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Am Ende des Zweiten Weltkrieges lag die Reichshauptstadt Berlin in Trümmern. Das Reichstagsgebäude, von 1.400 Artilleriegeschossen schwer getroffen, stand als Ruine ausgebrannt im Spreebogen. Die Bibliothek, seit 1939 ausgelagert, war am 2. Mai 1945, dem letzten Tag der Kämpfe in der Stadt, in Flammen aufgegangen. Seit ihrer Gründung 1872 hatte die Bibliothek der wissenschaftlichen Information des Parlaments und seiner Mitglieder gedient. Und sie blieb - ebenso wie die Institution des Reichstages als dann nationalsozialistisches Einparteienparlament und "Akklamationsorgan" Hitlers - nach dem…mehr

Produktbeschreibung
Am Ende des Zweiten Weltkrieges lag die Reichshauptstadt Berlin in Trümmern. Das Reichstagsgebäude, von 1.400 Artilleriegeschossen schwer getroffen, stand als Ruine ausgebrannt im Spreebogen. Die Bibliothek, seit 1939 ausgelagert, war am 2. Mai 1945, dem letzten Tag der Kämpfe in der Stadt, in Flammen aufgegangen. Seit ihrer Gründung 1872 hatte die Bibliothek der wissenschaftlichen Information des Parlaments und seiner Mitglieder gedient. Und sie blieb - ebenso wie die Institution des Reichstages als dann nationalsozialistisches Einparteienparlament und "Akklamationsorgan" Hitlers - nach dem Ende der demokratischen Parteien und des Parlamentarismus 1933 erhalten. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entstand 1949 in Bonn eine neue Parlamentsbibliothek: die Bibliothek des Deutschen Bundestages. Mit der Darstellung der Geschichte der Bibliothek in Bonn schließt diese Untersuchung.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.1997

Das Gedächtnis unserer Zeit
Die Reichstagsbibliothek als Spiegel der deutschen Geschichte

Gerhard Hahn: Die Reichstagsbibliothek zu Berlin - ein Spiegel deutscher Geschichte. Mit einer Darstellung zur Geschichte der Bibliotheken der Frankfurter Nationalversammlung, des Deutschen Bundestages und der Volkskammer sowie einem Anhang: Ausländische Parlamentsbibliotheken unter nationalsozialistischer Herrschaft und Dokumente. Herausgegeben von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien. Droste Verlag, Düsseldorf 1997. 759 Seiten, 77 Abbildungen, 198,- Mark.

Bibliotheken finden, wenn überhaupt, in Büchern meist als Fußnoten oder in Vor-und Nachworten Erwähnung. Was aber wäre die Welt der Bücher und damit das Gedächtnis unserer Zeit ohne die Schatzkammern des Wissens, die uns Bibliotheken und Archive eröffnen? Wo fänden wir ohne Kataloge, Karteien und Schlagworte, was wir suchen, um zu lernen, was andere vor und neben uns erarbeitet haben? Neue Bücher sind gewöhnlich Kinder von Bibliotheken, Kompositionen aus vorhandenen Erkenntnissen, schon einmal niedergeschriebenen Gedanken, Phantasien und nicht zuletzt offengebliebene Fragen. Zahllose Bücher würden bald in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht dorthin zurückfänden, woher ihre Erbsubstanz stammt, in Bibliotheken.

Schwerlich könnten selbst modernste Computersysteme erfassen, welche Informationen Wissenschaft und Literatur, Politik und Journalismus benötigen, wenn sie nicht auf den Fundus des Überlieferten zurückgreifen könnten, den uns Bibliotheken bewahrt haben. Kein Computer wird je hervorrufen können, was empfindet, wer beispielsweise die in schweres Leder gebundene Originalausgabe der "Satiren" Gottlieb Wilhelm Rabeners aus dem Jahre 1755 in die Hand nimmt und darin entdeckt, wie man sich seinerzeit mit der Frage auseinandersetzte, wieweit ein Poet, der "gemeiniglich mehr Witz als Geld besitze", steuerpflichtig sei oder ob es nicht doch "zwischen sterblichen Bürgern und unsterblichen Dichtern einen großen Unterschied" gebe. Eine Frage also, die selbst die Steuerreform unserer Tage auch ohne sozialdemokratische Blockade nicht befriedigend gelöst hätte. Ganz zu schweigen davon, daß es heutzutage kaum mehr unsterbliche Dichter gibt, neben all den göttlichen Fußball- und Tennisstars, Mannequins und sonstigen Besserverdienenden.

Der gemeine Abgeordnete des Deutschen Bundestages kann, wenn er sich überhaupt mit Fragen der Steuerreform befaßt, seine Assistentin oder andere dienstbare Geister in Anspruch nehmen, um "gebrieft" zu werden. Das heißt, er erhält kurz gefaßt die wichtigsten Informationen zum Thema, damit er bei einer Abstimmung seinem Gewissen auch wirklich sachkundig folgen kann.

Früher war das anders. Die Abgeordneten des Deutschen Reichstages mußten nicht nur ihre Reden und Anfragen selbst schreiben, sie mußten sich auch persönlich in die Bibliothek des Hohen Hauses begeben, um das dazu Notwendige zu recherchieren. Über eigene wissenschaftliche Hilfskräfte verfügten sie nicht. Von 1872 bis 1933 waren sie auf die Bibliothek des Reichstages und die Hilfe der Bibliothekare zur Gewinnung einer grundlegenden wissenschaftlichen Informationsbasis angewiesen. Die Reichstagsverwaltung hatte 1933 insgesamt 304 Beschäftigte; 1994 verfügte die Verwaltung des Deutschen Bundestages über 2290 Stellen (ohne Zeitkräfte), und in den Abgeordnetenbüros waren zusätzlich 1417 Personen beschäftigt.

Gerhard Hahn hat eine grandiose Geschichte der zuletzt über 400000 Bücher umfassenden und 1945 weitgehend zerstörten Bibliothek des Reichstages geschrieben. Dem voluminösen, mit zahlreichen Abbildungen und Faksimiles ausgestatteten Band ist in der Vorbemerkung des Autors ein Satz von Thomas Nipperdey beigegeben: "Die Geschichte hat es mit Geschichten zu tun, und die Aufgabe des Historikers ist es, auch und wieder, Geschichten zu erzählen." Hahn folgt dieser Maxime auf meisterhafte Weise und setzt nicht nur der am 2. Mai 1945 bei den finalen Straßenkämpfen in der Berliner Weinmeisterstraße verbrannten Reichstagsbibliothek, sondern auch ihren Leitern und dem Bibliothekspersonal ein Denkmal, wie es angemessener nicht hätte sein können: ein Buch, an dem man sich nicht satt lesen kann, 758 Seiten und kein bißchen langweilig.

Neben der eigentlichen Geschichte der Reichstagsbibliothek, die an sich schon eine herausragende Forschungsleistung darstellt, behandelt der Autor mit großer Detailkenntnis unter anderem auch die realisierten und unrealisierten Bauvorhaben im Reichstagsgebäude, dessen Zerstörung im Kriege sowie die entscheidenden letzten Kampfhandlungen am 1. Mai 1945, als sich im Reichstagsgebäude deutsch-belgische SS-Verbände mit sowjetischen Stoßtrupps von Stockwerk zu Stockwerk erbitterte Gefechte lieferten.

Auch über die wundersame Odyssee der von 405 Abgeordneten unterzeichneten Originalurkunde der Reichsverfassung von 1849 wird berichtet. Sie wurde 1930 bei einem Einbruch aus dem Reichstagsgebäude gestohlen, tauchte aber noch im gleichen Jahr auf ungeklärte Weise wieder auf. 1944 gelangte das wertvolle Dokument zusammen mit der Gesetzessammlung des Reichsarchivs im Zuge der Auslagerung in die Kalischächte von Straßfurt, von wo es 1945 erneut unter ungewissen Umständen verschwand. 1951 fand sie ein junger Potsdamer Bürger stark beschädigt im Bauschutt nahe des Schlosses Cecilienhof. Der Mann erhielt, nachdem erst seine dritte Vorsprache zur Übernahme des Dokuments durch das Museum für Deutsche Geschichte Unter den Linden geführt hatte, keinen Finderlohn. Es handle sich, teilte man ihm mit, um "unverkäufliches Staatseigentum". Die von der DDR mit "technisch unbefriedigenden Mitteln" restaurierte Urkunde wurde schließlich erst 1994 vom Deutschen Historischen Museum, wo sie jetzt aufbewahrt wird, durch konservatorische Neubehandlung in den bestmöglichen Zustand versetzt. Beschädigt wird die nie in Kraft gesetzte Reichsverfassung freilich für alle Zeit bleiben.

Immerhin ist sie auch dank des DDR-Museums für Deutsche Geschichte erhalten geblieben. Nicht so die 8000 Bände der Reichstagsbibliothek, die 1945 den Brand in der Weinmeisterstraße überstanden hatten. Sie gelangten auf Anweisung der sowjetischen Militäradministration in das Ost-Berliner Institut für Zeitgeschichte. Beschädigte Exemplare wurden mit Billigung der Institutsleitung im Winter 1948/49 verheizt. Die 1949 in Deutsches Institut für Zeitgeschichte umbenannte, von SED-Funktionären geführte Einrichtung beseitigte bis Ende der sechziger Jahre Zug um Zug alle Bücher, die den Eigentumsvermerk der Reichstagsbibliothek trugen, aus ihrem Bestand. Als "unbrauchbares Material" wurden auch die Filmrollen mit den mikrofotografierten Katalogen der Reichstagsbibliothek vernichtet.

Anders als die Restbestände der größten politischen Bibliothek der Weimarer Republik breitete eine 12000 Bände umfassende Sondersammlung mit NS-Literatur den zuständigen SED-Historikern keine Probleme. Diesen Bestand hatte der letzte Direktor der Reichstagsbibliothek, Eugen Fischer-Baling, seit September 1945 für ein Dokumentationszentrum des Berliner Magistrats zusammengetragen. Er tat dies mit Billigung des kommunistischen Stadtrats Otto Winzer, des späteren DDR-Außenministers.

Am 20. Oktober 1946 erhielt die SED bei den ersten freien Wahlen in Berlin nur 19,8 Prozent. Die SPD übernahm mit 48,9 Prozent auch den Zuständigkeitsbereich Volksbildung. Im April 1947 wurde das nun einem SPD-Stadtrat unterstellte Dokumentationszentrum, das mittlerweile den Namen "Zentralstelle für Zeitgeschichte" trug, von der sowjetischen Besatzungsmacht geschlossen. Die bereits über 40000 Bände umfassende dazugehörige Bibliothek und das Archiv wurden beschlagnahmt und bald darauf dem von SED-Funktionären geleiteten erwähnten "Institut für Zeitgeschichte" einverleibt. So gelangte auch die Sondersammlung NS-Literatur in die Hände der SED. Man hat sie über alle Jahre in der DDR gepflegt und vollständig erhalten. Sie überdauerte die SED-Diktatur und ist heute in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geschlossen wieder aufgestellt.

Eugen Fischer-Baling, Jahrgang 1881, Direktor der Reichstagsbibliothek von 1928 bis 1945, war wie seine leitenden Mitarbeiter parteifern geblieben und nicht der NSDAP beigetreten. Unter Ausnutzung seiner Position hatte er nach 1933 "alles, was an Hitler-gegnerischer Literatur aus dem Ausland zu bekommen war", gesammelt. Gegnern des Regimes wie Ferdinand Friedensburg hat er bei Gelegenheit dann diese verbotenen Schriften zugänglich gemacht.

Fischer-Baling übernahm ab dem Wintersemester 1948/49 an der wiedererrichteten Deutschen Hochschule für Politik, dem späteren Otto-Suhr-Institut der Freien Universität (FU) Berlin, einen Lehrauftrag für Geschichte und Theorie der auswärtigen Politik. 1953, 43 Jahre nach seiner theologischen Habilitation, wurde er ordentlicher Professor für die Wissenschaft von der Politik an der FU. Am 23. Juli 1956 erhielt er ein von sämtlichen Professoren der Deutschen Hochschule für Politik unterzeichnetes Schreiben, in dem ihm für die Schöpfung der Berufsbezeichnung "Politologe" gedankt wurde. Fischer-Baling muß darunter etwas anderes verstanden haben, als das heutzutage gemeinhin der Fall ist. Er hielt bis zu seinem Tode 1964 Lehrveranstaltungen ab und hatte noch mit mehr als achtzig Jahren, wie Gerhard Hahn zu berichten weiß, seinen Studenten viel zu sagen. In seinen Vorlesungen über die Weimarer Zeit verstand er es, seine Hörer "mit der Demokratie bekannt zu machen", erinnerte sich ein damaliges Erstsemester.

Die Reichstagsbibliothek ist in den letzten Tagen der NS-Diktatur verbrannt. Das wenige, was von ihr übrigblieb, hat die zweite deutsche Diktatur vernichtet oder in alle Winde zerstreut. Im September 1948 erhielt die Bibliothek des Parlamentarischen Rates zu ihrem Neuanfang 69 Bücher von der Regierung Nordrhein-Westfalens geschenkt. Das war der Grundstein der heutigen Bibliothek des Deutschen Bundestages, deren Bestand 1995 1,1 Millionen Bände umfaßte. Bis 2001 soll diese Bibliothek am östlichen Spreeufer im "Luisenblock" eingezogen sein. Die Namenspatronin war ihrerzeit die preußische Königin der Herzen. Heinrich von Kleist schrieb für sie 1810, was mit kleinem t auch der Bundestagsbibliothek zu wünschen ist: "Sei, Teure, lange noch des Landes Stolz."

JOCHEN STAADT

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