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Nachdem Hans Fallada mit Kleiner Mann - was nun? einen Welterfolg erlangt hat, kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Eine Emigration schließt er zu diesem Zeitpunkt aus - wie andere auch verkennt er, in welcher politischen Lage Deutschland sich zu diesem Zeitpunkt bereits befindet. Die Angriffe in der Presse des Dritten Reichen gegen ihn nehmenzu und Fallada muss erkennen, dass er unter diesen Verhältnissen nicht mehr von Menschen erzählen kann, denen man es anmerkt, dass sie einmal am "Abgrund gelegen" und die das "Zusammenstürzen ihrer ganzen Vergangenheiten erlebt haben".Obwohl er…mehr

Produktbeschreibung
Nachdem Hans Fallada mit Kleiner Mann - was nun? einen Welterfolg erlangt hat, kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Eine Emigration schließt er zu diesem Zeitpunkt aus - wie andere auch verkennt er, in welcher politischen Lage Deutschland sich zu diesem Zeitpunkt bereits befindet. Die Angriffe in der Presse des Dritten Reichen gegen ihn nehmenzu und Fallada muss erkennen, dass er unter diesen Verhältnissen nicht mehr von Menschen erzählen kann, denen man es anmerkt, dass sie einmal am "Abgrund gelegen" und die das "Zusammenstürzen ihrer ganzen Vergangenheiten erlebt haben".Obwohl er ein unerwünschter Autor wird, können seine Romane weiter erscheinen, allerdings bringen die Verhältnisse ihn wiederholt in krisenhaften Situationen. Auf Vermittlung einer Bekannten erreicht ihn 1943 das Angebot, als Reichsarbeitsdienst-Sonderführer für sechs Monate im Rahmen der kulturellen Truppenbetreuung in das besetzte Frankreichaufzubrechen. Der Weg führt ihn von Paris, wo er auf dem Schwarzmarkt einkauft, über Bordeaux bis an die spanische Grenze.Wie Fallada den Reichsarbeitsdienst, das besetzte Frankreich und die Stimmung in Land erlebt, darüber geben die bislang unveröffentlichten Briefe Auskunft. Fallada schreibt die Briefe zwischen Mai und September 1943 an seine Frau Suse, die ihm sporadisch antwortet und aus dem heimischen Carwitz über Fliegerangriffe und erste Entbehrungen berichtet. Mit dieser Edition wird eine der letzten Lücken in Hans Falladas spannungsreicher Biographie geschlossen.
Autorenporträt
Rudolf Ditzen alias Hans Fallada (1893 Greifswald - 1947 Berlin) veröffentlichte 1920 sein Roman-Debüt Der junge Goedeschal. Sein Roman Kleiner Mann - was nun? (1932) war ein Welterfolg, der den Autor finanziell unabhängig machte. Weitere Werke u. a.: Bauern, Bonzen und Bomben (1931), Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1934), Wolf unter Wölfen (1937), Der eiserne Gustav (1938), Jeder stirbt für sich allein (1947). Carsten Gansel, Jahrgang 1955, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Mediendidaktik an der Universität Gießen. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, etwa zu Christa Wolf, Johannes R. Becher und Hans Fallada (zuletzt Warnung vor Büchern), und machte sensationelle literarische Funde in Archiven (etwa Heinrich Gerlach Durchbruch bei Stalingrad, Gerhard Sawatzky Wir selbst, oder das Originalmanuskript von Hans Falladas Kleiner Mann - was nun?).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Herausgeber Carsten Gansel hat sich die Mühe gemacht, mit diesem neuen Briefband Falladas ein wenig Licht in die letzten Dunkelstellen der Biografie des Schriftstellers zu bringen, verrät Rezensentin Nicola Behrmann. Als Opportunisten charakterisiert sie den Dichter nicht erst nach der Lektüre der Briefe, hier nun werde deutlich, was er in seiner Zeit im Dienste der Nazis beim Reichsarbeitsdienst erlebt und gesehen hat. Fallada hatte denAuftrag erhalten, ein halbes Jahr lang in Frankreich die Aktivitäten ebenjenes RADs berichterstattend zu begleiten. Doch für Behrmann bleiben die Briefe über das Erlebte seltsam blass, Fallada sei "mit politischer Blindheit geschlagen" gewesen, meint sie. Seiner Frau schreibt er lieber über Stierkämpfe und schicke Abendessen. Gansel macht im Nachwort dafür die nationalsozialistische Zensur verantwortlich, doch die Rezensentin hat Zweifel. Wirklich spannend findet sie es, Falladas Briefe von der Reise neben seine autobiografischen Texte zu legen, die er nur ein Jahr später als schwer Drogenabhängiger in der Nervenheilanstalt schrieb. Dann sieht man, wie Kompliziert, widersprüchlich und verstrickt Fallada war, und wie sehr er bis zum Schluss versuchte, Schriftsteller zu bleiben, so die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2022

Wir werden die Herren der ganzen Welt sein
Mit politischer Blindheit geschlagen? Hans Falladas bislang unbekannte Briefe von einer Propagandareise für den Reichsarbeitsdienst

Von und über Hans Fallada gibt es viel zu lesen. In Romanen wie "Kleiner Mann - was nun?" oder "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" hat er wie kein anderer die wirtschaftlichen und politischen Krisen seiner Zeit aus der wehrlosen, aber menschlichen Perspektive des kleinen Mannes geschildert. Sein von Alkohol und Drogen früh zerrüttetes Leben gibt genügend Anlass zu biographischen Porträts, Theaterinszenierungen und Dokumentationen. Und immer wieder Neuauflagen seiner Bücher.

Nun liegt ein von Carsten Gansel herausgegebener Band bislang unveröffentlichter Fallada-Briefe von zwei Reisen ins besetzte Frankreich vor. Im Mai 1943 hatte der Schriftsteller einen Auftrag vom Reichsarbeitsdienst (RAD) angenommen, der für ein halbes Jahr verpflichtete, in Frankreich stationierte Hilfsbautruppen zu besuchen und ein Reisetagebuch über ihren Alltag "im Felde" zu führen. Es ist nie publiziert worden, nur die Briefe, die Fallada aus Frankreich an seine Frau Anna (Suse) Ditzen schrieb, sind erhalten. Mit ihrer Veröffentlichung, so ist im Nachwort zu lesen, werde eine der letzten Lücken in Falladas Biographie geschlossen.

"Wenn sie dich kriegen, Hans Fallada", hatte ihn Tucholsky bereits 1931, nach dem Erscheinen von "Bauern, Bonzen und Bomben" vor den Nazis gewarnt, "sieh dich vor, dass du nicht hangest!" Und in kluger Voraussicht hinzugefügt: "Es kann aber auch sein, dass sie in ihrer Dummheit glauben, du habest mit dem Buch den Sozis eins auswischen wollen, und dann bekommst du einen Redakteursposten." Tucholsky sollte recht behalten. Den Nationalsozialisten galt Fallada als "unsicherer Kantonist", aus dem bei guter Führung aber völkisches Kapital zu schlagen wäre.

Und er machte halbwegs mit. Um seine Figuren nicht mit der zynischen Brutalität des "Dritten Reichs" konfrontieren zu müssen, ließ er sie in den nach 1933 erschienenen Büchern einfach weiter durch das politische Chaos der Weimarer Republik stapfen. Mal fügte er linientreue Vorworte hinzu, mal ein nationalsozialistisches Romanende wie in "Der eiserne Gustav", was sich in späteren Ausgaben leicht wieder entfernen ließ. Man hat ihm das später ebenso verziehen wie seinen jahrelangen Deckungsgang in die Welt der Trivialromane und drolligen Tiergeschichten.

Angesichts der nun erschienenen "RAD-Briefe" stellt sich die Frage nach Falladas Opportunismus noch einmal neu. Einen von Goebbels in Auftrag gegebenen antisemitischen Roman - das Manuskript ist verschollen - hat er 1943 bereits in der Schublade. Nun macht ihn die NSDAP zum "Sonderführer" im Rang eines Majors, um ihn unter die deutschen Besatzer zu schicken. Die Reiseroute darf Fallada selbst zusammenstellen, genaue Ortsangaben brieflich mitzuteilen ist ihm verboten. Von Paris fährt er über das Städtchen L'Isle-Adam und Clermont-Ferrand an die Cote d'Azur: Marseille, Perpignan und Tarascon, die Heimatstadt von Alphonse Daudets frechem Aufschneider und Hochstapler Tartarin, einer seiner literarischen Lieblingsfiguren. Im Eiltempo besucht Fallada RAD-Lager, Baustellen und Lazarette ("360 Betten in einer Viertelstunde - aber ich hatte nicht länger Zeit!"), hält Vorträge über seine Eindrücke ("eine wunderhübsche Mischung von Grotesken und gut Beobachtetem") und lernt Scharfschießen. Von den "ungeheuren Leistungen des RAD" habe er gar nichts gewusst, schreibt er und ist von all der "Freundlichkeit und Kameradschaftlichkeit" ganz überwältigt. In Nîmes sieht er sich einen Stierkampf an. An der Schönheit der "herrlichen" Landschaft kann er sich nicht sattsehen. Über die Qualität der Mahlzeiten und seinen stetig steigenden Alkoholkonsum erstattet er seiner Frau detailliert Bericht.

Dabei bleiben die zwischen Erleichterung, Euphorie und Heimweh schwankenden Briefe merkwürdig oberflächlich: Mit politischer Blindheit geschlagen, jagt Fallada durch das besetzte Frankreich und scheint vor allem darum bemüht, für seine im mecklenburgischen Carwitz zurückgebliebene Familie Kolonialwaren und Geschenke zu erstehen. Die Franzosen erlebt er als passiv, wie in einem Wachtraum sich bewegend, und bemerkt erstaunt, dass die Bevölkerung im Süden "noch immer sehr mit Hass auf uns Deutsche" sieht. Im Nachwort zitiert ist ein Brief an seinen Sohn, geschrieben kurz vor seiner zweiten RAD-Reise im September 1943 aus dem Sudentenland: "Wir werden eines Tages die Herren Europas sein, vielleicht auch die der ganzen Welt, da ist es wichtig, dass man ein ganzer Kerl ist."

Ein Nazi sei Fallada nicht gewesen, befindet der Herausgeber, bei den Briefen handele es sich zum großen Teil um Lügen unter dem Druck der Zensur. Aber vorauseilender Gehorsam, innere Gesinnung und schlichte Verstellung lassen sich nun einmal nicht eindeutig unterscheiden. Falladas schwungvoll, doch wie mit Tunnelblick geschriebene Briefe zeigen einmal mehr: Innere Überzeugung und überzeugende Verstellung waren im NS-Staat dasselbe.

Nicht das, was sie sagen, sondern das, was sie verschweigen, macht aus den "RAD-Briefen" ein beklemmendes Lebensdokument, das seinen Schatten auch auf Falladas Situation ein Jahr später wirft. Nach einem Pistolenschuss auf seine nun von ihm geschiedene Frau sitzt er, schwer alkohol- und morphiumsüchtig, im Herbst 1944 in psychiatrischer Haft. Und schreibt, dem Untergang des "Dritten Reichs" und der näher rückenden Sowjetarmee entgegen, in rasendem Tempo einen Text mit doppeltem Boden: Zwischen die Zeilen seines erschütternden autobiographischen Romans "Der Trinker" kritzelt er, das Blatt einmal auf den Kopf gestellt, eine wütende Abrechnung mit dem Nationalsozialismus, gespickt mit antisemitischen Seitenhieben und Lob auf die im Land Gebliebenen, die er das "Salz der Erde" nennt.

Fügt man diesen zwei ineinander geschobenen Texten die "RAD-Briefe" hinzu, entsteht ein widerspruchvolles Gebilde, in dem Lüge, Gewissen, nationaler Rausch und Angst des Abhängigen zu austauschbaren Spielfiguren auf einem moralischen Schachbrett geworden sind. Hier schreibt einer, der überleben will, aber den Glauben an sich verloren hat. Und bis zuletzt versuchen wird, auch aus diesem Material noch einen Roman zu machen. NICOLA BEHRMANN

Hans Fallada:

"Die RAD-Briefe

aus dem besetzten

Frankreich 1943".

Hrsg. und mit Nachwort von Carsten Gansel.

Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022. 200 S., geb., 24,- Euro.

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