Astrid Fritz beschäftigt sich in ihrem Roman nicht nur mit dem Schinderhannes, einem der bekanntesten deutschen Räuber, sondern vor allem mit seinem 'Julchen', der Frau an seiner Seite, über deren Leben vergleichsweise wenig bekannt ist. Dabei beschönigt sie nichts, sondern schildert den Hunger und
das Elend der armen Leute, die enorm hohe Kindersterblichkeit, die Machtlosigkeit des braven Bürgers…mehrAstrid Fritz beschäftigt sich in ihrem Roman nicht nur mit dem Schinderhannes, einem der bekanntesten deutschen Räuber, sondern vor allem mit seinem 'Julchen', der Frau an seiner Seite, über deren Leben vergleichsweise wenig bekannt ist. Dabei beschönigt sie nichts, sondern schildert den Hunger und das Elend der armen Leute, die enorm hohe Kindersterblichkeit, die Machtlosigkeit des braven Bürgers und die Not des allseits verhassten Juden. Und obgleich Juliana von ihrem Schinderhannes über lange Jahre nichts Böses glauben mag, bekommt man als Leser doch eine sehr gute Vorstellung davon, dass auch ein allseits beliebter Räuberhäuptling seinen Ruhm sicher nicht erlangt, indem er seine Opfer schonte.
Als Leser kann man nachvollziehen, was arme Menschen zur Zeit des Schinderhannes zur Räuberei trieb: Wer bei ehrlicher Arbeit halb verhungert und seine Kinder sterben sieht, hat nichts mehr zu verlieren. Dazu kommt noch der Groll gegen diejenigen, die scheinbar unverdient zum Gelde gekommen sind, auch wenn das oft nicht wahr und gerechtfertigt ist. Dennoch muss sogar Juliana nach und nach im Laufe ihres Lebens erkennen, dass das, was die Räuberbanden tun, nichts Edles an sich hat.
Mir kam das Buch schlüssig und glaubhaft vor, mit genug Fakten, dass ich den Eindruck hatte, die Autorin habe alles gut recherchiert. Das Nachwort, in dem sie mehr über die Hintergründe schreibt, hat mich darin noch bestärkt.
Das ist bei einem historischen Roman schon die halbe Miete, aber dennoch reichen harte Fakten alleine nicht aus – in dem Sinne sind wir wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt von den Menschen, die sich früher auf den Märkten begierig um die Bänkelsänger scharten. Wir wollen unterhalten werden!
Und das war hier der Fall – meistens.
In manchen Kapiteln hatte das Buch für mich ein paar empfindliche Längen, wenn die Charaktere von hier nach da, dann dorthin und schließlich wieder zurück reisen. Das geht rund ums Jahr 1800 ja nicht so schnell, und durch das unstete Räuberleben sind der Schinderhannes und sein Julchen ständig unterwegs. Andere Kapitel flogen dafür nur so vorbei, und ich wollte doch immer wissen, wie es weitergehen würde mit den beiden. Dazu kamen spannende Einblicke in das Rechtssystem, das zu der Zeit im Umbruch war!
Juliana ist eine sehr interessante Protagonistin, mit der ich mich jedoch erstmal anfreunden musste. Das liegt zum Teil sicher daran, dass mir die Schilderungen ihrer Handlungen und Gefühle oft eher nüchtern erschienen, so dass mich die Geschichte nicht immer emotional bewegen konnte und mir Juliana als Hauptfigur stets ein wenig fremd blieb.
Dennoch hat mich durchweg interessiert, was sie noch erleben würde! Ihr Leben ist so gänzlich anders als das einer Frau in unserer Zeit, dass es alleine schon spannend ist, mitzuverfolgen, wie sie versucht, es selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.
Am Schinderhannes gefiel mir sehr gut, dass die Autorin ihn weder zum strahlenden Helden noch zum bösen Scheusal macht. Ich hatte das Gefühl, dass er im Grunde ein guter Mensch ist, der auf Abwege geraten ist, und dass er sein Julchen ehrlich liebt. aber er ist gleichzeitig ein schwacher Mensch, der sich immer mehr verzettelt in ein Leben, das er im Grunde selber nicht mehr will und dabei unentschuldbare Taten begeht.
Den Schreibstil fand ich angenehm und flüssig zu lesen – trotz einiger Ausdrücke aus der Gaunersprache Rotwelsch, die im Glossar erklärt werden. In meinen Augen erreicht die Autorin eine gute Balance: wenn die Räuber wirklich durchweg Rotwelsch sprechen würden, kämen die meisten Leser wohl nicht mehr mit, aber so ist es gerade genug, um der Sprache einen Hauch der Zeit zu verleihen.