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WER DIE ATTISCHE DEMOKRATIE VERSTEHEN WILL, SOLLTE CHRISTIAN MEIERS MEISTERWERK ÜBER DIE GRIECHISCHE TRAGÖDIE LESEN
DIes ist ein Buch über Athen und die großen Tragödien, die dort im 5. Jahrhundert aufgeführt wurden. Der international renommierte Althistoriker Christian Meier liest sie unter der Fragestellung, welche Bedeutung ihnen zukam für die Bewältigung politischer und mentaler Probleme der attischen Bürgerschaft. Das vorliegende Werk - schon lange ein Klassiker der Altertumswissenschaft - hat der Autor erweitert und spätere Tragödien, zumal des Euripides, in die Betrachtung…mehr

Produktbeschreibung
WER DIE ATTISCHE DEMOKRATIE VERSTEHEN WILL, SOLLTE CHRISTIAN MEIERS MEISTERWERK ÜBER DIE GRIECHISCHE TRAGÖDIE LESEN

DIes ist ein Buch über Athen und die großen Tragödien, die dort im 5. Jahrhundert aufgeführt wurden. Der international renommierte Althistoriker Christian Meier liest sie unter der Fragestellung, welche Bedeutung ihnen zukam für die Bewältigung politischer und mentaler Probleme der attischen Bürgerschaft. Das vorliegende Werk - schon lange ein Klassiker der Altertumswissenschaft - hat der Autor erweitert und spätere Tragödien, zumal des Euripides, in die Betrachtung einbezogen, in denen sich am Ende alles zuspitzt auf die drohende Katastrophe Athens.

Die Tragödienaufführungen im Dionysostheater Athens waren eminent politisch. Wer sie besuchte, tat dies nicht der Ergötzung und des Zeitvertreibs wegen. 14 000 Menschen konnten dort erleben, wie Themen von hoher gesellschaftlicher Aktualität und Relevanz im Gewand des Dramas verhandelt wurden. Christian Meier hat seine Untersuchungen zu diesem konstitutiven Element athenischer Geschichte, Kultur und Religion weitergeführt und stellt seine neuen Ergebnisse in diesem Buch vor.
Zwar waren es Angehörige der athenischen Elite, die die Tragödien dichteten. Doch konnten sie sie an den breiten Schichten des athenischen Volkes «vorbeispielen» - deren fernes Echo folglich bei der Lektüre immer noch vernehmlich mitschwingt. So kreisen die Stücke denn um den kaum begreiflichen Sieg über die Perser, die Probleme nach dem Umbruch zur Demokratie, die Entkräftung des Herkommens, Verantwortung und Autonomie der Persönlichkeit, das große ambivalente Ausmaß menschlichen Könnens, die Vermessenheit Athens, schließlich die schwindenden Möglichkeiten politischer Kommunikation.
Autorenporträt
Christian Meier ist Professor em. für Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wurde vielfach mit Preisen und Auszeichnungen geehrt und ist Mitglied mehrerer Akademien. Im Verlag C.H.Beck ist von ihm lieferbar: "Von Athen bis Auschwitz. Betrachtungen zur Lage der Geschichte" (2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2022

Der hohe Mythos war zuletzt verschlissen

Verfall mit Euripides: Christian Meier legt sein wirkungsreiches Buch zur griechischen Tragödie in erweiterter Form neu vor.

Christian Meier ist vor bald fünfunddreißig Jahren mit "Die politische Kunst der griechischen Tragödie" Seltenes gelungen: Von Peter Steins Inszenierung der "Orestie" des Aischylos an der Berliner Schaubühne mit Jutta Lampe als Athena inspiriert, hat er einem breiten Publikum - wie schon zuvor in dem Bändchen "Politik und Anmut" - nahegebracht, warum die attische Tragödie keineswegs kultureller Überbau einer ansonsten von Ehre, Macht und Interesse befeuerten Politik war, warum die Athener vielmehr ihre alljährlichen Tragödienwettkämpfe wie die Luft zum Atmen brauchten, um mit den bedrängenden Herausforderungen fertigzuwerden, denen sie sich nach dem großen Perserkrieg in ihrer neuen Rolle als maritime Großmacht und als Selbstherrscher in ihrer Demokratie gegenübersahen. Politisch sei die Tragödie gewesen, weil sie die Athener dazu veranlasst habe, im Medium einer ästhetisch bezwingenden, zugleich religiös und rational berstend aufgeladenen Darstellung von zeitlich und räumlich weit entfernten Konflikten für sich selbst Orientierung zu gewinnen, nachdem angestammte Gewissheiten, Normen und Handlungsroutinen für das Zusammenleben und das kollektive Entscheiden nicht mehr trugen oder zumindest neu tariert werden mussten.

Kritiker aus der Klassischen Philologie hielten dem Autor vor, er huldige einer Kompensationstheorie oder pflege gar einen Kollektivismus, indem er die Tragödie als Antwort auf gesellschaftliche oder demokratische Kohärenzbedürfnisse verplatte. Doch diese Vorwürfe verfehlten die zugleich tastende und komplexe Argumentation des Buches.

Wenn Meier nunmehr eine erweiterte Neuausgabe vorlegt, so gewiss nicht als Reaktion auf die gräzistische Diskussion, von der nur eine einzige Rezension erwähnt wird. Vielmehr scheint die wiederholte Lektüre aller überlieferten Tragödien den Autor selbst zu einer differenzierenden Einschränkung bewogen zu haben: Nur die frühen Stücke, die Aischylos und Sophokles im Kontext des "Umbruchs zur Demokratie" in den 460er- und 450er-Jahren aufführten, zumal die herausragende "Orestie", seien im emphatischen Sinn politisch gewesen. Danach habe sich dieser Zusammenhang mehr und mehr verflüchtigt, seien das Bedürfnis der Orientierung durch die Bühne in all dem Neuen, seien vermutlich auch "die Probleme zwischen den Generationen erschlafft". Auf einer anderen Ebene lägen Anspielungen auf die aktuelle politische Situation, die Meier aber schon 1988 allenfalls am Rande interessierten: Er unterscheidet zwischen "Politischer Kunst" und politischen Themen.

Der Autor hat sein damaliges, inzwischen in mehrere Sprachen übersetztes Buch unverändert gelassen; statt der abschließenden Reflexion über den politischen Grund der griechischen Klassik gibt es nunmehr fortführend auf gut fünfzig Seiten Lektüren von damals - unter Zeitdruck - ausgeklammerten Stücken. Behandelt werden Sophokles' "König Ödipus" sowie sieben Tragödien des Euripides, Letztere allesamt aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges. Meiers Ton ist kantig, bisweilen gar ein wenig getrieben und unwillig, zu merken an der häufigen Unlust, Nebensätze in ein Satzgefüge einzubetten. Besonders Euripides scheint ihn zu enttäuschen. Gewiss, dessen Stücke enthalten politische Gegenstände; immer wieder wird der Krieg behandelt, hier und da klingt Athens Anspruch an, schon immer die besten Werte der Hellenen verteidigt zu haben. Doch im "Orest" spielt das Recht, zentrales Thema in der "Orestie" des Aischylos und der sophokleischen "Antigone", keine Rolle mehr; das lange Ende des Bühnengeschehens erhält gar das Etikett "Gangsterstück".

Der attischen Tragödie, wie Meier sie versteht, wird ein Niedergang, mindestens ein Auslaufen bescheinigt. Die fesselnde Deutung der "Orestie" und der frühen Sophokles-Stücke bleibt davon unberührt. Es waren wohl - das wird zumindest angedeutet - einfach die gewandelten Rahmenbedingungen, zumal für den gut eine Generation später schreibenden Euripides: Die großen Weichenstellungen - um altes und neues Recht, um die Macht des Stimmsteins oder den bezwingenden Charme wie die versöhnende Kraft des Wortes - waren längst erfolgt, die Bürgerschaft Athens hatte sich in ihren demokratischen Routinen eingerichtet, war vielleicht auch befangen in ihnen, lauerte doch in den Häusern ihrer inneren Feinde der gewaltsame Umsturz. Vielleicht deshalb war der hohe Mythos, einst geeignet, Grundsatzfragen und existenzielle Entscheidungen im richtigen Moment auf höchstem Niveau durchzuspielen, für Euripides oft nur noch Grundlage, um Menschen seiner Zeit, wie Jacob Burckhardt es fasste, "in aufgeregten Situationen sprechen zu lassen" - kaum anders als das "damalige allgemeine menschliche Raisonniren über göttliche und menschliche Dinge".

Man kannte einander, und der Sitznachbar im Theater konnte eine Woche später Gegner vor Gericht sein. Auch die seit dieser Zeit überlieferten Prozessreden vor den Schranken der Dikasterien zeichnen kein allzu schmeichelhaftes Bild der Bürger. Zur Diktion im "Orest" bemerkte der von Meier häufig zitierte Burckhardt, diese sei "sorgfältig aus der gewöhnlichen Rede zusammengelesen" und bilde nur noch "Tendenzbehauptungen aus der Zeit und Meinung des Dichters" ab. Bereits ein antiker Kritiker notierte, der "Orest" sei zwar bühnenwirksam, jedoch "außerordentlich schlecht durch die Charaktere; denn außer Pylades sind alle minderwertig".

Aus Erfahrung waren die Athener, mochten viele auch zeitweise einen Alkibiades verzweifelt wie den Retter ihrer Polis begrüßen, misstrauischer denn je gegen ihr Führungspersonal. Wieso hätte Euripides, der ja auch gegen die krassen Karikaturen der Komödie um die Aufmerksamkeit des Publikums zu ringen hatte, die Desillusionierung über die unentrinnbare Politik konterkarieren sollen? Nach Politischer Kunst sucht Meier also im "Orest" vergeblich, sieht jedoch zugleich die ganze Tragödie wie auch viele ihrer Schwestern auf die damalige Lage Athens bezogen: ein Krieg, der nicht müde macht, sondern nur verzweifelt und brutal, Bürger, die nicht mehr wissen, was gut und klug ist, alles voller Widersprüche und Wirklichkeitsverlust, wohl auch ein "Nachlassen des Diskursvermögens". Wenn in Sophokles' "König Ödipus" der Chor an einer Stelle frage, ob es noch angebracht sei, zu singen und zu tanzen, so scheine hier, im "Orest", eine ganze Tragödie von der Frage durchwirkt zu sein, "ob diese große Form noch Sinn hat". Der heutige Zustand des Theaters, die Vermutung sei erlaubt, dürfte Christian Meier keine optimistische Antwort nahelegen. UWE WALTER

Christian Meier: "Die politische Kunst der griechischen Tragödie".

C. H. Beck Verlag, München 2022. 285 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Uwe Walter liest die erweiterte Neuausgabe von Christian Meiers fast 35 Jahre altem Buch mit Gewinn. Wie der Autor darin erweist, dass die Athener ihre Tragödien wie Luft zum Atmen brauchten, wie er zugleich eigene Einschätzungen korrigiert und nurmehr noch die frühen Stücke von Aischylos und Sophokles als im strengen Sinn politisch erkennt, das hat für Walter Erkenntniswert. Zumal Meier weitere Stücke-Lektüren von damals hinzufügt. Mit Meiers "kantigem" Ton muss sich der Leser arrangieren, meint Walter. Die Deutung der "Orestie" und anderer Stücke ist weiterhin fesselnd, versichert er.

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