Während des Bosnienkriegs hat die Journalistin Barbara Demick mit den Menschen in Sarajevo gelebt. In diesem Buch schildert sie am Beispiel des Schicksals der Bewohner einer Straße - der Logavina -, die drei Jahre lang dem Artilleriebeschuss der serbischen Belagerer ausgesetzt war, die erschütternde Lebenswirklichkeit der Bevölkerung Sarajevos. Barbara Demick gelingt es, das schier Unfassbare nahezubringen: wie aus Freunden und Nachbarn erbitterte Feinde werden konnten und was es bedeutet, sich Tag für Tag im Visier der Scharfschützen zu bewegen. Zwanzig Jahre danach kehrt die Journalistin nach Sarajevo zurück. Sie beschreibt, wie die Bewohner der Logavina heute miteinander leben und wie sie ihre traumatischen Erlebnisse verarbeitet haben. Es ist die Rückkehr in eine Stadt, in der zum Gedenken an die vielen Todesopfer die Einschlagkrater der Granaten mit rotem Harz ausgegossen worden sind - dies sind die Rosen von Sarajevo. Eine zutiefst aufrüttelnde Geschichte vom Krieg - mitten in Europa.
"Demick nähert sich behutsam den Schicksalen der Menschen von Logavina. Ihr Blick ist respektvoll und scharf beobachtend, ohne voyeuristisch zu sein. ....Demicks Bericht führt drastisch vor, wie rasant sich der zivilisatorische Abstieg vollziehen kann, wie massiv und wie irreversibel das "normale", zivile Leben der erbarmungslosen Kriegslogik weichen muss." -- Mascha Dabic Der Standard, 12.03.2012
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2012Vordergründige Normalität
Eine Reportage über die Folgen der Belagerung Sarajevos für die Zivilbevölkerung
Im Frühjahr 1992 erreichte der jugoslawische Zerfallskrieg die kleine Vielvölkerrepublik Bosnien-Hercegovina. 1425 qualvolle Tage lang belagerten serbische Streitkräfte die Hauptstadt Sarajevo, feuerten pausenlos Granaten auf die Stadt - an manchen Tagen bis zu 500 pro Stunde. Später gossen die Einwohner die hässlichen Spuren der Granateneinschläge mit rotem Harz aus. Die "Rosen von Sarajevo" erinnern bis heute an die Opfer des Krieges.
Die Redaktion des amerikanischen "Philadelphia Inquirer" schickte Anfang 1994 Barbara Demick nach Sarajevo, um über den Alltag der kriegsgeschundenen Zivilbevölkerung zu berichten, am Beispiel einer einzigen Straße. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sammelte die Reporterin daraufhin in der traditionsreichen Logavina Eindrücke und Erfahrungen, die sie zunächst in einer Artikelserie und dann zu einem Buch verarbeitete. Die Ausgabe von 1996 wurde nun leicht verändert und ergänzt neu aufgelegt. Frau Demick versteht sich nicht als Vertreterin des investigativen Journalismus, sondern will der Leserschaft durch das Porträt von Menschen die Realität des Krieges nahebringen. Durch das Schicksal der Bewohner der Logavina werden deren Sorgen und Ängste, Gefühle von Verzweiflung, Trauer und Wut erfahrbar. Mehr als 10 000 Menschen kamen während der Belagerung in der Stadt zu Tode. Schon Wasser zu holen war lebensgefährlich: Azra und ihren Mann Asim zerfetzte ein Geschoss, als sie in einer Schlange mit ihren Kanistern anstanden, ihre beiden Kinder überlebten verletzt. Andere Zivilisten wurden von Scharfschützen willkürlich aufs Korn genommen.
Jahrelang versuchten die Menschen, den Mangel erfindungsreich zu verwalten: Man kochte Schnitzel ohne Fleisch, Pommes frites ohne Kartoffeln, Kaffee aus Linsen. Von Strom und Heizung konnten die Menschen in den langen Kriegswintern nur träumen, während die ersehnte militärische Hilfe der Amerikaner mehr als drei demütigende Jahre lang ausblieb. In einer Stadt, die einst das Ideal gelungenen multireligiösen Zusammenlebens verkörperte, begannen die Menschen, sich ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu vergewissern und den Glauben wieder ernster zu nehmen. "Der Islam ist für die Menschen gerade jetzt sehr attraktiv", erklärte der Offizier Edin, "weil er eine Religion ist, die keine Angst vor dem Tod kennt."
Die Autorin macht keinen Versuch, Erklärungen für diesen Krieg zu liefern. Einiges, was sie damals schrieb, kommt ihr heute selbst naiv vor. Eine Stärke ist jedoch, dass sie ein differenziertes Bild von den Einstellungen und Erfahrungen der Betroffenen zeichnet. So erzählt sie von der unerschütterlichen Freundschaft der Muslimin Jela zu ihrer serbischen Nachbarin Mara ebenso wie von Cujeta, die als Serbin vor der Brotausgabe beschimpft und verjagt wurde. Flüchtling Fatima aus Grbavica berichtete, wie ihre serbischen Freunde ihr Leben riskierten, um ihr beizustehen. An diesen Einzelschicksalen zeigt sich, dass einfache Ursachenanalysen wie die vom immerwährenden ethnischen Konflikt fehlgehen.
Als die Reporterin sechzehn Jahre nach Kriegsende die Stadt wieder aufsucht, hat sich vordergründig Normalität eingestellt. Aber "das schöne Leben ist eine Täuschung", erläutert eine alte Bekannte aus der Logavina. Viele haben nur ein sehr geringes Einkommen, sind von der Gewalt traumatisiert. Man vermeidet, über Volkszugehörigkeit zu sprechen, die "wie ein Pesthauch tief über der Stadt hängt". Krieg und Nachkriegszeit haben neue soziale Realitäten geschaffen. Wie schön wäre es, denkt die Autorin, wenn sich die alte Multiethnizität, Toleranz und Vielfalt Sarajevos wiederherstellen ließe. Aber vielen geht es wie der Kriegswaisen Delila: "Ich kann nicht vergessen. Ich kann nicht vergeben."
MARIE-JANINE CALIC.
Barbara Demick: Die Rosen von Sarajevo. Eine Geschichte vom Krieg. Droemer Verlag, München 2012. 304 S.,19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Reportage über die Folgen der Belagerung Sarajevos für die Zivilbevölkerung
Im Frühjahr 1992 erreichte der jugoslawische Zerfallskrieg die kleine Vielvölkerrepublik Bosnien-Hercegovina. 1425 qualvolle Tage lang belagerten serbische Streitkräfte die Hauptstadt Sarajevo, feuerten pausenlos Granaten auf die Stadt - an manchen Tagen bis zu 500 pro Stunde. Später gossen die Einwohner die hässlichen Spuren der Granateneinschläge mit rotem Harz aus. Die "Rosen von Sarajevo" erinnern bis heute an die Opfer des Krieges.
Die Redaktion des amerikanischen "Philadelphia Inquirer" schickte Anfang 1994 Barbara Demick nach Sarajevo, um über den Alltag der kriegsgeschundenen Zivilbevölkerung zu berichten, am Beispiel einer einzigen Straße. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sammelte die Reporterin daraufhin in der traditionsreichen Logavina Eindrücke und Erfahrungen, die sie zunächst in einer Artikelserie und dann zu einem Buch verarbeitete. Die Ausgabe von 1996 wurde nun leicht verändert und ergänzt neu aufgelegt. Frau Demick versteht sich nicht als Vertreterin des investigativen Journalismus, sondern will der Leserschaft durch das Porträt von Menschen die Realität des Krieges nahebringen. Durch das Schicksal der Bewohner der Logavina werden deren Sorgen und Ängste, Gefühle von Verzweiflung, Trauer und Wut erfahrbar. Mehr als 10 000 Menschen kamen während der Belagerung in der Stadt zu Tode. Schon Wasser zu holen war lebensgefährlich: Azra und ihren Mann Asim zerfetzte ein Geschoss, als sie in einer Schlange mit ihren Kanistern anstanden, ihre beiden Kinder überlebten verletzt. Andere Zivilisten wurden von Scharfschützen willkürlich aufs Korn genommen.
Jahrelang versuchten die Menschen, den Mangel erfindungsreich zu verwalten: Man kochte Schnitzel ohne Fleisch, Pommes frites ohne Kartoffeln, Kaffee aus Linsen. Von Strom und Heizung konnten die Menschen in den langen Kriegswintern nur träumen, während die ersehnte militärische Hilfe der Amerikaner mehr als drei demütigende Jahre lang ausblieb. In einer Stadt, die einst das Ideal gelungenen multireligiösen Zusammenlebens verkörperte, begannen die Menschen, sich ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu vergewissern und den Glauben wieder ernster zu nehmen. "Der Islam ist für die Menschen gerade jetzt sehr attraktiv", erklärte der Offizier Edin, "weil er eine Religion ist, die keine Angst vor dem Tod kennt."
Die Autorin macht keinen Versuch, Erklärungen für diesen Krieg zu liefern. Einiges, was sie damals schrieb, kommt ihr heute selbst naiv vor. Eine Stärke ist jedoch, dass sie ein differenziertes Bild von den Einstellungen und Erfahrungen der Betroffenen zeichnet. So erzählt sie von der unerschütterlichen Freundschaft der Muslimin Jela zu ihrer serbischen Nachbarin Mara ebenso wie von Cujeta, die als Serbin vor der Brotausgabe beschimpft und verjagt wurde. Flüchtling Fatima aus Grbavica berichtete, wie ihre serbischen Freunde ihr Leben riskierten, um ihr beizustehen. An diesen Einzelschicksalen zeigt sich, dass einfache Ursachenanalysen wie die vom immerwährenden ethnischen Konflikt fehlgehen.
Als die Reporterin sechzehn Jahre nach Kriegsende die Stadt wieder aufsucht, hat sich vordergründig Normalität eingestellt. Aber "das schöne Leben ist eine Täuschung", erläutert eine alte Bekannte aus der Logavina. Viele haben nur ein sehr geringes Einkommen, sind von der Gewalt traumatisiert. Man vermeidet, über Volkszugehörigkeit zu sprechen, die "wie ein Pesthauch tief über der Stadt hängt". Krieg und Nachkriegszeit haben neue soziale Realitäten geschaffen. Wie schön wäre es, denkt die Autorin, wenn sich die alte Multiethnizität, Toleranz und Vielfalt Sarajevos wiederherstellen ließe. Aber vielen geht es wie der Kriegswaisen Delila: "Ich kann nicht vergessen. Ich kann nicht vergeben."
MARIE-JANINE CALIC.
Barbara Demick: Die Rosen von Sarajevo. Eine Geschichte vom Krieg. Droemer Verlag, München 2012. 304 S.,19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit großem Interesse liest Rezensentin Stefana Sabin Kriegsreportagen von Barbara Demick aus Sarajevo, deren literarischen, am "New Journalism" orientierten Charakter sie besonders schätzt: So zeichne Demick kein Panorama der unter den kriegerischen Auseinandersetzungen leidenden Stadt, sondern schildere deren Auswirkungen aus der Ameisenperspektive. Dazu bedient sie sich eines "nüchternen Tons", der sich auf betroffene Kommentare und große Erklärungs- oder Deutungsrhetorik verzichtet, so Sabin. Spannend findet die Rezensentin auch einen aus der historischen Distanz von 16 Jahren geschriebenen Epilog, der auf einem neuerlichen Besuch der Stadt fußt. Bis heute sind dieser die Spuren des Kriegs offenbar deutlich eingeschrieben, nicht zuletzt in den "Rosen von Sarajevo", den mit rotem Kunststoff ausgefüllten, das Stadtbild prägenden Granateinschlägen, denen Demicks Buch seinen Titel verdankt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Hautnah und ohne jedes Pathos schildert Demick, wie der Krieg abseits von Massakern, Vergewaltigung und Folter auch die Seelen derer verwüstet, die er in den eigenen vier Wänden inhaftiert. ... Ihr bescheiden auftretendes und vorzüglich recherchiertes Buch sollte in keinem Haus, keiner Bibliothek, in keinem Geschichtsunterricht fehlen." Dorion Weickmann Die Zeit 20121115