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"Im Herbst 1977 fliegt die Autorin ins kühle, verregnete London. Es ist eine Reise in die eigene Vergangenheit, um 27 Jahre zurück. In London hatte Anna Maria Jokl von 1939 bis 1950 gelebt; der Ort ihres Exils war ihr immer fremd geblieben. Während die Autorin durch London geht, kehren Bilder, Erinnerungen wieder, auch aus anderen Metropolen ihres Lebens: Jerusalem, Prag, Paris, Berlin. In Kensington Garden sucht Anna Maria Jokl nach einem Baum, den während des Zweiten Weltkriegs eine deutsche Bombe zerfetzt hatte und der durch die Zerstörung eine bizarre, wuchernde Form angenommen hatte. »Den…mehr

Produktbeschreibung
"Im Herbst 1977 fliegt die Autorin ins kühle, verregnete London. Es ist eine Reise in die eigene Vergangenheit, um 27 Jahre zurück. In London hatte Anna Maria Jokl von 1939 bis 1950 gelebt; der Ort ihres Exils war ihr immer fremd geblieben. Während die Autorin durch London geht, kehren Bilder, Erinnerungen wieder, auch aus anderen Metropolen ihres Lebens: Jerusalem, Prag, Paris, Berlin. In Kensington Garden sucht Anna Maria Jokl nach einem Baum, den während des Zweiten Weltkriegs eine deutsche Bombe zerfetzt hatte und der durch die Zerstörung eine bizarre, wuchernde Form angenommen hatte. »Den Baum war ich suchen gekommen, am Jom Kippur in London. Ich fand ihn nicht mehr.«"
Autorenporträt
Jokl, Anna MariaAnna Maria Jokl, 1911 in Wien geboren, lebte von 1965 bis zu ihrem Tod 2001 in Jerusalem. Die Perlmutterfarbe schrieb sie in den dreißiger Jahren im Prager Exil. Ihr Gesamtwerk wurde 1995 mit dem Hans-Erich-Nossack-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.1999

Auf dem Rand einer Schachtel
Anna Maria Jokl versucht Randbemerkungen zu ihrem Leben

Drei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Anna Maria Jokl als Kind jüdischer Eltern in Wien geboren. Hier lebte sie, bis sie die Schule absolviert hatte. Dann folgten 1928 der Umzug nach Berlin, eine Ausbildung als Rezitatorin und erste Engagements als Rundfunksprecherin beim Deutschlandsender. Wenige Wochen nach dem Reichstagsbrand emigrierte sie - durch ihre "kommunistischen Schriftstellerfreunde für das Kommende hellhöriger gemacht als die meisten Juden in Deutschland" - in die Tschechoslowakei. Im Prager Exil entstanden ihre beiden Kinderromane. Sie entschloss sich rechtzeitig zur Flucht, nachdem, wie es in der berüchtigten Erklärung hieß, "das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches" gelegt worden war. Im Frühjahr 1939 gelang ihr unter abenteuerlichen Umständen der Grenzübertritt nach Polen, und über Schweden kam sie schließlich nach England. In London hat sie den Zweiten Weltkrieg überlebt.

Anna Maria Jokl, die heute in Jerusalem zu Hause ist, hat ein Erinnerungsbüchlein vorgelegt, in dem sie Stationen und Begegnungen ihrer erzwungenen Irrfahrt Revue passieren lässt. Den Rahmen bildet die Skizze einer dreißigtägigen Reise nach London im Herbst 1977. Doch die Stadt, die sie 1950 verlassen hatte, taucht nur als ein mit Ortsbezeichnungen sparsam etikettierter Hintergrund auf, vor dem sie die Schauplätze ihrer Vergangenheit abschreitet.

Ohne Bitterkeit blickt sie zurück auf den katastrophischen Verlauf ihrer ersten Lebenshälfte. Beschweren möchte sie sich nicht. "Es gibt keine Adresse", schrieb sie in ihrer Prosasammlung "Essenzen", "wo sich das eigenverantwortliche Individuum beklagen kann über unsere Zeit." Die Aufzeichnungen deuten denn auch eher beiläufig an, was einer jüdischen Emigrantin überreichlich zuteil geworden sein muss an Einsamkeit, Demütigungen und existentiellen Gefährdungen, an Angst, wie sie einmal formuliert, die aus dem Gefühl der Unzugehörigkeit stammt.

Betrüblicherweise bleibt die gedankenvolle Andeutung das einzige erzählerische Mittel in diesem Text auch dort, wo der Leser sich konkrete Beschreibungen gewünscht hätte. Im Mittelpunkt des Berichtes stehen drei zum Teil den historischen Umständen geschuldete Niederlagen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit: zunächst eine gescheiterte Liebesbeziehung, dann die durch kleinliche Eifersüchteleien und antisemitisches Ressentiment zunichte gemachte Hoffnung, am C.-G.-Jung-Institut in Zürich die Ausbildung als Psychotherapeutin abschließen zu können, und schließlich der in Ost-Berlin vereitelte Versuch eines Neubeginns als Schriftstellerin. Die Schilderung dieser "Schläge" aber durchwogt ein wahrer Wirbel biographischer Nachrichten.

Es fällt deshalb nicht immer ganz leicht, im Gefüge der vielfach verschachtelten Vor- und Rückblenden die Übersicht zu behalten. Verantwortlich dafür ist allerdings weniger die sprunghaft-assoziative Darstellungsform als vielmehr die irritierende Fülle aufgerufener Nebensächlichkeiten.

So erfährt man etwa über den wortkargen polnischen Schriftsteller B., dass er einen "unendlich wohlgeformten Schädel" besaß, und, wenn er sich erhob, "ein Bild" abgab "von mächtigem, bedeutsamem Ebenmaß, das die Seele tief ergriff". Man liest, auf welcher Bank er gesessen im Kensington-Park ("nahe der Schneise"), an welcher Haltestelle er einstieg ("auf der gegenüberliegenden Seite von Bayswater Road - der linken") und dass er - unwillig nur - seine Telefonnummer aushändigte, indem "er sie auf eine Zigarettenschachtel schrieb". Als das Verhältnis "die Intensität gewonnen hatte, wo Geist, Seele und Körper zu verschmelzen begannen", endet es abrupt, denn der Mann bekennt, er sei bereits verheiratet (mit einem "italienischen Mädchen aus sehr guter Familie") und müsse nach Warschau fahren, um "das Unglücksgeschöpf" abzuschütteln.

Die Autorin erwähnt die Namen einer schier endlosen Reihe bekannter oder weniger bekannter Persönlichkeiten, mit denen sie in Berührung kam, und bescheinigt ihnen gerne zumindest Intelligenz, wenn nicht Brillanz oder gar Genialität (nur Richard, der Gatte Mitzis, "der sich als Vertreter plagte", wird kummervoll als "halbintellektueller Mann" eingestuft). Die Gespräche, die sie führte (über Anthropologie, Kafka oder die "Phänomene von Raum und Zeit") waren abwechselnd "intensiv" oder "faszinierend" oder beides zugleich. Doch über die Inhalte schweigt sie sich aus. Auch über sie selber vernimmt man viel Gutes: Ihre Rundfunkbeiträge aus dem vornationalsozialistischen Berlin seien "verzaubernd, hypnotisierend" gewesen, sie teilt mit, dass der Bote des Senders, der die Manuskripte abholte, "verehrend lispelte", dass Kokoschka ihr schrieb: "Sie sind ein geniales Weib." Zweifellos ist alles das für die Biographin von ebenso großer persönlicher Wichtigkeit, wie es für den Leser von vollkommener Belanglosigkeit bleibt.

Anna Maria Jokl hat zwei lesenswerte Kinderromane geschrieben. Beide sind mittlerweile, nachdem sie über vierzig Jahre vom Markt verschwunden waren, als Taschenbücher greifbar. Der eine Roman, unterrichtet uns die Verfasserin, "wurde ein Bestseller und, statistisch festgestellt, zum meistausgeliehenen Buch in Bibliotheken der Jahre 1947 bis 1950". Ungewiss ist, was diese Auskunft bezweckt. Doch das Faktum vermerkt man mit Freude.

ROLF DÄHN

Anna Maria Jokl: "Die Reise nach London. Wiederbegegnungen". Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 125 S., geb., 32,- DM.

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