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Die vorliegenden Gedichtzyklen aus dem Werk des rumänischen Surrealisten geben uns einen Begriff von der ungebrochenen Lebendigkeit der Avantgarde dieses Landes und ihrem Surrealismus. In der Übersetzung von Oskar Pastior sind wunderbare pastior/naumsche Gebilde entstanden, die für den Leser eine Bereicherung darstellen, insbesondere wenn er die Bekanntschaft mit dieser europäischen Tradition sucht, die wesentliche Anstöße aus Rumänien bezogen hat und auch heute noch bezieht. Rede auf dem Bahndamm an die Steine ist eine Übersetzung des in Rumänien erschienenen Bandes Fläche und Oberfläche,…mehr

Produktbeschreibung
Die vorliegenden Gedichtzyklen aus dem Werk des rumänischen Surrealisten geben uns einen Begriff von der ungebrochenen Lebendigkeit der Avantgarde dieses Landes und ihrem Surrealismus. In der Übersetzung von Oskar Pastior sind wunderbare pastior/naumsche Gebilde entstanden, die für den Leser eine Bereicherung darstellen, insbesondere wenn er die Bekanntschaft mit dieser europäischen Tradition sucht, die wesentliche Anstöße aus Rumänien bezogen hat und auch heute noch bezieht.
Rede auf dem Bahndamm an die Steine ist eine Übersetzung des in Rumänien erschienenen Bandes Fläche und Oberfläche, diesem ist der unveröffentlichte und titelgebende Zyklus "Rede auf dem Bahndamm an die Steine" hinzugefügt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.1998

Nadja, die Augen halb geschlossen
Praktizierte Stille im Weltall: Zu den Gedichten des rumänischen Surrealisten Gellu Naum · Von Sandra Kerschbaumer

Sie schlendert durch die Ateliers, an Bildern entlang, die keinen Horizont haben, vorbei an starrenden Augen und Uhren, die schlaff über Zweige hängen. Sie trifft Dichter, zufällig auf der Straße oder nachts im Traum - Nadja, die Muse der Surrealisten. Damals im Paris der dreißiger Jahre ist ihr auch Gellu Naum begegnet. Von dieser Begegnung zehrt der rumänische Lyriker noch heute. Der Dreiundachtzigjährige ist einer der letzten Surrealisten, noch immer befreit er sich von der Herrschaft der Ratio und öffnet sich dem Unbewußten, Traumhaften.

In seinem jüngsten Lyrikband, 1994 in Bukarest erschienen, nun um einen Zyklus erweitert und von Oskar Pastior ins Deutsche übersetzt, verschwimmen die Grenzen; zunächst einmal die Satzgrenzen. Jedes Gedicht ist ein fortlaufender Text ohne Punkt und Komma, gegliedert nur durch unregelmäßige Verse und unregelmäßige Abschnitte. Aber nicht nur die syntaktischen Begrenzungen verschwinden, sondern ebenso Zeit- und Raumgrenzen, und auch das Gesetz der Kausalität wird aufgehoben. Lebende sind tot und zugleich lebendig. Innen- und Außenwelt gehen ineinander über.

Hier scheint die Absurdität zu regieren, aber nur an der Oberfläche, denn alle Zeichen und Chiffren zeugen von tiefen, verborgenen Zusammenhängen. "Alles deutet darauf hin", flüsterte Nadja damals in Paris den Dichtern ein, "daß es einen bestimmten Punkt des Geistes gibt, von dem aus Leben und Tod, Wirkliches und Unwirkliches, Gewesenes und Kommendes, Mitteilbares und nicht mehr Mitteilbares, Oben und Unten nicht mehr als Gegensätze und Widersprüche erscheinen." Gellu Naum sucht nach diesem Punkt und will sich ihm durch Paradoxien, Synästhesien und neue Wortschöpfungen nähern.

Dominiert wird die Formsprache dieser sehr prosanahen Gedichte von einer überbordenden Bildlichkeit, deren Wirklichkeitsbezug gering ist: "Erdschichten waren eingestürzt der Boden wankte / jener und jene liebten unentwegt sich kauten Akazienblüten / Mondlicht strömte auf ihr honigfarbenes Haar / das wilde Tier an ihren Körpern wärmte sich weiter / "Zeit das Kind zu füttern" sagte es und ihr steinerner Säugling / im Mondlicht wurde zu lauter Gold / der Regen hatte aufgehört die Wolken flogen / wir praktizierten die Stille im Weltall."

An die Stelle von Bedeutungen tritt ein Rauschen und Blinken, das man als Befreiung empfinden kann, vielleicht aber auch als Beliebigkeit. Es ist eine Wortflut, die rational nicht faßbar sein will. Wie aber soll man sie fassen? "Der Surrealismus beruht auf dem Glauben an die höhere Wirklichkeit gewisser, bis heute vernachlässigter Assoziationsformen, an die Allgewalt des Traums, an das absichtsfreie Spiel des Gedankens", raunt eine Stimme im Hintergrund. Wer aber diesen Glauben nicht teilt, für den ist diese höhere Wirklichkeit manchmal komisch: "Der Schatten den die Ohren warfen / annullierte das Brodeln im Kalk." Es mag die Ratio nichts angehen, aber sie fragt doch: Wieso brodelt der Kalk? Und wie groß sind die Ohren eines Surrealisten?

Gellu Naum hat in Bukarest Anfang der vierziger Jahre eine Surrealistengruppe mitbegründet, einer Avantgarde, die sich nur kurz behaupten konnte. Anschließend war er Übersetzer und Kinderbuchautor. Erst seit dem Ende der sechziger Jahre veröffentlichte er wieder Gedichte.

Die folgenden Generationen griffen immer wieder auf sie zurück, heute aber sind sie Literaturgeschichte. Seit einigen Jahren gerät in der rumänischen Lyrik der Alltag in den Blick, werden wieder metaphysische Fragen gestellt. Sammelbände zur rumänischen Literatur der Gegenwart dokumentieren diese Entwicklung. Auch Gellu Naum ist dort verzeichnet. Wer ihn heute liest, hört eine ferne Stimme, die aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts kommt. Und er sieht Nadja, weiß, eingefallen, und die Augen halb geschlossen.

Gellu Naum: "Rede auf dem Bahndamm an die Steine". Gedichte. Rumänisch und deutsch. Aus dem Rumänischen übertragen von Oskar Pastior. Nachwort von Ernest Wichner. Ammann Verlag, Zürich 1998. 229 S., geb., 42,- DM.

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