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Die Philosophie ist nicht nur eine unter vielen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern darüber hinaus, wie die Literatur und die Kunst, entscheidend für das, was die Kultur eines Landes ausmacht. Diese eigentümliche Zwitterstellung der Philosophie ist darin begründet, daß es ihre ureigenste Aufgabe ist, an den Grenzen der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis den Gründen für die Lebensführung des Menschen nachzugehen. Es geht der Philosophie daher immer auch um zentrale Fragen der menschlichen Kultur. Diese notwendig offene Position versieht die Philosophie mit einer besonderen…mehr

Produktbeschreibung
Die Philosophie ist nicht nur eine unter vielen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern darüber hinaus, wie die Literatur und die Kunst, entscheidend für das, was die Kultur eines Landes ausmacht. Diese eigentümliche Zwitterstellung der Philosophie ist darin begründet, daß es ihre ureigenste Aufgabe ist, an den Grenzen der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis den Gründen für die Lebensführung des Menschen nachzugehen. Es geht der Philosophie daher immer auch um zentrale Fragen der menschlichen Kultur. Diese notwendig offene Position versieht die Philosophie mit einer besonderen Sensibilität für Veränderungen und Krisen in der Kultur eines Landes. Die Philosophie ist ein analytischer Seismograph.

Dieter Henrichs meisterhafte Aufsätze sind Versuche historischer wie systematischer Positionsbestimmungen der Philosophie. Entstanden ist ein Band, der nicht nur die Geschichte der Nachkriegsphilosophie in nuce faßt, sondern auch Schlaglichter auf die Kulturtheorie und die aktuelle Bildungspolitik wirft.
Autorenporträt
Geboren am 5. Januar 1927 in Marburg, studierte Dieter Henrich von 1946 bis 1950 in Marburg, Frankfurt und Heidelberg (u.a. bei Hans-Georg Gadamer) Philosophie. Seine Dissertationsschrift aus dem Jahr 1950 trägt den Titel Die Grundlagen der Wissenschaftslehre Max Webers. Nach der Habilitation 1955/56 lehrte Henrich in Berlin, Heidelberg und den USA, bevor er 1981 als Ordinarius für Philosophie an die Ludwig-Maximilians-Universität in München berufen wurde. Seit 1997 war er Honorarprofessor an der Berliner Humboldt-Universität. Dieter Henrich verstarb am 17. Dezember 2022 im Alter von 95 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2006

Studenten, redet über eure Lehrer!

Was die hier versammelten Aufsätze äußerst lesenswert macht, sind vor allem die in ihnen enthaltenen Mitteilungen über die deutsche Universität (Dieter Henrich: "Die Philosophie im Prozeß der Kultur". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2006. 250 S., br., 11,- [Euro]). Der Autor Dieter Henrich, der in Marburg und Heidelberg studiert hat, dort, in Berlin und in München lehrte sowie an der New Yorker Columbia University und der von Harvard tätig war, verfügt über alle zeithistorischen wie regionalen Vergleichserfahrungen, die ein Urteil über ihre Lage voraussetzt. Als Philosoph ist er überdies ein hervorragender Kenner des deutschen Idealismus. Also kann er die Universität auch aus dem Blickpunkt derjenigen ideengeschichtlichen Formation betrachten, aus der ihre Gründungsakten hervorgingen.

Das mag ein Nachteil sein, wenn die Abweichung von ihren Idealen, die bei Humboldt, Schelling und Schleiermacher festgehalten sind, nur der Abweichung und nicht auch den Idealen angerechnet wird. Das ist aber insofern ein großer Vorteil, als Henrich jene Ideale nicht nur beschwört, sondern durchdacht hat.

Er sieht Philosophie und Universität in einer wesentlichen Hinsicht verwandt: Für beide ist die Spannung zwischen Orientierung und Professionalität, Erziehung und Wissenschaft grundlegend. Die Philosophie ist geradezu die Stellvertreterin dieser Spannung unter den Disziplinen. Das setzt ihrer Verwissenschaftlichung ebenso Grenzen wie umgekehrt ihrer Möglichkeit, eine Dogmatik nach Art der juristischen oder theologischen auszubilden. Universitäten, die nicht nur Fachschulen und nicht nur Filterstationen für Laborpersonal sein wollen, stoßen auf eine ähnliche Aufgabe: Forschung zu entbinden, ohne Bildung zu vergessen. Universitäten haben es mit jungen Leuten zu tun, denen noch anderes fehlt als nur ein Zertifikat und eine Handvoll Techniken, von denen sie dann im Beruf erfahren, daß sie ganz andere brauchen. Es geht darum, nachdenken zu lernen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was es heißt, etwas begriffen zu haben, und Erkanntes darstellen zu können.

Das alles kann nicht unterrichtet werden, das alles kann sich nur durch Unterricht ergeben. In vielen Beiträgen des Bandes geht Henrich Umständen nach, die es wahrscheinlich machen, daß es, also Bildung, sich ergibt. Am eindrücklichsten geschieht das in einem Aufsatz über die eigene Generation. Blumenberg, Habermas, Henrich - man könnte ergänzen: Koselleck, Theunissen, Tugendhat, Luhmann -, die Jahrgänge zwischen 1920 und 1932 haben im Denken der Nachkriegszeit Epoche gemacht. Danach kam auf diesem Gebiet nicht mehr viel. Henrich beschreibt, wie sich nach 1945 die Eigenart jener Generation aus ihrer Distanz zu grandiosen Entwürfen und expressiven Mitteilungen bei gleichzeitiger Intention auf große Theorie ergab. Es war die Verarbeitung katastrophaler Erfahrungen in kognitiven Leistungen, die hervorstach. Gründlichkeit ist ein Zug im Werk aller der Genannten, Disziplinierung des Arguments durch historische Kenntnis ein anderer.

Und man darf hinzufügen: Sie wußten voneinander, erkannten die Maßstäbe, die durch ihre Schriften gesetzt worden waren. Später wuchs der Betrieb enorm, der Lebensstil entwickelte sich komfortabler, also wurden die Maßstäbe zufällig und hatten nur mehr lokale Wirkung. Es gibt nicht ein einziges Werk der Generation von 1968, der zwischen 1940 und 1950 Geborenen also, das es intellektuell mit denen der Älteren aufnehmen könnte. Henrich faßt das in die Formulierung, es sei nicht sicher, ob die fünfziger und sechziger Jahre ein Anfang gewesen seien, solange die Fortsetzung fehle.

Außerdem wurde das Verhältnis zur Universität verwandelt. Das tragende Gefühl, in ihr an etwas Besonderem teilzuhaben, schwand im Verlauf der sechziger Jahre rasch. Henrich zeichnet diese Entwicklung in Begriffen und Erinnerungen nach, erwägt, was einen guten Lehrer auszeichnet, charakterisiert Unterschiede zwischen urbanen akademischen Milieus, diagnostiziert im Titelaufsatz einen Gravitationsverlust der Kultur in Deutschland, ja in Europa, dem durch Verwahrlosung der Bildungsanstalten mehr und mehr die Rückbildung in eine Art "Griechenland zur Zeit Roms" drohe, "ein interessantes Reiseziel für Amerikaner", wie Georg Simmel es einst nannte.

An die Seite solcher Gesamtdiagnostik und Henrichs Gedanken über den Fundierungszusammenhang von Subjektivität und Bildung treten immer wieder ganz konkrete Hinweise aus der Erfahrung der Universität. Etwa die Maxime universitärer Berufungspolitik: "Es ist nicht so wichtig, daß die Professoren miteinander reden, wie daß die Studenten es für unumgänglich halten, über die Professoren zu diskutieren." Oder die Beobachtung, daß die mangelnde Durchlässigkeit zwischen höherem Schuldienst und Universität dem deutschen Bildungssystem schadet. Oder daß der Deutschunterricht sich meist zu sehr auf Literatur konzentriert, die sich ohne Philosophie nicht verstehen läßt. Oder daß die Bachelorstudien die Talente in Unreife festhalten.

Es mögen insofern manche dieser Beiträge zur Lage der Philosophie und der sie umgebenden Bildungswelten von der Resignation dessen bestimmt sein, der in den vergangenen Jahrzehnten Zeuge eines erheblichen Geltungsverlustes dieser Welten und seines Faches wurde. Man kann sie aber auch anders lesen: Als Belege dessen, was wirklich, also möglich war und was möglich wäre.

JÜRGEN KAUBE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jürgen Kaube gewinnt den Aufsätzen Dieter Henrichs, die in "Die Philosophie im Prozess der Kultur" enthalten sind, große Aufschlüsse über die deutsche Universität und ihre Veränderung in den letzten Jahrzehnten ab. Als profunder Kenner des deutschen Idealismus sei der Philosoph Henrich in besonderer Weise geeignet, die Rolle und Lage der Universität zu überdenken, meint der Rezensent, entstamme deren Konzept in Deutschland doch aus eben diesem geisteshistorischen Zusammenhang. Er zeigt sich gleichermaßen beeindruckt von der Parallele, die Henrich zwischen der Philosophie und der Universität zieht, die in ähnlicher Weise zwischen den Anforderungen von Wissenschaft und Pädagogik stehe, wie auch vom Aufsatz über die eigene Denkergeneration (Blumenberg, Habermas, Luhmann etc.), denen, wie der Rezensent überzeugt ist, die 68er Generation nicht das Wasser reichen kann. Auch Henrichs Feststellung, dass die Kultur in Deutschland an Gewicht verliere, kann Kaube sich umstandslos anschließen. Trotz eines insgesamt resignativen Tones, empfiehlt er die Aufsätze nachdrücklich "als Belege dessen, was wirklich, also möglich war und was möglich wäre".

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