Produktdetails
- rororo Taschenbücher
- Verlag: Rowohlt TB.
- Gewicht: 84g
- ISBN-13: 9783499137389
- ISBN-10: 3499137380
- Artikelnr.: 24736690
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1995Bergottes Witwe
Das "Schreibheft" präsentiert einen Mini-Roman von Bora Cosic
Das halbjährlich erscheinende "Schreibheft", das jetzt beim 44. Heft angekommen ist, bestätigt seit geraumer Zeit zuverlässig seinen Ruf, eine der interessantesten deutschen Literaturzeitschriften zu sein. Der Blick über die Grenzen der eigenen Sprache hinaus, im neuen Heft fällt er etwa auf den italienischen Autor Andrea Zanzotto, der von Peter Waterhouse und Maria Fehringer wunderbar ins Deutsche übersetzt wurde, oder auf den New Yorker Lyriker Robert Kelly, von Schuldt überzeugend ins Schuldtische gebracht.
Den größten und gewichtigsten Teil des Heftes bildet jedoch die Präsentation eines Autors, der im deutschen Sprachraum eben erst bekannt geworden ist: des 1932 in Zagreb geborenen, in Belgrad aufgewachsenen, jetzt im istrischen Rovinji lebenden Bora Cosic (der es wahrlich nicht verdient, mit Dobrica Cosic, dem serbischen Dichterpräsidenten von Milosevic' Gnaden, verwechselt zu werden). Von Cosic, einem der witzigsten Autoren des einstigen Jugoslawien, sind 1994 zwei kurzweilige Romane auf deutsch erschienen: "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution", im Original 1969 veröffentlicht, und "Musils Notizbuch", auf serbisch 1989 publiziert.
In beiden Büchern erwies sich Cosic als hintersinniger Erzähler, der alle Tricks moderner Prosa kennt und geradezu verwegen mit einer unruhig changierenden Erzählperspektive und einer noch das Entlegenste zusammenzwingenden Montage zu spielen weiß. Den blutigen Hintergrund von "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution" bilden die Jahre der deutschen Besetzung Belgrads, der Befreiung und der Etablierung des bürokratisch verhärteten Titoismus - doch berichtet wird dies alles von einem Kind, dem die großen Zusammenhänge unbekannt sind und das die Weltgeschichte als kleinbürgerliche Familienchronik faßt. In "Musils Tagebuch" verwebt Cosic Figuren aus Robert Musils erzählerischem Kosmos mit Triestiner Künstlermythen um Joyce und Svevo und erzählt 1989, als der Nationalismus Jugoslawien eben dem Zerfall zutreibt, eine verzweifelt komische Künstlergeschichte aus den letzten Jahren der Donaumonarchie, die an ihren ungelösten nationalen Konflikten zerbrechen sollte.
Für das "Schreibheft" hat Bora Cosic einen eigenen kleinen Roman weniger geschrieben als zusammengestellt: "Bergottes Witwe" montiert aus bestehenden Texten des Autors eine neue Einheit, die "den geistigen und mentalen Zustand des Verfassers" spiegelt und zugleich ein Kommentar zu seiner Arbeitsweise ist: also eine Poetikvorlesung, deren Ergebnis wieder reinste Poesie sein möchte. Der so entstehende Text, eine Art Wegweiser durch ein vielfältig verschlungenes Werk, erhellt vor allem dies: wie raffiniert die Romane, Essays, Erzählungen des Bora Cosic ineinanderspielen, wie sehr die Verweise auf eigene und fremde Texte die Struktur seiner Arbeiten bestimmen und wie rigoros gerade dieser höchst individualistische Autor sich vom Gedanken des autonomen künstlerischen Subjekts entfernt: "Wir sind Teil eines allgemeinen Redens, und das ist alles. Was ,wessen' ist, verliert an Bedeutung."
Doch seltsam, je obsessiver Cosic die Fäden zwischen Musil, C. G. Jung, Freud, Svevo, Joyce spannt und zeigt, wie er den realen Bruder des einen mit einem erfundenen Schwager des anderen zu einer fiktiven Figur seiner eigenen erzählerischen Welt macht, um so schmerzlicher entbehrt dieser Werkbericht in Romanform dessen, was Cosic sonst so auszeichnet: eines Witzes, der sich nicht nur an Eingeweihte wendet und es nicht damit zufrieden ist, die Welt ausschließlich als Sammlung von Texten zu nehmen. Geradezu peinigend wird Cosic' Selbstschau, wenn er über eine literarische Arbeit spricht, die er der Stadt Sarajevo und ihrem Überleben gewidmet hat, und er dabei gleich wieder befremdlich ins Schwärmen darüber gerät, wie raffiniert auch dieser Text aus der Überblendung zweier anderer Bücher, eines bosnischen "Survival guide" und eines norwegischen Romanes, gebaut ist. KARL-MARKUS GAUSS
"Schreibheft". Zeitschrift für Literatur 44. Herausgegeben von Norbert Wehr. Rigodon-Verlag, Essen 1994. 204 S., br., 17,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das "Schreibheft" präsentiert einen Mini-Roman von Bora Cosic
Das halbjährlich erscheinende "Schreibheft", das jetzt beim 44. Heft angekommen ist, bestätigt seit geraumer Zeit zuverlässig seinen Ruf, eine der interessantesten deutschen Literaturzeitschriften zu sein. Der Blick über die Grenzen der eigenen Sprache hinaus, im neuen Heft fällt er etwa auf den italienischen Autor Andrea Zanzotto, der von Peter Waterhouse und Maria Fehringer wunderbar ins Deutsche übersetzt wurde, oder auf den New Yorker Lyriker Robert Kelly, von Schuldt überzeugend ins Schuldtische gebracht.
Den größten und gewichtigsten Teil des Heftes bildet jedoch die Präsentation eines Autors, der im deutschen Sprachraum eben erst bekannt geworden ist: des 1932 in Zagreb geborenen, in Belgrad aufgewachsenen, jetzt im istrischen Rovinji lebenden Bora Cosic (der es wahrlich nicht verdient, mit Dobrica Cosic, dem serbischen Dichterpräsidenten von Milosevic' Gnaden, verwechselt zu werden). Von Cosic, einem der witzigsten Autoren des einstigen Jugoslawien, sind 1994 zwei kurzweilige Romane auf deutsch erschienen: "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution", im Original 1969 veröffentlicht, und "Musils Notizbuch", auf serbisch 1989 publiziert.
In beiden Büchern erwies sich Cosic als hintersinniger Erzähler, der alle Tricks moderner Prosa kennt und geradezu verwegen mit einer unruhig changierenden Erzählperspektive und einer noch das Entlegenste zusammenzwingenden Montage zu spielen weiß. Den blutigen Hintergrund von "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution" bilden die Jahre der deutschen Besetzung Belgrads, der Befreiung und der Etablierung des bürokratisch verhärteten Titoismus - doch berichtet wird dies alles von einem Kind, dem die großen Zusammenhänge unbekannt sind und das die Weltgeschichte als kleinbürgerliche Familienchronik faßt. In "Musils Tagebuch" verwebt Cosic Figuren aus Robert Musils erzählerischem Kosmos mit Triestiner Künstlermythen um Joyce und Svevo und erzählt 1989, als der Nationalismus Jugoslawien eben dem Zerfall zutreibt, eine verzweifelt komische Künstlergeschichte aus den letzten Jahren der Donaumonarchie, die an ihren ungelösten nationalen Konflikten zerbrechen sollte.
Für das "Schreibheft" hat Bora Cosic einen eigenen kleinen Roman weniger geschrieben als zusammengestellt: "Bergottes Witwe" montiert aus bestehenden Texten des Autors eine neue Einheit, die "den geistigen und mentalen Zustand des Verfassers" spiegelt und zugleich ein Kommentar zu seiner Arbeitsweise ist: also eine Poetikvorlesung, deren Ergebnis wieder reinste Poesie sein möchte. Der so entstehende Text, eine Art Wegweiser durch ein vielfältig verschlungenes Werk, erhellt vor allem dies: wie raffiniert die Romane, Essays, Erzählungen des Bora Cosic ineinanderspielen, wie sehr die Verweise auf eigene und fremde Texte die Struktur seiner Arbeiten bestimmen und wie rigoros gerade dieser höchst individualistische Autor sich vom Gedanken des autonomen künstlerischen Subjekts entfernt: "Wir sind Teil eines allgemeinen Redens, und das ist alles. Was ,wessen' ist, verliert an Bedeutung."
Doch seltsam, je obsessiver Cosic die Fäden zwischen Musil, C. G. Jung, Freud, Svevo, Joyce spannt und zeigt, wie er den realen Bruder des einen mit einem erfundenen Schwager des anderen zu einer fiktiven Figur seiner eigenen erzählerischen Welt macht, um so schmerzlicher entbehrt dieser Werkbericht in Romanform dessen, was Cosic sonst so auszeichnet: eines Witzes, der sich nicht nur an Eingeweihte wendet und es nicht damit zufrieden ist, die Welt ausschließlich als Sammlung von Texten zu nehmen. Geradezu peinigend wird Cosic' Selbstschau, wenn er über eine literarische Arbeit spricht, die er der Stadt Sarajevo und ihrem Überleben gewidmet hat, und er dabei gleich wieder befremdlich ins Schwärmen darüber gerät, wie raffiniert auch dieser Text aus der Überblendung zweier anderer Bücher, eines bosnischen "Survival guide" und eines norwegischen Romanes, gebaut ist. KARL-MARKUS GAUSS
"Schreibheft". Zeitschrift für Literatur 44. Herausgegeben von Norbert Wehr. Rigodon-Verlag, Essen 1994. 204 S., br., 17,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main