Hermann, Philipp und Alwin Reemtsma, Eins, Zwei, Drei genannt, führten ihre Kleinstfirma in den Zwanzigerjahren zur dominanten Größe in der deutschen Zigarettenindustrie. Was trieb sie an? Wie setzten sie sich durch? Und was machen die Reemtsmas heute? Deutsche Geschichte als Biografie einer Familie. Im Dritten Reich schützte die demokratische Familie ihr wegen jüdischer Teilhaber unter Druck geratenes Unternehmen durch Anpassung und Millionenspenden an Hermann Göring. Der immense Zigarettenkonsum im Krieg festigte ihre Stellung und garantierte Spitzeneinkünfte. Nach der Entnazifizierung begann der Wiederaufbau zerstörter Fabriken. Als das Gründertrio abgetreten war, zog sich die Familie aus der Firmenleitung zurück. Der Haupterbe Jan Philipp Reemtsma machte sich als Wissenschaftler und Forschungsinitiator einen Namen. Spektakulär waren seine Entführung (1996) und die Wehrmachtsausstellung des von ihm finanzierten Hamburger Instituts für Sozialforschung. Der Autor fand Kontakt zuden Söhnen der Firmengründer. Sie machten ihm Korrespondenzen und Dokumente zugänglich. Das Resultat: die spannende Geschichte von drei Reemtsma-Generationen, die sich wie ein Familienroman liest.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2007Die Reemtsmas
Ein deutsches Zigarettenimperium
VON JULIA ROEBKE
Ende der 20er Jahre wurde Philipp Reemtsma zum inoffiziellen "König der Zigarette". Seine Reemtsma AG beherrschte den deutschen Markt. Mit der Herstellung von Zigaretten hatte er Millionen verdient. Reemtsma war Unternehmer aus Leidenschaft: Im Zug warf er schon mal einen Aschenbecher der Konkurrenz aus dem Fenster und plazierte seinen eigenen im Abteil.
Den Grundstein für sein Imperium hatte der Vater gelegt, Bernhard Reemtsma. Die Familie von seiner Frau Flora verdiente schon seit Generationen ihren Lebensunterhalt mit Zigarren. Bernhard erkannte jedoch, dass die Zukunft der Zigarette gehören würde. Er kaufte 1910 eine Erfurter Zigarettenmanufaktur, die mit sieben Arbeiterinnen die Marke "Thüringer Gold" herstellte.
Nach dem Ersten Weltkrieg stieg Unternehmer Philipp Reemtsma in den väterlichen Betrieb ein. Maschinelle Produktion und innovative Werbung, unter anderem mit Sammelbildchen in jeder Zigarettenschachtel, brachten den geschäftlichen Erfolg. Von 1924 an kaufte Philipp eine Firma nach der anderen auf - fünf Jahre später war ein Konzern mit 16 000 Angestellten, Dutzenden Zigarettenmarken und einem Marktanteil in Deutschland von 35 Prozent entstanden.
Bei den Nazis machte sich Reemtsma mit großzügigen Spenden beliebt. An Göring zahlte er die damals exorbitant hohe Summe von 12,3 Millionen Mark. Im Zweiten Weltkrieg verlor Reemtsma seine Söhne, die Bomben zerstörten die Produktionshallen. Wegen Unterstützung des Regimes wurde er nach dem Krieg zu einer Geldstrafe von zehn Millionen Mark verurteilt. Reemtsmas Imperium lag in Trümmern, das Unternehmen wurde seit Kriegsende von Treuhändern verwaltet.
Doch der Weg Philipp Reemtsmas zurück an die Spitze der Branche dauerte nicht lange. 1948 brachte das Unternehmen eine neue Zigarette auf den Markt. Der Name "Collie" klang amerikanisch, und gemäß dem damaligen Trend bestand die Zigarette zum Teil aus amerikanischem Tabak. Weitere Marken wie "Fox" und "Salem" kamen hinzu, bereits 1952 erreichte das Unternehmen wieder einen Marktanteil von 35 Prozent.
Wie alle in der Familie war auch Philipp Reemtsma ein starker Raucher. Der Sohn und Haupterbe Jan Philipp war sieben Jahre alt, als der Vater 1959 an Krebs starb. Jan Philipp Reemtsma wollte nie in die väterliche Firma einsteigen. Er verkaufte seine Anteile 1980 an die eigentümer von Tchibo, die Familie Herz. Diese wiederum veräußerten das Aktienpaket dann 2002 an den britischen Zigarettenmulti Imperial Tobacco.
Mit Zigaretten hat Jan Philipp Reemtsma heute gar nichts mehr zu tun. Sein Millionenvermögen nutzt er als aktiver Stifter. Er ist Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung und verantwortet 1995 eine sehr umstrittene Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht in der Nazizeit. Große öffentliche Aufmerksamkeit erregte seine Entführung im Jahre 1996. Gegen ein Lösegeld von 30 Millionen Mark kam er nach 33 Tagen wieder frei.
Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie.
Hoffmann und Campe Verlag, 25 Euro.
Das Buch erscheint kommende Woche.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein deutsches Zigarettenimperium
VON JULIA ROEBKE
Ende der 20er Jahre wurde Philipp Reemtsma zum inoffiziellen "König der Zigarette". Seine Reemtsma AG beherrschte den deutschen Markt. Mit der Herstellung von Zigaretten hatte er Millionen verdient. Reemtsma war Unternehmer aus Leidenschaft: Im Zug warf er schon mal einen Aschenbecher der Konkurrenz aus dem Fenster und plazierte seinen eigenen im Abteil.
Den Grundstein für sein Imperium hatte der Vater gelegt, Bernhard Reemtsma. Die Familie von seiner Frau Flora verdiente schon seit Generationen ihren Lebensunterhalt mit Zigarren. Bernhard erkannte jedoch, dass die Zukunft der Zigarette gehören würde. Er kaufte 1910 eine Erfurter Zigarettenmanufaktur, die mit sieben Arbeiterinnen die Marke "Thüringer Gold" herstellte.
Nach dem Ersten Weltkrieg stieg Unternehmer Philipp Reemtsma in den väterlichen Betrieb ein. Maschinelle Produktion und innovative Werbung, unter anderem mit Sammelbildchen in jeder Zigarettenschachtel, brachten den geschäftlichen Erfolg. Von 1924 an kaufte Philipp eine Firma nach der anderen auf - fünf Jahre später war ein Konzern mit 16 000 Angestellten, Dutzenden Zigarettenmarken und einem Marktanteil in Deutschland von 35 Prozent entstanden.
Bei den Nazis machte sich Reemtsma mit großzügigen Spenden beliebt. An Göring zahlte er die damals exorbitant hohe Summe von 12,3 Millionen Mark. Im Zweiten Weltkrieg verlor Reemtsma seine Söhne, die Bomben zerstörten die Produktionshallen. Wegen Unterstützung des Regimes wurde er nach dem Krieg zu einer Geldstrafe von zehn Millionen Mark verurteilt. Reemtsmas Imperium lag in Trümmern, das Unternehmen wurde seit Kriegsende von Treuhändern verwaltet.
Doch der Weg Philipp Reemtsmas zurück an die Spitze der Branche dauerte nicht lange. 1948 brachte das Unternehmen eine neue Zigarette auf den Markt. Der Name "Collie" klang amerikanisch, und gemäß dem damaligen Trend bestand die Zigarette zum Teil aus amerikanischem Tabak. Weitere Marken wie "Fox" und "Salem" kamen hinzu, bereits 1952 erreichte das Unternehmen wieder einen Marktanteil von 35 Prozent.
Wie alle in der Familie war auch Philipp Reemtsma ein starker Raucher. Der Sohn und Haupterbe Jan Philipp war sieben Jahre alt, als der Vater 1959 an Krebs starb. Jan Philipp Reemtsma wollte nie in die väterliche Firma einsteigen. Er verkaufte seine Anteile 1980 an die eigentümer von Tchibo, die Familie Herz. Diese wiederum veräußerten das Aktienpaket dann 2002 an den britischen Zigarettenmulti Imperial Tobacco.
Mit Zigaretten hat Jan Philipp Reemtsma heute gar nichts mehr zu tun. Sein Millionenvermögen nutzt er als aktiver Stifter. Er ist Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung und verantwortet 1995 eine sehr umstrittene Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht in der Nazizeit. Große öffentliche Aufmerksamkeit erregte seine Entführung im Jahre 1996. Gegen ein Lösegeld von 30 Millionen Mark kam er nach 33 Tagen wieder frei.
Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie.
Hoffmann und Campe Verlag, 25 Euro.
Das Buch erscheint kommende Woche.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Als interessant, aber ihren "verlockenden" Stoff wohl nicht ganz ausreizend, beschreibt Rezensentin Nina Grunenberg diese Familienbiografie. Zu diskret geht nämlich für ihren Geschmack der Autor (und im Hauptberuf das Springer-Archiv leitende) Erik Lindner mit den mehr oder weniger auskunftsfreudigen Familienmitgliedern um. Deutlich spürt sie immer wieder sein Bemühen, neutral zu bleiben - beispielsweise wenn er heikle Sachverhalte lieber in Frageform kleidet, und diagnostiziert eine gewisse "Beißhemmung" beim Autor. Besonders respektvoll trete er Jan Philipp Reemtsma gegenüber auf, der zwar die Familienarchive uneingeschränkt geöffnet, für Fragen dann aber nicht zur Verfügung gestanden habe. Kurz umreißt die Rezensentin dann die Fallhöhe des Stoffs, vom rasanten Aufstieg der drei Reemtsma-Brüder der Gründergeneration am Anfang des letzten Jahrhunderts, über die Nazinähe bis zur geisteswissenschaftlichen Karriere des Erben Jan Philipp Reemtsmas, dessen Weigerung, dem Familienbiografen als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, sie dann unkommentiert lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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