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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.1997

Der Herrscher als Gastarbeiter
Die spätantiken Kaiserbiographien des Aurelius Victor

Das vierte Jahrhundert nach Christus ist - ungeachtet seiner verwirrenden Ereignisgeschichte - ein Jahrhundert der Systematisierung. Dies gilt nicht nur für den politischen Bereich, für die Festigung neuer Strukturen der Herrschaft und der Administration; es gilt auch für die geistigen und die religiösen Sektoren sowohl im christlichen als auch im altgläubigen Raum. Das Ringen um ein einheitliches christliches Glaubensbekenntnis und um eine einheitliche kirchliche Organisation sind ebenso Ausdruck solcher Tendenzen wie die Konstituierung der Kirchengeschichte oder die Bilanzen der paganen Tradition. Diese fanden vor allem in den historischen Breviarien, gerafften literarischen Kurzformen sowie in den Sammlungen der Kaiserbiographien ihren Niederschlag.

Das "Liber de Caesaribus" des Aurelius Victor, das soeben von Kirsten Groß-Albenhausen und Manfred Fuhrmann in einer kommentierten Edition samt deutscher Übersetzung herausgegeben wurde, zählt zwar nicht zu den allbekannten klassischen Werken der antiken Geschichtsschreibung, doch es bleibt bedeutsam als eine zeittypische Publikation, als ein kleines Buch, das zugleich das Geschichtsbild der Gruppe altgläubiger sozialer Aufsteiger aus den Provinzen des Imperiums ahnen läßt. Es ist sowohl als Teil einer nach 360 nach Christus entstandenen "Historia tripertita", einer knappen Trilogie der gesamten römischen Geschichte, als auch in Gestalt eines wohl unter Theodosius dem Großen veröffentlichten erweiterten Abrisses überliefert worden. Ausnahmsweise wird hier auch die Persönlichkeit des Autors greifbar.

Der wohl um 320 nach Christus in Nordafrika geborene Sextus Aurelius Victor sagt von sich selbst, daß er, "vom Lande und Kind eines einfachen und ungebildeten Mannes, seinem Leben in dieser Zeit durch umfängliche gelehrte Tätigkeit größeren Wert zu verleihen suchte". Dank seiner Bildung ein "Vorbild an Besonnenheit", wie ihn Ammianus Marcellinus rühmte, stieg er schließlich zu den höchsten Ämtern der Administration auf: Er wurde Statthalter der Provinz Pannonia secunda, 388/89 nach Christus gar Praefectus urbi Roms, auch Mitglied des höchsten kaiserlichen Gerichtshofes. Obwohl Aurelius Victors Laufbahn gerade von den christlichen Herrschern Constantius II. und Theodosius dem Großen besonders gefördert wurde, bekannte er sich selbst nicht zum Christentum. Mehr noch: Das Christentum wird in seinem ganz an der römischen Tradition orientierten Werk überhaupt nicht beachtet.

In seinen Wertungen steht Aurelius Victor weithin im Banne von Sallust, Tacitus und Sueton. Seine moralisierende Betrachtungsweise bleibt auf die Mores der Herrscher, ihrer Frauen und ihres Hofes fixiert, schwelgt in der Deskription der Verbrechen, sexuellen Perversionen und aller übrigen Symptome des "Sittenverfalls". Als typische Relikte römischer Historiographie erscheinen daneben noch immer Vorzeichen und Orakel. Formal wird die Biographienkette zur fortlaufenden Darstellung verbunden, häufig durch persönliche Reflexionen unterbrochen. Irrtümer, Verwechslungen und Banalitäten mindern den Wert.

Der Prinzipat erscheint Aurelius Victor als Notwendigkeit. Dessen innere Entwicklung wird durch scharfe Zäsuren (Domitian/Nerva, Severer/Soldatenkaiser, Probus/Carus) akzentuiert. Bezeichnend ist die pointierte Würdigung der "auswärtigen" Herrscher: "Für mich, der ich viel gehört und gelesen habe, ist ganz und gar ausgemacht, daß Rom vor allem durch die Tüchtigkeit Auswärtiger und durch importierte Fähigkeiten groß geworden ist." Vorbilder des Autors sind denn auch Trajan, Mark Aurel, Septimius Severus und Constantius II. Daneben werden das Versagen des Senates und die Exzesse des Militärs ebenso gebrandmarkt wie die Fehlentwicklungen einzelner Institutionen.

Für Aurelius Victors Geschichtsbild ist dessen Stellungnahme zur Ermordung Aurelians typisch: "Dieses Ereignis zeigte besonders deutlich, daß alles wie in einer Kreisbewegung abläuft und sich nichts ereignet, was die Kraft der Natur im Laufe der Zeit nicht abermals zu bringen vermöchte, und zudem, daß sich durch tüchtige Eigenschaften der Kaiser selbst zerrüttete Zustände leicht wiederherstellen lassen, während sie, wenn sie noch so gut gefestigt sind, durch deren Unzulänglichkeiten ins Verderben gestürzt werden." Vor allem die Bildung eines Herrschers kann nach ihm charakterliche und moralische Defizite mildern; im Idealfall bietet gerade sie - neben der Eloquenz - die Gewähr eines korrekten Regiments.

Die Grundlage der neuen Tusculum-Ausgabe bilden Text und Übersetzung des Philologen Manfred Fuhrmann, dem es nach seinen glänzenden Cicero-Übertragungen schwer genug gefallen sein muß, dem komplizierten und uneinheitlichen Stil des spätantiken Historikers gerecht zu werden. Daß der souveräne Kenner des spätantiken Geisteslebens hier darauf verzichtete, Aurelius Victor in die Entwicklung der Geschichtsschreibung jener Epoche einzuordnen, dürfte bedauert werden. Doch auch die von Kirsten Groß-Albenhausen bearbeiteten Partien des Buches (Einführung, Erläuterungen, Stammtafeln, Kaiserverzeichnis, Literaturhinweise, Register) bieten zuverlässige Informationen. Insgesamt: eine begrüßenswerte Edition.

KARL CHRIST

Sextus Aurelius Victor: "Die römischen Kaiser. Liber de Caesaribus". Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Lateinischen übersetzt, herausgegeben und erläutert von Kirsten Groß-Albenhausen und Manfred Fuhrmann. Artemis & Winkler Verlag, Zürich und Düsseldorf 1997. 316 S., geb., 68,- DM.

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