Wahrheit und Gerechtigkeit
In diesem Band sind zwei Werke des in relativ wenigen Schaffensjahren entstandenen, umfangreichen Œuvres von Josef Roth zusammengefasst, «Die Rebellion», sein erstes größeres Prosawerk, und die Novelle «Die Legende vom heiligen Trinker», 1939 in seinem Todesjahr
erschienen. Sie umschließen, wie der Klappentext erläutert, «Lebenswerk und geistige Haltung des…mehrWahrheit und Gerechtigkeit
In diesem Band sind zwei Werke des in relativ wenigen Schaffensjahren entstandenen, umfangreichen Œuvres von Josef Roth zusammengefasst, «Die Rebellion», sein erstes größeres Prosawerk, und die Novelle «Die Legende vom heiligen Trinker», 1939 in seinem Todesjahr erschienen. Sie umschließen, wie der Klappentext erläutert, «Lebenswerk und geistige Haltung des österreichischen Erzählers … auf exemplarische Weise». Seinen Zeitgenossen war er hauptsächlich als Journalist bekannt, der überwiegende Teil seiner veröffentlichten Werke stammt aus dieser Tätigkeit. Der wechselvolle Lebensweg des jüdischen Schriftstellers ist geradezu ein Abbild der politischen Verhältnisse zwischen den beiden Weltkriegen, ein unstetes Leben auf der Flucht, das in Brody in Galizien begann und im Exil in Paris endete.
Der Roman «Die Rebellion» ist eine bitterböse Satire auf den Obrigkeitsstaat, erzählt wird die Geschichte des Kriegskrüppels Andreas Pum. Sie beginnt im Kriegsspital, sarkastisch heißt es da gleich eingangs: «Er hatte ein Bein verloren und eine Auszeichnung bekommen. Viele besaßen keine Auszeichnung, obwohl sie mehr als nur ein Bein verloren hatten». In einer raffiniert naiven Sprache erlebt man den Wandel des einfältig erscheinenden, unbeirrt und optimistisch an den wohltätigen Staat glaubenden Invaliden zum Rebellen. In einer kafkaesk anmutenden Szenerie wird er immer tiefer in ein unheilvolles Geschehen hineingezogen, bei dem sich sein Glaube an die Obrigkeit zusehends verliert, er schließlich sogar für fünf Wochen unschuldig im Gefängnis landet. Sein äußerst bescheidenes Lebensglück wird dadurch völlig zerstört, seine Frau wendet sich von ihm ab, nach der Entlassung muss er als Toilettenwärter arbeiten. Eine durch den ihm wohl gesonnenen Gefängnisdirektor erwirkte Revision erlebt er nicht mehr, und schon im Delirium versunken, erscheint er vor dem himmlischen Richter. In einer rebellischen Schmährede befreit er sich von den Lasten seiner gequälten Existenz und zürnt gegen die schreienden Ungerechtigkeiten in dieser Welt. «Ich will deine Gnade nicht! Schick mich in die Hölle!» schleudert er Gott entgegen. Man findet ihn tot in der Herrentoilette, seine Leiche aber kam, «weil gerade Leichenmangel war und obwohl sie nur ein Bein hatte, ins Anatomische Institut».
In der Novelle «Die Legende vom heiligen Trinker» erlebt der unter den Brücken von Paris lebende, alkoholsüchtige Clochard Andreas Kartak eine wundersame Reihung glücklicher Zufälle. Er trifft auf wohlmeinende Menschen, die ihm unverhofft immer wieder aufs Neue Geld zukommen lassen, ihn aus seinen prekären Verhältnissen befreien. Dem ersten dieser Gönner kündigt er, der sich als Ehrenmann fühlt, die Rückzahlung der erhaltenen zweihundert Francs an, um schließlich aber doch jedes Mal damit zu scheitern, dieses Geld wie vereinbart einem Priester in der Kapelle mit der Statue der heiligen Therese von Lisieux zu übergeben. Denn er vertrinkt und verprasst immer wieder den unverhofften Geldsegen. Bei seinem letzten Versuch, sein Versprechen zu erfüllen, wartet er in einem Bistro gegenüber der Kapelle auf das Ende der Messe, als plötzlich ein junges Fräulein eintritt, das er für die heilige Therese hält, die sein Geld jedoch nicht annehmen will, ihm vielmehr selbst hundert Franc schenkt. Vom Schlag getroffen «fällt er um wie ein Sack» und stirbt schließlich in der Sakristei, wohin man ihn gebracht hat. Josef Roth, selbst dem Alkohol verfallen, beendet seine Novelle mit dem hoffnungsvollen Satz: »Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod»!
Beide Geschichten sind in einer wunderbar klaren, ruhigen Sprache verfasst, die in wohlgesetzten Worten mit einem eher einfältig anmutenden Duktus den Hauptanliegen des Autors, Wahrheit und Gerechtigkeit, eine mahnende Stimme verleiht, deren Sog man sich als Leser wohl kaum entziehen kann.