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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2009

Der Speichel des Hundes
Erkundung der Angst: Nazim Hikmets nachgelassener Roman „Die Romantiker”
„Ich trank das Wasser in vollen Zügen. Als ich mich aufrichtete und gerade mit dem Rücken der rechten Hand über meine Lippen wischte, fühlte ich plötzlich in der Wade meines linken Beines einen jähen Schmerz, als hätte mich jemand mit einer Eisenstange geschlagen. Ich fuhr herum und blickte um mich. Da stand ein gelber Hund, bleckte die Zähne und grinste hämisch. Kann auch sein, daß er nicht grinste und es mir später nur eingebildet habe. Aus dem Mund des Hundes troff Speichel oder auch nicht, kann sein, daß ich mir auch das später nur eingebildet habe. Der gelbe Hund zog seinen Schwanz ein und trollte sich lautlos, ohne zu knurren, davon. So, als hätte er Angst gekommen, wie ich ihm in die Augen sah”.
Die Szene eines Hundebisses wird in dem nachgelassenen Roman „Die Romantiker” des türkischen Schriftstellers Nazim Hikmet (1902 – 1963) zum Movens der Ereignisse. Und obgleich sie in einfachste Worte gefasst ist, zeigt sie sich näherem Blick als vielschichtig: Ihr zentrales Motiv ist die Angst. Sie überfällt aus einer Richtung, die der Aufmerksamkeit gerade entzogen ist. Das, was Angst macht, wird spontan missdeutet: den Hundebiss fühlt der Gebissene als Schlag mit einer Eisenstange. Zugleich verzerrt die Angst die Erinnerung. Und schließlich spiegeln der Geängstigte und der Ängstigende sich ineinander: der streunende Hund bekommt selber Angst.
„Die Romantiker”, Hikmets große Studie über Angst und den Umgang mit ihr, ist ein autobiographischer Roman. Da der Dichter die illegalen Taten seiner Genossen in der türkischen Kommunistischen Partei nicht publik machen konnte und wollte, schuf er ein nahezu unentwirrbares Knäuel von Dichtung und Wahrheit. In dies fesselnde Gespinst von Tatsächlichem und Erfundenem webte er Kampf und Gefangenschaft in der Türkei ebenso wie seine ersten Jahre im Moskauer Exil. Dabei erhebt sich Hikmet weit über den üblichen Revolutionärskitsch des Genres.
Der Held dieses Romans ist ja sogleich kein Held, sondern der verängstigte Mann, der sich in Izmir versteckt hält und fürchtet, mit jedem neuen Tag könne die Tollwut an ihm ausbrechen. Und der Autor hat der naheliegenden Versuchung widerstanden, die gefürchtete Tollwut herabzusetzen zu einer Metapher des Kapitalismus oder Imperalismus. Dass einem bange wird um den eigenen Leib, ist wohl das primäre Thema dieser späten Prosa Hikmets, kein sekundäres allegorisches Bildchen.
Die nun in der Bibliothek Suhrkamp erschienene Übersetzung von Hikmets Roman kam zuerst 1984 im Hamburger Buntbuch Verlag heraus, sodann 1988 bei Luchterhand in Darmstadt. Seit der Luchterhand-Ausgabe schleppt sie ein recht ahnungsloses Nachwort Peter Bichsels hinter sich her. Über das Manuskript seines Werkes schrieb Hikmet: „Yasamak güzel sey be kardesim”, „Mensch, das Leben ist schön”. Mit kritischem Blick in Richtung Ostblock bemerkt Bichsel über den Titel „Die Romantiker”, der sich dann durchsetzte: „Ich habe den Verdacht, daß es etablierte Sozialisten waren, die sich für diesen Titel entschieden”. Doch man braucht nicht zu verdächtigen. Man kann solche Dinge wissen. Der surrealistische Romancier und Lyriker Louis Aragon, der sich seit 1949 gemeinsam mit Tristan Tzara, Albert Camus, Pablo Picasso und Yves Montand per Petition für Hikmets Freilassung aus der türkischen Haft eingesetzt hatte, regte 1964 den Titel „Les Romantiques” für die französische Übersetzung des Buches an; die Übersetzerin Münnever Andac, Hikmets frühere Lebensgefährtin, folgte der Anregung.
Suhrkamp setzte einmal seine Ehre darein, älteren Texten durch neue Nachworte eine scharfe Aktualisierung angedeihen zu lassen. Hikmets kühner Versuch über Zeit, Erfahrung und Erinnerung hätte einen solchen neuen Blick verdient. Der Verlag indessen war zufrieden mit Bichsels zwei Jahrzehnte alter Belanglosigkeit. ANDREAS DORSCHEL
NAZIM HIKMET: Die Romantiker. Aus dem Türkischen von Hanne Egghardt. Mit einem Nachwort von Peter Bichsel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 267 Seiten, 16,80 Euro.
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