Die Entwürfe zu einer philosophischen Ethik kranken oft daran, daß ihre Umsetzung in die Anforderungen der Realpolitik zu einem Dilemma führt: Entweder wird das Ethische zum Verschwinden gebracht, oder das Politische gerät unethisch. Es scheint, als ob sich beide Bestrebungen nicht vereinbaren lassen.
In seinem neuen Buch unterzieht der bekannte und streitbare Philosoph Slavoj Zizek eine Reihe der in den letzten Jahren prominent gewordenen Ethiken einer fundamentalen Kritik: Er setzt sich mit den Entwürfen u. a. von Judith Butler, Frederic Jameson, Emmanuel Levinas, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, Michael Hardt/Antonio Negri und Jacques Ranciere auseinander und zeigt, wie das Politische das Ethische zu eliminieren droht. Gleichzeitig unternimmt er eine Standortbestimmung linken Denkens, das sich weder vom Bezug zur Realpolitik noch vom ethischen Anspruch trennen lassen möchte.
In seinem neuen Buch unterzieht der bekannte und streitbare Philosoph Slavoj Zizek eine Reihe der in den letzten Jahren prominent gewordenen Ethiken einer fundamentalen Kritik: Er setzt sich mit den Entwürfen u. a. von Judith Butler, Frederic Jameson, Emmanuel Levinas, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, Michael Hardt/Antonio Negri und Jacques Ranciere auseinander und zeigt, wie das Politische das Ethische zu eliminieren droht. Gleichzeitig unternimmt er eine Standortbestimmung linken Denkens, das sich weder vom Bezug zur Realpolitik noch vom ethischen Anspruch trennen lassen möchte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2005Das flotte Lob der Entsagung
Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek produziert in rascher Folge Bücher, die mit kräftigen Titeln Phantasie und Meinungswillen der Leser anregen. So war es bei "Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen", "Liebe Deinen Nächsten? Nein, Danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne" und "Willkommen in der Wüste des Realen". Angesichts von so viel Produktivität und medialer Präsenz versteht man das ehrfurchtsvolle Raunen um den intellektuellen Irrwisch, der auf allen Bühnen gleichzeitig sein Publikum unterhält. Seine Bücher, Aufsätze und Essays treibt ein politisches Motiv um, das er in zahllosen Variationen neu auflegt. Schmiegsame Zeitgeistdiagnose, durchgeführt am lebenden Objekt, ist seine Berufung, und jede zivilisatorische Wendung ist Zizek dafür recht. Der Leser darf insofern nicht zimperlich gegenüber betont vulgären Ausdrücken, Beispielen aus dem Unterschichtfernsehen und Details der in Vergessenheit geratenen Tamagotchis sein. Am Ende geht es darum, dem "System" die Maske herunterzureißen und seine Inhumanität bloßzustellen. Wobei die Angriffsziele wahlweise "Spätkapitalismus" oder avantgardistisch "Imperium" heißen.
Das hört sich in der Wiedergabe schärfer an, als es im Originalton ist. Tatsächlich kommt man nicht umhin, Zizek eine vorwärtsdrängende Unterhaltungsethik zu bescheinigen, die seinem Leser in kontinuierlichem Parlando stets etwas ankündigt, in der Ausführung überwiegend andeutet, kaum je aber zum gedanklichen Abschluß bringt. Man eilt der intellektuellen Klimax vermeintlich entgegen und findet doch nur ein Rauschen von bedeutenden Namen, verstörenden Filmszenen und zielgenau identifizierten technischen Innovationen, die Zizek auf ihre philosophische Bedeutung abklopft. So könnte sich seine neueste Publikation ("Die politische Suspension des Ethischen". Aus dem Englischen von Jens Hagestedt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 204 S., br., 10,- [Euro]) auch als die Antwort auf eine Quizaufgabe lesen: Bringen Sie in Ihrem Buch folgende Motive unter: Johnny Cashs "The man comes around", Selbstorganisation, Abu Ghraib, "Rumspringa", Analverkehr, Ende des Wohlfahrtsstaates, Charly Chaplins "Tramp", die zivilisatorische Restethik des Stalinismus sowie Robert Schumanns "Konzert ohne Orchester".
Indem Zizeks Gedankenstrom auch in diesem Buch von Station zu Station mäandert, versucht er mit erbitterter Konsequenz eine intellektuelle Konsequenz zu meiden. Dem Werk scheint kein wirklicher innerer Aufbau zugrunde zu liegen, die Abschnitte wären ebenso zwanglos auch an anderen Stellen als eher optische denn inhaltliche Zäsur anzubringen gewesen. Die regelmäßig gesetzten, programmatischen Zwischentitel ("Der liberale Schwindel"; "Juden, Christen und andere Monster") und vor allem der obligate Suhrkamp-Satz auf der Rückseite dürfen daher als wirkliche Verdienste des Verlags angesehen und in ihrem dramaturgischen Surplus nicht unterschätzt werden.
Wahrscheinlich gehört sogar der Buchtitel in diese Zutatenreihe. Denn um das Verhältnis von Ethik und Politik geht es in diesem Buch um so weniger, je höher man die Ansprüche an eine systematische Abhandlung eines Gegenstandes taxiert. Wem es ausreicht, daß immer wieder Schlaglichter auf dieses große Menschheitsproblem gesetzt werden, mag damit zufrieden sein. Dieser Leser wird sich damit begnügen oder seine Freude daran finden, daß Zizek Themen wie Menschenrechte, Ethik der Kriegführung und Multikulturalismus kursorisch anschneidet. Er wird den Duktus des Autors vielleicht schätzen und seine Assoziationsfähigkeit goutieren. Freilich ist dieser Leser niemand, der von einem Argument überzeugt werden will.
Wer hingegen von einem philosophischen Werk eine Ordnung der Gedanken erwartet, die auf ein diszipliniertes Vorgehen des Autors schließen läßt, läßt besser die Finger von dem Bändchen. Zizek liebt die Suggestion. Er hält sich nicht lange mit einer systematischen Beweisführung auf. In seinen Beispielen geriert er sich als kongenialer Vereinfacher. Spätestens hier wird er seine Leserschaft mit Deutungen polarisieren. Die Pointen laufen oft auf Paradoxien und Dialektik hinaus. Einige von ihnen haben Charme und Witz. Zizek deutet auf Wahlfreiheiten, die keine sind. Er analysiert die Rhetorik und Semantik politischer Topoi. Natürlich haben Werte wie gesellschaftliche Liberalität, die Betonung von universellen Menschenrechten ihre Kehrseiten, aber bei Zizek ist das in besonderer Schärfe und Spitzfindigkeit formuliert. Ob man ihm deswegen in seinen Tiraden gegen die "formalen demokratischen Spielregeln" folgen möchte und sich seinem Ruf nach "Ausbruch" und "Widerstand" anschließt, steht auf einem anderen Blatt.
Glücklicherweise ist das keine entscheidende Frage, weil selbst die gehäufte Nennung dieser Begriffe vage bleibt, so daß sich niemand als "couch potato" des Aufruhrs fühlen darf. Im Gegenteil erstrahlt über ihm womöglich das zizekianische Lob der "Entsagung". Im Zeitalter der Pseudoaktivität ist das wahrhaft Schwierige, so Zizek, der Rückzug. Das Verhältnis von Ethik und Politik bleibt also hinsichtlich der Verpflichtung des einzelnen zum politischen Engagement zweideutig. Zizeks Kritik des "verborgenen Konformismus" hält Selbstvergewisserung für alle Leser und Lager bereit.
MILOS VEC
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek produziert in rascher Folge Bücher, die mit kräftigen Titeln Phantasie und Meinungswillen der Leser anregen. So war es bei "Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen", "Liebe Deinen Nächsten? Nein, Danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne" und "Willkommen in der Wüste des Realen". Angesichts von so viel Produktivität und medialer Präsenz versteht man das ehrfurchtsvolle Raunen um den intellektuellen Irrwisch, der auf allen Bühnen gleichzeitig sein Publikum unterhält. Seine Bücher, Aufsätze und Essays treibt ein politisches Motiv um, das er in zahllosen Variationen neu auflegt. Schmiegsame Zeitgeistdiagnose, durchgeführt am lebenden Objekt, ist seine Berufung, und jede zivilisatorische Wendung ist Zizek dafür recht. Der Leser darf insofern nicht zimperlich gegenüber betont vulgären Ausdrücken, Beispielen aus dem Unterschichtfernsehen und Details der in Vergessenheit geratenen Tamagotchis sein. Am Ende geht es darum, dem "System" die Maske herunterzureißen und seine Inhumanität bloßzustellen. Wobei die Angriffsziele wahlweise "Spätkapitalismus" oder avantgardistisch "Imperium" heißen.
Das hört sich in der Wiedergabe schärfer an, als es im Originalton ist. Tatsächlich kommt man nicht umhin, Zizek eine vorwärtsdrängende Unterhaltungsethik zu bescheinigen, die seinem Leser in kontinuierlichem Parlando stets etwas ankündigt, in der Ausführung überwiegend andeutet, kaum je aber zum gedanklichen Abschluß bringt. Man eilt der intellektuellen Klimax vermeintlich entgegen und findet doch nur ein Rauschen von bedeutenden Namen, verstörenden Filmszenen und zielgenau identifizierten technischen Innovationen, die Zizek auf ihre philosophische Bedeutung abklopft. So könnte sich seine neueste Publikation ("Die politische Suspension des Ethischen". Aus dem Englischen von Jens Hagestedt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 204 S., br., 10,- [Euro]) auch als die Antwort auf eine Quizaufgabe lesen: Bringen Sie in Ihrem Buch folgende Motive unter: Johnny Cashs "The man comes around", Selbstorganisation, Abu Ghraib, "Rumspringa", Analverkehr, Ende des Wohlfahrtsstaates, Charly Chaplins "Tramp", die zivilisatorische Restethik des Stalinismus sowie Robert Schumanns "Konzert ohne Orchester".
Indem Zizeks Gedankenstrom auch in diesem Buch von Station zu Station mäandert, versucht er mit erbitterter Konsequenz eine intellektuelle Konsequenz zu meiden. Dem Werk scheint kein wirklicher innerer Aufbau zugrunde zu liegen, die Abschnitte wären ebenso zwanglos auch an anderen Stellen als eher optische denn inhaltliche Zäsur anzubringen gewesen. Die regelmäßig gesetzten, programmatischen Zwischentitel ("Der liberale Schwindel"; "Juden, Christen und andere Monster") und vor allem der obligate Suhrkamp-Satz auf der Rückseite dürfen daher als wirkliche Verdienste des Verlags angesehen und in ihrem dramaturgischen Surplus nicht unterschätzt werden.
Wahrscheinlich gehört sogar der Buchtitel in diese Zutatenreihe. Denn um das Verhältnis von Ethik und Politik geht es in diesem Buch um so weniger, je höher man die Ansprüche an eine systematische Abhandlung eines Gegenstandes taxiert. Wem es ausreicht, daß immer wieder Schlaglichter auf dieses große Menschheitsproblem gesetzt werden, mag damit zufrieden sein. Dieser Leser wird sich damit begnügen oder seine Freude daran finden, daß Zizek Themen wie Menschenrechte, Ethik der Kriegführung und Multikulturalismus kursorisch anschneidet. Er wird den Duktus des Autors vielleicht schätzen und seine Assoziationsfähigkeit goutieren. Freilich ist dieser Leser niemand, der von einem Argument überzeugt werden will.
Wer hingegen von einem philosophischen Werk eine Ordnung der Gedanken erwartet, die auf ein diszipliniertes Vorgehen des Autors schließen läßt, läßt besser die Finger von dem Bändchen. Zizek liebt die Suggestion. Er hält sich nicht lange mit einer systematischen Beweisführung auf. In seinen Beispielen geriert er sich als kongenialer Vereinfacher. Spätestens hier wird er seine Leserschaft mit Deutungen polarisieren. Die Pointen laufen oft auf Paradoxien und Dialektik hinaus. Einige von ihnen haben Charme und Witz. Zizek deutet auf Wahlfreiheiten, die keine sind. Er analysiert die Rhetorik und Semantik politischer Topoi. Natürlich haben Werte wie gesellschaftliche Liberalität, die Betonung von universellen Menschenrechten ihre Kehrseiten, aber bei Zizek ist das in besonderer Schärfe und Spitzfindigkeit formuliert. Ob man ihm deswegen in seinen Tiraden gegen die "formalen demokratischen Spielregeln" folgen möchte und sich seinem Ruf nach "Ausbruch" und "Widerstand" anschließt, steht auf einem anderen Blatt.
Glücklicherweise ist das keine entscheidende Frage, weil selbst die gehäufte Nennung dieser Begriffe vage bleibt, so daß sich niemand als "couch potato" des Aufruhrs fühlen darf. Im Gegenteil erstrahlt über ihm womöglich das zizekianische Lob der "Entsagung". Im Zeitalter der Pseudoaktivität ist das wahrhaft Schwierige, so Zizek, der Rückzug. Das Verhältnis von Ethik und Politik bleibt also hinsichtlich der Verpflichtung des einzelnen zum politischen Engagement zweideutig. Zizeks Kritik des "verborgenen Konformismus" hält Selbstvergewisserung für alle Leser und Lager bereit.
MILOS VEC
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Angesichts der enormen "Produktivität und medialen Präsenz" des slowenischen Philosophen und Psychoanalytikers Slavoj Zizek kann Rezensent Milos Vec das "ehrfurchtsvolle Raunen um den intellektuellen Irrwisch" durchaus nachvollziehen. Philosophisch überzeugen kann ihn Zizek allerdings weniger. Er attestiert dem Autor eine "vorwärtsdrängende Unterhaltungsethik", die dem Leser in kontinuierlichem Parlando stets etwas ankündige, dies aber kaum je zum gedanklichen Abschluss bringe. Vorliegendes Buch wirkt für Vec wie eine wilde Mixtur beliebter Zizek-Motive wie Johnny Cashs "The man comes around", Selbstorganisation, Abu Ghraib, Analverkehr, Ende des Wohlfahrtsstaates, Charly Chaplins "Tramp", die zivilisatorische Restethik des Stalinismus sowie Robert Schumanns "Konzert ohne Orchester". "Indem Zizeks Gedankenstrom auch in diesem Buch von Station zu Station mäandert", urteilt Vec, "versucht er mit erbitterter Konsequenz eine intellektuelle Konsequenz zu meiden". Statt einer Ordnung der Gedanken findet Vec bei Zizek Suggestion, Vereinfachung, polarisierende Deutungen, sowie Pointen, die oft auf Paradoxien und Dialektik hinauslaufen. Das hat zwar auch für Vec zuweilen "Charme und Witz". Seine Auffassung von Philosophie ist aber eine entschieden andere.
© Perlentaucher Medien GmbH
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