Nicht erst im Holocaust, sondern schon bald nach Hitlers Machtantritt begann die Einordnung der Deutschen Reichsbahn in die Judenpolitik des Dritten Reiches: Entlassung ihrer jüdischen Eisenbahnbeamten, Boykott jüdischer Lieferanten, Arisierung von Grundstücken aus jüdischem Besitz und Diskriminierung jüdischer Fahrgäste kennzeichneten die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg bei der Staatsbahn unter ihrem Generaldirektor Julius Dorpmüller. Hinzu kamen schon zu Friedenszeiten zahlreiche Transporte in die frühen Konzentrationslager sowie erste Deportationen polnischer und deutscher Juden vor und nach dem 9. November 1938, nicht zu vergessen Sonderzüge in die Emigration. Die umfangreiche Studie beschreibt diese historischen Fakten und skizziert dabei eine Fülle von Biographien. Sie geht jedem Detail antisemitischer Vorgänge bei der Eisenbahn vor dem 1. September 1939 nach, die sich nur als Wurzeln späteren Unheils begreifen lassen.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die eindeutige Mitschuld der Reichsbahn an der Judenverfolgung hält Rezensent Hans Mommsen nach der Lektüre dieser von Alfred Gottwaldt erstellten Dokumentation für erwiesen. Die von Gottwaldt zusammengetragenen Quellen zur Führungsstruktur und Personalpolitik der Reichsbahn in den 30er Jahren bis hin zu ihrer dem Regime entgegenkommenden Rolle bei Massendeportationen kurz vor Kriegsbeginn räumen für den Rezensenten jeden Zweifel aus. So habe die Bahn nach 1935 nicht nur rund 4000 jüdischen Mitarbeitern gekündigt, sondern sei der SS unmittelbar nach der Reichspogromnacht auch umstandslos bei der Verfrachtung von 20.000 verhafteten Juden in Konzentrationslager zur Hand gegangen. "Ungewöhnlich präzise, quellengesättigt und umfassend" ist Gottwaldts Darstellung, wie Mommsen anerkennt. Und "gerade im Hinblick auf die Details" verbietet es sich seiner Auffassung nach, von einer passiven Rolle des Logistikgiganten im Dritten Reich zu sprechen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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