Als 1771 der erste deutsche Frauenroman Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim zur Leipziger Messe erschien, machte er seine Verfasserin mit einem Schlag berühmt: Sophie von La Roche (1731-1807). Ihre Jugendliebe Wieland und Herder, Goethe, Lenz und Schiller bewunderten sie ebenso wie vor allem die Damen der Gesellschaft, später abonnierte Katharina die Große 500 Exemplare von Sophie von La Roches Zeitschrift Pomona.Dennoch war der glanzvolle Start der La Roche als Romanautorin vor allem der Beginn einer mühseligen, von Neid, Klatsch, Schicksalsschlägen und, nach dem Sturz ihres Mannes, ständigen Geldsorgen begleiteten Autorinnenkarriere.
In ihrem wunderschön geschriebenen Roman erzählt Renate Feyl die Geschichte der La Roche und ihrer literarischen Laufbahn, ihrer Lebensmaximen und Kämpfe, wobei der Detailreichtum über den Alltag der »Großmutter Brentanos«, über die Erziehung ihrer Kinder und ihrer Ehe, vor allem aber über die Besonderheiten des damaligen »Literaturbetriebs« fasziniert. Voll brillianter Seitenhiebe und lebenskluger Einsicht: die Geschichte einer bedeutenden Frau und das Gegenstück zu Idylle mit Professor, dem Roman über Victoria Gottsched.
In ihrem wunderschön geschriebenen Roman erzählt Renate Feyl die Geschichte der La Roche und ihrer literarischen Laufbahn, ihrer Lebensmaximen und Kämpfe, wobei der Detailreichtum über den Alltag der »Großmutter Brentanos«, über die Erziehung ihrer Kinder und ihrer Ehe, vor allem aber über die Besonderheiten des damaligen »Literaturbetriebs« fasziniert. Voll brillianter Seitenhiebe und lebenskluger Einsicht: die Geschichte einer bedeutenden Frau und das Gegenstück zu Idylle mit Professor, dem Roman über Victoria Gottsched.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.1996Wäschewoche chez La Roche
Renate Feyl erzählt von der guten Mutti der deutschen Literatur
Als die Frau des Geheimen Staatsrats und späteren Regierungskanzlers am kurtrierischen Hof in Koblenz, Sophie (von) La Roche, 1771 mit ihrem Briefroman "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" das Lesepublikum eroberte und zur ersten erfolgreichen Romanautorin Deutschlands wurde, gehörte ihr Mann, so berichtet Renate Feyl in ihrem Roman "Die profanen Stunden des Glücks", nicht zu den Lesern. Er pflegte auch später seiner Frau, die ihre schriftstellerische Tätigkeit den Pflichten der Repräsentation und eines Haushalts mit fünf Kindern abtrotzen mußte, zwar stolz die gerade erschienenen Rezensionen vorzulesen, aber sich nicht zur Lektüre der Bücher selbst herabzulassen. (Dabei war er ein freisinniger Mann, dessen "Briefen über das Mönchswesen" der Beifall aller aufgeklärten Geister gewiß sein konnte.) Und als Verdächtigungen und Intrigen seinen Sturz herbeigeführt hatten und er ohne Einkünfte war, fühlte er sich gleichwohl beschämt vom Wunsch seiner Frau, mit Büchern Geld zu verdienen.
Solch männlichem Stolz steht heute weibliche Selbstbehauptung gegenüber, und Frauen-Lebensläufe sind zu einer florierenden Literaturgattung geworden. Ganz der Frauenfrage hat sich Renate Feyl verschrieben - mit Buchtiteln wie "Sein ist das Weib - Denken der Mann", "Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft", "Idylle mit Professor". Der Gegenstand des neuen Romans ist glücklich gewählt, weil sich die Lebensgeschichte der Sophie La Roche mit den Biographien so vieler bedeutender literarischer Persönlichkeiten unmittelbar berührt: nennen wir nur Sophies Jugendliebe Wieland und die befreundeten Goethe, J. M. R. Lenz und Schiller, nicht zu vergessen die Enkelkinder Bettina und Clemens Brentano, die von Sophie, als ein Blutsturz nach der Geburt des zwölften Kindes ihre Tochter Maximiliane hinweggerafft hatte, in ihrem Offenbacher Haus erzogen wurden. Sophie von La Roche ist nichts Geringeres als die Stammmutter der deutschen Literatur um 1800.
Andererseits konnte sie nur eine Art weiblicher Johannes der Täufer sein. Die empfindsamen Seelen, die sie mit der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" in Schwingungen versetzt hatte, wurden erst drei Jahre später von Goethes "Leiden des jungen Werther" wirklich aufgewühlt, und fortan stand ihr Hauptwerk im Schatten des genialen Wurfs, der Weltsensation eines männlichen Genies.
Da Romanbiographien immer Zwitter sind, wechselseitige Kompromisse zwischen Historie und Phantasie, rechnet der Leser mit der Auffüllung von Lücken dort, wo die Quellenüberlieferung schweigt. Das gilt zumal für die Vorgänge des alltäglichen Lebens, die ja die rekonstruierte geschichtliche Person als Romanfigur erst konkret werden lassen. Erich Trunz' Dokumentation und Studie "Ein Tag aus Goethes Leben" (1990) demonstriert das Problem auf wissenschaftlicher Ebene. Ihr Erfolg deutet an, wie wir uns den Dichter erzählerisch dargestellt wünschen: nicht als bloßen geistigen Heros, als Schöpfer - dafür lesen wir besser die Werke selbst -, sondern als einen Menschen, der auch ißt und trinkt, genießt und schläft, der unter bestimmten Verhältnissen wohnt und reist - also als ganz gewöhnlichen Menschen, dessen Genie und Ruhm deshalb um so wunderbarer leuchten. Solchen Leser- und Darstellungsbedürfnissen kommt heute die historische Richtung der Alltagserforschung entgegen.
Und so besteht ein nicht geringer Reiz des Romans "Die profanen Stunden des Glücks" darin, daß wir auf unmerkliche Weise über zeitgenössische Lebensumstände belehrt werden: nicht nur über den Kummer der Schriftsteller mit Verlegern, Kritikern und Raubdrucken, sondern auch über das Inventar eines Hauses, über die Mahlzeiten und die Fleischpreise. Wir werden Zeugen einer "Wäschewoche" im Hause La Roche (mit mehreren Wäschern und mächtigem Trubel), folgen der Schriftstellerin auf ihren Kutschenfahrten - der geadelte La Roche darf vierspännig fahren - und auf ihren Reisen, bei denen immer wieder Chausseegeld entrichtet werden muß. (Der Leser sieht seinen gelegentlichen Ärger über Mautgebühren auf Autobahnen relativiert.)
Stilistisch-poetische Eleganz ist Renate Feyls Stärke nicht. Immerhin widerspricht die durchweg prosaische Darstellung nicht jener Profanität der "Stunden des Glücks", die der Titel ankündigt. Und mit seiner informativen Anschaulichkeit vermittelt der Roman ein vielfältiges Bild der literarischen und persönlichen Verknüpfungen, aus denen die größte Epoche unserer Literatur hervorging. Die Fahne des Feminismus schwingt Renate Feyl nicht, wohl aber erlaubt sie sich Solidarität mit ihrer Heldin. Daß der "Werther" dem "Fräulein von Sternheim" so eindeutig den Rang ablief, läßt sie den Autor büßen: Goethe und vor allem seine Mutter, die "Frau Rath" in Frankfurt, stehen ganz offensichtlich nicht in der Erzählerin Gunst. WALTER HINCK
Renate Feyl: "Die profanen Stunden des Glücks". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996. 272 S., geb. 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Renate Feyl erzählt von der guten Mutti der deutschen Literatur
Als die Frau des Geheimen Staatsrats und späteren Regierungskanzlers am kurtrierischen Hof in Koblenz, Sophie (von) La Roche, 1771 mit ihrem Briefroman "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" das Lesepublikum eroberte und zur ersten erfolgreichen Romanautorin Deutschlands wurde, gehörte ihr Mann, so berichtet Renate Feyl in ihrem Roman "Die profanen Stunden des Glücks", nicht zu den Lesern. Er pflegte auch später seiner Frau, die ihre schriftstellerische Tätigkeit den Pflichten der Repräsentation und eines Haushalts mit fünf Kindern abtrotzen mußte, zwar stolz die gerade erschienenen Rezensionen vorzulesen, aber sich nicht zur Lektüre der Bücher selbst herabzulassen. (Dabei war er ein freisinniger Mann, dessen "Briefen über das Mönchswesen" der Beifall aller aufgeklärten Geister gewiß sein konnte.) Und als Verdächtigungen und Intrigen seinen Sturz herbeigeführt hatten und er ohne Einkünfte war, fühlte er sich gleichwohl beschämt vom Wunsch seiner Frau, mit Büchern Geld zu verdienen.
Solch männlichem Stolz steht heute weibliche Selbstbehauptung gegenüber, und Frauen-Lebensläufe sind zu einer florierenden Literaturgattung geworden. Ganz der Frauenfrage hat sich Renate Feyl verschrieben - mit Buchtiteln wie "Sein ist das Weib - Denken der Mann", "Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft", "Idylle mit Professor". Der Gegenstand des neuen Romans ist glücklich gewählt, weil sich die Lebensgeschichte der Sophie La Roche mit den Biographien so vieler bedeutender literarischer Persönlichkeiten unmittelbar berührt: nennen wir nur Sophies Jugendliebe Wieland und die befreundeten Goethe, J. M. R. Lenz und Schiller, nicht zu vergessen die Enkelkinder Bettina und Clemens Brentano, die von Sophie, als ein Blutsturz nach der Geburt des zwölften Kindes ihre Tochter Maximiliane hinweggerafft hatte, in ihrem Offenbacher Haus erzogen wurden. Sophie von La Roche ist nichts Geringeres als die Stammmutter der deutschen Literatur um 1800.
Andererseits konnte sie nur eine Art weiblicher Johannes der Täufer sein. Die empfindsamen Seelen, die sie mit der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" in Schwingungen versetzt hatte, wurden erst drei Jahre später von Goethes "Leiden des jungen Werther" wirklich aufgewühlt, und fortan stand ihr Hauptwerk im Schatten des genialen Wurfs, der Weltsensation eines männlichen Genies.
Da Romanbiographien immer Zwitter sind, wechselseitige Kompromisse zwischen Historie und Phantasie, rechnet der Leser mit der Auffüllung von Lücken dort, wo die Quellenüberlieferung schweigt. Das gilt zumal für die Vorgänge des alltäglichen Lebens, die ja die rekonstruierte geschichtliche Person als Romanfigur erst konkret werden lassen. Erich Trunz' Dokumentation und Studie "Ein Tag aus Goethes Leben" (1990) demonstriert das Problem auf wissenschaftlicher Ebene. Ihr Erfolg deutet an, wie wir uns den Dichter erzählerisch dargestellt wünschen: nicht als bloßen geistigen Heros, als Schöpfer - dafür lesen wir besser die Werke selbst -, sondern als einen Menschen, der auch ißt und trinkt, genießt und schläft, der unter bestimmten Verhältnissen wohnt und reist - also als ganz gewöhnlichen Menschen, dessen Genie und Ruhm deshalb um so wunderbarer leuchten. Solchen Leser- und Darstellungsbedürfnissen kommt heute die historische Richtung der Alltagserforschung entgegen.
Und so besteht ein nicht geringer Reiz des Romans "Die profanen Stunden des Glücks" darin, daß wir auf unmerkliche Weise über zeitgenössische Lebensumstände belehrt werden: nicht nur über den Kummer der Schriftsteller mit Verlegern, Kritikern und Raubdrucken, sondern auch über das Inventar eines Hauses, über die Mahlzeiten und die Fleischpreise. Wir werden Zeugen einer "Wäschewoche" im Hause La Roche (mit mehreren Wäschern und mächtigem Trubel), folgen der Schriftstellerin auf ihren Kutschenfahrten - der geadelte La Roche darf vierspännig fahren - und auf ihren Reisen, bei denen immer wieder Chausseegeld entrichtet werden muß. (Der Leser sieht seinen gelegentlichen Ärger über Mautgebühren auf Autobahnen relativiert.)
Stilistisch-poetische Eleganz ist Renate Feyls Stärke nicht. Immerhin widerspricht die durchweg prosaische Darstellung nicht jener Profanität der "Stunden des Glücks", die der Titel ankündigt. Und mit seiner informativen Anschaulichkeit vermittelt der Roman ein vielfältiges Bild der literarischen und persönlichen Verknüpfungen, aus denen die größte Epoche unserer Literatur hervorging. Die Fahne des Feminismus schwingt Renate Feyl nicht, wohl aber erlaubt sie sich Solidarität mit ihrer Heldin. Daß der "Werther" dem "Fräulein von Sternheim" so eindeutig den Rang ablief, läßt sie den Autor büßen: Goethe und vor allem seine Mutter, die "Frau Rath" in Frankfurt, stehen ganz offensichtlich nicht in der Erzählerin Gunst. WALTER HINCK
Renate Feyl: "Die profanen Stunden des Glücks". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996. 272 S., geb. 38,- DM.
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»Das ist ein wunderbares Buch, und unter uns Freundinnen, die wir es schon gelesen haben, bereits so etwas wie ein Kultbuch.« Elke Heidenreich