Der Name des Physik-Nobelpreisträgers Max Planck ist jedem geläufig. Nur wenige aber kennen seine Biografie und sein familiäres Umfeld. Kaum jemand weiß etwas über das Schicksal seines Sohnes Erwin, der von den Nationalsozialisten wegen »Hochverrats« zum Tode verurteilt und in Plötzensee ermordet wurde. Vater und Sohn stehen im Mittelpunkt dieses großen Familienporträts, das zugleich die dramatischen Umbrüche vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur NS-Diktatur spiegelt.
Die Publizistin Astrid von Pufendorf konnte erstmals den umfangreichen Nachlaß Erwin Plancks auswerten, in dem sich allein 460 Briefe Max Plancks an seinen Sohn befinden, aber auch unbekannte Briefe des von den Nazis ermordeten Reichskanzlers Kurt Schleicher, mit dem Erwin Planck befreundet war und dem er als Staatssekretär in der Reichskanzlei diente. Das enge Verhältnis von Vater und Sohn Planck zieht sich wie ein roter Faden durch diese glänzend geschriebene, bewegende Familienbiographie, die ein überraschend neues Licht auf den großen Physiker wirft und die Rolle seines Sohnes im Widerstand gegen Hitler erstmals beleuchtet.
Die Publizistin Astrid von Pufendorf konnte erstmals den umfangreichen Nachlaß Erwin Plancks auswerten, in dem sich allein 460 Briefe Max Plancks an seinen Sohn befinden, aber auch unbekannte Briefe des von den Nazis ermordeten Reichskanzlers Kurt Schleicher, mit dem Erwin Planck befreundet war und dem er als Staatssekretär in der Reichskanzlei diente. Das enge Verhältnis von Vater und Sohn Planck zieht sich wie ein roter Faden durch diese glänzend geschriebene, bewegende Familienbiographie, die ein überraschend neues Licht auf den großen Physiker wirft und die Rolle seines Sohnes im Widerstand gegen Hitler erstmals beleuchtet.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Dietmar Dath ist dieser dicke Band die "erfreulichste und lehrreichste" Ergänzung zu Karl von Meyenns "Quantenmechanik und Weimarer Republik". Der Autorin (und Nachlassverwalterin Erwin Plancks) Astrid von Pufendorf bescheinigt er umsichtiges Exzerpieren und behutsames Kommentieren der Briefe und Dokumente der Plancks. Dafür dass Pufendorfs Arbeit nicht TV-kompatibel menschelt, sondern eine kompakte, hochtransparente und faszinierende politische Monografie mit biografischem Schwerpunkt geworden ist, ist der Rezensent der Autorin richtig dankbar. Die Wahrheit über "Patriotismus und Widerstand" im Nazireich, meint Dath, sei doch eine kompliziertere als in den "Sonntagsreden" zum Thema; sie komme hier zu ihrem vollen Recht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006Dieser Familienname war so verhaßt, als wäre es ein jüdischer
Astrid von Pufendorf erzählt vom berühmten Physiker Max Planck und seinem Sohn Erwin, den die Nazis ermordeten / Von Dietmar Dath
Es muß dem Verantwortlichen eine besonders schmutzige Genugtuung gewesen sein, die Vollstreckung des Todesurteils gegen Max Plancks Sohn Erwin im Januar 1945 anzuordnen. Ob es nun, wie die Quellen zumindest nahelegen, Hitler persönlich oder ein untergeordneter Höllenfürst gewesen ist, der die Hoffnung auf eine Begnadigung des im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 Verhafteten zu lebenslangem Kerker endgültig erstickt hat - in jedem Fall ist Erwin Plancks Tod vor dem Hintergrund dessen, was die Nazis politisch, sozial und psychologisch waren, von abscheulichster Folgerichtigkeit; und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der Gründe, die diesem Justizmord entgegenstanden.
Nicht obwohl also, sondern gerade weil der Vater es fertiggebacht hatte, ohne falsche Besorgnis um die eigene Würde vor den Verbrechern auf die Knie zu fallen und um die Rettung von Erwins Leben zu bitten, hat der Henker schließlich seinen Befehl erhalten und ihn ausgeführt. Was der authentische Faschist am vornehmen Bürger haßt, ist die in dessen Ideal (wenn schon nicht immer in seiner Wirklichkeit) aufgehobene Vorstellung, daß berühmte und angesehene Menschen, zu denen er aufblicken kann, sich Ruhm und Ansehen mit Fleiß, Verstand und Tugend verdient haben müssen statt kraft des deutschen Blutes.
Das Ressentiment des verkrachten Künstlers aus dem Wiener Obdachlosenasyl, das sich nicht gegen die Klassengesellschaft als solche richtete, sondern gegen jene Honoratioren, von denen er ahnte, daß sie einen anderen Begriff von Begabung verkörperten als den barbarisch rassischen, machte Adolf Hitler zum vollkommenen Exekutor für den Haß militanter Hordenkleinbürger auf Leute wie den bedeutenden Wissenschaftler und seinen Sohn, den in der Weimarer Demokratie erfolgreichen, also geschickten und gescheiten Politiker. Wo man mit Forschen und Verhandeln weiter kommt als mit Gebrüll und Schlägen, sehen Nazis rot - der Name "Planck", der die Hand eines überlegteren Mörders hätte zögern lassen, muß ihnen fast so verhaßt gewesen sein wie ein jüdischer.
Daß die Familie, die diesen Haß erdulden mußte, in einem sehr altmodischen Sinn dieses Adelsprädikats aus feinen Leuten bestand, zeigt der Band "Die Plancks. Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand" noch deutlicher, als dies Leute, die mit der Geschichte der modernen Physik in Deutschland vertraut sind, bislang bereits wissen konnten. Erwins Mutter, seine zwei Schwestern und sein im Ersten Weltkrieg gefallener älterer Bruder Karl haben Hitlers Aufstieg nicht mehr erleben müssen. Der Begriff des "Schicksals" im Sinne eines Verhängnisses spielt in den Briefen und Dokumenten, die in "Die Plancks" vorgestellt und kontextualisiert werden, lange vor dem "Dritten Reich" eine unheimliche Rolle. Die schlimmste Bedrohung für den Versuch, in Deutschland einen zivilisierten National- und Rechtsstaat zu etablieren, hat Max Planck schon in seinen Keimzuständen verabscheut - 1924 befragt, was die armen "Arier" gegen den wachsenden Einfluß der Juden in der Physik tun sollten, antwortete er lakonisch: "Auch auf den Hosenboden setzen und arbeiten". Es gab zu wenige von seiner Gesittung, die allein unter allen patriotischen Optionen die deutsche Misere des ewigen failed state in der Mitte Europas hätte beenden können.
Wieviel ins Lebensphilosophische gewendete politische Schwermut, resignativer Fortschrittszweifel und antizivilisatorischer Affekt sich aus vor- und kleindeutschen bis in republikanische Zeiten erhalten hatten, läßt sich in Karl von Meyenns überaus instruktiver Studie "Quantenmechanik und Weimarer Republik" von 1994 nachlesen, in der die Rolle Plancks in der wissenschaftlichen und kulturellen Öffentlichkeit der Weimarer Zeit als die eines ruhigen und sicheren Verfechters von Übersicht und Vernunft auch mit Originaldokumenten wie dem Aufsatz "Kausalgesetz und Willensfreiheit" erläutert und belegt wird.
Neben den Tondokumenten, die der Kölner supposé-Verlag jüngst in seiner wertvollen Reihe von Tonarchivmaterial aus der Physikgeschichte der Moderne unter dem Titel "Wissenschaft und Leben" publiziert hat, ist "Die Plancks" nun die erfreulichste und lehrreichste vertiefende Ergänzung zu von Meyenns Arbeit.
Astrid von Pufendorf, der die Auswertung des Nachlasses von Erwin Planck exklusiv obliegt, hat diesen umsichtig exzerpiert und behutsam kommentiert; die Dokumente, die Elisabeth zu Salm-Salm, eine Freundin von Erwin Plancks Witwe, bis zum Jahr 2000 besessen und dann der Staatsbibliothek Berlin übergeben hatte, sind Herzstücke in den Schicksalsarchiven einer nie ganz zustande gekommenen, stets aus politischen Gründen verfehlten deutschen bürgerlichen Epoche. Astrid von Pufendorf hat vor diesem Buch eine Biographie des letzten preußischen Finanzministers Erwin Klepper veröffentlicht; sie besitzt also einen klaren und differenzierten Begriff davon, was "Politik" im vorhitlerschen Deutschland gewesen ist. Dies kommt ihrem Porträt Erwin Plancks in vielerlei Hinsicht zugute: Daß ihr Werk keine Vorlage für menschelnde Fernsehspiele aus der bösen alten Zeit sein will, sondern eine kompakte, hochtransparente und faszinierende politische Monographie mit biographischem Schwerpunkt, macht schon der Prolog begreiflich, der den Mord am letzten Reichskanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher am 30. Juni 1934 rekonstruiert. Erwin Planck war unter diesem wie schon unter Franz von Papen Staatssekretär gewesen. Man kann, was jene Episode angeht, ohne Übertreibung vom historischen Schicksalsscharnier zwischen Demokratie und Diktatur sprechen; die Lehren, die sie erteilt, sind bitter: Mochten sich manche Konservative in den frühen dreißiger Jahren, ja selbst noch 1933 ausgerechnet haben, daß der Kettenhund Hitler gegen die Bolschewisten und andere Zusammenbruchsagenten im wirtschaftlich geschwächten und politisch destabilisierten Deutschland von der Leine gelassen werden mußte und man ihn nach der "Behebung der Not von Staat und Volk" wieder zurück ins Glied würde befehligen können - das Regiment, das da in kurzer Zeit aufgestellt und geführt wurde, inklusive Untaten wie die Ermordung von Schleichers, welcher den alten, brüchigen Weimarer Konservatismus mit all seinen heimlichen und offenen Anfälligkeiten für die autoritäre Versuchung geradezu mustergültig verkörpert hatte, ließ keine Zweifel darüber zu, daß die Nazis ganz andere Absichten hegten als ein Trupp ehrbarer Söldner, die sich für unpopuläre Maßnahmen mieten und wieder fortschicken lassen würden.
Von Schleichers Tod, so legt Astrid von Pufendorf überzeugend dar, hat Erwin Planck bewegt, sich dem bürgerlichen und adligen Widerstand anzuschließen, der neben dem linken zwar nicht der zahlreichere und auch kein besonders zeitiger, aber für die innere Stabilität des Regimes doch ein unkalkulierbar bedrohlicher war. Persönliche Operationsbasis für die lebensgefährliche Kundschafter- und Vernetzertätigkeit im Dienste des Widerstands, bei der Reisen, Kartenspiele, Trinkgelage und lange Gespräche eine wichtige und anstrengende Rolle spielten, war die Firma des Kölners Otto Wolff. Nach dessen Tod wurde Erwin Planck Geschäftsführer und väterlicher Freund des Erben Otto Wolff Junior. "Dein Weg", schreibt Max Planck dem Sohn im Dankesbrief für die Gratulation zum fünfundachtzigsten Geburstag 1943, "hat Dich über manche tiefe Schluchten geführt, aber dafür auch auf viele Höhepunkte, und zu diesen rechne ich in erster Linie Deine glückliche Ehe, auch eine Himmelsfügung, die gerade in der heutigen Zeit gar nicht allzu häufig anzutreffen ist."
Das Private als Kraftspender für ein erfülltes, auch öffentlich tätiges Leben: In diesem Feld schafft der Untertitel des Buches "Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand" mit seiner Einerseits-andererseits-Differenzformulierung unerwartet Raum für leise, berechtigte Zweifel an der aus vielen altbundesrepublikanischen und gegenwärtigen Sonntagsreden bekannten frommen Vorstellung, daß Leute, die sich als deutsche Patrioten verstanden, spätestens 1944 gar nicht anders konnten, als sich mit den Nationalsozialisten auf Leben und Tod anzulegen.
Die Wahrheit ist komplizierter; sie kommt in diesem Buch zu ihrem vollen Recht: Ein mächtiger patriotischer Finanzmann etwa habe, heißt es da einmal mit äußerst feiner Ironie, "zu spät erkannt", daß das "Engagement für Hitler ein Fehler gewesen" sei. So kann man das nennen - oder aber man übernimmt die volle Verantwortung als staatstragende Figur der Weimarer Zeit, sei es in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Wissenschaft, für das, was aus Deutschland nach 1933 wurde, und verabschiedet sich auch in der äußersten Finsternis nicht von den Lebenszusammenhängen, die einen dazu anhalten, sich als Bürger zu verstehen.
Dann kann man sagen, was Max Planck gesagt hat, der von der deutschen Schande so viel geahnt und gewußt hat wie jeder in vergleichbarer Stellung (und viele in schlechteren Positionen): "Es müssen schreckliche Dinge geschehen, wir haben schreckliche Dinge getan." Kausalgesetz und Willensfreiheit: Wir haben getan, was wir getan haben; deshalb ist mit uns geschehen, was geschah.
Astrid von Pufendorf: "Die Plancks". Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand. Propyläen Verlag, Berlin 2006. 500 S., 16 Fototafeln, geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Astrid von Pufendorf erzählt vom berühmten Physiker Max Planck und seinem Sohn Erwin, den die Nazis ermordeten / Von Dietmar Dath
Es muß dem Verantwortlichen eine besonders schmutzige Genugtuung gewesen sein, die Vollstreckung des Todesurteils gegen Max Plancks Sohn Erwin im Januar 1945 anzuordnen. Ob es nun, wie die Quellen zumindest nahelegen, Hitler persönlich oder ein untergeordneter Höllenfürst gewesen ist, der die Hoffnung auf eine Begnadigung des im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 Verhafteten zu lebenslangem Kerker endgültig erstickt hat - in jedem Fall ist Erwin Plancks Tod vor dem Hintergrund dessen, was die Nazis politisch, sozial und psychologisch waren, von abscheulichster Folgerichtigkeit; und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der Gründe, die diesem Justizmord entgegenstanden.
Nicht obwohl also, sondern gerade weil der Vater es fertiggebacht hatte, ohne falsche Besorgnis um die eigene Würde vor den Verbrechern auf die Knie zu fallen und um die Rettung von Erwins Leben zu bitten, hat der Henker schließlich seinen Befehl erhalten und ihn ausgeführt. Was der authentische Faschist am vornehmen Bürger haßt, ist die in dessen Ideal (wenn schon nicht immer in seiner Wirklichkeit) aufgehobene Vorstellung, daß berühmte und angesehene Menschen, zu denen er aufblicken kann, sich Ruhm und Ansehen mit Fleiß, Verstand und Tugend verdient haben müssen statt kraft des deutschen Blutes.
Das Ressentiment des verkrachten Künstlers aus dem Wiener Obdachlosenasyl, das sich nicht gegen die Klassengesellschaft als solche richtete, sondern gegen jene Honoratioren, von denen er ahnte, daß sie einen anderen Begriff von Begabung verkörperten als den barbarisch rassischen, machte Adolf Hitler zum vollkommenen Exekutor für den Haß militanter Hordenkleinbürger auf Leute wie den bedeutenden Wissenschaftler und seinen Sohn, den in der Weimarer Demokratie erfolgreichen, also geschickten und gescheiten Politiker. Wo man mit Forschen und Verhandeln weiter kommt als mit Gebrüll und Schlägen, sehen Nazis rot - der Name "Planck", der die Hand eines überlegteren Mörders hätte zögern lassen, muß ihnen fast so verhaßt gewesen sein wie ein jüdischer.
Daß die Familie, die diesen Haß erdulden mußte, in einem sehr altmodischen Sinn dieses Adelsprädikats aus feinen Leuten bestand, zeigt der Band "Die Plancks. Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand" noch deutlicher, als dies Leute, die mit der Geschichte der modernen Physik in Deutschland vertraut sind, bislang bereits wissen konnten. Erwins Mutter, seine zwei Schwestern und sein im Ersten Weltkrieg gefallener älterer Bruder Karl haben Hitlers Aufstieg nicht mehr erleben müssen. Der Begriff des "Schicksals" im Sinne eines Verhängnisses spielt in den Briefen und Dokumenten, die in "Die Plancks" vorgestellt und kontextualisiert werden, lange vor dem "Dritten Reich" eine unheimliche Rolle. Die schlimmste Bedrohung für den Versuch, in Deutschland einen zivilisierten National- und Rechtsstaat zu etablieren, hat Max Planck schon in seinen Keimzuständen verabscheut - 1924 befragt, was die armen "Arier" gegen den wachsenden Einfluß der Juden in der Physik tun sollten, antwortete er lakonisch: "Auch auf den Hosenboden setzen und arbeiten". Es gab zu wenige von seiner Gesittung, die allein unter allen patriotischen Optionen die deutsche Misere des ewigen failed state in der Mitte Europas hätte beenden können.
Wieviel ins Lebensphilosophische gewendete politische Schwermut, resignativer Fortschrittszweifel und antizivilisatorischer Affekt sich aus vor- und kleindeutschen bis in republikanische Zeiten erhalten hatten, läßt sich in Karl von Meyenns überaus instruktiver Studie "Quantenmechanik und Weimarer Republik" von 1994 nachlesen, in der die Rolle Plancks in der wissenschaftlichen und kulturellen Öffentlichkeit der Weimarer Zeit als die eines ruhigen und sicheren Verfechters von Übersicht und Vernunft auch mit Originaldokumenten wie dem Aufsatz "Kausalgesetz und Willensfreiheit" erläutert und belegt wird.
Neben den Tondokumenten, die der Kölner supposé-Verlag jüngst in seiner wertvollen Reihe von Tonarchivmaterial aus der Physikgeschichte der Moderne unter dem Titel "Wissenschaft und Leben" publiziert hat, ist "Die Plancks" nun die erfreulichste und lehrreichste vertiefende Ergänzung zu von Meyenns Arbeit.
Astrid von Pufendorf, der die Auswertung des Nachlasses von Erwin Planck exklusiv obliegt, hat diesen umsichtig exzerpiert und behutsam kommentiert; die Dokumente, die Elisabeth zu Salm-Salm, eine Freundin von Erwin Plancks Witwe, bis zum Jahr 2000 besessen und dann der Staatsbibliothek Berlin übergeben hatte, sind Herzstücke in den Schicksalsarchiven einer nie ganz zustande gekommenen, stets aus politischen Gründen verfehlten deutschen bürgerlichen Epoche. Astrid von Pufendorf hat vor diesem Buch eine Biographie des letzten preußischen Finanzministers Erwin Klepper veröffentlicht; sie besitzt also einen klaren und differenzierten Begriff davon, was "Politik" im vorhitlerschen Deutschland gewesen ist. Dies kommt ihrem Porträt Erwin Plancks in vielerlei Hinsicht zugute: Daß ihr Werk keine Vorlage für menschelnde Fernsehspiele aus der bösen alten Zeit sein will, sondern eine kompakte, hochtransparente und faszinierende politische Monographie mit biographischem Schwerpunkt, macht schon der Prolog begreiflich, der den Mord am letzten Reichskanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher am 30. Juni 1934 rekonstruiert. Erwin Planck war unter diesem wie schon unter Franz von Papen Staatssekretär gewesen. Man kann, was jene Episode angeht, ohne Übertreibung vom historischen Schicksalsscharnier zwischen Demokratie und Diktatur sprechen; die Lehren, die sie erteilt, sind bitter: Mochten sich manche Konservative in den frühen dreißiger Jahren, ja selbst noch 1933 ausgerechnet haben, daß der Kettenhund Hitler gegen die Bolschewisten und andere Zusammenbruchsagenten im wirtschaftlich geschwächten und politisch destabilisierten Deutschland von der Leine gelassen werden mußte und man ihn nach der "Behebung der Not von Staat und Volk" wieder zurück ins Glied würde befehligen können - das Regiment, das da in kurzer Zeit aufgestellt und geführt wurde, inklusive Untaten wie die Ermordung von Schleichers, welcher den alten, brüchigen Weimarer Konservatismus mit all seinen heimlichen und offenen Anfälligkeiten für die autoritäre Versuchung geradezu mustergültig verkörpert hatte, ließ keine Zweifel darüber zu, daß die Nazis ganz andere Absichten hegten als ein Trupp ehrbarer Söldner, die sich für unpopuläre Maßnahmen mieten und wieder fortschicken lassen würden.
Von Schleichers Tod, so legt Astrid von Pufendorf überzeugend dar, hat Erwin Planck bewegt, sich dem bürgerlichen und adligen Widerstand anzuschließen, der neben dem linken zwar nicht der zahlreichere und auch kein besonders zeitiger, aber für die innere Stabilität des Regimes doch ein unkalkulierbar bedrohlicher war. Persönliche Operationsbasis für die lebensgefährliche Kundschafter- und Vernetzertätigkeit im Dienste des Widerstands, bei der Reisen, Kartenspiele, Trinkgelage und lange Gespräche eine wichtige und anstrengende Rolle spielten, war die Firma des Kölners Otto Wolff. Nach dessen Tod wurde Erwin Planck Geschäftsführer und väterlicher Freund des Erben Otto Wolff Junior. "Dein Weg", schreibt Max Planck dem Sohn im Dankesbrief für die Gratulation zum fünfundachtzigsten Geburstag 1943, "hat Dich über manche tiefe Schluchten geführt, aber dafür auch auf viele Höhepunkte, und zu diesen rechne ich in erster Linie Deine glückliche Ehe, auch eine Himmelsfügung, die gerade in der heutigen Zeit gar nicht allzu häufig anzutreffen ist."
Das Private als Kraftspender für ein erfülltes, auch öffentlich tätiges Leben: In diesem Feld schafft der Untertitel des Buches "Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand" mit seiner Einerseits-andererseits-Differenzformulierung unerwartet Raum für leise, berechtigte Zweifel an der aus vielen altbundesrepublikanischen und gegenwärtigen Sonntagsreden bekannten frommen Vorstellung, daß Leute, die sich als deutsche Patrioten verstanden, spätestens 1944 gar nicht anders konnten, als sich mit den Nationalsozialisten auf Leben und Tod anzulegen.
Die Wahrheit ist komplizierter; sie kommt in diesem Buch zu ihrem vollen Recht: Ein mächtiger patriotischer Finanzmann etwa habe, heißt es da einmal mit äußerst feiner Ironie, "zu spät erkannt", daß das "Engagement für Hitler ein Fehler gewesen" sei. So kann man das nennen - oder aber man übernimmt die volle Verantwortung als staatstragende Figur der Weimarer Zeit, sei es in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Wissenschaft, für das, was aus Deutschland nach 1933 wurde, und verabschiedet sich auch in der äußersten Finsternis nicht von den Lebenszusammenhängen, die einen dazu anhalten, sich als Bürger zu verstehen.
Dann kann man sagen, was Max Planck gesagt hat, der von der deutschen Schande so viel geahnt und gewußt hat wie jeder in vergleichbarer Stellung (und viele in schlechteren Positionen): "Es müssen schreckliche Dinge geschehen, wir haben schreckliche Dinge getan." Kausalgesetz und Willensfreiheit: Wir haben getan, was wir getan haben; deshalb ist mit uns geschehen, was geschah.
Astrid von Pufendorf: "Die Plancks". Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand. Propyläen Verlag, Berlin 2006. 500 S., 16 Fototafeln, geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main