Die "jüdische Weltverschwörung" dient bis auf den heutigen Tag als Erklärung für Kriege und Revolutionen, Wirtschaftskrisen und Börsenkräche, Terrorismus und Aids. Immer wieder laufen die Fäden bei einem Buch zusammen: den "Protokollen der Weisen von Zion". Der Geschichte dieser "Protokolle" ist Hadassa Ben-Itto in siebenjähriger Recherche auf den Grund gegangen. So ist ein Tatsachenbericht entstanden, der packender und spannender nicht erfunden werden könnte, obgleich der Stoff dafür wie geschaffen ist: Verschwörungen und Mord, Prinzessinnen und die russische Zarenfamilie, Geheimdienste und Großindustrielle - und ein rechtschaffener junger Anwalt, der es mit allen aufnimmt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.1999Verleumdungen vom Fließband
Auch Henry Ford druckte die Protokolle der Weisen von Zion nach
Das Jahr ist 1935. Ein deutscher Jude in der Berliner S-Bahn blättert voller Interesse im "Völkischen Beobachter". Kommt ein anderer Jude hinzu und fragt ihn entgeistert hinter vorgehaltener Hand: "Bist du völlig meschugge geworden? Wie kannst Du denn dieses Naziblatt lesen?" Entgegnet der erste: "Schau her, ist doch ganz einfach. Lese ich unsere jüdischen Zeitungen, erfahre ich nur, wie schlecht es uns geht. Jeden Tag ein neues antijüdisches Gesetz in Deutschland, Pogrome in Osteuropa, Gewalt in Palästina, selbst in Amerika läßt man uns nicht in Ruhe. Aus dem ,Völkischen Beobachter' erfahre ich, wie gut es uns geht: wir regieren die Welt, wir sind alle reich, wir halten alle zusammen. Nu, frag' ich dich, was ist besser zu lesen?"
Bei der Lektüre der hier besprochenen Bücher wird man unwillkürlich an diese bekannte Anekdote aus den dreißiger Jahren erinnert. Die vermeintliche Macht der Juden, ihr Zusammenhalt über Landesgrenzen und Anschauungsunterschiede hinweg sowie ihre internationalen Aspirationen sind Leitmotive der berüchtigten Fälschung, die unter dem Namen "Die Protokolle der Weisen von Zion" eine so unheilvolle Karriere machten. Wie Jeffrey Sammons am Anfang seiner hilfreichen Einführung zu dem kritisch kommentierten Text der Protokolle anmerkt, handelt es sich bei ihnen nicht um eine Fälschung im strengen Wortsinn: Fälschen nämlich heißt, etwas Echtes möglichst originalgetreu nachbilden, "aber im Falle der Protokolle gibt es kein Original, kein Echtes, das nachgemacht worden ist; sie sind eine glatte Erfindung". In der Tat haben diese vierundzwanzig "Verhandlungs-Berichte", die angebliche Reden am Rande des Ersten Zionistenkongresses 1897 in Basel aufzeichnen, nicht den leisesten Bezug zur Wirklichkeit. Sie bedienen sich jener klassischen Verschwörungsthese, der zufolge alle Übel der Welt auf einen einzigen Faktor zurückzuführen sind, in diesem Fall auf die Juden, die gleichzeitig als Kommunisten und Kapitalisten, religiöse Fanatiker und Atheisten dargestellt werden.
Die Geschichte jener folgenreichen Erfindung ist äußerst komplex. Ein erster Kern findet sich bezeichnenderweise in einem belletristischen Text, dem 1868 erschienenen Roman "Biarritz", verfaßt von dem ehemaligen Postbeamten und Mitbegründer der konservativen Kreuzzeitung Hermann Goedsche unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe. In einer etwa vierzig Seiten langen Textsequenz beschreibt Goedsche, der über enge Verbindungen zum preußischen Hof verfügte, ein Zusammentreffen von Abgesandten der zwölf Stämme Israels auf dem Prager Judenfriedhof. In dieser düsteren Szene berichten sie von dem Kampf der Juden gegen die Christen um die Weltherrschaft und beraten sich, wie sie das gesamte Gold der Welt in ihre Hände bekommen. Ein wenige Jahre vorher in Frankreich entstandener Text, Maurice Jolys "Höllengespräch zwischen Machiavelli und Montesquieu", bildete eine weitere Grundlage für den Autor der Protokolle. Über weite Strecken plagiierte er dieses Totengespräch, das sich mit Juden überhaupt nicht beschäftigt, und formte die heftige Kritik am französischen Kaiserreich Napoleons III. zu einem judenfeindlichen Inhalt um.
Antisemitischer Kaufrausch
Die eigentlichen Protokolle erschienen erstmals auf russisch in verkürzter Form, wahrscheinlich übersetzt aus einem verschollenen französischen Urtext, im Jahre 1903 in der Zeitschrift "Znamja" (das Banner). Ihr Herausgeber war der fanatische Antisemit Pawolatschi Kruschewan, der bereits vorher den blutigen Pogrom von Kischinew mitinszeniert hatte. Der Urtext für die meisten nachfolgenden Übersetzungen und Überarbeitungen wurde 1905 von dem religiösen Schwärmer Sergej Nilus publiziert. Die Urheber, die aus den Kreisen der russischen Geheimpolizei in Paris stammten, wollten den Zaren und einflußreiche Politiker zu einer offen judenfeindlichen Politik bewegen. Ihre eigentliche Wirkung sollten die Protokolle jedoch nicht in Rußland, sondern im Westen entfalten.
In Deutschland erschienen sie erstmals 1920, herausgegeben vom "Verband gegen die Überhebung des Judentums", und erreichten bis 1933 insgesamt 33 Auflagen. Daneben gab es andere Versionen, so etwa diejenige des berüchtigten Antisemiten Theodor Fritsch. Auch Alfred Rosenberg hat mit einem bereits 1923 erschienenen und später mehrfach neuaufgelegten Kommentar zu den Protokollen für deren Verbreitung gesorgt. Am höchsten war die Auflage in den zwanziger Jahren jedoch in den Vereinigten Staaten, wo sie in abgewandelter Form unter dem Titel "The International Jew: The World's Foremost Problem" eine halbe Million Abnehmer fanden. Als Herausgeber zeichnete kein Geringerer als der Autofabrikant Henry Ford, der in seiner Zeitung "The Dearborn Independent" schon zur Verbreitung antisemitischer Propaganda beigetragen hatte. Ford widerrief zwar bereits wenige Jahre später den von ihm verbreiteten Inhalt, doch inzwischen war der Schaden bereits angerichtet und seine Broschüre in zahlreiche Sprachen übersetzt worden.
Das wissenschaftliche Standardwerk zur Geschichte und Verbreitung der Protokolle von Norman Cohn ist nach seiner Erstauflage vor dreißig Jahren dankenswerterweise wieder in einer deutschen Neuauflage zu haben. Freilich sind seit dieser Pionierarbeit von 1967 einige neue Studien entstanden, die im Text unberücksichtigt blieben, was durch die ausführliche, von Michael Hagemeister kommentierte Bibliographie neuerer Forschungen im Anhang nur teilweise wettgemacht wurde. Daß der Autor den Text nicht noch einmal redigierte, mag verständlich sein, fraglich bleibt allerdings, warum der Verlag seine ursprünglichen, heute völlig veralteten bibliographischen Angaben zusätzlich zur neuen Bibliographie unverändert abdruckt. Auch das neue Vorwort von 1996 wiederholt in ganzen Passagen fast wörtlich die ursprünglichen Vorbemerkungen. Trotz dieser formalen Mängel der Neuauflage bleibt Cohns Werk grundlegende Lektüre für alle, die an der Geschichte des kaum vorstellbaren Erfolgs der Protokolle interessiert sind.
Bei allem Respekt vor Cohns Forschungsergebnissen muß man allerdings anmerken, daß er in seinem Eifer die Wirkungskraft der Protokolle überschätzt. Ihre Verbreitung trug und trägt zweifellos wie kein zweiter Text zur Herausbildung antisemitischer Stereotype bei und verleitete nicht wenige Leser zu Gewalttaten, doch ist es allzu vereinfachend, sie als ein Hauptmotiv für die russischen Pogrome oder den nationalsozialistischen Judenmord darzustellen, wie der englische Originaltext "Warrant for Genocide" nahelegt. Eher dienten sie als nachträgliche Rechtfertigung antisemitischer Gewalt oder, wie der amerikanische Historiker Richard S. Levy in einem bisher leider nur auf englisch vorliegenden Beitrag schreibt, als Entschuldigung der Untätigkeit.
Höllischer Applaus
Die Entlarvung der Protokolle als Fälschung oder, besser, als Fiktion ist fast so alt wie die Protokolle selbst. So hatten die russischen Urheber wenig Erfolg mit ihrem Bemühen, offizielle Kreise von der Echtheit der Protokolle zu überzeugen, und der Zar selbst betrachtete sie als Fälschung. Der spektakulärste Gerichtsprozeß um die Echtheit der Protokolle fand 1934/35 vor einem Berner Gericht statt und endete mit der Verurteilung von zwei schweizerischen Nationalsozialisten, die sich um die Verbreitung der Protokolle bemüht hatten. Dieser Prozeß, vor einigen Jahren bereits von Urs Lüthi in einer Monographie behandelt, ist das Thema des Buches von Hadassa Ben-Itto, die bis zu ihrer Pensionierung Richterin in Israel war und heute Präsidentin der internationalen Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen ist. Die persönliche Konfrontation mit der Langlebigkeit der Protokolle war für sie Ursache, nach einer langen Karriere als Juristin das vorliegende Buch zu verfassen. Bei internationalen Tagungen, so erinnert sie sich, wurde ihr immer wieder die jüdische Weltverschwörung vorgehalten, mitunter mit Bewunderung für das jüdische Machtkalkül, der sie bei einer Delegation japanischer Wissenschaftler begegnete, dann wieder mit deutlicher Abscheu wie bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen 1965, bei der ein arabischer Kollege sie als "Abgeordnete der Weisen von Zion" bezeichnete.
Ben-Itto legt kein wissenschaftliches Werk vor, sondern bereitet in ihren eigenen Worten "die Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion für Leser auf, die wissen wollen, was wirklich geschehen ist, ohne daß sie komplizierte wissenschaftliche Literatur lesen und sich durch Fußnoten kämpfen müssen". In der Tat stört kein wissenschaftlicher Apparat den Leser, was freilich immer dann zum Problem wird, wenn man wissen möchte, ob es sich bei den jeweiligen Zitaten um Originalauszüge aus den von der Autorin gründlich studierten Quellen oder um eigene belletristische Zugaben handelt. Denn abgesehen von dem Wetter, daß in Bern während der zahlreichen Verhandlungstage herrscht, erfahren die Leser auch, was die Prozeßbeteiligten dachten und wann sie ihre Brillengläser putzten. Auch ohne Fußnoten hätte man Fehler vermeiden können, so etwa, wenn Johann Andreas Eisenmengers berüchtigtes antisemitisches Werk "Entdecktes Judentum" als "Der demaskierte Judaismus" eines "gewissen Isenberger" vorgestellt wird. Dabei liest sich die Rekonstruktion des Prozesses streckenweise durchaus spannend, hat sich die Autorin doch viel Mühe gegeben, sich in die Psyche der einzelnen Beteiligten hineinzuversetzen, und auch eine Reihe vorher nicht ausgewerteter Gerichtsakten studieren können. Hätte sie das Werk von vornherein als einen historischen Roman ausgegeben, der nicht den Anspruch stellt, wiederzugeben, "was wirklich geschehen ist", so wäre der an historischer Genauigkeit interessierte Leser weniger frustriert geblieben.
Zu denken geben sollte die Tatsache, daß seit der Schoah bereits mehr als siebzig Neuauflagen der Protokolle in allen Teilen der Welt erschienen, unterstützt vom sowjetischen Geheimdienst und arabischen Staatsmännern wie dem ägyptischen Präsidenten Nasser und dem libyschen Diktator Gaddafi. Vor einigen Monaten sprach der malaysische Staatspräsident von einer jüdischen Weltverschwörung, und der radikale Prediger Louis Farrakhan hat solche Theorien zusätzlich gewürzt, indem er die These aufstellte, jüdische Ärzte hätten gezielt den Aids-Virus unter schwarzen Amerikanern in Umlauf gebracht. Staaten, in denen man es nicht vermuten würde, wie Japan und Argentinien, gehören heute zu den Ländern mit der größten Verbreitung dieses Machwerks. Jeffrey Sammons hat wohl leider recht, wenn er schreibt, daß die Protokolle "nicht als etwas Antiquarisches angesehen werden" dürfen. Und so werden sich auch lange nach der Berner Gerichtsentscheidung noch gescheite, gesunde und vernünftige Leute darüber ihre Köpfe zerbrechen müssen, Bücher und Rezensionen lesen oder auch schreiben über jenen lächerlichen Unsinn, der so viel Unheil angerichtet hat. MICHAEL BRENNER
Jeffrey L. Sammons (Hrsg.): "Die Protokolle der Weisen von Zion". Die Grundlage des modernen Antisemitismus - eine Fälschung. Text und Kommentar. Wallstein Verlag, Göttingen 1998. 128 S., br., 29,- DM.
Norman Cohn: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Aus dem Englischen von Karl Röhmer. Mit einer kommentierten Bibliographie von Michael Hagemeister. Elster Verlag, Zürich 1998. 347 S., geb., 48,- DM.
Hadassa Ben-Itto: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Anatomie einer Fälschung. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger und Juliane Lochner. Aufbau Verlag, Berlin 1998. 419 S., geb., 49,90 DM.
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Auch Henry Ford druckte die Protokolle der Weisen von Zion nach
Das Jahr ist 1935. Ein deutscher Jude in der Berliner S-Bahn blättert voller Interesse im "Völkischen Beobachter". Kommt ein anderer Jude hinzu und fragt ihn entgeistert hinter vorgehaltener Hand: "Bist du völlig meschugge geworden? Wie kannst Du denn dieses Naziblatt lesen?" Entgegnet der erste: "Schau her, ist doch ganz einfach. Lese ich unsere jüdischen Zeitungen, erfahre ich nur, wie schlecht es uns geht. Jeden Tag ein neues antijüdisches Gesetz in Deutschland, Pogrome in Osteuropa, Gewalt in Palästina, selbst in Amerika läßt man uns nicht in Ruhe. Aus dem ,Völkischen Beobachter' erfahre ich, wie gut es uns geht: wir regieren die Welt, wir sind alle reich, wir halten alle zusammen. Nu, frag' ich dich, was ist besser zu lesen?"
Bei der Lektüre der hier besprochenen Bücher wird man unwillkürlich an diese bekannte Anekdote aus den dreißiger Jahren erinnert. Die vermeintliche Macht der Juden, ihr Zusammenhalt über Landesgrenzen und Anschauungsunterschiede hinweg sowie ihre internationalen Aspirationen sind Leitmotive der berüchtigten Fälschung, die unter dem Namen "Die Protokolle der Weisen von Zion" eine so unheilvolle Karriere machten. Wie Jeffrey Sammons am Anfang seiner hilfreichen Einführung zu dem kritisch kommentierten Text der Protokolle anmerkt, handelt es sich bei ihnen nicht um eine Fälschung im strengen Wortsinn: Fälschen nämlich heißt, etwas Echtes möglichst originalgetreu nachbilden, "aber im Falle der Protokolle gibt es kein Original, kein Echtes, das nachgemacht worden ist; sie sind eine glatte Erfindung". In der Tat haben diese vierundzwanzig "Verhandlungs-Berichte", die angebliche Reden am Rande des Ersten Zionistenkongresses 1897 in Basel aufzeichnen, nicht den leisesten Bezug zur Wirklichkeit. Sie bedienen sich jener klassischen Verschwörungsthese, der zufolge alle Übel der Welt auf einen einzigen Faktor zurückzuführen sind, in diesem Fall auf die Juden, die gleichzeitig als Kommunisten und Kapitalisten, religiöse Fanatiker und Atheisten dargestellt werden.
Die Geschichte jener folgenreichen Erfindung ist äußerst komplex. Ein erster Kern findet sich bezeichnenderweise in einem belletristischen Text, dem 1868 erschienenen Roman "Biarritz", verfaßt von dem ehemaligen Postbeamten und Mitbegründer der konservativen Kreuzzeitung Hermann Goedsche unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe. In einer etwa vierzig Seiten langen Textsequenz beschreibt Goedsche, der über enge Verbindungen zum preußischen Hof verfügte, ein Zusammentreffen von Abgesandten der zwölf Stämme Israels auf dem Prager Judenfriedhof. In dieser düsteren Szene berichten sie von dem Kampf der Juden gegen die Christen um die Weltherrschaft und beraten sich, wie sie das gesamte Gold der Welt in ihre Hände bekommen. Ein wenige Jahre vorher in Frankreich entstandener Text, Maurice Jolys "Höllengespräch zwischen Machiavelli und Montesquieu", bildete eine weitere Grundlage für den Autor der Protokolle. Über weite Strecken plagiierte er dieses Totengespräch, das sich mit Juden überhaupt nicht beschäftigt, und formte die heftige Kritik am französischen Kaiserreich Napoleons III. zu einem judenfeindlichen Inhalt um.
Antisemitischer Kaufrausch
Die eigentlichen Protokolle erschienen erstmals auf russisch in verkürzter Form, wahrscheinlich übersetzt aus einem verschollenen französischen Urtext, im Jahre 1903 in der Zeitschrift "Znamja" (das Banner). Ihr Herausgeber war der fanatische Antisemit Pawolatschi Kruschewan, der bereits vorher den blutigen Pogrom von Kischinew mitinszeniert hatte. Der Urtext für die meisten nachfolgenden Übersetzungen und Überarbeitungen wurde 1905 von dem religiösen Schwärmer Sergej Nilus publiziert. Die Urheber, die aus den Kreisen der russischen Geheimpolizei in Paris stammten, wollten den Zaren und einflußreiche Politiker zu einer offen judenfeindlichen Politik bewegen. Ihre eigentliche Wirkung sollten die Protokolle jedoch nicht in Rußland, sondern im Westen entfalten.
In Deutschland erschienen sie erstmals 1920, herausgegeben vom "Verband gegen die Überhebung des Judentums", und erreichten bis 1933 insgesamt 33 Auflagen. Daneben gab es andere Versionen, so etwa diejenige des berüchtigten Antisemiten Theodor Fritsch. Auch Alfred Rosenberg hat mit einem bereits 1923 erschienenen und später mehrfach neuaufgelegten Kommentar zu den Protokollen für deren Verbreitung gesorgt. Am höchsten war die Auflage in den zwanziger Jahren jedoch in den Vereinigten Staaten, wo sie in abgewandelter Form unter dem Titel "The International Jew: The World's Foremost Problem" eine halbe Million Abnehmer fanden. Als Herausgeber zeichnete kein Geringerer als der Autofabrikant Henry Ford, der in seiner Zeitung "The Dearborn Independent" schon zur Verbreitung antisemitischer Propaganda beigetragen hatte. Ford widerrief zwar bereits wenige Jahre später den von ihm verbreiteten Inhalt, doch inzwischen war der Schaden bereits angerichtet und seine Broschüre in zahlreiche Sprachen übersetzt worden.
Das wissenschaftliche Standardwerk zur Geschichte und Verbreitung der Protokolle von Norman Cohn ist nach seiner Erstauflage vor dreißig Jahren dankenswerterweise wieder in einer deutschen Neuauflage zu haben. Freilich sind seit dieser Pionierarbeit von 1967 einige neue Studien entstanden, die im Text unberücksichtigt blieben, was durch die ausführliche, von Michael Hagemeister kommentierte Bibliographie neuerer Forschungen im Anhang nur teilweise wettgemacht wurde. Daß der Autor den Text nicht noch einmal redigierte, mag verständlich sein, fraglich bleibt allerdings, warum der Verlag seine ursprünglichen, heute völlig veralteten bibliographischen Angaben zusätzlich zur neuen Bibliographie unverändert abdruckt. Auch das neue Vorwort von 1996 wiederholt in ganzen Passagen fast wörtlich die ursprünglichen Vorbemerkungen. Trotz dieser formalen Mängel der Neuauflage bleibt Cohns Werk grundlegende Lektüre für alle, die an der Geschichte des kaum vorstellbaren Erfolgs der Protokolle interessiert sind.
Bei allem Respekt vor Cohns Forschungsergebnissen muß man allerdings anmerken, daß er in seinem Eifer die Wirkungskraft der Protokolle überschätzt. Ihre Verbreitung trug und trägt zweifellos wie kein zweiter Text zur Herausbildung antisemitischer Stereotype bei und verleitete nicht wenige Leser zu Gewalttaten, doch ist es allzu vereinfachend, sie als ein Hauptmotiv für die russischen Pogrome oder den nationalsozialistischen Judenmord darzustellen, wie der englische Originaltext "Warrant for Genocide" nahelegt. Eher dienten sie als nachträgliche Rechtfertigung antisemitischer Gewalt oder, wie der amerikanische Historiker Richard S. Levy in einem bisher leider nur auf englisch vorliegenden Beitrag schreibt, als Entschuldigung der Untätigkeit.
Höllischer Applaus
Die Entlarvung der Protokolle als Fälschung oder, besser, als Fiktion ist fast so alt wie die Protokolle selbst. So hatten die russischen Urheber wenig Erfolg mit ihrem Bemühen, offizielle Kreise von der Echtheit der Protokolle zu überzeugen, und der Zar selbst betrachtete sie als Fälschung. Der spektakulärste Gerichtsprozeß um die Echtheit der Protokolle fand 1934/35 vor einem Berner Gericht statt und endete mit der Verurteilung von zwei schweizerischen Nationalsozialisten, die sich um die Verbreitung der Protokolle bemüht hatten. Dieser Prozeß, vor einigen Jahren bereits von Urs Lüthi in einer Monographie behandelt, ist das Thema des Buches von Hadassa Ben-Itto, die bis zu ihrer Pensionierung Richterin in Israel war und heute Präsidentin der internationalen Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen ist. Die persönliche Konfrontation mit der Langlebigkeit der Protokolle war für sie Ursache, nach einer langen Karriere als Juristin das vorliegende Buch zu verfassen. Bei internationalen Tagungen, so erinnert sie sich, wurde ihr immer wieder die jüdische Weltverschwörung vorgehalten, mitunter mit Bewunderung für das jüdische Machtkalkül, der sie bei einer Delegation japanischer Wissenschaftler begegnete, dann wieder mit deutlicher Abscheu wie bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen 1965, bei der ein arabischer Kollege sie als "Abgeordnete der Weisen von Zion" bezeichnete.
Ben-Itto legt kein wissenschaftliches Werk vor, sondern bereitet in ihren eigenen Worten "die Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion für Leser auf, die wissen wollen, was wirklich geschehen ist, ohne daß sie komplizierte wissenschaftliche Literatur lesen und sich durch Fußnoten kämpfen müssen". In der Tat stört kein wissenschaftlicher Apparat den Leser, was freilich immer dann zum Problem wird, wenn man wissen möchte, ob es sich bei den jeweiligen Zitaten um Originalauszüge aus den von der Autorin gründlich studierten Quellen oder um eigene belletristische Zugaben handelt. Denn abgesehen von dem Wetter, daß in Bern während der zahlreichen Verhandlungstage herrscht, erfahren die Leser auch, was die Prozeßbeteiligten dachten und wann sie ihre Brillengläser putzten. Auch ohne Fußnoten hätte man Fehler vermeiden können, so etwa, wenn Johann Andreas Eisenmengers berüchtigtes antisemitisches Werk "Entdecktes Judentum" als "Der demaskierte Judaismus" eines "gewissen Isenberger" vorgestellt wird. Dabei liest sich die Rekonstruktion des Prozesses streckenweise durchaus spannend, hat sich die Autorin doch viel Mühe gegeben, sich in die Psyche der einzelnen Beteiligten hineinzuversetzen, und auch eine Reihe vorher nicht ausgewerteter Gerichtsakten studieren können. Hätte sie das Werk von vornherein als einen historischen Roman ausgegeben, der nicht den Anspruch stellt, wiederzugeben, "was wirklich geschehen ist", so wäre der an historischer Genauigkeit interessierte Leser weniger frustriert geblieben.
Zu denken geben sollte die Tatsache, daß seit der Schoah bereits mehr als siebzig Neuauflagen der Protokolle in allen Teilen der Welt erschienen, unterstützt vom sowjetischen Geheimdienst und arabischen Staatsmännern wie dem ägyptischen Präsidenten Nasser und dem libyschen Diktator Gaddafi. Vor einigen Monaten sprach der malaysische Staatspräsident von einer jüdischen Weltverschwörung, und der radikale Prediger Louis Farrakhan hat solche Theorien zusätzlich gewürzt, indem er die These aufstellte, jüdische Ärzte hätten gezielt den Aids-Virus unter schwarzen Amerikanern in Umlauf gebracht. Staaten, in denen man es nicht vermuten würde, wie Japan und Argentinien, gehören heute zu den Ländern mit der größten Verbreitung dieses Machwerks. Jeffrey Sammons hat wohl leider recht, wenn er schreibt, daß die Protokolle "nicht als etwas Antiquarisches angesehen werden" dürfen. Und so werden sich auch lange nach der Berner Gerichtsentscheidung noch gescheite, gesunde und vernünftige Leute darüber ihre Köpfe zerbrechen müssen, Bücher und Rezensionen lesen oder auch schreiben über jenen lächerlichen Unsinn, der so viel Unheil angerichtet hat. MICHAEL BRENNER
Jeffrey L. Sammons (Hrsg.): "Die Protokolle der Weisen von Zion". Die Grundlage des modernen Antisemitismus - eine Fälschung. Text und Kommentar. Wallstein Verlag, Göttingen 1998. 128 S., br., 29,- DM.
Norman Cohn: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Aus dem Englischen von Karl Röhmer. Mit einer kommentierten Bibliographie von Michael Hagemeister. Elster Verlag, Zürich 1998. 347 S., geb., 48,- DM.
Hadassa Ben-Itto: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Anatomie einer Fälschung. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger und Juliane Lochner. Aufbau Verlag, Berlin 1998. 419 S., geb., 49,90 DM.
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