Eine unfassbare Geschichte über Liebe, Intrigen und Spionage rund um die berüchtigte Fluchtroute der Nazis über den Vatikan nach Argentinien: Meisterhaft erzählt von dem bekannten Menschenrechtsanwalt und Bestsellerautor Philippe Sands.
Im Mittelpunkt stehen Leben, Flucht und Tod des SS-Offiziers Otto Wächter, Spross einer der angesehensten Familien Österreichs, zunächst Jurist in Wien und ab 1939 NS-Gouverneur von Krakau bzw. ab 1942 von Galizien. Nach 1945 als Massenmörder gesucht, gelingt ihm die abenteuerliche Flucht in den Vatikan unter den Schutz des Bischofs Hudal. Doch bevor er sich nach Argentinien absetzen kann, stirbt er 1949 überraschend. Jahrzehnte später begegnet Philippe Sands Ottos Sohn Horst Wächter. Es ist der Beginn einer komplexen Ermittlung: Horst behauptet, sein Vater sei vergiftet worden. Sands beschließt, die Wahrheit herauszufinden.
Ausgehend von den privaten Briefen und Tagebüchern der Familie Wächter, gelingt ihm ein intimes, verstörendes Porträt des SS-Mannes und seiner Frau. Dabei lässt er uns auch an seinen Begegnungen mit Horst Wächter teilhaben - und damit an der Beziehung zweier Männer, die auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte stehen.
»Eine fesselnde Reise durch die Zeit und ein Porträt des Bösen in all seiner Komplexität, Banalität und Selbstgerechtigkeit.« Stephen Fry
Im Mittelpunkt stehen Leben, Flucht und Tod des SS-Offiziers Otto Wächter, Spross einer der angesehensten Familien Österreichs, zunächst Jurist in Wien und ab 1939 NS-Gouverneur von Krakau bzw. ab 1942 von Galizien. Nach 1945 als Massenmörder gesucht, gelingt ihm die abenteuerliche Flucht in den Vatikan unter den Schutz des Bischofs Hudal. Doch bevor er sich nach Argentinien absetzen kann, stirbt er 1949 überraschend. Jahrzehnte später begegnet Philippe Sands Ottos Sohn Horst Wächter. Es ist der Beginn einer komplexen Ermittlung: Horst behauptet, sein Vater sei vergiftet worden. Sands beschließt, die Wahrheit herauszufinden.
Ausgehend von den privaten Briefen und Tagebüchern der Familie Wächter, gelingt ihm ein intimes, verstörendes Porträt des SS-Mannes und seiner Frau. Dabei lässt er uns auch an seinen Begegnungen mit Horst Wächter teilhaben - und damit an der Beziehung zweier Männer, die auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte stehen.
»Eine fesselnde Reise durch die Zeit und ein Porträt des Bösen in all seiner Komplexität, Banalität und Selbstgerechtigkeit.« Stephen Fry
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Klaus Hillenbrand findet es toll, wie der britische Völkerrechtler Philippe Sands mit seinem Werk über den SS-Offizier Otto Wächter die Genres Sachbuch und Krimi zu vereinen versteht: Akribisch erforscht der Autor das Leben des Wiener Nazis und widmet sich der Aufklärung seines Todes, wobei er die Leser mit auf die spannende Spurensuche nimmt interessante Gespräche mit Nachfahren wiedergibt, erzählt der Kritiker, der das Ergebnis nicht vorwegnehmen will.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2021Endstation in der Ewigen Stadt
Mit bischöflicher Hilfe: Philippe Sands beschreibt Untertauchen und Flucht eines österreichischen SS-Manns
Wer das neue Buch von Philippe Sands zur Hand nimmt, dem fallen zwei kolorierte Fotografien auf dem Umschlag auf. Die eine, etwas grobkörnig, zeigt ein Paar mittleren Alters inmitten einer idyllischen Berglandschaft. Sie scheinen sich nach einer Wanderung auf einer Wiese niedergelassen zu haben. Das andere, auf dem Buchrücken, zeigt ein Familienporträt, Eltern mit zwei kleinen indern. Der Mann trägt eine Uniform und schwarze Lederstiefel, die Frau ein elegantes Cape und einen modischen Hut. Auf beiden Fotografien ist dasselbe Paar abgebildet: der SS-Funktionär Otto Wächter (1901-1949) mit seiner Frau Charlotte. Die Aufnahmen, im Abstand von nur vier Jahren entstanden, zeigen Wächter einmal als SS-Gruppenführer mit zwei seiner sechs Kinder, auf der anderen ist er ein gesuchter Kriegsverbrecher auf der Flucht, der sich in der Bergwelt der Hohen Tauern versteckt hält.
Das Familienporträt von 1944 vereint die drei Hauptpersonen von Sands' Buch: Wächter selbst, seine Frau Charlotte (1908-1985) und ihren 1939 geborenen Sohn Horst Arthur. Letzteren hatte Sands bei den Recherchen für sein 2018 auf Deutsch erschienenes Buch "Rückkehr nach Lemberg" kennengelernt. Die Begegnung mit Horst Wächter inspirierte Sands zu seinem neuen Buch, das sich wie eine Fortsetzung des ersten liest und ihm mit der Verknüpfung von lebendiger Erzählweise und historischer Methode gleicht.
Die Stadt Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine, gehörte unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zum Distrikt Galizien. Im Januar 1942 wurde der österreichische Nationalsozialist Otto Wächter, einer der führenden Köpfe des Wiener Juliputsches 1934 und seit November 1939 Gouverneur des Distrikts Krakau, zum Gouverneur des Distrikts Galizien ernannt. In die Amtszeiten Wächters fallen die Verfolgung, Gettoisierung, Deportation und Vernichtung der einheimischen jüdischen Bevölkerung und zahlreiche andere Verbrechen. Schon im Oktober 1942 berichtete die "New York Times" unter der Überschrift "Polen klagt an", dass die polnische Exilregierung Wächter als einen von zehn Hauptverantwortlichen für den Tod von 400 000 Menschen in Polen identifiziert habe.
Sein Sohn Horst will die Schuld des Vaters bis heute nicht anerkennen, machte Sands aber dessen Nachlass und den seiner Mutter Charlotte zugänglich. Auf der Grundlage zahlreicher Briefe, Tagebücher, Fotografien und anderer Unterlagen aus diesen Konvoluten rekonstruiert Sands die Lebens-, vor allem aber die abenteuerliche Fluchtgeschichte von Wächter, dem es gelang, sich der Strafverfolgung nach 1945 zu entziehen.
Unmittelbar nach Kriegsende hatte sich Wächter drei Jahre lang zusammen mit einem anderen SS-Mann in den österreichischen Bergen in ständig wechselnden Quartieren zwischen Salzburg und Zell am See versteckt gehalten. In dieser Zeit traf er sich immer wieder mit seiner Frau, die ihn mit Lebensmitteln und Wäsche versorgte. Nachdem er vermutlich über ehemalige Kameraden auf die Unterstützung des Vatikans bei der Flucht nach Südamerika aufmerksam gemacht worden war, verließ er die Berge und schlug sich auf der berühmt-berüchtigten "Reichsfluchtstrecke" von Südtirol bis in die italienische Hauptstadt durch. Auf der sogenannten "Rattenlinie" war schon anderen Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Klaus Barbie mit der Hilfe hoher Würdenträger der katholischen Kirche die Flucht aus Europa gelungen.
In Rom, wo Wächter Ende April 1949 mit der Bahn ankam, lebte er versteckt in einem Kloster, um auf eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Argentinien zu warten. In der Ewigen Stadt traf er auf ein ganzes Netzwerk von Helferinnen und Helfern. Die zahlreichen Begegnungen während des Rom-Aufenthaltes lassen sich aus einem akribisch geführten Kalender und Adressbuch sowie aus dem Briefwechsel mit seiner Frau Charlotte rekonstruieren. Danach traf er bereits einen Tag nach seiner Ankunft in der Stadt mit Bischof Alois Hudal, dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima, zusammen, der zuvor schon gesuchten Nationalsozialisten Zuflucht geboten hatte (F.A.Z. vom 3. Januar 2020). Wächter wusste jedoch nichts von Hudals "Doppelrolle" als Informant des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC, so dass die Amerikaner früh vom Aufenthaltsort des Kriegsverbrechers wussten, ohne ihn festnehmen zu lassen. Er starb als "Alfredo Reinhardt" im Juli 1949 im Hospital Santa Spirito in Rom in den Armen von Bischof Hudal. Aufgrund seines plötzlichen Todes im Alter von nur 48 Jahren wurde lange vermutet, er sei vergiftet worden, was Sands jedoch entkräften kann.
Sein Buch ist nicht nur in dieser Hinsicht eine enorme Rechercheleistung, die den Autor von Österreich und Italien bis nach Albuquerque in New Mexico geführt hat. Sands ist die Orte von Wächters Fluchtroute selbst abgereist, um sich ein Bild zu machen, und er hat Zeitzeugen in aller Welt aufgesucht, um aus vielen kleinen Puzzleteilen schließlich ein Bild zu formen. So liest sich seine Darstellung an vielen Stellen wie eine Reportage von Reisen und persönlichen Begegnungen, und es gelingt ihm, seine aus zahlreichen Archiven zusammengetragenen Quellen zum Sprechen zu bringen.
Was dieses Geschichtsbuch zu einem besonderen macht: Der Autor lässt die Leser an seiner siebenjährigen Spurensuche teilhaben, bei der sich aus immer mehr Dokumenten und Gesprächen neue Erkenntnisse, Fragen, aber auch Gewissheiten ergaben. Otto Wächter starb an Leptospirose, einer bakteriellen Infektion, die er sich wahrscheinlich beim Schwimmen im verschmutzten Wasser des Tibers zugezogen hatte. Wächters Sohn Horst aber glaubt weiter an eine Vergiftung und auch an die Unschuld seines Vaters. Selbst als Sands ihm Fotografien vorlegt, die er nach langer Suche in einem Warschauer Archiv fand und die belegen, dass Otto Wächter im Dezember 1939 an einer Exekution von fünfzig polnischen Zivilisten in der Nähe von Krakau teilgenommen hatte.
RENÉ SCHLOTT
Philippe Sands:
"Die Rattenlinie". Ein Nazi auf der Flucht.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 524 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit bischöflicher Hilfe: Philippe Sands beschreibt Untertauchen und Flucht eines österreichischen SS-Manns
Wer das neue Buch von Philippe Sands zur Hand nimmt, dem fallen zwei kolorierte Fotografien auf dem Umschlag auf. Die eine, etwas grobkörnig, zeigt ein Paar mittleren Alters inmitten einer idyllischen Berglandschaft. Sie scheinen sich nach einer Wanderung auf einer Wiese niedergelassen zu haben. Das andere, auf dem Buchrücken, zeigt ein Familienporträt, Eltern mit zwei kleinen indern. Der Mann trägt eine Uniform und schwarze Lederstiefel, die Frau ein elegantes Cape und einen modischen Hut. Auf beiden Fotografien ist dasselbe Paar abgebildet: der SS-Funktionär Otto Wächter (1901-1949) mit seiner Frau Charlotte. Die Aufnahmen, im Abstand von nur vier Jahren entstanden, zeigen Wächter einmal als SS-Gruppenführer mit zwei seiner sechs Kinder, auf der anderen ist er ein gesuchter Kriegsverbrecher auf der Flucht, der sich in der Bergwelt der Hohen Tauern versteckt hält.
Das Familienporträt von 1944 vereint die drei Hauptpersonen von Sands' Buch: Wächter selbst, seine Frau Charlotte (1908-1985) und ihren 1939 geborenen Sohn Horst Arthur. Letzteren hatte Sands bei den Recherchen für sein 2018 auf Deutsch erschienenes Buch "Rückkehr nach Lemberg" kennengelernt. Die Begegnung mit Horst Wächter inspirierte Sands zu seinem neuen Buch, das sich wie eine Fortsetzung des ersten liest und ihm mit der Verknüpfung von lebendiger Erzählweise und historischer Methode gleicht.
Die Stadt Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine, gehörte unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zum Distrikt Galizien. Im Januar 1942 wurde der österreichische Nationalsozialist Otto Wächter, einer der führenden Köpfe des Wiener Juliputsches 1934 und seit November 1939 Gouverneur des Distrikts Krakau, zum Gouverneur des Distrikts Galizien ernannt. In die Amtszeiten Wächters fallen die Verfolgung, Gettoisierung, Deportation und Vernichtung der einheimischen jüdischen Bevölkerung und zahlreiche andere Verbrechen. Schon im Oktober 1942 berichtete die "New York Times" unter der Überschrift "Polen klagt an", dass die polnische Exilregierung Wächter als einen von zehn Hauptverantwortlichen für den Tod von 400 000 Menschen in Polen identifiziert habe.
Sein Sohn Horst will die Schuld des Vaters bis heute nicht anerkennen, machte Sands aber dessen Nachlass und den seiner Mutter Charlotte zugänglich. Auf der Grundlage zahlreicher Briefe, Tagebücher, Fotografien und anderer Unterlagen aus diesen Konvoluten rekonstruiert Sands die Lebens-, vor allem aber die abenteuerliche Fluchtgeschichte von Wächter, dem es gelang, sich der Strafverfolgung nach 1945 zu entziehen.
Unmittelbar nach Kriegsende hatte sich Wächter drei Jahre lang zusammen mit einem anderen SS-Mann in den österreichischen Bergen in ständig wechselnden Quartieren zwischen Salzburg und Zell am See versteckt gehalten. In dieser Zeit traf er sich immer wieder mit seiner Frau, die ihn mit Lebensmitteln und Wäsche versorgte. Nachdem er vermutlich über ehemalige Kameraden auf die Unterstützung des Vatikans bei der Flucht nach Südamerika aufmerksam gemacht worden war, verließ er die Berge und schlug sich auf der berühmt-berüchtigten "Reichsfluchtstrecke" von Südtirol bis in die italienische Hauptstadt durch. Auf der sogenannten "Rattenlinie" war schon anderen Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Klaus Barbie mit der Hilfe hoher Würdenträger der katholischen Kirche die Flucht aus Europa gelungen.
In Rom, wo Wächter Ende April 1949 mit der Bahn ankam, lebte er versteckt in einem Kloster, um auf eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Argentinien zu warten. In der Ewigen Stadt traf er auf ein ganzes Netzwerk von Helferinnen und Helfern. Die zahlreichen Begegnungen während des Rom-Aufenthaltes lassen sich aus einem akribisch geführten Kalender und Adressbuch sowie aus dem Briefwechsel mit seiner Frau Charlotte rekonstruieren. Danach traf er bereits einen Tag nach seiner Ankunft in der Stadt mit Bischof Alois Hudal, dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima, zusammen, der zuvor schon gesuchten Nationalsozialisten Zuflucht geboten hatte (F.A.Z. vom 3. Januar 2020). Wächter wusste jedoch nichts von Hudals "Doppelrolle" als Informant des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC, so dass die Amerikaner früh vom Aufenthaltsort des Kriegsverbrechers wussten, ohne ihn festnehmen zu lassen. Er starb als "Alfredo Reinhardt" im Juli 1949 im Hospital Santa Spirito in Rom in den Armen von Bischof Hudal. Aufgrund seines plötzlichen Todes im Alter von nur 48 Jahren wurde lange vermutet, er sei vergiftet worden, was Sands jedoch entkräften kann.
Sein Buch ist nicht nur in dieser Hinsicht eine enorme Rechercheleistung, die den Autor von Österreich und Italien bis nach Albuquerque in New Mexico geführt hat. Sands ist die Orte von Wächters Fluchtroute selbst abgereist, um sich ein Bild zu machen, und er hat Zeitzeugen in aller Welt aufgesucht, um aus vielen kleinen Puzzleteilen schließlich ein Bild zu formen. So liest sich seine Darstellung an vielen Stellen wie eine Reportage von Reisen und persönlichen Begegnungen, und es gelingt ihm, seine aus zahlreichen Archiven zusammengetragenen Quellen zum Sprechen zu bringen.
Was dieses Geschichtsbuch zu einem besonderen macht: Der Autor lässt die Leser an seiner siebenjährigen Spurensuche teilhaben, bei der sich aus immer mehr Dokumenten und Gesprächen neue Erkenntnisse, Fragen, aber auch Gewissheiten ergaben. Otto Wächter starb an Leptospirose, einer bakteriellen Infektion, die er sich wahrscheinlich beim Schwimmen im verschmutzten Wasser des Tibers zugezogen hatte. Wächters Sohn Horst aber glaubt weiter an eine Vergiftung und auch an die Unschuld seines Vaters. Selbst als Sands ihm Fotografien vorlegt, die er nach langer Suche in einem Warschauer Archiv fand und die belegen, dass Otto Wächter im Dezember 1939 an einer Exekution von fünfzig polnischen Zivilisten in der Nähe von Krakau teilgenommen hatte.
RENÉ SCHLOTT
Philippe Sands:
"Die Rattenlinie". Ein Nazi auf der Flucht.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 524 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Empfehlung für alle Leser, die sich für die Grautöne im Schwarz-Weiß der Geschichte interessieren. Isabel Lauer Nürnberger Zeitung 20210303