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Chicago, Ende der 30er-Jahre: In der Wohnung des gescheiterten Dichters Eustace Chisholm treffen Außenseiter und Exzentriker aufeinander. Der verschlossene Bergarbeiter und der engelsgleiche Jüngling, die nymphomane Malerin und der lebenshungrige Millionär - sie alle suchen in der Ruinenlandschaft der Weltwirtschaftskrise verzweifelt nach der erfüllten, der erlösenden Liebe.Als Purdys Kultroman Ende der 60er-Jahre erstmals erschien, sorgte das Buch für einen Skandal im New Yorker Literaturbetrieb. Inzwischen zählt Die Preisgabe zu den modernen Klassikern der amerikanischen Literatur.

Produktbeschreibung
Chicago, Ende der 30er-Jahre: In der Wohnung des gescheiterten Dichters Eustace Chisholm treffen Außenseiter und Exzentriker aufeinander. Der verschlossene Bergarbeiter und der engelsgleiche Jüngling, die nymphomane Malerin und der lebenshungrige Millionär - sie alle suchen in der Ruinenlandschaft der Weltwirtschaftskrise verzweifelt nach der erfüllten, der erlösenden Liebe.Als Purdys Kultroman Ende der 60er-Jahre erstmals erschien, sorgte das Buch für einen Skandal im New Yorker Literaturbetrieb. Inzwischen zählt Die Preisgabe zu den modernen Klassikern der amerikanischen Literatur.
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Autorenporträt
James Purdy (1914-2009) gilt seit seinen Romanen Malcolm (1959) und Der Neffe (1961) als "einer der größten Schriftsteller englischer Sprache" (New York Herald Tribune). Bedeutende Autoren wie Edward Albee und Gore Vidal, Thornton Wilder und Tennessee Williams schätzten und bewunderten ihn; seine kontrovers diskutierten Romane, Kurzgeschichten, Gedichte und Theaterstücke wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Purdy starb als vielfach ausgezeichneter Autor und erhielt unter anderem den Bill Whitehead Award für sein Lebenswerk und den Preis der American Academy of Arts and Letters.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2015

Hat unsereins eigentlich jemals ein bisschen Glück?

Wiederentdeckung eines amerikanischen Genies: James Purdys Roman "Die Preisgabe" erzählt mit der Wucht antiker Tragödien, aber drastisch modern von unkonventioneller Liebe im Chicago der dreißiger Jahre.

Die drei schönsten Wörter im amerikanischen Englisch sind nicht "I love you", sondern "authentic American genius". Selten war eine Wortfolge so treffend eingesetzt wie Gore Vidals Beschreibung des Schriftstellers James Purdy (1923 bis 2009) als "authentisches amerikanisches Genie". In Purdys Werk ist nichts gespielt oder aufgesetzt, jedes Wort sitzt, die Geschichten sind konsequent erzählt, jedes Bild ist klar, gereift und wunderschön. Purdys Werk ist uramerikanisch, voll Glanz und Verfall wie bei F. Scott Fitzgerald und ohne die chauvinistischen Posen Hemingways. Purdy ist so amerikanisch, weil seine Figuren vom amerikanischen Traum gemacht und zerstört werden. Und: Purdy ist tatsächlich ein Genie. Wo man auch in dem Werk aus 40 Romanen, Lyrikbänden und Dramen liest, sieht man, wie recht Vidal hatte, aber vielleicht nirgends so klar wie in dem endlich wieder aufgelegten Roman "Die Preisgabe".

Als er 1967 erschien, erregte der Roman Aufsehen wegen seiner zügellosen Sexualität. Das war zwei Jahre vor Philip Roths skandalträchtigem und herrlichem Buch "Portnoys Beschwerden", und doch sehen die einst Kopfschütteln erregenden Masturbationsphantasien Alexander Portnoys im Vergleich zu Purdys Roman heute aus wie Kinderspiele oder wie Fingerübungen.

Wie in seinem Roman "Malcolm" (1959) oder in dem ebenfalls im Bruno Gmünder Verlag als Neuauflage angekündigten "Der Gesang des Blutes" (1976) sind auch hier die Figuren verletzte Außenseiter: gescheiterte Künstler, Gauner oder Drifter. Und alle sind auf der Seite der Engel.

Im Chicago der "Wirtschaftsmisere" in den dreißiger Jahren, während der "Roosevelt-Schlamassel" alles tut, um der Gesellschaft den Optimismus des amerikanischen Traums einzutrichtern, reiht sich eine Gruppe Outsider um den erfolglosen Dichter Eustace Chisholm, und alle leiden sie an einem ganz eigenen amerikanischen Schlafentzug und kommen nicht zum Träumen. Eustace möchte nichts tun, als ein episches Gedicht zu schreiben - wegen Papiermangels auf Zeitungspapier -, aber er ist einfach ein hoffnungsloser Zuhörer. Er lauscht zum Beispiel Amos Ratcliffe, genannt Rat, der nichts Rattenhaftes hat, sondern engelschön ist und Eustace griechischen Sprachunterricht erteilt, damit er Pindar lesen kann. Die Lust, dem Land zu entfliehen, reicht also bis in die ästhetischen Neigungen.

Auch Amos ist ein Flüchtiger, von einem inzestuösen Verhältnis zu seiner Mutter auf dem Land in ein Chicago gekommen, das ihn zermartert, diesen "sehr sensiblen Jungen". Auch er ist ein Zuhörer und ein guter Freund. In einer der zahlreichen markerschütternden Szenen des Buches begleitet er die junge Maureen zu einer inoffiziellen Abtreibung, ihr "dritter oder vierter" Eingriff dieser Art. Auf der Treppe zum Arzt fragt Amos seine Bekannte: "Hat unsereins eigentlich jemals auch nur ein bisschen Glück?" Die folgende Szene ist zweifellos eine der schmerzvollsten der amerikanischen Literatur, und der Leser findet sehr schnell eine Antwort auf Amos' Frage an Maureen. Man folgt ihm durch ein versehrtes Leben und versteht, wie überlebenswichtig, aber auch wie schmerzhaft für ihn die Liebe ist: Er ist "krank vor Liebe" für seinen Vermieter, den "dreckigen früheren Grubenarbeiter" und früheren Soldaten Daniel Hawes. Daniel ist ein schöner, aber verhärmter Mann, vielleicht von indianischer Herkunft, sein Arm gebrandmarkt mit einem Tattoo der amerikanischen Flagge, sein Herz zerklüftet durch Einsamkeit. Purdy macht nie Aufhebens um Symbolismus, auch nicht, wenn Daniel freilich für alle Figuren des Romans steht, denn er schlafwandelt.

Jede Nacht kommt er in Amos' Zimmer und betrachtet ihn auf eine liebevolle und sehnsüchtige Weise, als liebte auch er ihn. Nur ist er am Morgen wieder der alte, harte Daniel. Aber auch Amos betrachtet Daniel, heimlich, wenn Daniel in einem Herrenklub arbeitet. Von draußen - "egal, ob es regnete oder schneite" - beobachtet Amos ihn: "So standen sie sich gegenüber, das Dunkel zwischen sich, aber nur Amos, draußen im unwirtlichen Novembersprühregen, begriff, was er sah. Daniel, der in die Schwärze hinausblickte und lediglich die Straßenlaterne wahrnahm, starrte wie später, wenn er schlafwandelte, den, den er liebte, mit blinden Augen an."

Vielleicht liebt auch Daniel; zeigen kann er es nicht. So konstruiert Purdy meisterhaft eine Geschichte des tragischen Verpassens und treibt Amos in die Arme des verlotterten Millionärs Reuben Masterson, der Amos alles geben will, was mit Geld zu kaufen ist. Die Liebe gehört bekanntlich nicht dazu, und während Amos von Daniel träumt, beginnt auch Daniel wieder zu träumen und erkennt, Amos war der Einzige, den er je geliebt hat. Die literarische Liebe ist immer auch eine Geschichte des Verfehlens, der Kontingenz und, wie hier, der Scham, gegen die Konvention zu leben: In der konservativen Prüderie der Zeit werden Daniel und Amos sich nicht wiederfinden. So flüchtet Daniel zurück in die ordnungstiftenden Ränge des Militärs und damit in seinen Untergang.

Die Außenseiter sind die interessantesten Menschen und auch die faszinierendsten Schriftsteller. Weil James Purdy niemals einem Trend folgte und weil die Kunst die Logik der Freiheit ist, folgen seine Erzählstränge immer ihren eigenen, aber nie holprig wirkenden Wegen. Mit klassizistischer Klarheit scheint dieser Roman gebaut, und doch ist er vollkommen modern. Was in einer dreckigen, lauten Stadt anfängt, die mit Straßenslang singt wie Bellows Chicago, endet in einer ruralen Landschaft des faulknerschen Südens, wo die Hitze die Düfte von Salz und Pinien aus dem Meer und dem Waldboden kocht und in der "unirdischen Stille" nur das "tiefe Summen von Insekten" zu hören ist.

Daniel schlafwandelt noch immer, nur sind seine Nachtgänge jetzt auch Andenken an Amos. Eines Nachts gerät er in den Schlafraum Captain Stadgers, eines von Selbsthass zerfressenen Soldaten, der sein sofortiges Verlangen nach Daniel umstürzt in reinsten Hass, "denn Daniel besaß etwas, wofür offenbar sowohl Amos wie der Captain anfällig waren - eine Art Vollkommenheit aus Fleisch und Blut, die zur Zerstörung aufreizt". Mit erbarmungsloser Intensität macht sich Stadger an Daniels Vernichtung und damit aus dem Roman eine Tragödie von griechischen Ausmaßen und biblischer Größe.

Bei allem Schmerz ist das Buch - wie alles, was Purdys Stift berührte - aber auch voll Humor und Güte, weil Purdys Außenseiter die Welt und ihre Menschen sehen, ohne zu verurteilen, so wie Purdy seine Figuren nie anders sah als voller Liebe. Dieser niederschmetternde, bedrückende wie berückende Roman ist ein bedeutendes Buch, auch und gerade in diesen neuerlich konservativen Zeiten, da manche meinen, anderen vorzuschreiben, wen sie nicht heiraten und wen sie lieben dürfen.

Ob es die Kategorien Homosexualität und Heterosexualität gebe, wurde Purdy einmal in einem Interview gefragt. Er gab eine sehr amerikanische Antwort, der wir, wo wir immer noch alles Amerikanische imitieren, lauschen sollten. "Nein", sagte er, das seien erlogene Kategorien der Kontrolle, denn: "In einer wetteifernden Gesellschaft ist das, was die Menschen am meisten fürchten, die Liebe." Noch einmal: authentisches - amerikanisches - Genie.

JAN WILM.

James Purdy: "Die Preisgabe". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Kai Molvig. Mit einem Essay von Jonathan Franzen. Verlag Bruno Gmünder, Berlin 2015. 288 S., geb., 22,99 [Euro].

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