Mit dem Blick auf den Intuitionsbegriff, der von Bergson und Croce herrührt und für die Ästhetik dieses Jahrhunderts unter dem Topos "Kunst als Sprache" prägend geworden ist, können Adorno, Heidegger und Wittgenstein verglichen werden. Die Besonderheit der Kunst wird einerseits unter dem Aspekt der Bedingungen diskutiert, die das Lesen ermöglichen. Andererseits versucht die Frage, wie sich der Sinn grundlegender logischer Kategorien (Negation, Implikation, Vollständigkeit) etabliert und verändert, die Rolle der Kunst als Grundlage nicht nur der Wahrnehmung, sondern auch der Logik nachzuzeichnen.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDiese Kühnheit der Einfassung
Ludger Schwarte schreibt Kunstphilosophie im Rahmen
Ludger Schwartes Kunstphilosophie gehört zu den Büchern, die nach mühsamer, wiederholter Lektüre etwas Zwingendes bekommen. Irgendwann versteht man, warum der Autor sich nur genau so ausdrücken konnte. Was freilich nicht heißt, dass man ihm zustimmen muss. Schwarte beklagt, dass Kunst spätestens seit Croce ausschließlich als Sprache, als lesbar gedacht werde, obwohl sie doch zur selben Zeit die Nachahmung, das Abbild und den Ausdruck, verabschiedete. Dieses Obwohl setzt voraus, dass Sprache als kodierte Information genommen wird. Damit trifft Schwarte vielleicht die ikonologische Analyse oder die musikalische Hermeneutik, die Gehalt mit verstecktem Programm verwechseln. Schon der Vorwurf, Derrida oder Gadamer könnten nicht angeben, was ein Kunstwerk von einem Werbetext unterscheidet, unterschlägt das Was des Gelesenen. Und Heidegger, Adorno, Wittgenstein, über die Schwarte in immanenter Kritik hinausgehen will, verstehen Sprache gewiss nicht als Mitteilung. Für Schwarte könnte Kunst nichts Neues schaffen, wenn sie Regeln unterläge, und sie lässt sich nicht lesen, übersetzen, weil sie auf die Grundlagen des Verstehens und der Logik geht. Hinter solchen Gegensätzen stehen ein schiefer Regelbegriff und ein problematisches Verständnis von Selbstbewusstsein: Jede Regelanwendung hat ein Moment von Innovation; das Denken kann seine eigenen Voraussetzungen zum Gegenstand machen.
Schwarte bemängelt, dass Heidegger in der Dichtung nur seine Philosophie wieder findet und Adorno in der Kunst die Gesellschaft. In Wahrheit findet auch Schwarte in der Kunst seine Metaphysik und seine Gesellschaftstheorie, und das ist so weit auch ganz in Ordnung. Im Rahmen als der Grenze eines Gemäldes, im Punkt als der Grenze eines poetischen Satzes, im Schweigen als der Grenze eines Musikstückes werde uns bewusst, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Das Nichts trete so als das Ermöglichende aller Möglichkeit hervor. Und im Gebanntsein durch ein öffentlich ausgestelltes Kunstwerk machen die Betrachter die leibliche Erfahrung der Implikation, ihre Gedanken und Bewegungen scheinen vom Werk gesteuert. Aber heißt das nicht, dass die Kunst da am meisten Kunst ist, wo sie gerade nicht ist - im Nichts ihres Herkommens und in der Notwendigkeit ihrer Wirkung? Obwohl Schwarte sich offenbar nicht nur bei Heidegger, Adorno und Wittgenstein, sondern mehr noch in der modernen bildenden Kunst hervorragend auskennt, kommen außer wenigen Titel- oder Namensnennungen Kunstwerke selber bei ihm nicht vor. Müsste nicht jemand, der die Philosophen der vereinnahmenden Kunstbetrachtung zeiht, umso genauer zeigend dem Unvereinnahmbaren an der Kunst nachgehen?
Schwarte möchte keine negative Theologie treiben, und er hat für die Zeitgenossen, die sich als vom Erhabenen ergriffen ausgeben, nur Spott übrig. In der Tat ist bei ihm vom Nichts nur in seiner reinen Einsilbigkeit die Rede. Er stellt sich beim Nichts nichts vor, vermutet nichts dahinter. Aber es soll doch der letzte Grund aller Möglichkeit sein. Und als solches wird es vergegenständlicht. Zwar soll vom Nachweis seiner Existenz nichts abhängen, weil es ja offenbar "nichtet". Doch es wird eben nicht als reine Grenze des Anfangens und Endens genommen, sondern als (positiver) Hintergrund des Schweigens. Ebenso allerdings geht es Schwarte beim Nichts um das Eröffnen der Möglichkeiten, um das Neue, Unberechenbare, den Wandel. Das Kunstwerk wird so im elementaren Zur-Gestalt-Kommen Vergegenwärtigung der menschlichen Freiheit. Diese Freiheit hat etwas Spontaneistisches. Wie zuvor das Nichts wird auch die Seite der Neuheit hypostasiert. Aber angesichts der gegenwärtig übermächtigen kunstphilosophischen Rede vom Erinnern und Andenken mag das ein gutes Korrektiv bilden.
GUSTAV FALKE
Ludger Schwarte: "Die Regeln der Intuition". Kunstphilosophie nach Adorno, Heidegger und Wittgenstein. Wilhelm Fink Verlag, München 2000. 275 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ludger Schwarte schreibt Kunstphilosophie im Rahmen
Ludger Schwartes Kunstphilosophie gehört zu den Büchern, die nach mühsamer, wiederholter Lektüre etwas Zwingendes bekommen. Irgendwann versteht man, warum der Autor sich nur genau so ausdrücken konnte. Was freilich nicht heißt, dass man ihm zustimmen muss. Schwarte beklagt, dass Kunst spätestens seit Croce ausschließlich als Sprache, als lesbar gedacht werde, obwohl sie doch zur selben Zeit die Nachahmung, das Abbild und den Ausdruck, verabschiedete. Dieses Obwohl setzt voraus, dass Sprache als kodierte Information genommen wird. Damit trifft Schwarte vielleicht die ikonologische Analyse oder die musikalische Hermeneutik, die Gehalt mit verstecktem Programm verwechseln. Schon der Vorwurf, Derrida oder Gadamer könnten nicht angeben, was ein Kunstwerk von einem Werbetext unterscheidet, unterschlägt das Was des Gelesenen. Und Heidegger, Adorno, Wittgenstein, über die Schwarte in immanenter Kritik hinausgehen will, verstehen Sprache gewiss nicht als Mitteilung. Für Schwarte könnte Kunst nichts Neues schaffen, wenn sie Regeln unterläge, und sie lässt sich nicht lesen, übersetzen, weil sie auf die Grundlagen des Verstehens und der Logik geht. Hinter solchen Gegensätzen stehen ein schiefer Regelbegriff und ein problematisches Verständnis von Selbstbewusstsein: Jede Regelanwendung hat ein Moment von Innovation; das Denken kann seine eigenen Voraussetzungen zum Gegenstand machen.
Schwarte bemängelt, dass Heidegger in der Dichtung nur seine Philosophie wieder findet und Adorno in der Kunst die Gesellschaft. In Wahrheit findet auch Schwarte in der Kunst seine Metaphysik und seine Gesellschaftstheorie, und das ist so weit auch ganz in Ordnung. Im Rahmen als der Grenze eines Gemäldes, im Punkt als der Grenze eines poetischen Satzes, im Schweigen als der Grenze eines Musikstückes werde uns bewusst, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Das Nichts trete so als das Ermöglichende aller Möglichkeit hervor. Und im Gebanntsein durch ein öffentlich ausgestelltes Kunstwerk machen die Betrachter die leibliche Erfahrung der Implikation, ihre Gedanken und Bewegungen scheinen vom Werk gesteuert. Aber heißt das nicht, dass die Kunst da am meisten Kunst ist, wo sie gerade nicht ist - im Nichts ihres Herkommens und in der Notwendigkeit ihrer Wirkung? Obwohl Schwarte sich offenbar nicht nur bei Heidegger, Adorno und Wittgenstein, sondern mehr noch in der modernen bildenden Kunst hervorragend auskennt, kommen außer wenigen Titel- oder Namensnennungen Kunstwerke selber bei ihm nicht vor. Müsste nicht jemand, der die Philosophen der vereinnahmenden Kunstbetrachtung zeiht, umso genauer zeigend dem Unvereinnahmbaren an der Kunst nachgehen?
Schwarte möchte keine negative Theologie treiben, und er hat für die Zeitgenossen, die sich als vom Erhabenen ergriffen ausgeben, nur Spott übrig. In der Tat ist bei ihm vom Nichts nur in seiner reinen Einsilbigkeit die Rede. Er stellt sich beim Nichts nichts vor, vermutet nichts dahinter. Aber es soll doch der letzte Grund aller Möglichkeit sein. Und als solches wird es vergegenständlicht. Zwar soll vom Nachweis seiner Existenz nichts abhängen, weil es ja offenbar "nichtet". Doch es wird eben nicht als reine Grenze des Anfangens und Endens genommen, sondern als (positiver) Hintergrund des Schweigens. Ebenso allerdings geht es Schwarte beim Nichts um das Eröffnen der Möglichkeiten, um das Neue, Unberechenbare, den Wandel. Das Kunstwerk wird so im elementaren Zur-Gestalt-Kommen Vergegenwärtigung der menschlichen Freiheit. Diese Freiheit hat etwas Spontaneistisches. Wie zuvor das Nichts wird auch die Seite der Neuheit hypostasiert. Aber angesichts der gegenwärtig übermächtigen kunstphilosophischen Rede vom Erinnern und Andenken mag das ein gutes Korrektiv bilden.
GUSTAV FALKE
Ludger Schwarte: "Die Regeln der Intuition". Kunstphilosophie nach Adorno, Heidegger und Wittgenstein. Wilhelm Fink Verlag, München 2000. 275 S., br., 68,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Lob und Verriss ist die Besprechung von Gustav Falke: obwohl die Kunstphilosophie des Autors ("nach mühsamer, wiederholter Lektüre") etwas "Zwingendes" hat, geht er dennoch zunächst scharf mit ihr ins Gericht Der Autor hat gegen die Rede von der "Lesbarkeit" der Kunst, ihrem regelhaften Aufbau etc. ihre "Unvereinnahmbarkeit" gesetzt. Dabei argumentiert er gegen Heidegger, Adorno und Wittgenstein ebenso wie gegen Derrida und Gadamer. Gegen sie und ihre Kunstphilosophie führt er zwar viele Werke der "modernen bildenden Kunst" ins Feld, die aber dann, so Falke, auch nicht weiter vorkommen. Der Rezensent bemängelt zudem den engen Regelbegriff des Autors und findet, er "hypostasiert" sowohl die "Freiheit" als auch jegliche "Neuheit". Am Ende spricht er Schwartes Kunstphilosophie immerhin eine korrektive Funktion zum ansonsten inflationären Diskurs des "Erinnerns und Andenkens" zu.
© Perlentaucher Medien GmbH
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