Ein umfassendes Verständnis der uns umgebenden Wirklichkeit ist nur möglich, wenn man die vier grundlegenden Theorien der modernen Naturwissenschaft als verwobene Einheit betrachtet: die Quantenphysik, die Evolutionstheorie, die Erkenntnistheorie und die Theorie der Berechnung. David Deutsch zeigt, wie mit Hilfe dieser Theorien und ihrer vielfältigen Verknüpfungen untereinander ein wissenschaftliches Weltbild zu entwickeln ist, das Antworten auf viele Fragen der modernen Naturwissenschaft verspricht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.1997Mord im Paralleluniversum
Let's do the time warp again: David Deutsch bucht Zeitreisen
Ein Titel wie "Die Physik der Welterkenntnis" läßt nicht auf Bescheidenheit des Autors schließen. David Deutsch, der sich auf dem Gebiet der Quantencomputer einen Namen gemacht hat, versucht nicht weniger, als eine "Theorie für alles" zu entwerfen, "an der künftig alle Neuerungen gemessen werden" sollen. Deutsch verbindet vier grundlegende wissenschaftliche Theorien zu einem Gedankengebäude. Er bezieht sich auf Karl Poppers Erkenntnistheorie, die Evolutionstheorie von Richard Dawkins, Hugh Everetts Interpretation der Quantenmechanik sowie die Theorie der Berechnung von Alan Turing. Nach Popper nähert sich die Wissenschaft der Wahrheit an, indem immer allgemeinere Theorien entwickelt werden, die ihre Vorläuferinnen als Näherungen enthalten. Dawkins betrachtet die Evolution als einen Vorgang, bei dem die tauglichste Variante eines Gens - oder allgemein eines Replikators - überlebt. Aus Everetts Sicht spielt sich die Wirklichkeit nicht bloß in einem einzigen Universum ab, sondern in nebeneinander existierenden parallelen Universen. Turing behauptet, daß sich jedes physikalisch mögliche Szenario der Welt mit einem Supercomputer simulieren lassen.
Deutsch, Mathematiker und theoretischer Physiker, erläutert zunächst die einzelnen Theorien. Obwohl dies im Plauderton geschieht, erfordert die Lektüre der stellenweise gewundenen Gedankengänge viel Konzentration. Das liegt vor allem daran, daß der Autor oft den Boden der Realität verläßt, um über die weit entfernte Zukunft zu spekulieren. So führt er einen seiner Gedankengänge zu dem Schluß, daß es möglich wäre, einen universellen Wirklichkeitssimulator zu konstruieren. Diese Maschine gäbe die Umwelt eines Benutzers so täuschend echt wieder, daß er keinen Unterschied zur realen Welt feststellen könnte.
Auch Zeitreisen sind nach Deutschs Überlegungen mit den Gesetzen der Physik vereinbar, wenn man die Existenz eines Multiversums annimmt. In einem solchen können nämlich die in der klassischen Mechanik auftretenden Paradoxien von Zeitreisen nicht vorkommen, die etwa dadurch entstünden, daß der Zeitreisende während eines Aufenthalts in der Vergangenheit seinen Großvater tötet. Er könnte dann eigentlich gar nicht mehr geboren werden und auch keine Zeitreise unternehmen. Für Everett spielt sich die Geschichte jedoch anders ab: Sobald der Zeitreisende auf seine Vergangenheit in einer Weise einwirkt, die seiner bereits erlebten Geschichte nicht entspricht, landet er in einem anderen, parallelen Universum. Tötet er beispielsweise seinen Großvater, so kommt er in ein Universum, in dem es ihn nie geben wird. Doch auch Deutsch gibt nicht an, welche Identität der Zeitreisende im parallelen Universum des getöteten Großvaters annimmt, wenn nicht die des zukünftigen Enkels.
Reizvoll sind solche Gedankenspiele allemal. Bei Deutsch sollen sie freilich eine metaphysische Sicht der Welt stützen, die "den menschlichen Geist in die Mitte des physikalischen Universums" rückt. Der Theoretiker für alles schreckt auch vor den letzten Dingen nicht zurück. ANNE HARDY
David Deutsch: "Die Physik der Welterkenntnis". Auf dem Weg zum universellen Verstehen. Aus dem Englischen von Anita Ehlers. Birkhäuser Verlag, Basel 1996. 408 S., Abb. , geb., 49,80 DM.
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Let's do the time warp again: David Deutsch bucht Zeitreisen
Ein Titel wie "Die Physik der Welterkenntnis" läßt nicht auf Bescheidenheit des Autors schließen. David Deutsch, der sich auf dem Gebiet der Quantencomputer einen Namen gemacht hat, versucht nicht weniger, als eine "Theorie für alles" zu entwerfen, "an der künftig alle Neuerungen gemessen werden" sollen. Deutsch verbindet vier grundlegende wissenschaftliche Theorien zu einem Gedankengebäude. Er bezieht sich auf Karl Poppers Erkenntnistheorie, die Evolutionstheorie von Richard Dawkins, Hugh Everetts Interpretation der Quantenmechanik sowie die Theorie der Berechnung von Alan Turing. Nach Popper nähert sich die Wissenschaft der Wahrheit an, indem immer allgemeinere Theorien entwickelt werden, die ihre Vorläuferinnen als Näherungen enthalten. Dawkins betrachtet die Evolution als einen Vorgang, bei dem die tauglichste Variante eines Gens - oder allgemein eines Replikators - überlebt. Aus Everetts Sicht spielt sich die Wirklichkeit nicht bloß in einem einzigen Universum ab, sondern in nebeneinander existierenden parallelen Universen. Turing behauptet, daß sich jedes physikalisch mögliche Szenario der Welt mit einem Supercomputer simulieren lassen.
Deutsch, Mathematiker und theoretischer Physiker, erläutert zunächst die einzelnen Theorien. Obwohl dies im Plauderton geschieht, erfordert die Lektüre der stellenweise gewundenen Gedankengänge viel Konzentration. Das liegt vor allem daran, daß der Autor oft den Boden der Realität verläßt, um über die weit entfernte Zukunft zu spekulieren. So führt er einen seiner Gedankengänge zu dem Schluß, daß es möglich wäre, einen universellen Wirklichkeitssimulator zu konstruieren. Diese Maschine gäbe die Umwelt eines Benutzers so täuschend echt wieder, daß er keinen Unterschied zur realen Welt feststellen könnte.
Auch Zeitreisen sind nach Deutschs Überlegungen mit den Gesetzen der Physik vereinbar, wenn man die Existenz eines Multiversums annimmt. In einem solchen können nämlich die in der klassischen Mechanik auftretenden Paradoxien von Zeitreisen nicht vorkommen, die etwa dadurch entstünden, daß der Zeitreisende während eines Aufenthalts in der Vergangenheit seinen Großvater tötet. Er könnte dann eigentlich gar nicht mehr geboren werden und auch keine Zeitreise unternehmen. Für Everett spielt sich die Geschichte jedoch anders ab: Sobald der Zeitreisende auf seine Vergangenheit in einer Weise einwirkt, die seiner bereits erlebten Geschichte nicht entspricht, landet er in einem anderen, parallelen Universum. Tötet er beispielsweise seinen Großvater, so kommt er in ein Universum, in dem es ihn nie geben wird. Doch auch Deutsch gibt nicht an, welche Identität der Zeitreisende im parallelen Universum des getöteten Großvaters annimmt, wenn nicht die des zukünftigen Enkels.
Reizvoll sind solche Gedankenspiele allemal. Bei Deutsch sollen sie freilich eine metaphysische Sicht der Welt stützen, die "den menschlichen Geist in die Mitte des physikalischen Universums" rückt. Der Theoretiker für alles schreckt auch vor den letzten Dingen nicht zurück. ANNE HARDY
David Deutsch: "Die Physik der Welterkenntnis". Auf dem Weg zum universellen Verstehen. Aus dem Englischen von Anita Ehlers. Birkhäuser Verlag, Basel 1996. 408 S., Abb. , geb., 49,80 DM.
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