Mit dem berühmten Prager Fenstersturz im Mai 1618 begann ein gewaltiger Krieg, der Millionen Menschenleben fordern und drei Jahrzehnte andauern sollte. Bis heute ist diese beispiellose historische Katastrophe von Mythen überwuchert. Georg Schmidt, einer der großen Kenner der Epoche, legt aus Anlass des 400. Jahrestages eine Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges auf dem neuesten Stand der Forschung vor. "Die Reiter der Apokalypse" - das waren Krieg, Hunger und Seuchen, die einen millionenfachen Tod brachten und weite Teile Mitteleuropas verwüsteten. In seiner großen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verknüpft Georg Schmidt souverän das politische und militärische Geschehen mit Tagebuchaufzeichnungen, Predigten und anderen zeitgenössischen Quellen, die beklemmend anschaulich zeigen, wie der Krieg erfahren und durchlitten wurde: als Strafe Gottes, als Kampf um die deutsche Freiheit, als blutiger Weg zu einem neuen Frieden. So ist ein grandioses Panorama entstanden, das zugleich das Geschehen historisch deutet und einordnet: in das große religiöse Ringen von Reformation und Gegenreformation, den Machtkampf zwischen der Habsburgermonarchie und den Reichsständen, die Ziele der Nachbarstaaten und die undurchsichtigen Ränkespiele eines Wallenstein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2018Auf der Blutspur eines aufgeschobenen Friedens
Vierhundert Jahre Prager Fenstersturz: Georg Schmidt und Johannes Burkhardt erzählen von Wendepunkten und verpassten Chancen im Dreißigjährigen Krieg. Und sichern mit ihren Büchern der Forschung Fragen für die kommenden Jahre.
Die Erzählerin in Monika Marons Roman "Munin oder Chaos im Kopf" soll einen Aufsatz über den Dreißigjährigen Krieg "für die Festschrift einer westfälischen Kleinstadt" verfassen. Sie tut sich schwer. Eigentlich hasst sie diesen Krieg, alle Kriege, und noch mehr das Schreiben darüber. Doch dann gibt sie sich einen Ruck. "Es kam nur darauf an, den einen Faden, vielleicht nur ein Fädchen zu finden, (...) das nicht in die Logik von Herrschaftskämpfen, geostrategischen Konfliktlagen, militärischen Bündnissen und Staatenbildungen passte, eine zarte Nervenfaser aus jener Zeit, über die sich ein Signal senden ließ an unsere Nervenstränge."
Am Ende findet sie die "Nervenfaser" ausgerechnet bei Cicely Veronica Wedgwood, der klassischsten aller klassischen Historikerinnen des Dreißigjährigen Krieges, deren Buch vor achtzig Jahren erschien. Ob sie die Faser auch bei Georg Schmidt entdeckt hätte? Immerhin ist Schmidt Autor einer mehrfach aufgelegten Kompaktgeschichte des Konflikts und einer "Geschichte des Alten Reiches", die gleichfalls als Standardwerk gilt. Auch seine gerade erschienene Gesamtdarstellung des Krieges hat trotz ihrer epischen Länge durchaus kompakte Züge. Das eigentliche Kriegsgeschehen wird auf knapp vierhundert Seiten zusammengefasst. Kaum weniger Platz bekommen die Vorgeschichte und der Osnabrücker Frieden mit seinen politischen und mentalitätsgeschichtlichen Folgen.
Man kann sich bei Schmidt also nicht nur, um mit Monika Maron zu reden, in die Herrschaftskämpfe und Militärbündnisse, sondern darüber hinaus in die geostrategischen und verfassungsrechtlichen Konfliktlagen des siebzehnten Jahrhunderts einlesen. Darin liegt, kurz gesagt, das eigentliche Verdienst von Schmidts Buch: Anders als der Engländer Peter Wilson, dessen elfhundertseitiges Kriegspanorama im Herbst auf Deutsch herauskam, hat der Jenaer Ordinarius auch die Predigten, Pamphlete und Gutachten jener Zeit gründlich ausgewertet; und im Vergleich mit Herfried Münklers ebenfalls zur Buchmesse erschienener Studie (F.A.Z. vom 7. Oktober 2017) kennt er sich mit der Rechtslage im Heiligen Römischen Reich und den verschiedenen Stadien des diplomatischen Kräftemessens in Münster und Osnabrück entschieden genauer aus.
In diesem Vorzug steckt allerdings auch eine Beschränkung. Schmidts Darstellung kreist um den deutschen "Reichs-Staat" unter Führung Habsburgs und seine Zerreißprobe im Krieg. Folgerichtig kommen jene Staaten, die nur indirekt oder für kurze Zeit am Geschehen teilgenommen haben, also England, die Niederlande, Dänemark, Siebenbürgen und sogar Spanien, bloß am Rande und das Papsttum fast gar nicht vor. Weder die Tiefe des habsburgisch-französischen Gegensatzes, der das Eingreifen Schwedens unter Gustav Adolf erst ermöglichte, noch die europäische Dimension der spanischen Politik werden so angemessen sichtbar.
Für den Leser, der sich vor allem für die Katastrophe Deutschlands interessiert, ist die Fokussierung ein Gewinn, für andere ein Verlust an Übersicht. Den Grafen Olivares, neben Richelieu ein Hauptdrahtzieher des Geschehens, sucht man im Namensverzeichnis vergeblich, der Jesuitenpater Lamormaini, der als Beichtvater Ferdinands II. die graue Eminenz hinter den kaiserlichen Beschlüssen war, schrumpft zur Nebenfigur. Überhaupt ist die Personenzeichnung keine Spezialität Schmidts, oder jedenfalls nicht in diesem Buch. In seiner Kurzdarstellung für die Becksche "Wissen"-Reihe hat der Autor die bigotte Frömmigkeit Ferdinands noch in knappen Sätzen umrissen. In seinem Großpanorama verzichtet er nun darauf. Auch bei der Charakterisierung Wallensteins zieht sich Schmidt hinter die Forschungsdiskussion von Schiller bis Golo Mann zurück. "Es wurde und wird spekuliert." Manchmal kann es nicht schaden, auch in nebligen Gefilden Position zu beziehen, selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin.
Umso überzeugender schildert Schmidt das Kriegswesen in all seinen Facetten - von der Wallensteinschen Heeresvermehrung, die den Gegner durch systematisches Aussaugen seiner Operationsgebiete in die Knie zwang, bis zu den beweglichen Armeen der Schlussphase des Krieges, die sich überfallartig durchs Land bewegten und vor der Auflösung standen, wenn sie sich bei einer Belagerung festfraßen (oder, wie Gallas in Magdeburg, blockiert und ausgehungert wurden). Zu diesem Zeitpunkt war das Söldnertum längst zum letzten Strohhalm der ausgeplünderten Landbevölkerung geworden. Andere, die noch Besitz hatten, flüchteten hinter die Mauern der Städte. Dort und in den Feldlagern grassierte die Pest, in den verbrannten Dörfern der Hunger. Die breite Zerstörungszone mit Bevölkerungsverlusten über fünfzig Prozent, die sich von der Odermündung bis zum Elsass zog, war nur mittelbar eine Folge von Kampfhandlungen. Schlimmer als Piken und Musketen wüteten Seuchen und Not.
Insofern erinnert der Dreißigjährige Krieg mehr an einen afrikanischen Konflikt des zwanzigsten als an die arabischen Bürgerkriege des einundzwanzigsten Jahrhunderts, mit denen Herfried Münkler ihn verglichen hat. Trotzdem tut Schmidt Münkler unrecht, wenn er ihm vorwirft, einen "Typus" zu konstruieren, der die Wirklichkeit des siebzehnten Jahrhunderts verfehle. Schmidts Krieg, "ein aus dem Ruder gelaufener Verfassungskonflikt", ist ja ebenso ein Konstrukt. Dass das "mitteleuropäisch-deutsche Geschehen" in der kollektiven Erinnerung der Deutschen im Zentrum stand, muss für Historiker kein Grund sein, an den Grenzen Mitteleuropas haltzumachen -, zumal Schmidt durchaus zugesteht, dass es bei alldem um Großmachtpolitik ging, um die Frage, wer auf dem Kontinent das Sagen hatte. Vor 1618 war es Habsburg, nach 1648 Frankreich.
Einen Wendepunkt in diesem hegemonialen Duell bildet der Prager Frieden, den der Kaiser 1635 mit Sachsen schloss. Bei Schmidt ist der Friedensvertrag, dem alsbald alle Reichsstände bis auf Hessen-Kassel, Sachsen-Weimar und die Pfalz beitraten, eine "monarchische Provokation", eine Art Ermächtigungsgesetz für Ferdinand II. und die Gegenreformation "zu Lasten der deutschen Freiheiten". Dass der protestantische Adel es seinerzeit anders sah und sich mit dem um vierzig Jahre verschobenen Vollzug des Restitutionsedikts zufriedengab, ficht den meinungsstarken Historiker nicht an.
In ganz anderem Licht erscheint dasselbe Ereignis bei Johannes Burkhardt. Für ihn ist das Prager Abkommen "ein Meilenstein der deutschen Reichsgeschichte" und der Aufschub des Edikts dessen "stillschweigende Dispensierung". Warum also funktionierte die Friedensordnung nicht? Weil sich der schwedische Kanzler Oxenstierna von "französischen Unterstützungsavancen" umstimmen ließ und "die Militärführung vor Ort" nicht zur Einstellung der Kampfhandlungen bereit war.
Auch so, im Duktus eines Zeitungsberichts, kann man geschichtliche Vorgänge zusammenfassen. Allerdings nimmt man dabei in Kauf, dass die Feinheiten des Geschehens hinter leitartikelnden Generalisierungen verschwimmen. Genau darum aber ist es dem Autor dieser "neuen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" zu tun. Burkhardt, Emeritus in Augsburg, ist ein ausgewiesener Experte, seine Monographie zum Thema erschien bereits 1992. Der schlanke Band, den er zum vierhundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns verfasst hat, hält sich nicht mit Schlachtbeschreibungen auf.
Stattdessen will er einer These zum akademischen Durchbruch verhelfen: Der "Krieg der Kriege" ist bei Burkhardt nichts als ein immer wieder aufgeschobener Friede. Die erste große Chance wurde schon 1619 beim abgesagten Friedenskongress in Eger vertan, die zweite im Nachgang zum Prager Vertrag. Erst die sechsjährige "Großbaustelle des Friedens" in Münster und Osnabrück führte endlich zu tragfähigen statischen und staatlichen Lösungen.
Man muss solche perspektivischen Verkürzungen nicht in allen Details nachvollziehen (zumal, was Burkhardts Einschätzung des "Friedensgenerals" Wallenstein angeht, den er in eine Reihe mit Bismarck und Friedrich den Großen rückt), um ihre befreiende Wirkung dennoch schätzen zu können. Dass ein historisches Thema zum Gegenstand eines Meinungsstreits wird, wie es zuletzt mit der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg passiert ist, kann dem Fach insgesamt nur nützen. Dazu kommt, dass beide Autoren ein sachliches, weitgehend jargonfreies Deutsch schreiben, das sich bei Georg Schmidt stellenweise zu aphoristischer Schärfe aufschwingt.
Ob man das Heilige Römische Reich derart vollmundig zum vorrevolutionären Hort der bürgerlichen Freiheiten hochloben sollte, wie es Schmidt und Burkhardt tun, könnte eine Forschungsfrage der nächsten Jahre sein. Zum diesjährigen Gedenken hat die deutsche Geschichtswissenschaft jedenfalls ihre Pflicht getan - und die Kür dazu. Auch wenn das unsere aufgeputschten Nervenstränge kaum beruhigen dürfte.
ANDREAS KILB.
Johannes Burkhardt: "Der Krieg der Kriege". Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 296 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Georg Schmidt: "Die Reiter der Apokalypse". Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.
Verlag C. H. Beck, München 2018. 810 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vierhundert Jahre Prager Fenstersturz: Georg Schmidt und Johannes Burkhardt erzählen von Wendepunkten und verpassten Chancen im Dreißigjährigen Krieg. Und sichern mit ihren Büchern der Forschung Fragen für die kommenden Jahre.
Die Erzählerin in Monika Marons Roman "Munin oder Chaos im Kopf" soll einen Aufsatz über den Dreißigjährigen Krieg "für die Festschrift einer westfälischen Kleinstadt" verfassen. Sie tut sich schwer. Eigentlich hasst sie diesen Krieg, alle Kriege, und noch mehr das Schreiben darüber. Doch dann gibt sie sich einen Ruck. "Es kam nur darauf an, den einen Faden, vielleicht nur ein Fädchen zu finden, (...) das nicht in die Logik von Herrschaftskämpfen, geostrategischen Konfliktlagen, militärischen Bündnissen und Staatenbildungen passte, eine zarte Nervenfaser aus jener Zeit, über die sich ein Signal senden ließ an unsere Nervenstränge."
Am Ende findet sie die "Nervenfaser" ausgerechnet bei Cicely Veronica Wedgwood, der klassischsten aller klassischen Historikerinnen des Dreißigjährigen Krieges, deren Buch vor achtzig Jahren erschien. Ob sie die Faser auch bei Georg Schmidt entdeckt hätte? Immerhin ist Schmidt Autor einer mehrfach aufgelegten Kompaktgeschichte des Konflikts und einer "Geschichte des Alten Reiches", die gleichfalls als Standardwerk gilt. Auch seine gerade erschienene Gesamtdarstellung des Krieges hat trotz ihrer epischen Länge durchaus kompakte Züge. Das eigentliche Kriegsgeschehen wird auf knapp vierhundert Seiten zusammengefasst. Kaum weniger Platz bekommen die Vorgeschichte und der Osnabrücker Frieden mit seinen politischen und mentalitätsgeschichtlichen Folgen.
Man kann sich bei Schmidt also nicht nur, um mit Monika Maron zu reden, in die Herrschaftskämpfe und Militärbündnisse, sondern darüber hinaus in die geostrategischen und verfassungsrechtlichen Konfliktlagen des siebzehnten Jahrhunderts einlesen. Darin liegt, kurz gesagt, das eigentliche Verdienst von Schmidts Buch: Anders als der Engländer Peter Wilson, dessen elfhundertseitiges Kriegspanorama im Herbst auf Deutsch herauskam, hat der Jenaer Ordinarius auch die Predigten, Pamphlete und Gutachten jener Zeit gründlich ausgewertet; und im Vergleich mit Herfried Münklers ebenfalls zur Buchmesse erschienener Studie (F.A.Z. vom 7. Oktober 2017) kennt er sich mit der Rechtslage im Heiligen Römischen Reich und den verschiedenen Stadien des diplomatischen Kräftemessens in Münster und Osnabrück entschieden genauer aus.
In diesem Vorzug steckt allerdings auch eine Beschränkung. Schmidts Darstellung kreist um den deutschen "Reichs-Staat" unter Führung Habsburgs und seine Zerreißprobe im Krieg. Folgerichtig kommen jene Staaten, die nur indirekt oder für kurze Zeit am Geschehen teilgenommen haben, also England, die Niederlande, Dänemark, Siebenbürgen und sogar Spanien, bloß am Rande und das Papsttum fast gar nicht vor. Weder die Tiefe des habsburgisch-französischen Gegensatzes, der das Eingreifen Schwedens unter Gustav Adolf erst ermöglichte, noch die europäische Dimension der spanischen Politik werden so angemessen sichtbar.
Für den Leser, der sich vor allem für die Katastrophe Deutschlands interessiert, ist die Fokussierung ein Gewinn, für andere ein Verlust an Übersicht. Den Grafen Olivares, neben Richelieu ein Hauptdrahtzieher des Geschehens, sucht man im Namensverzeichnis vergeblich, der Jesuitenpater Lamormaini, der als Beichtvater Ferdinands II. die graue Eminenz hinter den kaiserlichen Beschlüssen war, schrumpft zur Nebenfigur. Überhaupt ist die Personenzeichnung keine Spezialität Schmidts, oder jedenfalls nicht in diesem Buch. In seiner Kurzdarstellung für die Becksche "Wissen"-Reihe hat der Autor die bigotte Frömmigkeit Ferdinands noch in knappen Sätzen umrissen. In seinem Großpanorama verzichtet er nun darauf. Auch bei der Charakterisierung Wallensteins zieht sich Schmidt hinter die Forschungsdiskussion von Schiller bis Golo Mann zurück. "Es wurde und wird spekuliert." Manchmal kann es nicht schaden, auch in nebligen Gefilden Position zu beziehen, selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin.
Umso überzeugender schildert Schmidt das Kriegswesen in all seinen Facetten - von der Wallensteinschen Heeresvermehrung, die den Gegner durch systematisches Aussaugen seiner Operationsgebiete in die Knie zwang, bis zu den beweglichen Armeen der Schlussphase des Krieges, die sich überfallartig durchs Land bewegten und vor der Auflösung standen, wenn sie sich bei einer Belagerung festfraßen (oder, wie Gallas in Magdeburg, blockiert und ausgehungert wurden). Zu diesem Zeitpunkt war das Söldnertum längst zum letzten Strohhalm der ausgeplünderten Landbevölkerung geworden. Andere, die noch Besitz hatten, flüchteten hinter die Mauern der Städte. Dort und in den Feldlagern grassierte die Pest, in den verbrannten Dörfern der Hunger. Die breite Zerstörungszone mit Bevölkerungsverlusten über fünfzig Prozent, die sich von der Odermündung bis zum Elsass zog, war nur mittelbar eine Folge von Kampfhandlungen. Schlimmer als Piken und Musketen wüteten Seuchen und Not.
Insofern erinnert der Dreißigjährige Krieg mehr an einen afrikanischen Konflikt des zwanzigsten als an die arabischen Bürgerkriege des einundzwanzigsten Jahrhunderts, mit denen Herfried Münkler ihn verglichen hat. Trotzdem tut Schmidt Münkler unrecht, wenn er ihm vorwirft, einen "Typus" zu konstruieren, der die Wirklichkeit des siebzehnten Jahrhunderts verfehle. Schmidts Krieg, "ein aus dem Ruder gelaufener Verfassungskonflikt", ist ja ebenso ein Konstrukt. Dass das "mitteleuropäisch-deutsche Geschehen" in der kollektiven Erinnerung der Deutschen im Zentrum stand, muss für Historiker kein Grund sein, an den Grenzen Mitteleuropas haltzumachen -, zumal Schmidt durchaus zugesteht, dass es bei alldem um Großmachtpolitik ging, um die Frage, wer auf dem Kontinent das Sagen hatte. Vor 1618 war es Habsburg, nach 1648 Frankreich.
Einen Wendepunkt in diesem hegemonialen Duell bildet der Prager Frieden, den der Kaiser 1635 mit Sachsen schloss. Bei Schmidt ist der Friedensvertrag, dem alsbald alle Reichsstände bis auf Hessen-Kassel, Sachsen-Weimar und die Pfalz beitraten, eine "monarchische Provokation", eine Art Ermächtigungsgesetz für Ferdinand II. und die Gegenreformation "zu Lasten der deutschen Freiheiten". Dass der protestantische Adel es seinerzeit anders sah und sich mit dem um vierzig Jahre verschobenen Vollzug des Restitutionsedikts zufriedengab, ficht den meinungsstarken Historiker nicht an.
In ganz anderem Licht erscheint dasselbe Ereignis bei Johannes Burkhardt. Für ihn ist das Prager Abkommen "ein Meilenstein der deutschen Reichsgeschichte" und der Aufschub des Edikts dessen "stillschweigende Dispensierung". Warum also funktionierte die Friedensordnung nicht? Weil sich der schwedische Kanzler Oxenstierna von "französischen Unterstützungsavancen" umstimmen ließ und "die Militärführung vor Ort" nicht zur Einstellung der Kampfhandlungen bereit war.
Auch so, im Duktus eines Zeitungsberichts, kann man geschichtliche Vorgänge zusammenfassen. Allerdings nimmt man dabei in Kauf, dass die Feinheiten des Geschehens hinter leitartikelnden Generalisierungen verschwimmen. Genau darum aber ist es dem Autor dieser "neuen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" zu tun. Burkhardt, Emeritus in Augsburg, ist ein ausgewiesener Experte, seine Monographie zum Thema erschien bereits 1992. Der schlanke Band, den er zum vierhundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns verfasst hat, hält sich nicht mit Schlachtbeschreibungen auf.
Stattdessen will er einer These zum akademischen Durchbruch verhelfen: Der "Krieg der Kriege" ist bei Burkhardt nichts als ein immer wieder aufgeschobener Friede. Die erste große Chance wurde schon 1619 beim abgesagten Friedenskongress in Eger vertan, die zweite im Nachgang zum Prager Vertrag. Erst die sechsjährige "Großbaustelle des Friedens" in Münster und Osnabrück führte endlich zu tragfähigen statischen und staatlichen Lösungen.
Man muss solche perspektivischen Verkürzungen nicht in allen Details nachvollziehen (zumal, was Burkhardts Einschätzung des "Friedensgenerals" Wallenstein angeht, den er in eine Reihe mit Bismarck und Friedrich den Großen rückt), um ihre befreiende Wirkung dennoch schätzen zu können. Dass ein historisches Thema zum Gegenstand eines Meinungsstreits wird, wie es zuletzt mit der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg passiert ist, kann dem Fach insgesamt nur nützen. Dazu kommt, dass beide Autoren ein sachliches, weitgehend jargonfreies Deutsch schreiben, das sich bei Georg Schmidt stellenweise zu aphoristischer Schärfe aufschwingt.
Ob man das Heilige Römische Reich derart vollmundig zum vorrevolutionären Hort der bürgerlichen Freiheiten hochloben sollte, wie es Schmidt und Burkhardt tun, könnte eine Forschungsfrage der nächsten Jahre sein. Zum diesjährigen Gedenken hat die deutsche Geschichtswissenschaft jedenfalls ihre Pflicht getan - und die Kür dazu. Auch wenn das unsere aufgeputschten Nervenstränge kaum beruhigen dürfte.
ANDREAS KILB.
Johannes Burkhardt: "Der Krieg der Kriege". Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 296 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Georg Schmidt: "Die Reiter der Apokalypse". Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.
Verlag C. H. Beck, München 2018. 810 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Schmidt gelingt etwas, das seinen Konkurrenten auf den Büchertischen nicht immer in dieser Klarheit gelungen ist: die Charakterisierung des Dreissigjährigen Krieges und seine entsprechende Einordnung in die Gewaltgeschichte Europas."
Neue Zürcher Zeitung, Thomas Speckmann
"Der Jenaer Frühneuzeit-Historiker Georg Schmidt schöpft seine fulminante Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg aus Quellen, die anderen Autoren entgangen sind."
Rudolf Neumaier, Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2018
"Schmidts 'apokalyptische Reiter' galoppieren durch eine fremde, exotische Welt. Er holt weit aus, um deren Genese zu zeigen, blendet zurück in die Renaissance und Reformation und zeigt damit die tiefen tektonischen Verwerfungen."
Bernd Roeck, Die Zeit, 9. Mai 2018
"Eine packend zu lesende Gesamtdarstellung."
Heike Talkenberger, damals, 5/2018
Neue Zürcher Zeitung, Thomas Speckmann
"Der Jenaer Frühneuzeit-Historiker Georg Schmidt schöpft seine fulminante Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg aus Quellen, die anderen Autoren entgangen sind."
Rudolf Neumaier, Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2018
"Schmidts 'apokalyptische Reiter' galoppieren durch eine fremde, exotische Welt. Er holt weit aus, um deren Genese zu zeigen, blendet zurück in die Renaissance und Reformation und zeigt damit die tiefen tektonischen Verwerfungen."
Bernd Roeck, Die Zeit, 9. Mai 2018
"Eine packend zu lesende Gesamtdarstellung."
Heike Talkenberger, damals, 5/2018