Wer nur die RAF versteht, versteht auch diese nicht.
Nachrichten von terroristischen Anschlägen beherrschen die Schlagzeilen. Aber je weniger fassbar der »neue« Terrorismus erscheint, umso klarer treten die Konturen des »alten« hervor. Es ist deshalb an der Zeit, Bilanz zu ziehen.
Drei Jahrzehnte lang hielten die Meldungen über die Rote Armee Fraktion die Bundesrepublik in Atem. Das bisher existierende Bild dieses linken Terrorismus ist aus mehreren Gründen revisionsbedürftig. Es ist auf Einzelpersonen wie auf Organisationsformen fixiert und zudem geopolitisch restringiert. Daher bedarf es einer mehrfachen Erweiterung.
Die RAF wird hier in den Kontext der Gewalteskalation innerhalb der 68er-Bewegung wie in den Spannungszusammenhang des Kalten Krieges gestellt, um sie in einem weiteren Schritt mit Parallelorganisationen in anderen Industrienationen vergleichen zu können.
In mehr als 60 Einzelbeiträgen werden Gründer wie Gruppen, internationale Parallelorganisationen wie deren Netzwerke, Konzepte und Ideologien, Mythen und Phantasmagorien, mediale Multiplikatoren sowie die Grenzen des Rechtsstaates in seiner Reaktion auf die terroristische Herausforderung analysiert.
Die vorliegende Aufsatzsammlung stellt die umfassendste neuere sozialwissenschaftliche Untersuchung zur Geschichte des Linksterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland dar.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Nachrichten von terroristischen Anschlägen beherrschen die Schlagzeilen. Aber je weniger fassbar der »neue« Terrorismus erscheint, umso klarer treten die Konturen des »alten« hervor. Es ist deshalb an der Zeit, Bilanz zu ziehen.
Drei Jahrzehnte lang hielten die Meldungen über die Rote Armee Fraktion die Bundesrepublik in Atem. Das bisher existierende Bild dieses linken Terrorismus ist aus mehreren Gründen revisionsbedürftig. Es ist auf Einzelpersonen wie auf Organisationsformen fixiert und zudem geopolitisch restringiert. Daher bedarf es einer mehrfachen Erweiterung.
Die RAF wird hier in den Kontext der Gewalteskalation innerhalb der 68er-Bewegung wie in den Spannungszusammenhang des Kalten Krieges gestellt, um sie in einem weiteren Schritt mit Parallelorganisationen in anderen Industrienationen vergleichen zu können.
In mehr als 60 Einzelbeiträgen werden Gründer wie Gruppen, internationale Parallelorganisationen wie deren Netzwerke, Konzepte und Ideologien, Mythen und Phantasmagorien, mediale Multiplikatoren sowie die Grenzen des Rechtsstaates in seiner Reaktion auf die terroristische Herausforderung analysiert.
Die vorliegende Aufsatzsammlung stellt die umfassendste neuere sozialwissenschaftliche Untersuchung zur Geschichte des Linksterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland dar.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2007Wurzeln der Gewalt von links
Ein kenntnisreiches Kompendium der Ratlosigkeit über die RAF und ihr politisches Umfeld
Nicht weniger als 30 Jahre liegt der blutige Herbst zurück, der die Bundesrepublik 1977 in einen förmlichen Belagerungszustand versetzte, und bald zehn Jahre sind vergangen, seit eine letzte Erklärung aus dem Untergrund das Ende des "Projekts RAF" verkündete. Trotz dieser Zeitspannen hat sich aus dem Wust von Analysen, Memoiren und Bekenntnisschriften bislang noch kein klares Bild des linken Terrors in der Bundesrepublik herausgeschält. Die Gründe für dieses Defizit liegen auf der Hand. Sie gehen einmal auf die naturgegebene Unübersichtlichkeit eines Konfliktfeldes zurück, auf dem Geheimhaltung die wichtigste Waffe war. Schon empirisch steht die Geschichte des deutschen Linksterrorismus vielfach immer noch auf ungesicherter Grundlage, wie sich in der jüngsten Diskussion um die Täterschaft im Mordfall Buback wieder deutlich zeigte. Wie so häufig in der Zeitgeschichte hat Klio zudem mit der Befangenheit ihrer Priester zu kämpfen. Nicht wenige der heutigen Beobachter waren einst selbst Kombattanten, und die biographische Nähe des Geschehens zum Interpreten bringt ihre eigenen Tabus und Frontstellungen mit sich. Die Zäsur von 1968 als Gründungsmythos der zweiten, Demokratie endlich wagenden Bundesrepublik ist politisch-kulturell in einem solchen Maß identitätsbildend geworden, dass das Phänomen eines ebenfalls auf die Achtundsechziger zurückgehenden Terrors von links eigentümlich blass geblieben ist. Ein freundlicher Schweigekonsens, den offenbar bis heute nur besonders schrille Stimmen zu durchbrechen vermögen, eint vielfach noch die in den sechziger und siebziger Jahren politisch sozialisierte Generation in unserer politischen Deutungskultur.
Gegen diese Widerstände hat Wolfgang Kraushaar ein beeindruckendes Aufgebot versammelt, um dem Thema "Die RAF und der linke Terrorismus" auf den Grund zu gehen. Der opulent ausgestattete Doppelband rückt der RAF und ihrem politischen Umfeld mit nicht weniger als 64 Texten phänomenologisch wie komparatistisch, biographisch wie ideologie- und mediengeschichtlich zu Leibe. Ausführlich kommen die theoretischen Probleme zur Sprache, die das Phänomen des politischen Terrors im 20. Jahrhundert aufwirft, und keineswegs vergessen werden politische und kulturelle Reaktionen, die der Weg der "vormundschaftlichen Gewalt" (Herfried Münkler) erzeugte.
Bei weitem nicht alle von Kraushaar versammelten Texte sind Originalbeiträge. Wenig Gewinn für viel Aufwand erbringt auch das Bemühen, das Konzept der Stadtguerrilla in seinem dezisionistischen Grundcharakter über Mao Tse-tung und Che Guevara bis zu Jean-Paul Sartre zu verfolgen, um so den Terror von links in die politische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten. Verstiegen mutet insbesondere der Versuch an, unter dem Stichwort "Entsetzen" die heimlichen Beziehungen der RAF auch noch zu Walter Benjamin zu erhellen und "eine irgendwie geartete Zündschnur zwischen seinen Worten und ihren Taten" zu ermitteln.
Trotz dieser Ausflüge den Autoren uneingeschränkte Anerkennung für ein Werk, dem es darauf ankommt, die Geschichte des deutschen Linksterrorismus nicht einmal mehr zu erzählen, sondern sie zu erklären. Es lehrt auch dort über die analytischen Untiefen des Vorhabens, wo es in ihnen steckenbleibt. So hat jedes begriffliche Bemühen um den Charakter politischer Gewalt in der Moderne damit zu kämpfen, dass Terror und Terrorismus "Chamäleonbegriffe" sind. Zwar lässt Terrorismus sich anerkanntermaßen vom Tyrannenmord, vom Guerrillakampf und vom Staatenkrieg gleichermaßen dadurch unterscheiden, dass er mehr auf die psychischen als auf die physischen Folgen der Gewalt zielt: Der terroristische Anschlag nimmt seine unmittelbaren Opfer nicht als Zweck, sondern als Mittel; und seine eigentliche Stärke ist der Schrecken, den er bei den scheinbar Unbeteiligten erzeugt. Doch diese Unterscheidung wird nur schwer mit dem Umstand fertig, dass die Analysewerkzeuge zugleich politische Kampfbegriffe sind, deren wichtigstes Merkmal ihre intendierte Ausschließungskraft ist. Wie häufig in der Zeitgeschichte erweist sich auch hier das Unvermögen zu einer begrifflichen Trennung von Objektsprache und Metasprache als kaum zu bewältigendes Problem; Bezeichnungen wie Freiheitskämpfer, Guerrillero, Terrorist bleiben politische Sympathie- und Distanzbegriffe, die sich analytisch befriedigender Definition nachhaltig entziehen, wie Rudolf Walther in einer konzisen begriffs- und sozialgeschichtlichen Skizze hervorhebt.
Diese interpretatorische Unschärfe mag heute umso weniger stören, als anders noch vor drei Jahrzehnten in der westlichen Welt die strikte Ächtung von Gewalt als Grundkonsens politischen Handelns über alle politischen Lager hinweg fest verankert ist. Doch auch dann bleibt der Bezugspunkt einer zeithistorischen Terrorismusanalyse ein ungeklärtes Problem: Markieren Al Qaida und die Globalisierung des Schreckens samt dem so dramatisch gestiegenen "lethal quotient" eine neue Herausforderung der Weltordnung, der gegenüber die Anschläge der militanten Linken in den siebziger und achtziger Jahren zu einer vergleichsweise harmlosen Bedrohung verblassen? Oder verstößt gerade eine solche Unterscheidung von altem und neuem Terror gegen die unveränderte Grunderkenntnis, dass Terroristen anders als Soldaten und Guerrilleros "kommunikative Gewaltstrategien" verfolgen, deren Schreckenspotential sich allein im Kontext ihrer Zeit und ihrer politischen Wirkung bewertet lässt?
Die Porträts von Ulrike Meinhof, Horst Mahler, Gudrun Ensslin und Andreas Baader lassen den Leser ratlos zurück. War es im Tiefsten doch die "amour fou" zwischen dem von Karin Wieland so genannten "Dandy des Bösen" Baader und der gegen ihre pietistische Herkunft revoltierenden Pfarrerstochter Ensslin, die die Spirale der Gewalt rettungslos bis zur Selbstzerstörung drehte? Oder lässt sich umgekehrt in der gnadenlosen Härte der RAF-Gründer gegen andere und gegen sich selbst gerade eine "Kontinuität aus dem Protestantismus des Elternhauses" entdecken, die Gudrun Ensslin auch nach dem Bruch mit ihrer christlichen Vergangenheit unbeirrt an protestantischen Tugenden wie Enthaltsamkeit, Konsumkritik, Disziplin und Opferbereitschaft hätte festhalten lassen?
Auffällig ist, dass der Band die Chance vergibt, eine Vergleichslinie des bundesdeutschen Linksterrors zum Weimarer Rechtsterrorismus zu ziehen. Bei allen ideologischen Gegensätzen ist nicht zu übersehen, dass in der Anbetung von Kampf, Entscheidung und Entschlossenheit, in der Auswahl potentieller Anschlagsopfer, in der klandestinen Netzwerkbildung, im Glauben an die aufrüttelnde Kraft des Avantgardeterrors und im Mythos des Selbstopfers verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den Anschlägen der drei RAF-Generationen und den auf einen Rechtsputsch hinarbeitenden Attentätern des "revolutionären Nationalismus" der zwanziger Jahre bestehen.
Eine solche diachrone Vergleichsperspektive hätte umso näher gelegen, als insbesondere Kraushaar selbst zwei Charakterzüge des deutschen Linksradikalismus bis in die Wurzeln der Studentenbewegung zurückzuverfolgen sucht, die das Selbstverständnis der längst von einer oppositionellen Bewegung zur politischen Generation avancierten Achtundsechziger nachhaltig verstören müssen: irrationale Gewaltverherrlichung und antifaschistischer Antisemitismus. Vor allem Rudi Dutschke tritt bei Kraushaar als politischer Apostel der Gewaltentgrenzung hervor, dessen linker Dezisionismus zudem auf eine präfaschistische Denkfigur zurückgreife. Dazu höhlt Kraushaar den Begriff des Dezisionismus allerdings zum bloßen Moment der politischen Entscheidungsorientierung aus, um in dieser leeren Begriffshülle die intellektuelle Linke der sechziger Jahre mit der intellektuellen Rechten der zwanziger und dreißiger Jahre zusammenzusperren. Eine solche Reflexion auf den gemeinsamen dezisionistischen Grundimpuls von linker und rechter Gewalt birgt wenig Substanz, und dass Kraushaar in seinem Eifer noch eine Bemerkung Carl Schmitts über einen möglichen Partisan in der Berufskleidung eines Kinderarztes mit dem zur Entführung Hanns-Martin Schleyers benutzten Kinderwagen in aussagekräftige Beziehung bringen will, macht die Sache nicht besser.
Die Kernfrage lautet, ob Dutschke als ideeller Begründer des linken Terrorismus in Deutschland zu betrachten ist. Immerhin hielt er nicht nur den bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus in der Bundesrepublik für grundsätzlich legitim und erklärte sich bereit, "mit der Waffe in der Hand zu kämpfen", wenn die Bundesrepublik in der Nato bleibe. Auch verwandte er den Begriff der Stadtguerrilla bereits 1966 und damit vor dem spektakulären Bezugsereignis des Todes von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. Zugleich übergeht aber auch Kraushaar nicht, dass Dutschke sich selbst durchaus glaubwürdig als entschiedener Gegner terroristischer Gewalt bekannte und mit großen Teilen der damaligen Linken die Gewalt gegen Sachen von der Gewalt gegen Personen glaubte trennen zu können. So ist schon ideengeschichtlich zweifelhaft, was eine solche Vaterschaftsklage in Sachen Linksterrorismus wert ist, die unter anderem über den Zweck einer von Dutschke für den Sommer 1968 geplanten Kuba-Reise spekuliert oder Ulrike Meinhofs bizarren Wunsch, Dutschke möge seine Frau verlassen und mit ihr zusammenleben, als politischen "Anwerbeversuch" ins Feld führt.
Dahinter werden die Umrisse eines Deutungsproblems erkennbar, das den ganzen Doppelband durchzieht: Wie umstandslos lässt sich der politische Diskurs der Achtundsechziger-Bewegung an heutigen Geltungsmaßstäben des Sagbaren und des Unsäglichen messen? Die Spurensuche nach den Wurzeln der Gewalt von links ist immer noch von einem Gestus des trotzigen Tabubruchs geprägt, der nicht wahrnehmen will, dass die politische Kultur in Deutschland während der letzten Jahrzehnte selbst einen tiefgreifenden semantischen Wandel durchlaufen hat: Wer in der APO den Tod der Ordinarienuniversität verlangt oder die "Gegengewalt gegen die herrschende Klasse" beschwor, tat dies in einem Denk- und Handlungshorizont, der weit stärker als heute nach den Kategorien von Kampf und Gegnerschaft modelliert war - und zugleich fast unfassbar schwächer als heute nach denen von Leid und Opfer. Mit dieser Einsicht wird die Beklemmung nicht geringer, mit der der heutige Leser Ulrike Meinhofs Auschwitz-Phantasien liest oder Dieter Kunzelmanns verächtliche Abwertung des Eintretens für Israel als "Judenknax". Aber sie erlaubt, an der fundamentalen Bedeutung der 68er-Bewegung für die Liberalisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik festzuhalten, ohne ihren mörderischen Seitentrieb in Gestalt des Terrors von links kleinreden zu müssen.
MARTIN SABROW
Wolfgang Kraushaar (Herausgeber): Die RAF und der linke Terrorismus. 2 Bände. Hamburger Edition, Hamburg 2006. 1415 S., 78,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kenntnisreiches Kompendium der Ratlosigkeit über die RAF und ihr politisches Umfeld
Nicht weniger als 30 Jahre liegt der blutige Herbst zurück, der die Bundesrepublik 1977 in einen förmlichen Belagerungszustand versetzte, und bald zehn Jahre sind vergangen, seit eine letzte Erklärung aus dem Untergrund das Ende des "Projekts RAF" verkündete. Trotz dieser Zeitspannen hat sich aus dem Wust von Analysen, Memoiren und Bekenntnisschriften bislang noch kein klares Bild des linken Terrors in der Bundesrepublik herausgeschält. Die Gründe für dieses Defizit liegen auf der Hand. Sie gehen einmal auf die naturgegebene Unübersichtlichkeit eines Konfliktfeldes zurück, auf dem Geheimhaltung die wichtigste Waffe war. Schon empirisch steht die Geschichte des deutschen Linksterrorismus vielfach immer noch auf ungesicherter Grundlage, wie sich in der jüngsten Diskussion um die Täterschaft im Mordfall Buback wieder deutlich zeigte. Wie so häufig in der Zeitgeschichte hat Klio zudem mit der Befangenheit ihrer Priester zu kämpfen. Nicht wenige der heutigen Beobachter waren einst selbst Kombattanten, und die biographische Nähe des Geschehens zum Interpreten bringt ihre eigenen Tabus und Frontstellungen mit sich. Die Zäsur von 1968 als Gründungsmythos der zweiten, Demokratie endlich wagenden Bundesrepublik ist politisch-kulturell in einem solchen Maß identitätsbildend geworden, dass das Phänomen eines ebenfalls auf die Achtundsechziger zurückgehenden Terrors von links eigentümlich blass geblieben ist. Ein freundlicher Schweigekonsens, den offenbar bis heute nur besonders schrille Stimmen zu durchbrechen vermögen, eint vielfach noch die in den sechziger und siebziger Jahren politisch sozialisierte Generation in unserer politischen Deutungskultur.
Gegen diese Widerstände hat Wolfgang Kraushaar ein beeindruckendes Aufgebot versammelt, um dem Thema "Die RAF und der linke Terrorismus" auf den Grund zu gehen. Der opulent ausgestattete Doppelband rückt der RAF und ihrem politischen Umfeld mit nicht weniger als 64 Texten phänomenologisch wie komparatistisch, biographisch wie ideologie- und mediengeschichtlich zu Leibe. Ausführlich kommen die theoretischen Probleme zur Sprache, die das Phänomen des politischen Terrors im 20. Jahrhundert aufwirft, und keineswegs vergessen werden politische und kulturelle Reaktionen, die der Weg der "vormundschaftlichen Gewalt" (Herfried Münkler) erzeugte.
Bei weitem nicht alle von Kraushaar versammelten Texte sind Originalbeiträge. Wenig Gewinn für viel Aufwand erbringt auch das Bemühen, das Konzept der Stadtguerrilla in seinem dezisionistischen Grundcharakter über Mao Tse-tung und Che Guevara bis zu Jean-Paul Sartre zu verfolgen, um so den Terror von links in die politische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten. Verstiegen mutet insbesondere der Versuch an, unter dem Stichwort "Entsetzen" die heimlichen Beziehungen der RAF auch noch zu Walter Benjamin zu erhellen und "eine irgendwie geartete Zündschnur zwischen seinen Worten und ihren Taten" zu ermitteln.
Trotz dieser Ausflüge den Autoren uneingeschränkte Anerkennung für ein Werk, dem es darauf ankommt, die Geschichte des deutschen Linksterrorismus nicht einmal mehr zu erzählen, sondern sie zu erklären. Es lehrt auch dort über die analytischen Untiefen des Vorhabens, wo es in ihnen steckenbleibt. So hat jedes begriffliche Bemühen um den Charakter politischer Gewalt in der Moderne damit zu kämpfen, dass Terror und Terrorismus "Chamäleonbegriffe" sind. Zwar lässt Terrorismus sich anerkanntermaßen vom Tyrannenmord, vom Guerrillakampf und vom Staatenkrieg gleichermaßen dadurch unterscheiden, dass er mehr auf die psychischen als auf die physischen Folgen der Gewalt zielt: Der terroristische Anschlag nimmt seine unmittelbaren Opfer nicht als Zweck, sondern als Mittel; und seine eigentliche Stärke ist der Schrecken, den er bei den scheinbar Unbeteiligten erzeugt. Doch diese Unterscheidung wird nur schwer mit dem Umstand fertig, dass die Analysewerkzeuge zugleich politische Kampfbegriffe sind, deren wichtigstes Merkmal ihre intendierte Ausschließungskraft ist. Wie häufig in der Zeitgeschichte erweist sich auch hier das Unvermögen zu einer begrifflichen Trennung von Objektsprache und Metasprache als kaum zu bewältigendes Problem; Bezeichnungen wie Freiheitskämpfer, Guerrillero, Terrorist bleiben politische Sympathie- und Distanzbegriffe, die sich analytisch befriedigender Definition nachhaltig entziehen, wie Rudolf Walther in einer konzisen begriffs- und sozialgeschichtlichen Skizze hervorhebt.
Diese interpretatorische Unschärfe mag heute umso weniger stören, als anders noch vor drei Jahrzehnten in der westlichen Welt die strikte Ächtung von Gewalt als Grundkonsens politischen Handelns über alle politischen Lager hinweg fest verankert ist. Doch auch dann bleibt der Bezugspunkt einer zeithistorischen Terrorismusanalyse ein ungeklärtes Problem: Markieren Al Qaida und die Globalisierung des Schreckens samt dem so dramatisch gestiegenen "lethal quotient" eine neue Herausforderung der Weltordnung, der gegenüber die Anschläge der militanten Linken in den siebziger und achtziger Jahren zu einer vergleichsweise harmlosen Bedrohung verblassen? Oder verstößt gerade eine solche Unterscheidung von altem und neuem Terror gegen die unveränderte Grunderkenntnis, dass Terroristen anders als Soldaten und Guerrilleros "kommunikative Gewaltstrategien" verfolgen, deren Schreckenspotential sich allein im Kontext ihrer Zeit und ihrer politischen Wirkung bewertet lässt?
Die Porträts von Ulrike Meinhof, Horst Mahler, Gudrun Ensslin und Andreas Baader lassen den Leser ratlos zurück. War es im Tiefsten doch die "amour fou" zwischen dem von Karin Wieland so genannten "Dandy des Bösen" Baader und der gegen ihre pietistische Herkunft revoltierenden Pfarrerstochter Ensslin, die die Spirale der Gewalt rettungslos bis zur Selbstzerstörung drehte? Oder lässt sich umgekehrt in der gnadenlosen Härte der RAF-Gründer gegen andere und gegen sich selbst gerade eine "Kontinuität aus dem Protestantismus des Elternhauses" entdecken, die Gudrun Ensslin auch nach dem Bruch mit ihrer christlichen Vergangenheit unbeirrt an protestantischen Tugenden wie Enthaltsamkeit, Konsumkritik, Disziplin und Opferbereitschaft hätte festhalten lassen?
Auffällig ist, dass der Band die Chance vergibt, eine Vergleichslinie des bundesdeutschen Linksterrors zum Weimarer Rechtsterrorismus zu ziehen. Bei allen ideologischen Gegensätzen ist nicht zu übersehen, dass in der Anbetung von Kampf, Entscheidung und Entschlossenheit, in der Auswahl potentieller Anschlagsopfer, in der klandestinen Netzwerkbildung, im Glauben an die aufrüttelnde Kraft des Avantgardeterrors und im Mythos des Selbstopfers verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den Anschlägen der drei RAF-Generationen und den auf einen Rechtsputsch hinarbeitenden Attentätern des "revolutionären Nationalismus" der zwanziger Jahre bestehen.
Eine solche diachrone Vergleichsperspektive hätte umso näher gelegen, als insbesondere Kraushaar selbst zwei Charakterzüge des deutschen Linksradikalismus bis in die Wurzeln der Studentenbewegung zurückzuverfolgen sucht, die das Selbstverständnis der längst von einer oppositionellen Bewegung zur politischen Generation avancierten Achtundsechziger nachhaltig verstören müssen: irrationale Gewaltverherrlichung und antifaschistischer Antisemitismus. Vor allem Rudi Dutschke tritt bei Kraushaar als politischer Apostel der Gewaltentgrenzung hervor, dessen linker Dezisionismus zudem auf eine präfaschistische Denkfigur zurückgreife. Dazu höhlt Kraushaar den Begriff des Dezisionismus allerdings zum bloßen Moment der politischen Entscheidungsorientierung aus, um in dieser leeren Begriffshülle die intellektuelle Linke der sechziger Jahre mit der intellektuellen Rechten der zwanziger und dreißiger Jahre zusammenzusperren. Eine solche Reflexion auf den gemeinsamen dezisionistischen Grundimpuls von linker und rechter Gewalt birgt wenig Substanz, und dass Kraushaar in seinem Eifer noch eine Bemerkung Carl Schmitts über einen möglichen Partisan in der Berufskleidung eines Kinderarztes mit dem zur Entführung Hanns-Martin Schleyers benutzten Kinderwagen in aussagekräftige Beziehung bringen will, macht die Sache nicht besser.
Die Kernfrage lautet, ob Dutschke als ideeller Begründer des linken Terrorismus in Deutschland zu betrachten ist. Immerhin hielt er nicht nur den bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus in der Bundesrepublik für grundsätzlich legitim und erklärte sich bereit, "mit der Waffe in der Hand zu kämpfen", wenn die Bundesrepublik in der Nato bleibe. Auch verwandte er den Begriff der Stadtguerrilla bereits 1966 und damit vor dem spektakulären Bezugsereignis des Todes von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. Zugleich übergeht aber auch Kraushaar nicht, dass Dutschke sich selbst durchaus glaubwürdig als entschiedener Gegner terroristischer Gewalt bekannte und mit großen Teilen der damaligen Linken die Gewalt gegen Sachen von der Gewalt gegen Personen glaubte trennen zu können. So ist schon ideengeschichtlich zweifelhaft, was eine solche Vaterschaftsklage in Sachen Linksterrorismus wert ist, die unter anderem über den Zweck einer von Dutschke für den Sommer 1968 geplanten Kuba-Reise spekuliert oder Ulrike Meinhofs bizarren Wunsch, Dutschke möge seine Frau verlassen und mit ihr zusammenleben, als politischen "Anwerbeversuch" ins Feld führt.
Dahinter werden die Umrisse eines Deutungsproblems erkennbar, das den ganzen Doppelband durchzieht: Wie umstandslos lässt sich der politische Diskurs der Achtundsechziger-Bewegung an heutigen Geltungsmaßstäben des Sagbaren und des Unsäglichen messen? Die Spurensuche nach den Wurzeln der Gewalt von links ist immer noch von einem Gestus des trotzigen Tabubruchs geprägt, der nicht wahrnehmen will, dass die politische Kultur in Deutschland während der letzten Jahrzehnte selbst einen tiefgreifenden semantischen Wandel durchlaufen hat: Wer in der APO den Tod der Ordinarienuniversität verlangt oder die "Gegengewalt gegen die herrschende Klasse" beschwor, tat dies in einem Denk- und Handlungshorizont, der weit stärker als heute nach den Kategorien von Kampf und Gegnerschaft modelliert war - und zugleich fast unfassbar schwächer als heute nach denen von Leid und Opfer. Mit dieser Einsicht wird die Beklemmung nicht geringer, mit der der heutige Leser Ulrike Meinhofs Auschwitz-Phantasien liest oder Dieter Kunzelmanns verächtliche Abwertung des Eintretens für Israel als "Judenknax". Aber sie erlaubt, an der fundamentalen Bedeutung der 68er-Bewegung für die Liberalisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik festzuhalten, ohne ihren mörderischen Seitentrieb in Gestalt des Terrors von links kleinreden zu müssen.
MARTIN SABROW
Wolfgang Kraushaar (Herausgeber): Die RAF und der linke Terrorismus. 2 Bände. Hamburger Edition, Hamburg 2006. 1415 S., 78,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Für Eckhard Jesse setzt das von Wolfgang Kraushaar herausgegebene "Mammutwerk" zur RAF neue Standards. Kraushaars historisierender Perspektive möchte sich der Rezensent angesichts anhaltender Diskussionen über den deutschen Terrorismus zwar nicht anschließen, die insgesamt 64 Beiträge von 47 Autoren liest er jedoch mit Gewinn, weil sie "von Apologie wie von Abrechnung frei" seien. Bei aller Vielfalt der Themen (ideologische Ursprünge, Protagonisten, Terrorismus und Medien etc.) vermisst Jesse die Perspektive der Opfer und eine Darstellung des Sympathisantentums. Wesentliche Erkenntnisse und neue Quellen erschließt ihm der Band in puncto Internationalität der RAF, obschon Jesse um die Klandestinität dieses Bereichs weiß, sowie bezüglich der "narzisstischen Seiten" der RAF. Insgesamt überzeugen den Rezensenten die Vielfalt, die Präzision und die kritische Haltung in den Analysen. Dass die Beiträge keinen Konsens anstreben, findet er dem Thema angemessen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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