Der Entwurf einer naturwissenschaftlichen Religion
Für sein Entwicklungsmodell des Universums benötigt Frank Tipler, Professor für mathematische Physik, keine vitalen Kräfte. Er erklärt den Menschen und die Strukturen der Welt mit den Mitteln der Physik. Religiöse Glaubensbekenntnisse wie
„Auferstehung von den Toten“ und „Unsterblichkeit der Seele“ seien physikalische Ereignisse.
Tipler gilt…mehrDer Entwurf einer naturwissenschaftlichen Religion
Für sein Entwicklungsmodell des Universums benötigt Frank Tipler, Professor für mathematische Physik, keine vitalen Kräfte. Er erklärt den Menschen und die Strukturen der Welt mit den Mitteln der Physik. Religiöse Glaubensbekenntnisse wie „Auferstehung von den Toten“ und „Unsterblichkeit der Seele“ seien physikalische Ereignisse.
Tipler gilt als Experte auf dem Gebiet der globalen allgemeinen Relativitätstheorie. Mit diesem Buch verlässt begibt sich in den Bereich der Metaphysik. Er begründet die physikalische Omegapunkt-Theorie und verschneidet diese, entgegen den Warnungen seiner Fachkollegen, mit Begriffen und Vorstellungen der Theologie.
Die Omegapunkt-Theorie ist eine physikalische Theorie, die den weit in der Zukunft liegenden Endzustand des Universums behandelt. Der Omegapunkt ist das Gegenstück zur Anfangssingularität, die in der Kosmologie allgemein als Urknall bezeichnet wird. Der Begriff „Omegapunkt“ geht auf den Jesuiten Teilhard de Chardin zurück.
Eine physikalische Interpretation der Welt setzt voraus, dass man den Menschen als eine besondere Art von Maschine betrachtet, mit einem Gehirn als Träger der Informationsverarbeitung und der Seele als Software. Hierfür wird die Welt in Quanten zerlegt und auf dieser untersten Ebene der physikalischen Strukturen der Mensch als ein Bündel quantenmechanischer Zustände definiert.
Die Menschheit wird den Weltraum kolonisieren, da biologisches Leben auf der Erde langfristig dem Untergang geweiht ist. Für die Kolonisierung des Weltraumes sind Sonden mit sich selbst reproduzierenden Konstrukteuren erforderlich, also Maschinen, die andere Maschinen generieren können.
Tipler ist der Auffassung, dass jedes System einschließlich des Menschen durch eine endliche Anzahl von Quantenzuständen hinreichend definiert ist und daher nichtbiologische Trägermedien denkbar sind, auf die die Informationen, die das Leben ausmachen, implementiert werden können.
Der Autor entwirft eine Computermetaphysik und erklärt damit die Auferstehung. Die physikalische Auferstehung besteht darin, dass Leben in den Computern der fernen Zukunft (nahe des Omegapunktes) emuliert wird. Dies betrifft nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die gesamte Welt.
Tipler verwendet in seiner Theorie ausschließlich Bausteine der Physik und vernachlässigt die Strukturen, mit denen Biologen, Neurologen oder Soziologen arbeiten. Durch Selbstorganisation emergieren in der Natur (aus den Grundbausteinen der Physik) neue Entwicklungsstufen bis hin zu lebenden Strukturen, die jeweils ihre eigenen Werkzeuge und Interpretationen benötigen. Diese Strukturen sind nicht physikalisch erklärbar. Tipler muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, eine extrem reduktionistische Position zu vertreten.
Wissenschaftliche Theorien gelten in ihrem eng umrissenen Definitionsbereich. Extrapolationen oder die Verknüpfung von unterschiedlichen Theorien führen zu verwässerten Ergebnissen. In diesem Sinne hat Tipler keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine naturwissenschaftliche Religion kreiert.
Ich hätte es begrüßt, wenn Tipler die Religion in einem separaten Kapitel behandelt hätte. Tiplers provokante These „Theologie wird ein Teilbereich der Physik“ beruht auf einem Kategorienfehler; damit überspannt er den Bogen. Mit seiner Theorie gibt es eine fantastische Theorie mehr auf dem Markt der Möglichkeiten.