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Fünfzig Jahre nach der Wiederherstellung - nunmehr doppelter - deutscher Staatlichkeit und wenige Jahre nach der Begründung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem vereinigten Deutschland und dem demokratischen Polen drängt sich die Frage nach Grundmustern bundesdeutscher Polenpolitik auf. In kaum einer anderen Beziehung sind moralische und interessenpolitische Fragen so eng miteinander verwoben. Gab es ein Leitmotiv, das von der ersten Regierung Adenauer bis zur Regierung Kohl/Genscher das Regierungshandeln gegenüber dem östlichen Nachbarn unverändert beeinflußte? Welchen Einfluß…mehr

Produktbeschreibung
Fünfzig Jahre nach der Wiederherstellung - nunmehr doppelter - deutscher Staatlichkeit und wenige Jahre nach der Begründung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem vereinigten Deutschland und dem demokratischen Polen drängt sich die Frage nach Grundmustern bundesdeutscher Polenpolitik auf. In kaum einer anderen Beziehung sind moralische und interessenpolitische Fragen so eng miteinander verwoben. Gab es ein Leitmotiv, das von der ersten Regierung Adenauer bis zur Regierung Kohl/Genscher das Regierungshandeln gegenüber dem östlichen Nachbarn unverändert beeinflußte? Welchen Einfluß hatte das Polenbild der Kanzler auf die praktische Politik?
Die Studie sucht Antworten auf die Fragen nach den Charakteristika der einzelnen Phasen Bonner Polenpolitik. Die Akteure und Strukturen der Bonner Entscheidungszentren, die Einflüsse von gesellschaftlichen und politischen Gruppeninteressen, innenpolitische Motive und Rücksichten und das sich verändernde internationale Umfeld werden als Hintergründe für die Passivität der Bundesregierung in den ersten Jahren und für die zunehmende polenpolitische Bewegung seit den sechziger Jahren analysiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.1998

Der vernachlässigte Nachbar
Die Polenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: "Viel Interesse hat man nicht"

Dieter Bingen: Die Polenpolitik der Bonner Republik von Adenauer bis Kohl 1949-1991. Schriftenreihe des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Band 33. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998. 379 Seiten, 78,- Mark.

Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und "Volkstumskampf" im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920-1939 (Polacy i Niemcy miedzy wojnami). Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und der Generaldirektion der polnischen Staatsarchive von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowski. Texte und Materialien zur Zeitgeschichte, Band 9/1-2. 2 Halbbände. K. G. Saur Verlag, München 1997. 1156 Seiten mit einer Karte, 560,- Mark.

"Viel Interesse an Polen hat man am Rhein nicht", seufzte ein Führungsmitglied der polnischen kommunistischen Partei nach einem Besuch des SPD-Politikers Wischnewski in Warschau im Jahre 1973. "Wo ist eine Garantie für Polen, daß die Bundesrepublik ihm einen entsprechenden Platz in ihren auswärtigen Beziehungen einräumt, wenn die leidigen humanitären Probleme erst einmal geregelt sind?" Polen, Deutschlands zweitgrößtes, an Einwohnern zweitstärkstes - und wohl auch zweitwichtigstes? - Nachbarland, Polen also war für die alte Bundesrepublik ein sehr ferner Nachbar. Zwischen beiden lag der andere deutsche Staat, hing noch dazu der Eiserne Vorhang.

Vor dem Krieg gab es ein ungeteiltes Deutschland. Diesem Deutschland - so wurde es damals über alle Parteigrenzen hinweg empfunden - war das nach mehr als hundert Jahren als Staat wiedererstandene, ungeteilte Polen unangenehm nahe gerückt. Der neue Staat hatte sich von Deutschland Gebiete zurückgeholt, die er durch die Teilungen verloren hatte, in denen aber seit Jahrhunderten eine starke deutsche Minderheit lebte. Diese wurde von Deutschland in der Weimarer Zeit - ebenso wie dann unter dem Nationalsozialismus - als Brückenkopf und Vorposten im "Volkstumskampf" instrumentalisiert und nach Kräften, auch finanziell, unterstützt. Umgekehrt stützte auch die Regierung in Warschau die in Deutschland lebenden Polen, wenngleich nicht mit derart weitreichenden Hintergedanken.

Aufgrund ihrer politischen Bedeutung ist die Lage der beiden Minderheiten immer wieder untersucht worden. Jetzt haben deutsche und polnische Historiker eine Quellenedition vorgelegt, welche die weitere Arbeit erleichtern wird, auch wenn die hier veröffentlichten polnischen beziehungsweise deutschen Dokumente nur in der jeweiligen Originalsprache publiziert werden. In beiden Sprachen erscheinen einführende Texte der Herausgeber. Der Kieler Historiker Jaworski und sein Warschauer Kollege Wojciechowski, zugleich Leiter der polnischen Staatsarchive, schreiben darin von der Minderheitenfrage als "unüberwindlichem Dauerhindernis" für eine Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Die Quellen jedoch handeln nicht von der obersten, zwischenstaatlichen Ebene, die bereits vielfach untersucht wurde, sondern entstammen den Behörden - darunter auch Polizeidienststellen - in ausgewählten Regionen beiderseits der Grenze. Sie berühren einzelne Konflikte ebenso wie die Lage der Kirchen und der Schulen allgemein und lassen so die auf beiden Seiten herrschenden Einstellungen deutlich werden. Auf welch unheilvolle Weise die Lage an der Grenze manipuliert und instrumentalisiert werden konnte, zeigte der "polnische Überfall" auf den deutschen Sender Gleiwitz, den die Nationalsozialisten inszeniert hatten und der Hitler als Vorwand diente, "zurückzuschießen" und den Zweiten Weltkrieg zu eröffnen.

Da mutet es wie ein Fortschritt an, daß die Minderheitenfrage nach dem Weltkrieg nur mehr als "leidiges humanitäres Problem" betrachtet werden konnte. Doch sie war beileibe nicht die einzige Schwierigkeit für die Bonner Polenpolitik, die der Mitarbeiter des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, der Politologe Bingen, erstmals für den ganzen Zeitraum von 1949 bis 1991, bis zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags, untersucht hat. Das Buch Bingens, der zum Jahreswechsel die Leitung des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt übernehmen wird, ist auch in Polen (auf polnisch) erschienen. Dort hat im vergangenen Herbst zugleich der Deutschlandkenner Mieczyslaw Tomala das spiegelbildliche Gegenstück veröffentlicht, mit dem Titel "Patrzac na Niemcy. Od wrogosci do porozumienia 1945-1991" (Mit Blick auf Deutschland. Von der Feindschaft zur Verständigung).

Die kommunistische Volksrepublik Polen war, wie Bingen schreibt, für die westdeutsche Politik unter Adenauer zunächst einmal der "Vertreiberstaat", der deutsche Gebiete verwaltete; in zweiter Linie Opfer deutscher Aggression; ferner Mitglied eines feindlichen Blocks (wobei für Bonn jedoch Moskau und Ost-Berlin die wichtigsten Bezugspunkte waren); im übrigen auch - schon seit Ende der vierziger Jahre wieder - Handelspartner. Von einer normalen Nachbarschaft konnte nicht die Rede sein.

Doch über die Jahre änderte sich die Politik. Wenn der Historiker Klaus Zernack vom einstigen deutsch-russisch-österreichischen Konsens in der Frage der Unterdrückung Polens als "negativer Polenpolitik" gesprochen hat, so bringt Bingen den Begriff "positive Polenpolitik" ins Spiel und verfolgt die Entwicklung dieser Politik seit 1949. Viel Spielraum hatte sie nicht; die Abhängigkeit von der Blockkonfrontation und innenpolitischen Gegebenheiten - in Bonn hatte man die Belange der Vertriebenen zu berücksichtigen - und die Harmonisierung von "moralischer" Politik und Interessenpolitik, wie sie angesichts einer kommunistischen Diktatur nötig waren, bezeichneten die Grenzen des Möglichen.

Auf dem zuletzt genannten Feld wurde, wenn es um Aussiedlerzahlen und in Deutscher Mark zu beziffernde Gegenleistungen (der Bundesrepublik) ging, zeitweise ein unwürdiger Kuhhandel getrieben. Egon Bahr war als Bonner "Sonderbeauftragter" dabei. Es ist spannend zu lesen, wie er einerseits durch seine vertraulichen Kontakte nach Warschau Verstimmung im Bundeskabinett auslöste, andererseits, keineswegs in der Rolle des "Erfüllungspolitikers", "die Beherrschung" verlor, wie Bingen schreibt, als ihn ein Warschauer Unterhändler 1973 mit einer Wiedergutmachungsforderung über zehn Milliarden Mark konfrontierte. Bingen spricht für dieses Jahr allen Ernstes vom "Tiefpunkt in den Beziehungen beider Staaten" - und dabei waren es doch nur "leidige humanitäre Fragen".

Das Auf und Ab der Beziehungen zeichnet der Verfasser gut und ohne zu moralisieren nach. Den "angeblichen Dreiklang Adenauerscher Außen- und Verständigungspolitik: Versöhnung mit Frankreich, Wiedergutmachung am jüdischen Volk und dem Staat Israel und Verständigung mit Polen" hält er jedoch mehr für eine "schöne Mär" als für Realität. Bei allem Respekt Adenauers für das polnische Volk kommt Bingen zu dem Schluß: "Seine Ostpolitik blieb ganz auf Moskau fixiert." Sowohl zum polnischen Reformkommunismus von 1956 als auch zu den Exilpolen hielt man in Bonn Distanz.

Selbst die Bitte des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Fürst zu Löwenstein, sich mit dem in stalinistischer Zeit internierten polnischen Primas Wyszynski zu solidarisieren, wurde abgelehnt. Das geschah offenbar mit Rücksicht auf die deutschen Vertriebenen, wie aus den Akten des Auswärtigen Amtes hervorgeht, denn Wyszynski hatte sich für die Oder-Neiße-Grenze ausgesprochen.

Bingen verbirgt nicht, daß ihm eine Verbesserung der Beziehungen am Herzen lag und liegt. Wo er sich nicht nur hinter Zitaten versteckt, sondern urteilt, urteilt er fair. Auch der "neuen Ostpolitik" wird er gerecht, vermeidet eine Apologie ebenso wie die Verdammung in Bausch und Bogen. An dieser Stelle zitiert er Bahr, der in seinen Erinnerungen auf das Dilemma dieser Politik eingegangen ist und selbstkritisch Rückschau gehalten hat: "Wir haben (die freie polnische Gewerkschaft) Solidarnooec unterschätzt und nicht ernst genug genommen . . . Das tut mir leid." War es bei Adenauer weitgehend eine Nichtpolitik, so war es unter den SPD-geführten Bundesregierungen, schreibt Bingen, oft ein Sich-Verschanzen hinter dem vermeintlichen "Antagonismus von Realpolitik und idealistischer Politik", das die Bonner Haltung gegenüber Polen prägte.

1989 ist alles anders geworden. Polen hat sich selbst befreit, Ost-Berlin ist nicht mehr "Pankoff", Moskau hat den Schlüssel zur deutschen Frage abgegeben und an Gewicht verloren. Es gibt keine Deutschlandpolitik mehr, der die Polenpolitik untergeordnet werden müßte. Mit der Berliner Republik dürfte vieles anders werden, vor allem dürfte die deutsche Wahrnehmung sich ändern.

GERHARD GNAUCK

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