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Produktdetails
  • Verlag: Hogrefe AG
  • ISBN-13: 9783456840536
  • Artikelnr.: 06620627
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.1997

Das große Halali der inneren Signale
Robert B. Cialdini mobilisiert Herz und Bauch zum Widerstand gegen die Überzeugungsstrategien geschulter Überredner

Die Welt ist voller Gefahren. Zu den unangenehmsten gehören diejenigen, die wir nicht vorhersagen können. Herzversagen, Börsencrashs oder Blitzeinschlägen stehen wir hilflos gegenüber. Oft weniger dramatisch, aber weit ärgerlicher, weil im Prinzip vermeidbar, sind Gefahren, die uns persönlich auflauern, so wie Ede Wolf den drei kleinen Schweinchen. Die Rede ist von Gefahren, wie sie in dem angekündigten Besuch der Schwiegermutter, Tupperware-Parties, Verkaufsfahrten oder im ersten Urlaubswochenende auf deutschen Autobahnen stecken: Hier hätten wir es vorher besser wissen können.

In diese Kategorie fällt auch das Interessengebiet des Psychologen Robert Cialdini. Sein Lehrbuch über die Werkzeuge der Manipulation gibt Einblick in die Arbeitsweise von Verkäufern, Sektenwerbern, Heiratsschwindlern und anderen Bauernfängern. Den Opfern bleibt neben den materiellen Verlusten das Gefühl, sich unsagbar töricht vorzukommen. Cialdini, selbst Opfer und Täter derartiger Einflußnahme, gelingt es, seine persönlichen Erfahrungen etwa bei Verkäuferschulungen und Polizeiverhören mit den Erkenntnissen der experimentellen Psychologie zu einem Lehrbuch zu verbinden. Der Skeptiker fragt sich angesichts der Offenheit des bekenntnisfreudigen Autors, ob hier nicht gleich eines der im Buch vorgestellten Werkzeuge geschickt zur Anwendung kommt. Zumindest erkennen wir uns wieder, und so verfehlt das Prinzip Cialdinis "Ähnlichkeit und Offenheit schaffen Sympathie - Sympathie schafft Glaubwürdigkeit" seine Wirkung auf den Leser nicht.

Cialdini orientiert sich an modernen Erklärungsansätzen der Evolution und Soziobiologie. In den Gemeinschaften unserer frühesten Vergangenheit entwickelten die Menschen brauchbare Heuristiken, die zeitraubendes Nachdenken entbehrlich machten. Im Zweifelsfall sich an anderen zu orientieren, knappe Güter als besonders wertvoll einzustufen, sich konsistent zu verhalten, auf Autoritäten zu hören - das sind Faustregeln, die im Überlebenskampf unserer Vorfahren überaus praktisch waren. Heute, in einer Welt der Reiz- und Entscheidungsüberflutung, werden wir Opfer genau dieser automatisierten Verhaltensmuster und folgen ihnen wie die Graugans Konrad Lorenz'. So werden aus unseren Faustregeln des Urteilens und Zusammenlebens Waffen der Einflußnahme für andere. Sie ermöglichen es ihnen, uns dazu zu veranlassen, uns entgegen unserer eigentlichen Absicht zu verhalten. Obwohl sie einfach zu durchschauen sind, funktionieren diese Methoden immer wieder gut.

Jede Großmutter kennt etwa das Prinzip der Reziprozität: "Wenn Du von einem Mitmenschen etwas willst, was er Dir normalerweise nicht geben wird, dann tue ihm unaufgefordert einen Gefallen. Bitte ihn im Gegenzug ebenfalls um eine Kleinigkeit und fordere im Anschluß daran deinen ursprünglichen Wunsch ein." Ebenso läßt sich unser Verlangen ausnutzen, zwischen unseren Handlungen und unserer Einstellung Konsistenz herzustellen. Das weiß auch jeder Autoverkäufer. Ist es ihm erst gelungen, uns zu einer Probefahrt zu bewegen, hat er mit attraktiven Vertragsbedingungen gelockt und unser vorläufiges Jawort bekommen, fällt es ihm leichter, uns mit der überraschenden Nachricht zu konfrontieren, daß er leider doch weniger als vereinbart für unseren Gebrauchtwagen zahlen könne. Uns fällt es meist schwer, an List zu glauben.

Auch Cialdinis vier weitere Prinzipien, die der sozialen Bewährtheit, der Sympathie, Autorität und Knappheit, werden anhand alltäglicher Situationen und experimenteller Befunde veranschaulicht und mit sozialpsychologischen Theorien verbunden. Warum es ausgerechnet diese sechs Prinzipien sind, die sich als Waffen schärfen lassen, und warum nicht auch die Phänomene Angst, Gier oder Macht, bleibt ungeklärt. Cialdini hat die Sozialpsychologie mit der Brille der "Einflußnahme" gesichtet und dabei eher auf die Klassiker als auf neuere Studien zurückgegriffen. Daher treffen wir viele alte Bekannte, von Milgrams Experimenten zu Gehorsam und Bestrafung über Sherifs Gruppenexperimente hin zu Festingers Dissonanztheorie. Der Autor zeigt, wie sich bekannte sozialpsychologische Erkenntnisse unter einer besonderen Fragestellung nutzbringend anwenden lassen.

Unglücklich wirkt allerdings der Titel des Buches. Wer wegen des Wortes "Überzeugen" Hinweise zum Vorgehen innerhalb eines rationalen Diskurses erwartet, wird enttäuscht. Vergebens sucht der Leser die Mechanismen der Verstehensprozesse oder Bedingungen, unter denen intellektuelle Überzeugung oder tiefe Einsicht gelingt. Wer noch an faire Auseinandersetzungen glauben möchte, muß lernen, daß Einstellungsänderungen nur durch Manipulation und Tricks stattfänden. Cialdini lehrt in den Vereinigten Staaten; er kennt seine Kundschaft und weiß auf deren Bedürfnisse einzugehen. Muntere Zeichnungen und vertiefende Fragen ergänzen die plaudernde Erzählung. Da wird Lernstoff kurzweilig. Wünschenswert aber wäre zusätzlich ein Werkzeugkasten, der in einer Gesamtübersicht Prinzipien und Einsatzmöglichkeiten vergleichbar machte.

Der Autor ist nicht nur Aufklärer, sondern auch Helfer. Jedes Kapitel schließt mit Darstellungen von Abwehrstrategien. Neben eher kognitiven Ansätzen empfiehlt Cialdini auch, stärker auf die Zeichen unserer Organe Herz und Magen zu achten. Unser Magen wirkt wie ein Feuermelder, wenn wir etwas entscheiden, von dem wir wissen, daß es falsch ist. Er zieht sich zusammen und rebelliert, und unser Herz reagiert noch ungleich feiner auf subtile Zeichen. Die Bewertung von Situationen mit hoher Ambiguität verläuft in mehreren Schritten. Sekundenbruchteile vor oder gleichzeitig mit unseren bewußt gefaßten Gedanken und Rechtfertigungen reagieren unsere Organe und zeigen uns, daß etwas nicht stimmt. Um unseren Schwächen, Rationalisierungen und Lügen auf die Spur zu kommen, benötigen wir alle Erkenntnisressourcen, die in uns stecken, Kopf und Bauch. ARVID RAPP

Robert B. Cialdini: "Die Psychologie des Überzeugens". Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf

die Schliche kommen wollen. Aus dem Amerikanischen von M. Wengenroth. Huber Verlag, Wien 1997. 347 S., Abb., br., 49,80 DM.

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