Private Akteure mischen sich immer stärker direkt in die Weltpolitik ein. Häufig übernehmen transnationale Unternehmen (TNCs) und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) vormals staatliche Aufgaben. Bislang öffentliche Tätigkeits- und Handlungsfelder werden zunehmend kommerzialisiert. Diese "Privatisierung der Weltpolitik" ist ein widersprüchlicher, bislang kaum beachteter Aspekt der Globalisierung. Führt er zu größerer Beteiligung der Bürger oder zum Bedeutungszuwachs exklusiver Clubs?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2001Wenn das Bankkonto über die Politik regiert
Große Firmen nehmen als Sponsoren zunehmend Einfluss auf Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft
TANJA BRÜHL u.a: Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Dietz Verlag, Bonn 2001. 320 Seiten, 24,80 Mark.
Die UN-Klima-Konferenz von Rio de Janeiro markierte 1992 einen Wendepunkt in der internationalen Politik. Nicht etwa, weil sich die versammelte Staatengemeinschaft auf eine Klimakonvention verständigt hätte. Zu einem Wendepunkt ist Rio vielmehr geworden, weil dort erstmals private, nicht-staatliche Akteure in einen internationalen politischen Prozess einbezogen worden sind. „Seit dem Erdgipfel von Rio ist offenkundig, dass Weltpolitik längst nicht mehr nur eine Sache der durch Regierungen und internationale Organisationen vertretenen Staaten ist”, schreibt Hartwig Hummel in der Einleitung des vorliegenden Sammelbands.
Für das Verständnis der internationalen Politik bedeutet dies einen Paradigmenwechsel: Neben Staaten wird sie jetzt auch durch private Akteure beeinflusst, was sie zur Weltpolitik macht. Inzwischen aber, so die Überzeugung des fünfköpfigen Herausgeberteams, hat sich der Einfluss der privaten Akteure derart gesteigert, dass er die Existenz eben dieser Weltpolitik infrage stellt: Die Politik als öffentliche Angelegenheit endet dort, wo sie zur Privatangelegenheit wird.
Die These von der „Privatisierung der Weltpolitik” hat für die Herausgeber vom Verein „Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED)” eine zweifache Bedeutung: „Erstens die Entstaatlichung der Politik, indem Zwang und Verbindlichkeit durch freiwilliges Engagement ersetzt werden” und „zweitens die
Kommerzialisierung der Politik, die auf Rationalisierung durch Marktmechanismen und durch Orientierung am Eigennutz abzielt”. Elf internationalen Autoren wurde diese These zur kritischen und pointierten Diskussion vorgelegt. Herausgekommen sind Essays, die neben der Notwendigkeit und den Chancen einer „privatisierten” Weltpolitik vor allem die Gefahren für das Politische betonen.
Die UN und das Geld
Die Beiträge beschäftigen sich mit einigen wenig beachteten Aspekten der Globalisierung: dem Einfluss der Wirtschaft auf die UN, der Privatisierung des Gewaltmonopols oder auch der Menschenrechtspolitik. Wer Globalisierung sagt, meint in der Regel die Emanzipation der Wirtschaft von staatlichen Vorgaben. Übersehen wird, wie die Herausgeber betonen, dass „bislang öffentliche Tätigkeits- und Handlungsfelder zunehmend kommerzialisiert werden”.
Besonders signifikant sei dies im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols, schreibt der Politikwissenschaftler Peter Lock. Der Koordinator bei der „European Association für Research on Transformation” erkennt in der „privaten Aneignung polizeilicher und militärischer Aufgabenfelder” das Menetekel einer postmodernen Apartheid: Private Sicherheitsdienste verwandelten öffentliche Sicherheit in eine exklusive Ware. „In diesen Trend fügt sich, das der öffentliche Raum immer umfassender privatisiert wird”, schreibt Lock. Damit werde auch die „soziale Infrastruktur” zu einer Ware, die der kaufkräftigen Elite vorbehalten bleibe.
Ähnlich skeptisch bewerten die Privatisierung Phyllis Bennis, Direktorin des „New Internationalism Project” am Institut für „Policy Studies” in Washington, und James A. Paul, Geschäftsführer des „Global Policy Forum” in New York. Pauls Analyse des „Global Compact”, einer Partnerschaft zwischen der UN und multinationalen Konzernen, zeigt, dass dieser Compact nur der Wirtschaft nutzt. Generalsekretär Kofi Annan hatte die Partnerschaft 2000 aus der Taufe gehoben. Ziel war es, die Wirtschaft als Partner zu gewinnen und die Unternehmen zu „Wohlverhalten” in Umwelt- und Menschenrechtsfragen zu bewegen. Tatsächlich aber, so Paul, hätte sich die Wirtschaft jede Mitsprache der UN verbeten, während sie als Geldgeber direkten Einfluss auf UN-Projekte erhielt.
Die Macht der Spender
Am Beispiel der Milliarden-Spenden des Medienunternehmers Ted Turners zeigt Bennis, wie schnell die UN ihre Unabhängigkeit verlieren kann. Das Geld werde von der UN Foundation verwaltet, die – entgegen ihrem Namen – den Geldgebern, nicht aber der UN verantwortlich sei. Auf diese Weise bestimme ein privater Geldgeber die „Stärke und (Über-)Lebensfähigkeit von UN- Programmen”. Die Privatisierung der UN führe dazu, dass „nur die Unternehmensgewinne, nicht aber die Rechte der Natur, der Menschen und der Nationen zunehmen würden”, betont sie.
Derweil haben private Rating-Agenturen mit ihrem Einfluss auf Finanzmärkte und Politik die Weltpolitik längst dem „Marktdiktat” unterworfen, wie Ernst Hillebrand, Projektleiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigt.
Diese Agenturen bewerten verbindlich die wirtschaftliche Validität von Staaten und entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen ein Unternehmen in diesem Land investiert. Gerade für Schwellenländer sei dies, so Hillebrand, entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft. Bedenklich sei dabei, dass diese Agenturen keinerlei Kontrolle unterliegen und nur den Gesetzen des Markts folgen würden.
Gerade im Menschenrechtsbereich eröffne die Privatisierung aber auch Chancen, betont die Politologin Andrea Liese. Humanitäre Organisationen „erhöhen die Transparenz innerstaatlicher und internationaler Menschenrechtspolitik”. Dadurch erhöhten sie den Druck auf Staaten, die Menschenrechte missachten.
ANDREAS BOCK
Wer, wie der einstige CNN–Chef Ted Turner, der UN eine Milliarde Mark schenkt, der darf im Zweifel mehr, als Generalsekretär Kofi Annan die Hand schütteln – er darf mitreden.
Foto: Reuters
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Große Firmen nehmen als Sponsoren zunehmend Einfluss auf Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft
TANJA BRÜHL u.a: Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Dietz Verlag, Bonn 2001. 320 Seiten, 24,80 Mark.
Die UN-Klima-Konferenz von Rio de Janeiro markierte 1992 einen Wendepunkt in der internationalen Politik. Nicht etwa, weil sich die versammelte Staatengemeinschaft auf eine Klimakonvention verständigt hätte. Zu einem Wendepunkt ist Rio vielmehr geworden, weil dort erstmals private, nicht-staatliche Akteure in einen internationalen politischen Prozess einbezogen worden sind. „Seit dem Erdgipfel von Rio ist offenkundig, dass Weltpolitik längst nicht mehr nur eine Sache der durch Regierungen und internationale Organisationen vertretenen Staaten ist”, schreibt Hartwig Hummel in der Einleitung des vorliegenden Sammelbands.
Für das Verständnis der internationalen Politik bedeutet dies einen Paradigmenwechsel: Neben Staaten wird sie jetzt auch durch private Akteure beeinflusst, was sie zur Weltpolitik macht. Inzwischen aber, so die Überzeugung des fünfköpfigen Herausgeberteams, hat sich der Einfluss der privaten Akteure derart gesteigert, dass er die Existenz eben dieser Weltpolitik infrage stellt: Die Politik als öffentliche Angelegenheit endet dort, wo sie zur Privatangelegenheit wird.
Die These von der „Privatisierung der Weltpolitik” hat für die Herausgeber vom Verein „Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED)” eine zweifache Bedeutung: „Erstens die Entstaatlichung der Politik, indem Zwang und Verbindlichkeit durch freiwilliges Engagement ersetzt werden” und „zweitens die
Kommerzialisierung der Politik, die auf Rationalisierung durch Marktmechanismen und durch Orientierung am Eigennutz abzielt”. Elf internationalen Autoren wurde diese These zur kritischen und pointierten Diskussion vorgelegt. Herausgekommen sind Essays, die neben der Notwendigkeit und den Chancen einer „privatisierten” Weltpolitik vor allem die Gefahren für das Politische betonen.
Die UN und das Geld
Die Beiträge beschäftigen sich mit einigen wenig beachteten Aspekten der Globalisierung: dem Einfluss der Wirtschaft auf die UN, der Privatisierung des Gewaltmonopols oder auch der Menschenrechtspolitik. Wer Globalisierung sagt, meint in der Regel die Emanzipation der Wirtschaft von staatlichen Vorgaben. Übersehen wird, wie die Herausgeber betonen, dass „bislang öffentliche Tätigkeits- und Handlungsfelder zunehmend kommerzialisiert werden”.
Besonders signifikant sei dies im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols, schreibt der Politikwissenschaftler Peter Lock. Der Koordinator bei der „European Association für Research on Transformation” erkennt in der „privaten Aneignung polizeilicher und militärischer Aufgabenfelder” das Menetekel einer postmodernen Apartheid: Private Sicherheitsdienste verwandelten öffentliche Sicherheit in eine exklusive Ware. „In diesen Trend fügt sich, das der öffentliche Raum immer umfassender privatisiert wird”, schreibt Lock. Damit werde auch die „soziale Infrastruktur” zu einer Ware, die der kaufkräftigen Elite vorbehalten bleibe.
Ähnlich skeptisch bewerten die Privatisierung Phyllis Bennis, Direktorin des „New Internationalism Project” am Institut für „Policy Studies” in Washington, und James A. Paul, Geschäftsführer des „Global Policy Forum” in New York. Pauls Analyse des „Global Compact”, einer Partnerschaft zwischen der UN und multinationalen Konzernen, zeigt, dass dieser Compact nur der Wirtschaft nutzt. Generalsekretär Kofi Annan hatte die Partnerschaft 2000 aus der Taufe gehoben. Ziel war es, die Wirtschaft als Partner zu gewinnen und die Unternehmen zu „Wohlverhalten” in Umwelt- und Menschenrechtsfragen zu bewegen. Tatsächlich aber, so Paul, hätte sich die Wirtschaft jede Mitsprache der UN verbeten, während sie als Geldgeber direkten Einfluss auf UN-Projekte erhielt.
Die Macht der Spender
Am Beispiel der Milliarden-Spenden des Medienunternehmers Ted Turners zeigt Bennis, wie schnell die UN ihre Unabhängigkeit verlieren kann. Das Geld werde von der UN Foundation verwaltet, die – entgegen ihrem Namen – den Geldgebern, nicht aber der UN verantwortlich sei. Auf diese Weise bestimme ein privater Geldgeber die „Stärke und (Über-)Lebensfähigkeit von UN- Programmen”. Die Privatisierung der UN führe dazu, dass „nur die Unternehmensgewinne, nicht aber die Rechte der Natur, der Menschen und der Nationen zunehmen würden”, betont sie.
Derweil haben private Rating-Agenturen mit ihrem Einfluss auf Finanzmärkte und Politik die Weltpolitik längst dem „Marktdiktat” unterworfen, wie Ernst Hillebrand, Projektleiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigt.
Diese Agenturen bewerten verbindlich die wirtschaftliche Validität von Staaten und entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen ein Unternehmen in diesem Land investiert. Gerade für Schwellenländer sei dies, so Hillebrand, entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft. Bedenklich sei dabei, dass diese Agenturen keinerlei Kontrolle unterliegen und nur den Gesetzen des Markts folgen würden.
Gerade im Menschenrechtsbereich eröffne die Privatisierung aber auch Chancen, betont die Politologin Andrea Liese. Humanitäre Organisationen „erhöhen die Transparenz innerstaatlicher und internationaler Menschenrechtspolitik”. Dadurch erhöhten sie den Druck auf Staaten, die Menschenrechte missachten.
ANDREAS BOCK
Wer, wie der einstige CNN–Chef Ted Turner, der UN eine Milliarde Mark schenkt, der darf im Zweifel mehr, als Generalsekretär Kofi Annan die Hand schütteln – er darf mitreden.
Foto: Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In diesem Sammelband findet man Aufsätze, die sich kritisch mit den Implikationen der Globalisierung auseinandersetzen. Der Rezensent Andreas Bock stellt die Meinung der Verfasser dar, nach der die Klimakonferenz von Rio zu einem Paradigmenwechsel in der internationalen Politik geworden sei, nicht weil man sich dort zu einer Klimakonvention verständigt hätte, sondern weil nicht-staatliche Akteure in einen internationalen politischen Prozess miteinbezogen worden seien. Insgesamt sei der Ansatz der Essays globalisierungskritisch, fährt Bock fort, der sich freut, dass man hier auch von wenig beachteten Aspekten der Globalisierung erfährt. Dargestellt wird etwa, wie Sicherheit durch die Privatisierung von Sicherheitsdiensten immer mehr zu einer exklusiven Ware verwandelt wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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