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Die polnische Schriftstellerin Ida Fink lebt heute in Israel. Die Geschichte, die sie in diesem Roman erzählt, beginnt im Herbst 1942. Zwei jungen polnischen Jüdinnen gelingt die Flucht aus dem Ghetto. Als sicherster 'Zufluchtsort' erscheint ihnen eines der zahlreichen Zwangsarbeiterlager im Deutschen Reich. So arbeiten sie unter falschem Namen in einer Maschinenfabrik im Ruhrgebiet. Sie erleben Haß und Hilfsbereitschaft, Feindschaft und Freundschaft, werden denunziert, von der Gestapo gejagt. Daß sie die Heimat eines Tages wiedersehen, verdanken sie ihrem unbändigen Überlebenswillen.

Produktbeschreibung
Die polnische Schriftstellerin Ida Fink lebt heute in Israel. Die Geschichte, die sie in diesem Roman erzählt, beginnt im Herbst 1942. Zwei jungen polnischen Jüdinnen gelingt die Flucht aus dem Ghetto. Als sicherster 'Zufluchtsort' erscheint ihnen eines der zahlreichen Zwangsarbeiterlager im Deutschen Reich. So arbeiten sie unter falschem Namen in einer Maschinenfabrik im Ruhrgebiet. Sie erleben Haß und Hilfsbereitschaft, Feindschaft und Freundschaft, werden denunziert, von der Gestapo gejagt. Daß sie die Heimat eines Tages wiedersehen, verdanken sie ihrem unbändigen Überlebenswillen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2011

Wenn doch ein Stern fiele
Höllenfahrt: Ida Finks letzter Roman "Die Reise"

Ida Fink überlebte den Zweiten Weltkrieg, obwohl eine ganze Welt sich gegen sie verschworen hatte. 1921 als Jüdin geboren, drohte ihr 1942 der Todestransport aus dem Getto, doch mit falschen Papieren gelang es ihr und ihrere jüngeren Schwester, ins Dritte Reich zu fahren, um mit Polinnen in Deutschlands Kriegswirtschaft zu arbeiten: das ist "Die Reise", die ida Finks Überlebensbericht den Titel gegeben hat.

Die Amtssprache der Nationalsozialisten bestand aus Euphemismen; die Polinnen wurden "Freiwillige" genannt, in Wirklichkeit leisteten sie natürlich Zwangsarbeit. Sie waren übel dran, und doch gab es hier einen Unterschied - als Polin wurde man versklavt, als Jüdin ermordet. Auch die Hölle wies Schattierungen auf, und Ida Fink beschreibt ihren innersten Kreis. Es hat lange gedauert, ehe sie es konnte. Unbewusst, so deutet Ida Fink es im Gespräch mit ihrer Freundin Monika Maron an, die in der vorliegenden Neuausgabe des Buches ein schönes Nachwort geschrieben hat, musste sie wohl auf eine "klärende Distanz" warten; das hat den Text von einem autobiographischen Bericht in ein Kunstwerk verwandelt. "Die Reise" ist Ida Fink letztes Buch geworden. Am Dienstag ist sie im Alter von neunzig Jahren gestorben (F.A.Z. vom 28. September).

Der Titel "Die Reise" ist mehr als ein lakonisches Wort, hinter dem Fink ihre Höllenfahrt verbirgt; es ist ein Motiv der Weltliteratur, das mit Gottes Schützling Abraham und dem glücklichen Heimkehrer Odysseus in Traditionen steht, die sich in der Moderne zunehmend verdunkelt haben. Bei Ida Fink erreicht das Motiv den Punkt absoluter Gnadenlosigkeit, und sie stellt es unter ein fragwürdiges Omen. "Am Fenster stehend dachte sie: Wenn doch ein Stern fiele!" So lautet der erste Satz, statt einer Sternschnuppe aber scheint nur das Licht eines Unvorsichtigen auf, der sein Fenster nicht abgedunkelt hat. Ironisch gibt die Ich-Erzählerin vor, es für ein Himmelszeichen zu nehmen, und lässt den Leser zugleich wissen, dass es das Gegenteil ist: Zeichen der Sinnlosigkeit, in dem sich alles Folgende nun abspielen wird.

Die Reise der beiden Schwestern führt durch eine verkehrte Welt - wer das "Gesetz" befolgt, wird im mörderischen NS-Staat zum Verbrecher; wer Mensch bleiben will, muss sich tarnen. Das ist die Regel, die Ida Finks Universum beherrscht. Sie gilt für Deutsche und für Polen, für Männer und für Frauen, in ihrer erschreckendsten Absurdität aber trifft sie die Juden: die müssen sich tarnen, da sie im Namen des Gesetzes keine Menschen sind.

Im polnischen Original hat das Buch lange keinen Verlag gefunden, wurde aber seit seinem Erscheinen 1990 in viele Sprachen übersetzt, mehrfach preisgekrönt und auch verfilmt. Für den deutschen Leser ist es von besonderer Bedeutung, weil es das Leben im Land der Nazionalsozialisten während der späten Kriegsjahre aus der Perspektive der Opfer beschreibt. In ihrem Nachwort bemerkt Monika Maron, dass die Darstellung keinen Hass verspüren lässt, und hierin liegt eine der Voraussetzungen für Finks künstlerische Leistung. Sie nimmt die Welt mit gleichmäßiger, von keiner Emotion verzerrter Aufmerksamkeit wahr und kann daher sichtbar machen, was einem verdrängenden Blick verborgen bleiben muss.

Viele Gestalten in Finks Erzählung tragen Allerweltsnamen; die reiche Bäuerin, die ihr Herrenmenschentum hartherzig verinnerlicht hat, heißt Schulz, der Lagerkommandant heißt Schmidt - Jedermannfiguren in einem Menschheitsdrama, dessen Rollen beliebig besetzbar sind. Als die Jüdinnen in einer frühen Morgenstunde aus dem Lager fliehen, fängt Schmidt sie unvermutet ab, doch dann lässt er sie gehen, nennt ihnen sogar die Züge, die am Bahnhof abfahren. Auf ihrer Flucht denkt die Ich-Erzählerin über sein undurchsichtiges Verhalten nach und will, falls sie überlebt, ihn einmal danach fragen; dann aber heißt es: "Noch weiß ich nicht, dass ich Schmidt nach dem Krieg nicht mehr treffen werde, weil er bei einem Luftangriff sterben wird."

Ida Fink maßt sich nicht an, das Unerklärliche zu erklären; ihr Überleben, der tiefste Grund dieses letztlich nicht deutbaren Textes, bleibt ein Rätsel, und seine offenen Fragen - wie die Sternschnuppe des Anfangs, die in Wirklichkeit keine ist - fasst sie in die Bilder ihrer Kunst. Die Neuausgabe des Buches erscheint auf einer entscheidenden Schwelle des kollektiven Gedächtnisses: die Autorin gehört zu den letzten unmittelbaren Zeugen dieser Zeit, bald wird sie uns nur noch in der Vermittlung zugänglich sein, und am Ende der Erzählung formuliert Fink die Frage nach dem Wesen der Erinnerung.

Die beiden Schwestern versuchen, den Bodensee zu erreichen und damit das rettende Ausland. Aber sie haben keine Papiere mehr, der Plan ist aussichtslos, und in Karlsruhe stellen sie sich der Polizei. Eine Übersetzerin glaubt ihnen ihre Deckgeschichte nicht und versucht, sie in eine Falle zu locken; ob sie eine Polin war oder eine Deutsche, erfahren wir nicht, wie die Menschlichkeit ist auch die Unmenschlichkeit universal. Der diensthabende Gendarm will die Gestapo benachrichtigen, doch ein Kommandant tritt ein und befiehlt ihm, das Arbeitsamt anzurufen: einer der tausend Zufälle, denen Ida Fink ihr Leben verdankt.

Das alles wird mit großer Eindringlichkeit geschildert, aber ist es wirklich so gewesen? Im Epilog des Buches, dreißig Jahre später, als sie längst in Israel lebt, kommt Ida Fink mit ihrem Mann noch einmal an den Ort. "In meiner Erinnerung war der Platz rund, jetzt erweist er sich als rechteckig", schreibt sie überrascht, und auch das Polizeirevier scheint es nie gegeben zu haben. Jetzt ist es eine Schule, der Hausmeister lässt sie ein, die Schriftstellerin erkennt das Zimmer wieder, in dem sie verhört wurde.

Da gibt der Hausmeister sich als Pole zu erkennen, der hier während des Krieges gearbeitet hat und in Deutschland geblieben ist. "Nein, nein, ich bin hier nicht gewesen", wehrt Ida Fink ihn ab, und als ihr Mann sie später fragt, warum sie das getan hat, sagt sie nur: "Ich habe genug." Seine Erinnerungen waren die eines Polen, ihre Erinnerungen aber die einer Jüdin. Das ist nicht dasselbe.

JAKOB HESSING.

Ida Fink: "Die Reise".

Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler. Nachwort von Monika Maron. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 238 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ida Finks Roman ist im polnischen Original bereits 1990 erschienen, dass er nun ins Deutsche übersetzt wurde, freut den Rezensenten Jakob Hessing sehr. Ebenso sehr bedauert er, dass die Autorin vorige Woche verstorben ist. Was Ida Fink lakonisch "Reise" nennt, erzählt tatsächlich von einer Höllenfahrt, macht Hessing sehr unmissverständlich klar. Denn die Autorin erzählt darin, wie sie, um als Jüdin im besetzten Polen der Gestapo zu entkommen, als polnische Zwangsarbeiterin nach Deutschland ging. Dort musste sie als Polin nur fürchten, von den Deutschen ausgebeutet, nicht aber ermordet zu werden, so die verzweifelte Überlegung. Und da sie tatsächlich überlebt hat, kann sie in ihrem Roman aus Sicht der Opfer schildert, wie es während der Kriegsjahre im Land der Täter ausgesehen hat. Ein seltener Fall, dem wir bittere Schilderungen von Herrenmenschentum verdanken. Hessing hat dies mit großer Anteilnahme gelesen. Eingenommen hat ihn auch das schöne Nachwort von Monika Maron.

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