Auch als Lyriker genießt Friedrich Ani Anerkennung und Bewunderung. Jetzt hat er sich einer besonderen Gedichtform gewidmet, den Balladen - und es ist nicht zu weit hergeholt, sie in die Tradition von Brecht und Biermann zu rücken. Es gelingt ihm in diesem populären Genre, die aktuellen politischen Ängste, Bedürfnisse des Populus anzusprechen, teils zu bestärken, teils zurückzuweisen, teils zu bekämpfen. Balladen sind für ihn also eine Kunstform, in der er politisch werden kann, ohne sich agitatorisch zu verhalten. Politisch kann er jedoch nur werden, wenn er die privatesten Umstände seiner Existenz beleuchtet und enthüllt. In ihrer Verschränktheit von Öffentlichkeit und Privatheit belegen diese Gedichte die Gegenwärtigkeit von Balladendichtung und zugleich Friedrich Anis poetische Kunst.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2020Von Haus aus
unbehaust
Friedrich Anis Balladen
„Die Raben von Ninive“
Gibt es so etwas wie einen Balladenton, also das Erzählen in Versen, Reimen und festen Metren? Oder sind Versuche, diese ehrwürdige, aber auch altgediente lyrische Form wieder zu beleben von vornherein zum Scheitern verurteilt? Oft gerät dergleichen in pure Versschmiederei, man denke nur an die angestrengten Reime zu Familien- und Freundesfeiern. Selbst Balladenmeister wie Goethe, Schiller, Uhland und so weiter bis hin zu Brecht waren und sind nicht gefeit gegen die wohlfeile Vernutzung gelungener Verszeilen als geflügelter Worte zu passenden und unpassenden Gelegenheiten. Gerade Schillers dramatisch aufgeladene und virtuos ausgefeilte Balladenkunst wurde zum oft gebrauchten Steinbruch für wohlklingende Klassikerzitate, hinter denen man sich verstecken kann, anstatt Selbstgedachtes und Selbstformuliertes zu präsentieren, auch wenn es nicht glänzt.
Auch Friedrich Ani, dem Erfinder des charismatischen Kommissars Tabor Süden, der bedächtig nach Vermissten und Verschollenen sucht, geht es in seinem Balladenbuch „Die Raben von Ninive“ weniger um lyrische Empfindsamkeiten oder poetische Projektionen als vielmehr um die Knappheit und Pointiertheit des Erzählens in rhythmisierter Sprache und gebundenen Formen. Da mischen sich Kneipenszenen um verlorene Säufer mit Streifzügen durch die Stadt, sieht man Parkbankgestrandete und heruntergekommene Ecken, da tauchen die fremdenfeindlichen Philister auf, die „deutschig deutschen Deutschen“ und Geflüchtete, Kriegsväter, die an ihren Mordtaten ersticken und Kinder, die sich eher fürchten und sehr selten Grund zum Frohlocken haben.
Die Ballade, die von Vater und Mutter singt, beginnt im Heinrich-Heine-Ton: „Denk ich an Deutschland Tag um Tag,/ fällt mir mein Vater ein, der Deutscher war,/ obgleich sein Land am Euphrat lag.“ Doch Ani will nur die Assoziation, um die Geschichte seines Vaters, der Arzt war, in ein paar Strophen zu erzählen und dabei ins Allgemeine zu gelangen: „Am Anfang sind wir ungekämmt/ und nackt, und jemand Fremdes hält uns warm.“
Am besten wirken die Gedichte, wenn sie zu Moritaten werden, die bittere, böse, schauerliche Begebenheiten aufrufen: Die Tat der mörderischen Halbwüchsigen Felix und Ramon, der Niedergang der Friseurin Jana, die traurige Geschichte der Muttermörderin Hanne Ahlers, das Paar „im Norden am Meer“, das der Blanke Hans holt oder die schwarze Story von Doktor Erhard Rath und der kleinen Lisa.
Dass bei Friedrich Ani keine linden Lüfte wehen und auch die Sonnentage keine Goldränder haben, weiß man aus seinen Drehbüchern und Romanen. Er spielt auch nicht den Dichter, der das Tagesgeschehen verachtet oder meint, es philosophisch verfremden und überhöhen zu müssen. Also gibt es einen zornig-finsteren Song auf den Mord an Walter Lübcke: „Einer hat Walter Lübcke erschossen./ Aber nicht allein.“ Ani zählt im Refrain die „vermieften Stutzer“ als Mittäter auf, AfD-Figuren von Gauland bis Ebner-Steiner. Oder zählt mit Ingrimm die ermordeten „Einzelfälle“ des NSU-Trios auf, bis er am Ende nurmehr einzelne Wörter ausstoßen kann pro Zeile: „Einzeltote./ Einzelopfer./ Opfer./ Opfer./ Jedes/ Opfer./ Einzeln.“
HARALD EGGEBRECHT
Friedrich Ani: Die Raben von Ninive. Balladen. Suhrkamp, Berlin 2020. 176 Seiten, 18 Euro.
„Denk ich an Deutschland Tag
um Tag,/ fällt mir mein Vater
ein, der Deutscher war“
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Friedrich Anis Balladen
„Die Raben von Ninive“
Gibt es so etwas wie einen Balladenton, also das Erzählen in Versen, Reimen und festen Metren? Oder sind Versuche, diese ehrwürdige, aber auch altgediente lyrische Form wieder zu beleben von vornherein zum Scheitern verurteilt? Oft gerät dergleichen in pure Versschmiederei, man denke nur an die angestrengten Reime zu Familien- und Freundesfeiern. Selbst Balladenmeister wie Goethe, Schiller, Uhland und so weiter bis hin zu Brecht waren und sind nicht gefeit gegen die wohlfeile Vernutzung gelungener Verszeilen als geflügelter Worte zu passenden und unpassenden Gelegenheiten. Gerade Schillers dramatisch aufgeladene und virtuos ausgefeilte Balladenkunst wurde zum oft gebrauchten Steinbruch für wohlklingende Klassikerzitate, hinter denen man sich verstecken kann, anstatt Selbstgedachtes und Selbstformuliertes zu präsentieren, auch wenn es nicht glänzt.
Auch Friedrich Ani, dem Erfinder des charismatischen Kommissars Tabor Süden, der bedächtig nach Vermissten und Verschollenen sucht, geht es in seinem Balladenbuch „Die Raben von Ninive“ weniger um lyrische Empfindsamkeiten oder poetische Projektionen als vielmehr um die Knappheit und Pointiertheit des Erzählens in rhythmisierter Sprache und gebundenen Formen. Da mischen sich Kneipenszenen um verlorene Säufer mit Streifzügen durch die Stadt, sieht man Parkbankgestrandete und heruntergekommene Ecken, da tauchen die fremdenfeindlichen Philister auf, die „deutschig deutschen Deutschen“ und Geflüchtete, Kriegsväter, die an ihren Mordtaten ersticken und Kinder, die sich eher fürchten und sehr selten Grund zum Frohlocken haben.
Die Ballade, die von Vater und Mutter singt, beginnt im Heinrich-Heine-Ton: „Denk ich an Deutschland Tag um Tag,/ fällt mir mein Vater ein, der Deutscher war,/ obgleich sein Land am Euphrat lag.“ Doch Ani will nur die Assoziation, um die Geschichte seines Vaters, der Arzt war, in ein paar Strophen zu erzählen und dabei ins Allgemeine zu gelangen: „Am Anfang sind wir ungekämmt/ und nackt, und jemand Fremdes hält uns warm.“
Am besten wirken die Gedichte, wenn sie zu Moritaten werden, die bittere, böse, schauerliche Begebenheiten aufrufen: Die Tat der mörderischen Halbwüchsigen Felix und Ramon, der Niedergang der Friseurin Jana, die traurige Geschichte der Muttermörderin Hanne Ahlers, das Paar „im Norden am Meer“, das der Blanke Hans holt oder die schwarze Story von Doktor Erhard Rath und der kleinen Lisa.
Dass bei Friedrich Ani keine linden Lüfte wehen und auch die Sonnentage keine Goldränder haben, weiß man aus seinen Drehbüchern und Romanen. Er spielt auch nicht den Dichter, der das Tagesgeschehen verachtet oder meint, es philosophisch verfremden und überhöhen zu müssen. Also gibt es einen zornig-finsteren Song auf den Mord an Walter Lübcke: „Einer hat Walter Lübcke erschossen./ Aber nicht allein.“ Ani zählt im Refrain die „vermieften Stutzer“ als Mittäter auf, AfD-Figuren von Gauland bis Ebner-Steiner. Oder zählt mit Ingrimm die ermordeten „Einzelfälle“ des NSU-Trios auf, bis er am Ende nurmehr einzelne Wörter ausstoßen kann pro Zeile: „Einzeltote./ Einzelopfer./ Opfer./ Opfer./ Jedes/ Opfer./ Einzeln.“
HARALD EGGEBRECHT
Friedrich Ani: Die Raben von Ninive. Balladen. Suhrkamp, Berlin 2020. 176 Seiten, 18 Euro.
„Denk ich an Deutschland Tag
um Tag,/ fällt mir mein Vater
ein, der Deutscher war“
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»Ein schmaler Band, der aber schweres Gewicht hat.« Neue Presse 20210215