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Das definitive Buch über das Schicksal und die Nachgeschichte der russischen Zarenfamilie. Eine Antwort auf alle noch offengebliebenen Fragen zum Verbleib der Leichen und zu den zweifelhaften Thronprätendenten der Nachkriegszeit, darunter Anna Anderson, die sechzig Jahre als vermeintliche Großfürstin Anastasia durch die Gazetten spukte.

Produktbeschreibung
Das definitive Buch über das Schicksal und die Nachgeschichte der russischen Zarenfamilie. Eine Antwort auf alle noch offengebliebenen Fragen zum Verbleib der Leichen und zu den zweifelhaften Thronprätendenten der Nachkriegszeit, darunter Anna Anderson, die sechzig Jahre als vermeintliche Großfürstin Anastasia durch die Gazetten spukte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1995

Die zweite Herrschaft der Romanows
Tod und Verklärung der Zarenfamilie: Robert K. Massie analysiert die Macht der Geschichte über das gegenwärtige Rußland

Der in den siebziger Jahren erschienene historische Roman des amerikanischen Schriftstellers Robert Massie "Nikolaus und Alexandra" über das Privatleben des letzten russischen Zaren ist bis heute ein Bestseller geblieben, der sowohl im Westen als auch in Rußland immer wieder aufgelegt wird. Nun hat Robert Massie ein dokumentarisches Buch über "Die Romanows" vorgelegt. Der Band behandelt weniger die Probleme des vergangenen Rußlands als vielmehr die Rätsel seiner Gegenwart und Zukunft. Diese hängt, wie seltsam das auch scheinen mag, nicht zuletzt davon ab, zu welchen Ergebnissen man bei der Identifizierung der sterblichen Überreste der in Jekaterinburg erschossenen Zarenfamilie gelangt und wo und wie diese bestattet werden.

Die Leichen des Zaren, der Zarin und ihrer Kinder wurden verbrannt. Die Stelle, wo die Asche vergraben wurde, kannte niemand. Um Staub, Asche und Knochen geht es in Massies Buch. Sie standen im Mittelpunkt der jahrelangen Versuche, die Überreste der ermordeten Familienmitglieder des russischen Zaren zu finden und zu identifizieren. Besonders im ersten Kapitel, wo Episoden aus den bekannten Memoiren des Kommissars Jurowski, der die Ermordung der Zarenfamilie durchgeführt hat, belletristisch wiedergegeben werden, hat man den Eindruck, einen geschickt geklitterten pseudodokumentarischen Kriminalroman vor sich zu haben.

Doch schon die folgenden Kapitel versetzen den Leser aus der Vergangenheit in das heutige Nachperestroika-Jekaterinburg, und das Buch gewinnt zunehmend den Charakter einer gewissenhaft recherchierten Reportage. Glaubwürdig erscheint sie nicht zuletzt durch die offene Wiedergabe der persönlichen Eindrücke des Autors von seinen Begegnungen mit seinen Informanten, darunter mit Amateurarchäologen, Gerichtsmedizinern, Genetikern, Juristen, im Westen lebenden Nachkommen der Zarenfamilie und in Rußland einflußreichen Politikern. Dabei kommen vielerlei Meinungen und Standpunkte zum Vorschein, die sich gegenseitig ausschließen. Selbst bei der Beantwortung so elementarer Fragen wie der, ob unter den Erschossenen der Thronfolger Alexej war und ob die jüngste Tochter des Zaren, die Großfürstin Anastasia, überleben konnte, gibt es keine Gewißheit.

Nach der Lektüre von Massies Buch kommt man zu dem Schluß, daß im heutigen Rußland die Identifizierung der sterblichen Überreste der Familie Nikolaus II. unmittelbar mit der politischen Zukunft des Landes verbunden ist. Für viele Politiker ist die Wiedergeburt der Monarchie ein starker Trumpf im politischen Kräftespiel. Das trifft sowohl auf die Monarchisten mit gemäßigt demokratischer Orientierung wie auch auf die extremen Nationalchauvinisten zu.

Noch steht nicht fest, wo die Bestattung der sterblichen Überreste der Zarenfamilie stattfinden soll. Die Zeremonie wurde schon etliche Male verschoben. Im frühen Herbst nannte Jelzin den Februar 1996 als Datum, doch nannte er keinen Ort. Alles wird von den Staatsduma-Wahlen im Dezember abhängen, die in den Medien schon als "Knochenwahl" bezeichnet wurden. Wenn die Nationalchauvinisten siegen, werden die Gebeine der Zarenfamilie wahrscheinlich in Jekaterinburg bleiben. Darauf besteht der Verwaltungschef des Gebiets Swerdlowsk, Eduard Rossel, der meint, daß über den Gebeinen der Märtyrer des Bolschewismus die neue Hauptstadt Rußlands gegründet werden soll.

Seine Wahl fiel auf das Ipatjew-Haus, wo die Zarenfamilie unter strenger Bewachung gehalten und im Keller erschossen wurde. Es wurde bereits Anfang der achtziger Jahre auf Anordnung Boris Jelzins abgerissen, der damals Erster Sekretär des Swerdlowsker Gebietskomitees war, weil das einfache russische Volk dort seine Verehrung für den Märtyrermonarchen bezeigte. Heute ist das Haus als Gedenkstätte wiederaufgebaut, man legt hier Blumen nieder, und die Neuvermählten statten ihm einen Besuch ab. Dieses Ritual wird von den örtlichen Behörden unterstützt, da es zur Stärkung des "Russentums" des einfachen Volks beiträgt. Die Alten betrachten den Ort als wundertätig und erzählen sich von Heilungen.

An der Stelle des Ipatjew-Hauses ist nun eine Kirche geplant. Vor zwei Jahren wurde auf Rossels Initiative hin ein Wettbewerb ausgeschrieben. Dabei siegte ein Entwurf, der ein riesengroßes weißes Gebäude aus Stein und Glas in einer Mischung aus altrussischer und moderner Architektur vorsieht. In diesem Gebäude sollen nach Rossels Willen die Gebeine der Romanows ruhen. Jekaterinburg will die Rolle der neuen Hauptstadt Rußlands übernehmen, und nach Rossels Meinung soll die Kathedrale über den Gebeinen der unschuldig getöteten Märtyrer das Herz der neuen Metropole werden. Rossel, von Jelzin 1993 wegen separatistischer Aktivitäten im Ural suspendiert, hat vor einiger Zeit die Regionalwahl gewonnen und ist wieder Verwaltungschef des Gebietes Swerdlowsk. Massie stellt ausführlich die Ansichten dieses energischen, ehrgeizigen Mannes dar, der den Durchbruch in die große Politik geschafft hat. Sie decken sich teilweise mit den Ideen der antiwestlichen "Eurasier", die von der Verlegung der Hauptstadt in (oder sogar hinter) den Ural träumen, was eine radikale Wendung Rußlands nach Asien hin bedeuten würde.

Rossels Sieg bei der Regionalwahl über seinen Rivalen, der als Gefolgsmann Moskaus und insbesondere Jelzins galt, ließ viele Beobachter aufmerken, die darin das erste Zeichen für eine mögliche Niederlage des regierungsfreundlichen Blocks von Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin sahen. Wenn Tschernomyrdins Block dennoch die Wahl gewinnt, wird die Zarenfamilie wahrscheinlich in der Petersburger Familiengruft der Romanows bestattet werden. Das wird die Position des Bürgermeisters Anatoli Sobtschak stärken, der die "Kirillowitschs" unterstützt, jenen Zweig der Romanows, dem der in Spanien und England erzogene junge Prinz Georgi angehört. Er wird von den gemäßigten, westlich orientierten Monarchisten als der legitime Anwärter auf den russischen Thron anerkannt.

Die Legitimität dieses Zweiges der Romanows wird von vielen Familienmitgliedern bestritten, insbesondere vom Oberhaupt des Hauses Romanow, Großfürst Nikolaus, der in Italien lebt. Nikolaus Romanow zieht den Status eines Großgrundbesitzers und Geschäftsmannes in einem demokratischen Land dem Thronanspruch im unregierbaren Rußland vor. Sein von Massie brillant gezeichnetes Porträt weckt gewisse Sympathien: Er ist ein kluger, gebildeter Aristokrat, Republikaner und Eurozentrist, der jedoch glaubt, daß sich Rußland bei seiner inneren Entwicklung nicht an Europa orientieren soll, sondern an einem besonderen, eher asiatischen Regierungs- und Wirtschaftsmodell.

Hinsichtlich der Überreste selbst ist durchaus noch nicht alles geklärt. Im Hauptteil seines Buches befaßt sich Massie ausführlich mit den modernsten Methoden zur Analyse des Knochengewebes und der Erde von der Stelle, wo die Leichen des Zaren, seiner Frau und seiner Kinder verbrannt wurden. Diese Untersuchungen wurden von zwei Wissenschaftlergruppen parallel durchgeführt, von Peter Gill in England und Mary-Claire King in den Vereinigten Staaten. Neben Peter Gills hochmoderner Apparatur, die es gestattet, mit einer Genauigkeit von 98,5 Prozent die Echtheit der Knochengewebsstückchen nachzuweisen, gibt es freilich noch die fanatisch treuen Nachkommen der Diener des Zaren, die einen jahrelangen, ruinösen Prozeß zur Verteidigung einer Thronanwärterin führten, die schließlich als Namensfälscherin entlarvt wurde. Wir lernen aristokratische Tabus und Vorurteile kennen, die vor dem Hintergrund des modernen Europas ungeheuerlich wirken, im Nachperestroika-Rußland jedoch akzeptiert werden. Dazu kommt der Kampf konkurrierender Gruppen um die Asche, die heimlich aus Jekaterinburg nach Amerika geschmuggelt wird und dann wieder feierlich die russische Staatsgrenze in umgekehrter Richtung passiert.

Ein Beispiel dafür, daß die russische Wirklichkeit phantastischer ist als jede Phantasie: Sofort nach einer Pressekonferenz im Jahr 1994, auf der Peter Gill erklärt hatte, daß die Überreste der Zarenfamilie endgültig identifiziert seien und es keinen Grund zu der Annahme gebe, daß sich einer der nächsten Angehörigen des Zaren habe retten können, meldete die russische Presse einen neuen Thronanwärter. Das sollte der Sohn des Zarewitsch Alexej sein, den die Bolschewiki nicht erschossen, sondern nach Zentralrußland verschleppt hätten, wo er unter einem fremden Namen habe weiterleben dürfen. Der Sohn des Thronfolgers sei Offizier geworden, habe nun seinen Abschied genommen und lebe in Riga. Wichtiger als die Frage nach der juristischen Legitimität ist hier der Prozeß der Mythenschöpfung. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß ein Usurpator auf einem neuen russischen Thron sitzen wird, dessen Recht auf die Macht durch die Legende von seiner wunderbaren Rettung bestätigt wird, die im nationalen Bewußtsein alle archivarischen, genetischen und anderen vernünftigen Argumente aus dem Felde schlägt.

Eines der zentralen Motive in Massies Buch ist die Lüge. Die Akte über die Erschießung der Zarenfamilie war von Anfang an voller Lügen. Die Mörder logen, als sie ihre Opfer in den Keller des Ipatjew-Hauses lockten, wo man sie angeblich fotografieren wollte (Fotografieren war das Lieblingshobby des letzten russischen Zaren). Die bolschewistischen Führer logen, als sie die Erschießung der Zarenfamilie leugneten. Massie macht einem breiten Publikum einen Vermerk Lenins für seinen Geheimdienstchef Felix Dserschinski zugänglich. Der Führer des Weltproletariats schreibt: "Die ganze Zarenfamilie ist tot, aber Joffe (der sowjetische Botschafter in Berlin) soll lieber nichts davon wissen, dann kann er leichter lügen."

Lenin hatte schon 1912 die Idee geäußert, die ganze Zarenfamilie auszulöschen. Wenn man alle umbrächte, würde man jede Wiederkehr der Monarchie ausschließen. Lenin meinte, daß man diese revolutionäre Aktion nicht unbedingt publik machen sollte. Es sei zweckmäßiger, den gekrönten Verwandten der Gefangenen im Westen eine Hoffnung zu lassen. Erst als die Sowjetmacht gefestigt war, wurden die Karten aufgedeckt.

Als Ergebnis der jahrelangen gezielten Desinformation tauchten im Westen gleich mehrere Usurpatoren und Usurpatorinnen auf, die sich als wunderbar gerettete Zarenkinder und folglich als Anwärter auf den russischen Thron ausgaben. Fast ein Drittel des Buches ist der Geschichte der berühmtesten Thronanwärterin gewidmet, der rätselhaften Anne Anderson, die nach eigener Aussage die am Leben gebliebene Großfürstin Anastasia war. Ihr Name erschien seit Mitte der zwanziger Jahre regelmäßig auf der Titelseite der führenden deutschen und amerikanischen Zeitungen. Ihr romantisches Schicksal lag dem Hollywood-Melodram mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle zugrunde. Obwohl Peter Gill schließlich feststellen konnte, daß ihr Körpergewebe genetisch keinerlei Bezug zur Familie Romanow aufwies, bleibt in ihrem Fall doch vieles ungeklärt.

Bemerkenswert ist etwa die angebliche polnische Abstammung der Thronanwärterin, die ihre Gegner behaupteten. Seit dem sechzehnten Jahrhundert stammten praktisch alle falschen Anwärter auf den russischen Thron aus Polen - die beiden falschen Dmitris (Demetrius) im siebzehnten Jahrhundert und im achtzehnten Jahrhundert die zu traurigem Ruhm gelangte Fürstin Tarakanowa. Auch Jemeljan Pugatschow, der sich als Zar Peter III. ausgab, wurde mit Polen in Verbindung gebracht.

Auch die Art und Weise, wie ein ehemaliges Zimmermädchen diese Thronanwärterin als echt erkannte, ist von Pugatschow her vertraut; er zeigte nämlich besondere "Zarenmale" an seinem Körper vor. Das Zimmermädchen identifizierte ihre ehemalige Herrin dank eines besonderen "Zarendefekts" der großen Zehen. Und dann ist da schließlich die verblüffende Identität der Handschrift Anna Andersons mit der Anastasias und die einzigartige phrenologische Ähnlichkeit ihrer Schädel beim Vergleich der Lichtbilder, die als offenkundiger Beweis für die Authentizität der Thronanwärterin im längsten Gerichtsprozeß in der Geschichte Deutschlands (1938 bis 1977) anerkannt wurde. Was hat dies alles zu bedeuten? Handelt es sich um einen Fehler des Gerichts oder um die Folge einer sorgfältig durchdachten Aktion? Und ist diese politische Diversion an der unsichtbaren Front des Krieges zwischen Ost und West heute abgeschlossen? Massie gibt keine Antwort auf alle diese Fragen, spricht sie jedoch deutlich aus und berührt dabei die empfindlichsten Stellen der jüngsten russischen Geschichte. VIKTOR KRIWULIN

Aus dem Russischen von Annelore Nitschke

Robert Massie: "Die Romanows". Das letzte Kapitel. Aus dem Amerikanischen von Barbara Conrad. Berlin Verlag, Berlin 1995. 371 S., Abb., geb., 42,- DM.

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-Massie schuf aus diesem großen Material ein packendes Buch, das man am liebsten in einem Rutsch verschlingen möchte.- (Süddeutsche Zeitung)