Stanislaw Wokulski hat es geschafft. Vermeintlich. Der aus einer verarmten Adelsfamilie stammende Kaufmann ist während des Russisch-Osmanischen Kriegs 1877/78 zu einem der wohlhabendsten Männer Warschaus aufgestiegen. Sein Vermögen soll einem höheren Zweck dienen: Wokulski ist unsterblich in Izabela Lecka verliebt, mit seinem Reichtum hofft er, den Standesunterschied zwischen sich und der kapriziösen Aristokratentochter wettzumachen. Doch die Angebetete hält ihn hin. Erst als der Parvenü immer einflussreicher wird, stimmt sie der Heirat zu. Als Wokulski merkt, dass sich Izabela trotzdem weiterhin Flirts hingibt, wirft er sich vor den Zug. Sein Selbstmordversuch misslingt, doch kurz darauf verlässt er Warschau ... Mit »Die Puppe« hat Boleslaw Prus ein Meisterwerk geschaffen, zu nennen in einem Atemzug mit Tolstois »Anna Karenina« und Flauberts »Madame Bovary«. Dank seiner Beobachtungsgabe und der intimen Kenntnis verschiedenster Milieus gelang es ihm, ein ebenso facettenreiches wie widersprüchliches Panorama von Warschau im ausgehenden 19. Jahrhundert zu zeichnen. Prus erzählt von den Ambivalenzen des gesellschaftlichen Umbruchs - parabelhaft und voller psychologischem Feingefühl. Im deutschsprachigen Raum noch immer nahezu unbekannt, erscheint »Die Puppe« hier in einer Neuübersetzung von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein. Olga Tokarczuks viel beachteter Essay »Die Puppe und die Perle« ergänzt den Roman.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Dem "vibrierenden Warschau" des neunzehnten Jahrhunderts setzte der polnische Autor Bolesław Prus mit seinem über tausendseitigen Roman ein Denkmal, hält Rezensent Maximilian Mengeringhaus fest. Nur der Handlung wegen sollte man diesen Wälzer nicht lesen, rät der Kritiker, dafür passiert doch ein bisschen zu wenig. Faszinierend ist aber alles drumherum: Wie Prus das Lebensgefühl dieser Zeit, zwischen absteigendem Adel und aufsteigendem Bürgertum beschreibt, wie die gesellschaftlichen Veränderungen in rasendem Tempo über den Protagonisten des Romans Wokulski "hinwegrast" - das ist durchaus spannend, freut sich der Kritiker. Wokulski ist Galanteriewarenhändler und, wie gemunkelt wird, mit Spekulationsgeschäften während des Russisch-Osmanischen Kriegs reich geworden, erfahren wir. Jedenfalls ist er ein einflussreicher Mann und manch einem Adeligen hilft er aus der Geldnot, zum Beispiel dem "Pleitegeier" Łęcki. In dessen Tochter verliebt sich Wokulski dann unsterblich, doch der Standesunterschied kann nicht so einfach aus dem Weg geräumt werden, verrät der Kritiker. Diese Liebesgeschichte zieht sich etwas, doch unter anderem durch die eingeschobenen Notate von Wokulskis Gehilfen Ignacy Rzecki, einem "glühenden Bonapartisten" wird das Ganze trotzdem "abwechslungsreich" und außerdem der zeithistorische Kontext erläutert: die Angst vor einem großen europäischen Krieg, das Schreckgespenst des Sozialismus. Gut findet der Kritiker die Übersetzung von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein, Kritik übt er am Verlag: Erläuternde Anmerkungen hätten hier gut getan, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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