ludwig II. ein, dass dort nichts mehr zu holen war. Er beauftragte Löher, nach anderen Territorien Ausschau zu halten. Die Autoren Klaus Reichold und Thomas Endl haben dieses kuriose, aber noch unbekannte Auswanderungsthema in ihrer soeben erschienenen und flott erzählten Biografie über den „Märchenkönig“ erstmals breit dargestellt. Insgesamt schildern sie Ludwig II. aus vielen neuen Blickwinkeln als Kind des 19. Jahrhunderts, der eine rasante gesellschaftliche und technische Entwicklung erlebt, bevor er sich in die Gegenwelten des Historismus und des Orientalismus flüchtet.
Aus den Akten las Reichold heraus, dass Ludwig II. seine Auswanderungspläne bis 1884 verfolgt hat. Demnach klopfte Löher immer fernere Territorien auf ihre Tauglichkeit ab, etwa die Inseln San Ambrosio, San Félix und den Juan-Fernández-Archipel vor Chile. Oder die Umgebung der ecuadorianische Hauptstadt Quito. Löher schickte Berichte über die Fidschi- und Samoa-Inseln, über Tahiti und Tonga, über La Réunion im Indischen Ozean, die Philippinen, und die persische Provinz Mazandaran sowie über Somalia.
Für eine Ansiedlung schien ihm der Hindukusch in Afghanistan besonders geeignet zu sein. „Die Vorberge des Hindu-Kuh haben Ähnlichkeit mit den lieblichsten Alpengeländen“, schrieb Löher in seiner Empfehlung, um dann zu schwärmen: „Was könnte bei einer solchen Lage aus den bedeutenden Städten Kabul und Herat unter einer geordneten Regierung werden!“ Auch Ägypten stand hoch im Kurs: „Es dürfte kein Land der Erde geben, das interessanter wäre und zugleich für eventuelle Erwerbung der Herrschaft günstigere Chancen böte.“ Letztlich riet er aber, sich die Sache gut zu überlegen. „Übersiedlung in ein fremdes Land, in ungewohntes Klima, unter neue Menschen und Verhältnisse ist ein höchst gewagtes Unternehmen. Sehr häufig verbindet sich damit unsägliches Elend.“ Bevor Ludwig II. eine längere Schiffsreise antrete, sei zu prüfen, „ob Neigung für Seekrankheit besteht.“ Außerdem stünden der Besitzergreifung Hindernisse entgegen, als da wären „Korallenriffe und Meeresströmungen, Beunruhigungen durch wildes rohes Volk in der Nähe oder Fieber und Krankheiten“. Auch der Hofsekretär Ludwig von Bürkel riet dem König von der Auswanderung ab – schon deshalb, weil in vielen Ländern „die ungeheure Mehrheit der Bewohner uncivilisiert“ sei. „Es ist mir ein unfaßlicher Gedanke, daß Eure Majestät an einer von der Weltkultur so entlegenen Küste lande, um inmitten einer halbwilden Bevölkerung, an Leib und Gut bedroht, die Tage zu verbringen. Tatsächlich, so resümiert Reichold, habe Ludwig II. seine Auswanderung immer weiter hinausgezögert. Bis er schließlich in eine andere Parallelwelt eintauchte – in die des Theaters und seiner Schlösser.
Klaus Reichold/Thomas Endl, Die phantastische Welt des Märchenkönigs, Edition Luftschiffer, 2017, 280 Seiten, 14,90 Euro.
Eine Kommission riet, das Projekt
„Königreich der Kanaren“
in Angriff zu nehmen
Als Hindernisse galten Fieber
sowie „Beunruhigungen durch
wildes rohes Volk in der Nähe“
Auf dem Dach der Münchner Residenz baute sich Ludwig II. einen monumentalen Wintergarten. Große Wandbilder schufen die Illusion ferner Länder.
Foto: privat
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Glanz und Gloria und ganz privat - so kannten wir ihn wirklich noch nicht, unseren Märchenkönig. (BR Fernsehen / Capriccio)