Eine unfassbare Geschichte über Liebe, Intrigen und Spionage rund um die berüchtigte Fluchtroute der Nazis über den Vatikan nach Argentinien: Meisterhaft erzählt von dem bekannten Menschenrechtsanwalt und Bestsellerautor Philippe Sands.
Im Mittelpunkt stehen Leben, Flucht und Tod des SS-Offiziers Otto Wächter, Spross einer der angesehensten Familien Österreichs, zunächst Jurist in Wien und ab 1939 NS-Gouverneur von Krakau bzw. ab 1942 von Galizien. Nach 1945 als Massenmörder gesucht, gelingt ihm die abenteuerliche Flucht in den Vatikan unter den Schutz des Bischofs Hudal. Doch bevor er sich nach Argentinien absetzen kann, stirbt er 1949 überraschend. Jahrzehnte später begegnet Philippe Sands Ottos Sohn Horst Wächter. Es ist der Beginn einer komplexen Ermittlung: Horst behauptet, sein Vater sei vergiftet worden. Sands beschließt, die Wahrheit herauszufinden.
Ausgehend von den privaten Briefen und Tagebüchern der Familie Wächter, gelingt ihm ein intimes, verstörendes Porträt des SS-Mannes und seiner Frau. Dabei lässt er uns auch an seinen Begegnungen mit Horst Wächter teilhaben - und damit an der Beziehung zweier Männer, die auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte stehen.
»Eine fesselnde Reise durch die Zeit und ein Porträt des Bösen in all seiner Komplexität, Banalität und Selbstgerechtigkeit.« Stephen Fry
Im Mittelpunkt stehen Leben, Flucht und Tod des SS-Offiziers Otto Wächter, Spross einer der angesehensten Familien Österreichs, zunächst Jurist in Wien und ab 1939 NS-Gouverneur von Krakau bzw. ab 1942 von Galizien. Nach 1945 als Massenmörder gesucht, gelingt ihm die abenteuerliche Flucht in den Vatikan unter den Schutz des Bischofs Hudal. Doch bevor er sich nach Argentinien absetzen kann, stirbt er 1949 überraschend. Jahrzehnte später begegnet Philippe Sands Ottos Sohn Horst Wächter. Es ist der Beginn einer komplexen Ermittlung: Horst behauptet, sein Vater sei vergiftet worden. Sands beschließt, die Wahrheit herauszufinden.
Ausgehend von den privaten Briefen und Tagebüchern der Familie Wächter, gelingt ihm ein intimes, verstörendes Porträt des SS-Mannes und seiner Frau. Dabei lässt er uns auch an seinen Begegnungen mit Horst Wächter teilhaben - und damit an der Beziehung zweier Männer, die auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte stehen.
»Eine fesselnde Reise durch die Zeit und ein Porträt des Bösen in all seiner Komplexität, Banalität und Selbstgerechtigkeit.« Stephen Fry
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Klaus Hillenbrand findet es toll, wie der britische Völkerrechtler Philippe Sands mit seinem Werk über den SS-Offizier Otto Wächter die Genres Sachbuch und Krimi zu vereinen versteht: Akribisch erforscht der Autor das Leben des Wiener Nazis und widmet sich der Aufklärung seines Todes, wobei er die Leser mit auf die spannende Spurensuche nimmt interessante Gespräche mit Nachfahren wiedergibt, erzählt der Kritiker, der das Ergebnis nicht vorwegnehmen will.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2020Wächters Anstand
In seinem Buch „Die Rattenlinie“ rekonstruiert der englische Jurist Philippe Sands das Leben des SS-Gruppenführers Otto Wächter
„Die Mörder sind unter uns“, wusste ein Defa-Spielfilm schon 1946. Ein paar Jahre später, nach Beginn des Kalten Krieges, wurde dieser Satz umgeschrieben: in der DDR zu „die Mörder sind in der BRD“, dort wiederum zu „die Mörder sind in Südamerika“. Das Bild von hochrangigen Nazis, die unbehelligt in Südamerika Kaninchen züchten oder Autofabriken leiten, hat die Popkultur lange beschäftigt, mehr jedenfalls als die (west-)deutsche Justiz. Das „Odessa-Netzwerk“, das SS-Mördern die Passage zum Beispiel in das peronistische Argentinien ermöglicht hat, spukt, etwa als Vorbild für „Spectre“ in James-Bond-Filmen, noch heute durch Filme und Serien.
Der schneidige Nazibaron Otto (von) Wächter, als leitender SS-Mann in Polen und Galizien für die Ermordung Hunderttausender Juden verantwortlich, stand dank seiner guten Kontakte zu alten Kameraden und dem Vatikan schon auf der Warteliste, diesen Weg über die sogenannte „Rattenlinie“ zu nehmen. Es gehört zu den wenigen unausgesprochenen Ironien von Philippe Sands’ Buch „Die Rattenlinie“, dass diese eigentlich keine Rolle spielt, denn Wächter stirbt 1949, unter falschem Namen und nicht ganz klaren Umständen, in einem Krankenhaus in Italien.
Sands, eigentlich Anwalt und Professor für internationales Recht in London, stieß auf Wächters Geschichte, nachdem sein Buch „East West Street“ zum Welterfolg wurde. Jenes Buch war eine Art Viererbiografie von Männern, deren Leben mit Lwow/Lwiw/Lemberg verknüpft ist: Hans Frank, Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete und in Nürnberg zum Tode verurteilt, die beiden Lemberger Anwälte Raphael Lemkin und Hersch Lauterpacht, die nach 1945 den Begriff des „Genozid“ im internationalen Recht verankern, und schließlich Sands’ eigener Großvater Leon Buchholz. In der aktuell so beliebten Sachbuchmischung aus persönlich motivierter Recherche, Ideengeschichte und Memoir erinnerte Sands an die Blütezeit jüdischen Lebens der Stadt und dessen Zerstörung. „Die Rattenlinie“ ist eine Art Fortsetzung.
Über Niklas Frank, dessen Lebensthema die Schuld seines SS-Vaters ist, lernt Sands eine ganz andere Art von Nazi-Sohn kennen: Horst Wächter, wie Frank 1939 geboren, lebt in einem kalten Schloss in Hagenberg und verbringt sein Leben im Balanceakt zwischen „Papa war ein Nazi“ und „Papa war kein Mörder“. Sands fasziniert sein nur scheinbar ganz offenes Sprechen, das die totale Leugnung der Verbrechensgeschichte seiner Familie nur mühsam überdeckt. Er schreibt ein Porträt von Horst für die Financial Times und produziert die Dokumentation „What Our Fathers Did“ und schreibt schließlich das vorliegende Buch. Wir sind also, auch wenn die Verbrechen weiter zurückliegen und größer dimensioniert sind als dort üblich, direkt im Genre true crime gelandet, mit widersprüchlichen Erinnerungen, verdrängter Schuld und geheimen Archiven. „Die Rattenlinie“ ist eher ein Arbeitstagebuch denn eine fertige, allwissende Reportage; eine Detektivgeschichte, bei der Sands nicht nur an private Familienaufzeichnungen und verschwundene Geheimdienstunterlagen herankommen muss, sondern dann auch lernen muss, sie zu verstehen, intellektuell, emotional. Der klassische Dreier-Untertitel „Liebe, Lügen und die Suche nach der Wahrheit“ gibt die Richtung vor.
Die Liebe ist die zwischen Baron Otto und seiner Frau Charlotte, zwei junge und verliebte Nazis aus Wien. Otto kommt aus einer deutschnationalen Militärfamilie und schließt sich schon in den Zwanzigern der nationalsozialistischen Bewegung an, Konflikte mit dem Gesetz und der Polizei radikalisieren ihn zusätzlich. 1934 ist er in das Attentat auf Engelbert Dollfuß verwickelt. Auch seine Ehefrau Charlotte glüht für die Partei. Durch seine Freundschaft zu Arthur Seyß-Inquart macht Otto schnell Karriere im Parteiapparat und übernimmt nach dem „Anschluss“ leitende Führungspositionen. Durch Briefe und Tagebücher bekommt Sands Einblick in die Beziehung von Otto und Charlotte, die gelegentlich von untreuen Verliebtheiten gestört, aber durch den Glauben an Führer und Volk durch jedes Unwetter getragen wird, auch nach 1945. Die Ideologisierung ist hart und undurchdringbar, aber der Ton ist nicht manisch, nicht besessen. Die Reinigungsfantasien sind weniger Theweleit-kompatibel und erinnern eher an Bürgerdünkel. Das zeigt ein Tischgespräch, das Curzio Malaparte, als Kriegskorrespondent 1942 bei den Wächters zu Gast, in seinem Buch „Kaputt“ notiert:
„Ich gehe nicht gern ins Ghetto“, sagte Frau Wächter, „es ist sehr traurig.“
„Sehr traurig? Weshalb?“ fragte Gouverneur Fischer.
„Es ist so schmutzig“, sagte Frau Brigitte Frank.
„Ja, so schmutzig“, bestätigte Frau Fischer.
Die untertitelgebenden „Lügen“ betreffen Wächters Rolle bei Massenerschießungen und Deportationen in Krakau und Lemberg, später dann im Kampf gegen Partisanen in Italien, als Kontaktmann zur Republik Salò. Sein Sohn Horst ist überzeugt: „Sein Vater war ein anständiger Mensch, ein Optimist, der versuchte, Gutes zu tun, aber in Gräuel verwickelt wurde, die auf das Konto anderer gingen.“ Weil das blutige Tagesgeschäft nicht in den Familienaufzeichnungen auftaucht, baut Sands Erinnerungen von Überlebenden wie der „Schindler-Jüdin“ Bronisława Horowitz oder Michael Katz aus Lvov, die erleben mussten, wie Wächters „Anstand“ genau aussah. Mal wie ein Therapeut, mal wie ein Staatsanwalt, konfrontiert Sands Horst immer wieder mit Beweisen, mit Augenzeugenberichten, Anklageschriften aus Polen, schließlich sogar Fotos von Erschießungen. Horst – der zu keinem Zeitpunkt die Schoah leugnet und philosemitisch sein Leben lang die Nähe von Juden wie Friedensreich Hundertwasser und Sands sucht – lässt sich von seiner Selbstlüge nicht abbringen. Sands abstrahiert das nicht zum Schaubild für eine alldeutsche Tendenz der Schuldabwehr oder familiäre Tätertraumatisierung hoch. Horst Wächter ist in seiner Erzählung einfach ein durchaus wohlmeinender, in seiner Mitteilungsfreude oft anstrengender und fast unerklärlich verblendeter Sohn eines Nazis.
Die „Wahrheit“, nach der laut Untertitel gesucht wird, ist gleichzeitig das stärkste und schwächste Element des Buches. Zwischen 1945 und 1949 schlägt sich Otto Wächter, auf zahlreichen Fahndungslisten stehend, mit falschem Namen zwischen Österreich und Italien durch. Eine Schlüsselfigur ist Bischof Alois Hudal, der auch Josef Mengele und Walter Rauff zur Flucht verhilft. Unterstützt wird Wächter dabei von seiner Ehefrau, mit der er in kodierten Briefen kommuniziert. Der narrative Haken, an dem Sands dieses komplizierte Netz aufwickelt, ist die Frage nach Wächters plötzlichem Tod nach einer Infektion: Wurde er vergiftet, und wenn ja, von wem? Sands’ Nachbar John le Carré bringt jüdische Rache ins Spiel, Sohn Horst glaubt an die Sowjets. Die Geheimniskrämerei um Wächters Todesursache und die Cliffhanger an Kapitelenden sind der anderen Teile des Buches etwas unwürdig, das hat vielleicht auch Sands selbst gemerkt und bläst keine allzu großen Fragezeichen auf.
Dass es das große Rätsel überhaupt geben muss, hat mit dem Genre zu tun. Sands hat die Geschichte bereits 2018 im BBC-Podcast „Intrigue“ erzählt. Als Dokumentarhörspiel funktioniert seine verzweigte Recherche sehr gut, das Format verzeiht Reporterklischees noch eher. Als Buch wirken die Schnitte zwischen erzählter Geschichte und gegenwärtiger Recherche oft eher unstrukturiert oder behäbig. Mit bedeutungsschweren Epigrammen und ausufernden, unordentlichen Erzählschleifen verspricht „Die Rattenlinie“ eine intellektuelle und moralische Komplexität, die letztlich nicht eingelöst wird. Das liegt vielleicht am Format, vielleicht an Sands’ Erzählhaltung, aber vielleicht auch einfach an den Wächters selbst.
Möglicherweise sind Nazis einfach nicht komplex, und jeder Versuch, sie als komplex zu erzählen, scheitert spätestens dann, wenn Überbau auf banale Realität trifft. Das ist jedenfalls die Erkenntnis nach Lektüre des Buches. So ist Sands doch noch auf eine tiefere Wahrheit gestoßen.
FABIAN WOLFF
Philippe Sands: Die Rattenlinie. Lügen, Liebe und die Suche nach der Wahrheit. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2020. 544 Seiten, 25 Euro.
Der Sohn des Kriegsverbrechers
glaubt, sein Vater war
„ein anständiger Mensch“
Philippe Sands ist Anwalt, Professor für internationales Recht und Direktor des „Centre on International Courts and Tribunals“ am University College in London.
Foto: Fischer Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seinem Buch „Die Rattenlinie“ rekonstruiert der englische Jurist Philippe Sands das Leben des SS-Gruppenführers Otto Wächter
„Die Mörder sind unter uns“, wusste ein Defa-Spielfilm schon 1946. Ein paar Jahre später, nach Beginn des Kalten Krieges, wurde dieser Satz umgeschrieben: in der DDR zu „die Mörder sind in der BRD“, dort wiederum zu „die Mörder sind in Südamerika“. Das Bild von hochrangigen Nazis, die unbehelligt in Südamerika Kaninchen züchten oder Autofabriken leiten, hat die Popkultur lange beschäftigt, mehr jedenfalls als die (west-)deutsche Justiz. Das „Odessa-Netzwerk“, das SS-Mördern die Passage zum Beispiel in das peronistische Argentinien ermöglicht hat, spukt, etwa als Vorbild für „Spectre“ in James-Bond-Filmen, noch heute durch Filme und Serien.
Der schneidige Nazibaron Otto (von) Wächter, als leitender SS-Mann in Polen und Galizien für die Ermordung Hunderttausender Juden verantwortlich, stand dank seiner guten Kontakte zu alten Kameraden und dem Vatikan schon auf der Warteliste, diesen Weg über die sogenannte „Rattenlinie“ zu nehmen. Es gehört zu den wenigen unausgesprochenen Ironien von Philippe Sands’ Buch „Die Rattenlinie“, dass diese eigentlich keine Rolle spielt, denn Wächter stirbt 1949, unter falschem Namen und nicht ganz klaren Umständen, in einem Krankenhaus in Italien.
Sands, eigentlich Anwalt und Professor für internationales Recht in London, stieß auf Wächters Geschichte, nachdem sein Buch „East West Street“ zum Welterfolg wurde. Jenes Buch war eine Art Viererbiografie von Männern, deren Leben mit Lwow/Lwiw/Lemberg verknüpft ist: Hans Frank, Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete und in Nürnberg zum Tode verurteilt, die beiden Lemberger Anwälte Raphael Lemkin und Hersch Lauterpacht, die nach 1945 den Begriff des „Genozid“ im internationalen Recht verankern, und schließlich Sands’ eigener Großvater Leon Buchholz. In der aktuell so beliebten Sachbuchmischung aus persönlich motivierter Recherche, Ideengeschichte und Memoir erinnerte Sands an die Blütezeit jüdischen Lebens der Stadt und dessen Zerstörung. „Die Rattenlinie“ ist eine Art Fortsetzung.
Über Niklas Frank, dessen Lebensthema die Schuld seines SS-Vaters ist, lernt Sands eine ganz andere Art von Nazi-Sohn kennen: Horst Wächter, wie Frank 1939 geboren, lebt in einem kalten Schloss in Hagenberg und verbringt sein Leben im Balanceakt zwischen „Papa war ein Nazi“ und „Papa war kein Mörder“. Sands fasziniert sein nur scheinbar ganz offenes Sprechen, das die totale Leugnung der Verbrechensgeschichte seiner Familie nur mühsam überdeckt. Er schreibt ein Porträt von Horst für die Financial Times und produziert die Dokumentation „What Our Fathers Did“ und schreibt schließlich das vorliegende Buch. Wir sind also, auch wenn die Verbrechen weiter zurückliegen und größer dimensioniert sind als dort üblich, direkt im Genre true crime gelandet, mit widersprüchlichen Erinnerungen, verdrängter Schuld und geheimen Archiven. „Die Rattenlinie“ ist eher ein Arbeitstagebuch denn eine fertige, allwissende Reportage; eine Detektivgeschichte, bei der Sands nicht nur an private Familienaufzeichnungen und verschwundene Geheimdienstunterlagen herankommen muss, sondern dann auch lernen muss, sie zu verstehen, intellektuell, emotional. Der klassische Dreier-Untertitel „Liebe, Lügen und die Suche nach der Wahrheit“ gibt die Richtung vor.
Die Liebe ist die zwischen Baron Otto und seiner Frau Charlotte, zwei junge und verliebte Nazis aus Wien. Otto kommt aus einer deutschnationalen Militärfamilie und schließt sich schon in den Zwanzigern der nationalsozialistischen Bewegung an, Konflikte mit dem Gesetz und der Polizei radikalisieren ihn zusätzlich. 1934 ist er in das Attentat auf Engelbert Dollfuß verwickelt. Auch seine Ehefrau Charlotte glüht für die Partei. Durch seine Freundschaft zu Arthur Seyß-Inquart macht Otto schnell Karriere im Parteiapparat und übernimmt nach dem „Anschluss“ leitende Führungspositionen. Durch Briefe und Tagebücher bekommt Sands Einblick in die Beziehung von Otto und Charlotte, die gelegentlich von untreuen Verliebtheiten gestört, aber durch den Glauben an Führer und Volk durch jedes Unwetter getragen wird, auch nach 1945. Die Ideologisierung ist hart und undurchdringbar, aber der Ton ist nicht manisch, nicht besessen. Die Reinigungsfantasien sind weniger Theweleit-kompatibel und erinnern eher an Bürgerdünkel. Das zeigt ein Tischgespräch, das Curzio Malaparte, als Kriegskorrespondent 1942 bei den Wächters zu Gast, in seinem Buch „Kaputt“ notiert:
„Ich gehe nicht gern ins Ghetto“, sagte Frau Wächter, „es ist sehr traurig.“
„Sehr traurig? Weshalb?“ fragte Gouverneur Fischer.
„Es ist so schmutzig“, sagte Frau Brigitte Frank.
„Ja, so schmutzig“, bestätigte Frau Fischer.
Die untertitelgebenden „Lügen“ betreffen Wächters Rolle bei Massenerschießungen und Deportationen in Krakau und Lemberg, später dann im Kampf gegen Partisanen in Italien, als Kontaktmann zur Republik Salò. Sein Sohn Horst ist überzeugt: „Sein Vater war ein anständiger Mensch, ein Optimist, der versuchte, Gutes zu tun, aber in Gräuel verwickelt wurde, die auf das Konto anderer gingen.“ Weil das blutige Tagesgeschäft nicht in den Familienaufzeichnungen auftaucht, baut Sands Erinnerungen von Überlebenden wie der „Schindler-Jüdin“ Bronisława Horowitz oder Michael Katz aus Lvov, die erleben mussten, wie Wächters „Anstand“ genau aussah. Mal wie ein Therapeut, mal wie ein Staatsanwalt, konfrontiert Sands Horst immer wieder mit Beweisen, mit Augenzeugenberichten, Anklageschriften aus Polen, schließlich sogar Fotos von Erschießungen. Horst – der zu keinem Zeitpunkt die Schoah leugnet und philosemitisch sein Leben lang die Nähe von Juden wie Friedensreich Hundertwasser und Sands sucht – lässt sich von seiner Selbstlüge nicht abbringen. Sands abstrahiert das nicht zum Schaubild für eine alldeutsche Tendenz der Schuldabwehr oder familiäre Tätertraumatisierung hoch. Horst Wächter ist in seiner Erzählung einfach ein durchaus wohlmeinender, in seiner Mitteilungsfreude oft anstrengender und fast unerklärlich verblendeter Sohn eines Nazis.
Die „Wahrheit“, nach der laut Untertitel gesucht wird, ist gleichzeitig das stärkste und schwächste Element des Buches. Zwischen 1945 und 1949 schlägt sich Otto Wächter, auf zahlreichen Fahndungslisten stehend, mit falschem Namen zwischen Österreich und Italien durch. Eine Schlüsselfigur ist Bischof Alois Hudal, der auch Josef Mengele und Walter Rauff zur Flucht verhilft. Unterstützt wird Wächter dabei von seiner Ehefrau, mit der er in kodierten Briefen kommuniziert. Der narrative Haken, an dem Sands dieses komplizierte Netz aufwickelt, ist die Frage nach Wächters plötzlichem Tod nach einer Infektion: Wurde er vergiftet, und wenn ja, von wem? Sands’ Nachbar John le Carré bringt jüdische Rache ins Spiel, Sohn Horst glaubt an die Sowjets. Die Geheimniskrämerei um Wächters Todesursache und die Cliffhanger an Kapitelenden sind der anderen Teile des Buches etwas unwürdig, das hat vielleicht auch Sands selbst gemerkt und bläst keine allzu großen Fragezeichen auf.
Dass es das große Rätsel überhaupt geben muss, hat mit dem Genre zu tun. Sands hat die Geschichte bereits 2018 im BBC-Podcast „Intrigue“ erzählt. Als Dokumentarhörspiel funktioniert seine verzweigte Recherche sehr gut, das Format verzeiht Reporterklischees noch eher. Als Buch wirken die Schnitte zwischen erzählter Geschichte und gegenwärtiger Recherche oft eher unstrukturiert oder behäbig. Mit bedeutungsschweren Epigrammen und ausufernden, unordentlichen Erzählschleifen verspricht „Die Rattenlinie“ eine intellektuelle und moralische Komplexität, die letztlich nicht eingelöst wird. Das liegt vielleicht am Format, vielleicht an Sands’ Erzählhaltung, aber vielleicht auch einfach an den Wächters selbst.
Möglicherweise sind Nazis einfach nicht komplex, und jeder Versuch, sie als komplex zu erzählen, scheitert spätestens dann, wenn Überbau auf banale Realität trifft. Das ist jedenfalls die Erkenntnis nach Lektüre des Buches. So ist Sands doch noch auf eine tiefere Wahrheit gestoßen.
FABIAN WOLFF
Philippe Sands: Die Rattenlinie. Lügen, Liebe und die Suche nach der Wahrheit. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2020. 544 Seiten, 25 Euro.
Der Sohn des Kriegsverbrechers
glaubt, sein Vater war
„ein anständiger Mensch“
Philippe Sands ist Anwalt, Professor für internationales Recht und Direktor des „Centre on International Courts and Tribunals“ am University College in London.
Foto: Fischer Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2021Endstation in der Ewigen Stadt
Mit bischöflicher Hilfe: Philippe Sands beschreibt Untertauchen und Flucht eines österreichischen SS-Manns
Wer das neue Buch von Philippe Sands zur Hand nimmt, dem fallen zwei kolorierte Fotografien auf dem Umschlag auf. Die eine, etwas grobkörnig, zeigt ein Paar mittleren Alters inmitten einer idyllischen Berglandschaft. Sie scheinen sich nach einer Wanderung auf einer Wiese niedergelassen zu haben. Das andere, auf dem Buchrücken, zeigt ein Familienporträt, Eltern mit zwei kleinen indern. Der Mann trägt eine Uniform und schwarze Lederstiefel, die Frau ein elegantes Cape und einen modischen Hut. Auf beiden Fotografien ist dasselbe Paar abgebildet: der SS-Funktionär Otto Wächter (1901-1949) mit seiner Frau Charlotte. Die Aufnahmen, im Abstand von nur vier Jahren entstanden, zeigen Wächter einmal als SS-Gruppenführer mit zwei seiner sechs Kinder, auf der anderen ist er ein gesuchter Kriegsverbrecher auf der Flucht, der sich in der Bergwelt der Hohen Tauern versteckt hält.
Das Familienporträt von 1944 vereint die drei Hauptpersonen von Sands' Buch: Wächter selbst, seine Frau Charlotte (1908-1985) und ihren 1939 geborenen Sohn Horst Arthur. Letzteren hatte Sands bei den Recherchen für sein 2018 auf Deutsch erschienenes Buch "Rückkehr nach Lemberg" kennengelernt. Die Begegnung mit Horst Wächter inspirierte Sands zu seinem neuen Buch, das sich wie eine Fortsetzung des ersten liest und ihm mit der Verknüpfung von lebendiger Erzählweise und historischer Methode gleicht.
Die Stadt Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine, gehörte unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zum Distrikt Galizien. Im Januar 1942 wurde der österreichische Nationalsozialist Otto Wächter, einer der führenden Köpfe des Wiener Juliputsches 1934 und seit November 1939 Gouverneur des Distrikts Krakau, zum Gouverneur des Distrikts Galizien ernannt. In die Amtszeiten Wächters fallen die Verfolgung, Gettoisierung, Deportation und Vernichtung der einheimischen jüdischen Bevölkerung und zahlreiche andere Verbrechen. Schon im Oktober 1942 berichtete die "New York Times" unter der Überschrift "Polen klagt an", dass die polnische Exilregierung Wächter als einen von zehn Hauptverantwortlichen für den Tod von 400 000 Menschen in Polen identifiziert habe.
Sein Sohn Horst will die Schuld des Vaters bis heute nicht anerkennen, machte Sands aber dessen Nachlass und den seiner Mutter Charlotte zugänglich. Auf der Grundlage zahlreicher Briefe, Tagebücher, Fotografien und anderer Unterlagen aus diesen Konvoluten rekonstruiert Sands die Lebens-, vor allem aber die abenteuerliche Fluchtgeschichte von Wächter, dem es gelang, sich der Strafverfolgung nach 1945 zu entziehen.
Unmittelbar nach Kriegsende hatte sich Wächter drei Jahre lang zusammen mit einem anderen SS-Mann in den österreichischen Bergen in ständig wechselnden Quartieren zwischen Salzburg und Zell am See versteckt gehalten. In dieser Zeit traf er sich immer wieder mit seiner Frau, die ihn mit Lebensmitteln und Wäsche versorgte. Nachdem er vermutlich über ehemalige Kameraden auf die Unterstützung des Vatikans bei der Flucht nach Südamerika aufmerksam gemacht worden war, verließ er die Berge und schlug sich auf der berühmt-berüchtigten "Reichsfluchtstrecke" von Südtirol bis in die italienische Hauptstadt durch. Auf der sogenannten "Rattenlinie" war schon anderen Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Klaus Barbie mit der Hilfe hoher Würdenträger der katholischen Kirche die Flucht aus Europa gelungen.
In Rom, wo Wächter Ende April 1949 mit der Bahn ankam, lebte er versteckt in einem Kloster, um auf eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Argentinien zu warten. In der Ewigen Stadt traf er auf ein ganzes Netzwerk von Helferinnen und Helfern. Die zahlreichen Begegnungen während des Rom-Aufenthaltes lassen sich aus einem akribisch geführten Kalender und Adressbuch sowie aus dem Briefwechsel mit seiner Frau Charlotte rekonstruieren. Danach traf er bereits einen Tag nach seiner Ankunft in der Stadt mit Bischof Alois Hudal, dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima, zusammen, der zuvor schon gesuchten Nationalsozialisten Zuflucht geboten hatte (F.A.Z. vom 3. Januar 2020). Wächter wusste jedoch nichts von Hudals "Doppelrolle" als Informant des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC, so dass die Amerikaner früh vom Aufenthaltsort des Kriegsverbrechers wussten, ohne ihn festnehmen zu lassen. Er starb als "Alfredo Reinhardt" im Juli 1949 im Hospital Santa Spirito in Rom in den Armen von Bischof Hudal. Aufgrund seines plötzlichen Todes im Alter von nur 48 Jahren wurde lange vermutet, er sei vergiftet worden, was Sands jedoch entkräften kann.
Sein Buch ist nicht nur in dieser Hinsicht eine enorme Rechercheleistung, die den Autor von Österreich und Italien bis nach Albuquerque in New Mexico geführt hat. Sands ist die Orte von Wächters Fluchtroute selbst abgereist, um sich ein Bild zu machen, und er hat Zeitzeugen in aller Welt aufgesucht, um aus vielen kleinen Puzzleteilen schließlich ein Bild zu formen. So liest sich seine Darstellung an vielen Stellen wie eine Reportage von Reisen und persönlichen Begegnungen, und es gelingt ihm, seine aus zahlreichen Archiven zusammengetragenen Quellen zum Sprechen zu bringen.
Was dieses Geschichtsbuch zu einem besonderen macht: Der Autor lässt die Leser an seiner siebenjährigen Spurensuche teilhaben, bei der sich aus immer mehr Dokumenten und Gesprächen neue Erkenntnisse, Fragen, aber auch Gewissheiten ergaben. Otto Wächter starb an Leptospirose, einer bakteriellen Infektion, die er sich wahrscheinlich beim Schwimmen im verschmutzten Wasser des Tibers zugezogen hatte. Wächters Sohn Horst aber glaubt weiter an eine Vergiftung und auch an die Unschuld seines Vaters. Selbst als Sands ihm Fotografien vorlegt, die er nach langer Suche in einem Warschauer Archiv fand und die belegen, dass Otto Wächter im Dezember 1939 an einer Exekution von fünfzig polnischen Zivilisten in der Nähe von Krakau teilgenommen hatte.
RENÉ SCHLOTT
Philippe Sands:
"Die Rattenlinie". Ein Nazi auf der Flucht.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 524 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit bischöflicher Hilfe: Philippe Sands beschreibt Untertauchen und Flucht eines österreichischen SS-Manns
Wer das neue Buch von Philippe Sands zur Hand nimmt, dem fallen zwei kolorierte Fotografien auf dem Umschlag auf. Die eine, etwas grobkörnig, zeigt ein Paar mittleren Alters inmitten einer idyllischen Berglandschaft. Sie scheinen sich nach einer Wanderung auf einer Wiese niedergelassen zu haben. Das andere, auf dem Buchrücken, zeigt ein Familienporträt, Eltern mit zwei kleinen indern. Der Mann trägt eine Uniform und schwarze Lederstiefel, die Frau ein elegantes Cape und einen modischen Hut. Auf beiden Fotografien ist dasselbe Paar abgebildet: der SS-Funktionär Otto Wächter (1901-1949) mit seiner Frau Charlotte. Die Aufnahmen, im Abstand von nur vier Jahren entstanden, zeigen Wächter einmal als SS-Gruppenführer mit zwei seiner sechs Kinder, auf der anderen ist er ein gesuchter Kriegsverbrecher auf der Flucht, der sich in der Bergwelt der Hohen Tauern versteckt hält.
Das Familienporträt von 1944 vereint die drei Hauptpersonen von Sands' Buch: Wächter selbst, seine Frau Charlotte (1908-1985) und ihren 1939 geborenen Sohn Horst Arthur. Letzteren hatte Sands bei den Recherchen für sein 2018 auf Deutsch erschienenes Buch "Rückkehr nach Lemberg" kennengelernt. Die Begegnung mit Horst Wächter inspirierte Sands zu seinem neuen Buch, das sich wie eine Fortsetzung des ersten liest und ihm mit der Verknüpfung von lebendiger Erzählweise und historischer Methode gleicht.
Die Stadt Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine, gehörte unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zum Distrikt Galizien. Im Januar 1942 wurde der österreichische Nationalsozialist Otto Wächter, einer der führenden Köpfe des Wiener Juliputsches 1934 und seit November 1939 Gouverneur des Distrikts Krakau, zum Gouverneur des Distrikts Galizien ernannt. In die Amtszeiten Wächters fallen die Verfolgung, Gettoisierung, Deportation und Vernichtung der einheimischen jüdischen Bevölkerung und zahlreiche andere Verbrechen. Schon im Oktober 1942 berichtete die "New York Times" unter der Überschrift "Polen klagt an", dass die polnische Exilregierung Wächter als einen von zehn Hauptverantwortlichen für den Tod von 400 000 Menschen in Polen identifiziert habe.
Sein Sohn Horst will die Schuld des Vaters bis heute nicht anerkennen, machte Sands aber dessen Nachlass und den seiner Mutter Charlotte zugänglich. Auf der Grundlage zahlreicher Briefe, Tagebücher, Fotografien und anderer Unterlagen aus diesen Konvoluten rekonstruiert Sands die Lebens-, vor allem aber die abenteuerliche Fluchtgeschichte von Wächter, dem es gelang, sich der Strafverfolgung nach 1945 zu entziehen.
Unmittelbar nach Kriegsende hatte sich Wächter drei Jahre lang zusammen mit einem anderen SS-Mann in den österreichischen Bergen in ständig wechselnden Quartieren zwischen Salzburg und Zell am See versteckt gehalten. In dieser Zeit traf er sich immer wieder mit seiner Frau, die ihn mit Lebensmitteln und Wäsche versorgte. Nachdem er vermutlich über ehemalige Kameraden auf die Unterstützung des Vatikans bei der Flucht nach Südamerika aufmerksam gemacht worden war, verließ er die Berge und schlug sich auf der berühmt-berüchtigten "Reichsfluchtstrecke" von Südtirol bis in die italienische Hauptstadt durch. Auf der sogenannten "Rattenlinie" war schon anderen Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Klaus Barbie mit der Hilfe hoher Würdenträger der katholischen Kirche die Flucht aus Europa gelungen.
In Rom, wo Wächter Ende April 1949 mit der Bahn ankam, lebte er versteckt in einem Kloster, um auf eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Argentinien zu warten. In der Ewigen Stadt traf er auf ein ganzes Netzwerk von Helferinnen und Helfern. Die zahlreichen Begegnungen während des Rom-Aufenthaltes lassen sich aus einem akribisch geführten Kalender und Adressbuch sowie aus dem Briefwechsel mit seiner Frau Charlotte rekonstruieren. Danach traf er bereits einen Tag nach seiner Ankunft in der Stadt mit Bischof Alois Hudal, dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima, zusammen, der zuvor schon gesuchten Nationalsozialisten Zuflucht geboten hatte (F.A.Z. vom 3. Januar 2020). Wächter wusste jedoch nichts von Hudals "Doppelrolle" als Informant des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC, so dass die Amerikaner früh vom Aufenthaltsort des Kriegsverbrechers wussten, ohne ihn festnehmen zu lassen. Er starb als "Alfredo Reinhardt" im Juli 1949 im Hospital Santa Spirito in Rom in den Armen von Bischof Hudal. Aufgrund seines plötzlichen Todes im Alter von nur 48 Jahren wurde lange vermutet, er sei vergiftet worden, was Sands jedoch entkräften kann.
Sein Buch ist nicht nur in dieser Hinsicht eine enorme Rechercheleistung, die den Autor von Österreich und Italien bis nach Albuquerque in New Mexico geführt hat. Sands ist die Orte von Wächters Fluchtroute selbst abgereist, um sich ein Bild zu machen, und er hat Zeitzeugen in aller Welt aufgesucht, um aus vielen kleinen Puzzleteilen schließlich ein Bild zu formen. So liest sich seine Darstellung an vielen Stellen wie eine Reportage von Reisen und persönlichen Begegnungen, und es gelingt ihm, seine aus zahlreichen Archiven zusammengetragenen Quellen zum Sprechen zu bringen.
Was dieses Geschichtsbuch zu einem besonderen macht: Der Autor lässt die Leser an seiner siebenjährigen Spurensuche teilhaben, bei der sich aus immer mehr Dokumenten und Gesprächen neue Erkenntnisse, Fragen, aber auch Gewissheiten ergaben. Otto Wächter starb an Leptospirose, einer bakteriellen Infektion, die er sich wahrscheinlich beim Schwimmen im verschmutzten Wasser des Tibers zugezogen hatte. Wächters Sohn Horst aber glaubt weiter an eine Vergiftung und auch an die Unschuld seines Vaters. Selbst als Sands ihm Fotografien vorlegt, die er nach langer Suche in einem Warschauer Archiv fand und die belegen, dass Otto Wächter im Dezember 1939 an einer Exekution von fünfzig polnischen Zivilisten in der Nähe von Krakau teilgenommen hatte.
RENÉ SCHLOTT
Philippe Sands:
"Die Rattenlinie". Ein Nazi auf der Flucht.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 524 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Empfehlung für alle Leser, die sich für die Grautöne im Schwarz-Weiß der Geschichte interessieren. Isabel Lauer Nürnberger Zeitung 20210303