Ein Zeugnis aus dem modernen russischen GULAG und ein einzigartiges Prosadokument von großer Aufrichtigkeit und suggestiver Kraft. Demnächst wird der Fall Pasko vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt.Als Militärjournalist filmte Grigori Pasko die Verklappung atomarer Abfälle ins Japanische Meer durch die russische Pazifikflotte. Er machte das Material japanischen Medien zugänglich und wurde 1997 wegen Spionage und Landesverrat verhaftet. 21 Monate Untersuchungshaft, eine kurze Zeit der Freiheit, die erneute Verhaftung und Aburteilung zu vier Jahren Haft in einem Straflager mit verschärften Bedingungen sind Stationen einer Odyssee durch russische Gefängnisse, die Pasko in drei Tagebuchzyklen dokumentiert hat. Diese Aufzeichnungen spiegeln die Verwirrung und das Entsetzen eines Menschen wider, der sich - ohne sich einer Schuld bewußt zu sein - im russischen Strafvollzug wiederfindet, in dem menschenverachtende Verhältnisse herrschen. Um in der monatelangen Einzelhaft nicht demWahnsinn zu verfallen, arbeitet der Häftling Pasko seine Erinnerungen auf und setzt sich dabei kritisch mit der russischen Gesellschaft und ihren Machtstrukturen auseinander.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2007Die Realität macht Striptease
In Putins Hölle: Grigori Paskos russisches Gefängnistagebuch
Aus dem braven Sowjetoffizier wurde ein Held der Pressefreiheit, einer der prominentesten politischen Gefangenen unter Präsident Putin. Grigori Pasko, der Provinzler aus dem ukrainischen Dorf, hat sein Journalistenhandwerk bei der sowjetischen Pazifikflotte gelernt, deren Blättchen "Bojewaja wachta" (Kampfposten) er seit den achtziger Jahren belieferte. Infiziert vom Perestrojka-Virus, ging Pasko nach dem Ende der Sowjetunion zur zivilen Presse und schrieb über das, was keine Armeezensur durchließ, worüber aber der Mann mit Prinzipien nicht schweigen wollte: über den Zerfall der Truppe, über die Katastrophe namens Armeereform, über die routinemäßige Entsorgung militärischen Atommülls ins Meer.
Das erste Mal verhaftete ihn der Geheimdienst Ende 1997 nach einer offiziell genehmigten Japan-Reise. Da er Videos über die Atommüllverklappung japanischen Medien zugespielt habe, wurde Pasko des Vaterlandsverrats angeklagt und kam für fast zwei Jahre in Untersuchungshaft. Er wird verurteilt, jedoch amnestiert. Doch der sture Ukrainer will seinen guten Namen zurück. Dafür gibt es noch ein Jahr Lagerhaft. Nach dem Härtetest ist Pasko gealtert, wie er selbst befindet, aber ungebrochen - nicht zuletzt weil er seine Hafterfahrungen aufzeichnete. Das Buch, für das der Autor zu Hause keinen Verlag fand, wurde vom Wallstein-Verlag in deutscher Übersetzung herausgebracht.
Was der Marine-Reservist in drei Haftjahren kennenlernt, sei die Hölle, schreibt er, nicht bildlich gesprochen, sondern buchstäblich: Dazu gehört die mit sechsundzwanzig Mann vollgestopfte Sechserzelle, deren Insassen sich in Schichten auf den Pritschen ausstrecken. Der Wasserentzug, den das Aufsichtskommando entweder als willkürliche Machtdemonstration oder als Druckmittel einsetzt und der einen zu quälendem Durst, Nierenkrankheiten, übelsten Körpergerüchen verurteilt. Dank Dreck und Zugluft holt sich Pasko Grippe, Nervenentzündungen und, ein Klassiker unter Häftlingen, Hautausschläge. Und wenn die Gefangenen, deren Hautfarbe Pasko an Kellerasseln erinnert, doch einmal unter die Duschdüsen geführt werden, verbrühen sie sich am beinahe kochenden Wasser.
Den Leser, der mit russischen Bürgerrechtlern zu tun hatte, beeindruckt, dass Pasko sein ungleiches Duell mit der Staatsmacht fast ohne ideologische, fast nur mit den Waffen seines Menschentums ausficht. Der Junge vom Dorf hat keine Rezepte für die allgemeine moralisch-politische Gesundung und sucht Widerstandskraft gegen die Zermürbungsmaschine in seinem Ehrgefühl als Offizier, als Mann, als Journalist. Die Sehnsucht nach Freiheit führt ihm auch einen weinseligen Sommerausflug mit Zufallsfreundinnen vors träumende Auge. Vor allem aber die Schönheit seiner zweiten Gattin Galja, die ihn treu besucht und mit Mitbringseln unterstützt. Wobei Halluzinationen von einem Wiedersehen mit ihr abgelöst werden von Angst vor haftbedingter Impotenz.
Die Wirklichkeit, im normalen Leben mit einer Schutzhülle überzogen, präsentiere sich im Gefängnis nackt wie eine Striptease-Tänzerin, findet Pasko. Doch man bezahlt mit einem Seelenschaden dafür. Mehr als alles andere beeindruckt den Häftling das tief sitzende menschliche Bedürfnis nach Versklavung, das in Russland besonders stark entwickelt scheint. Paskos Knastkollegen verfluchen ihre eigene andachtsvolle Liebe gerade zu den brutalsten Herrschern. Zugleich haben viele vor dem Leben in Freiheit Angst, sie begehen dort im Suff die sinnlosesten Verbrechen. In Paskos "Roter", das heißt von Polizeispitzeln unterwanderter Lagerzone hatte das Denunziationsregime den Ehrenkodex der Kriminellen verdrängt. Dennoch könne man unter Häftlingen mehr wertvolle Menschen finden als unter ihren Aufsehern, lautet des Journalisten oft gehörter Befund. Während Putins Geheimdienststaat, der immer mehr kooperationsbereite Gangster in hohe Ämter befördert, immer mehr von kriminellen Energien zusammengehalten werde.
Grigori Pasko lebt heute in Moskau, wo er eine kleine Zeitschrift für Umweltrecht herausgibt. Das Blatt, das seinen Schöpfer kaum ernährt, hängt am Tropf einer amerikanischen Stiftung. Der Autor, der die Menschenmaterialverarbeitungsmaschine des demokratischen Russland von innen schilderte, ist in der Bevölkerung allenfalls als Verräter bekannt, der sein Insiderwissen aus Armeetagen journalistisch nutzte und damit den Soldateneid brach. Das Atommüllthema ist aus den Medien verschwunden. Zeitungs- und Verlagsverantwortliche meiden Pasko wie eine ansteckende Krankheit.
Als wollten sie den Befund eines seiner Zellengenossen illustrieren, dass kein Volk auf der Welt sich so unsolidarisch verhält wie die Russen. Dafür ist in diesem Land wahres Heldentum noch möglich, glaubt die Lyrikerin Alina Wituchnowskaja, die wie Pasko zweimal einsaß und auf die sich der stolze Idealist beruft. Den Europäern aber scheint die Aufgabe zuzufallen, die sonst niemand übernehmen wird, dieses Heldentum zu würdigen.
KERSTIN HOLM
Grigori Pasko: "Die Rote Zone". Ein Gefängnistagebuch. Aus dem Russischen übersetzt von Hannelore Umbreit. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 368 S., 7 Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Putins Hölle: Grigori Paskos russisches Gefängnistagebuch
Aus dem braven Sowjetoffizier wurde ein Held der Pressefreiheit, einer der prominentesten politischen Gefangenen unter Präsident Putin. Grigori Pasko, der Provinzler aus dem ukrainischen Dorf, hat sein Journalistenhandwerk bei der sowjetischen Pazifikflotte gelernt, deren Blättchen "Bojewaja wachta" (Kampfposten) er seit den achtziger Jahren belieferte. Infiziert vom Perestrojka-Virus, ging Pasko nach dem Ende der Sowjetunion zur zivilen Presse und schrieb über das, was keine Armeezensur durchließ, worüber aber der Mann mit Prinzipien nicht schweigen wollte: über den Zerfall der Truppe, über die Katastrophe namens Armeereform, über die routinemäßige Entsorgung militärischen Atommülls ins Meer.
Das erste Mal verhaftete ihn der Geheimdienst Ende 1997 nach einer offiziell genehmigten Japan-Reise. Da er Videos über die Atommüllverklappung japanischen Medien zugespielt habe, wurde Pasko des Vaterlandsverrats angeklagt und kam für fast zwei Jahre in Untersuchungshaft. Er wird verurteilt, jedoch amnestiert. Doch der sture Ukrainer will seinen guten Namen zurück. Dafür gibt es noch ein Jahr Lagerhaft. Nach dem Härtetest ist Pasko gealtert, wie er selbst befindet, aber ungebrochen - nicht zuletzt weil er seine Hafterfahrungen aufzeichnete. Das Buch, für das der Autor zu Hause keinen Verlag fand, wurde vom Wallstein-Verlag in deutscher Übersetzung herausgebracht.
Was der Marine-Reservist in drei Haftjahren kennenlernt, sei die Hölle, schreibt er, nicht bildlich gesprochen, sondern buchstäblich: Dazu gehört die mit sechsundzwanzig Mann vollgestopfte Sechserzelle, deren Insassen sich in Schichten auf den Pritschen ausstrecken. Der Wasserentzug, den das Aufsichtskommando entweder als willkürliche Machtdemonstration oder als Druckmittel einsetzt und der einen zu quälendem Durst, Nierenkrankheiten, übelsten Körpergerüchen verurteilt. Dank Dreck und Zugluft holt sich Pasko Grippe, Nervenentzündungen und, ein Klassiker unter Häftlingen, Hautausschläge. Und wenn die Gefangenen, deren Hautfarbe Pasko an Kellerasseln erinnert, doch einmal unter die Duschdüsen geführt werden, verbrühen sie sich am beinahe kochenden Wasser.
Den Leser, der mit russischen Bürgerrechtlern zu tun hatte, beeindruckt, dass Pasko sein ungleiches Duell mit der Staatsmacht fast ohne ideologische, fast nur mit den Waffen seines Menschentums ausficht. Der Junge vom Dorf hat keine Rezepte für die allgemeine moralisch-politische Gesundung und sucht Widerstandskraft gegen die Zermürbungsmaschine in seinem Ehrgefühl als Offizier, als Mann, als Journalist. Die Sehnsucht nach Freiheit führt ihm auch einen weinseligen Sommerausflug mit Zufallsfreundinnen vors träumende Auge. Vor allem aber die Schönheit seiner zweiten Gattin Galja, die ihn treu besucht und mit Mitbringseln unterstützt. Wobei Halluzinationen von einem Wiedersehen mit ihr abgelöst werden von Angst vor haftbedingter Impotenz.
Die Wirklichkeit, im normalen Leben mit einer Schutzhülle überzogen, präsentiere sich im Gefängnis nackt wie eine Striptease-Tänzerin, findet Pasko. Doch man bezahlt mit einem Seelenschaden dafür. Mehr als alles andere beeindruckt den Häftling das tief sitzende menschliche Bedürfnis nach Versklavung, das in Russland besonders stark entwickelt scheint. Paskos Knastkollegen verfluchen ihre eigene andachtsvolle Liebe gerade zu den brutalsten Herrschern. Zugleich haben viele vor dem Leben in Freiheit Angst, sie begehen dort im Suff die sinnlosesten Verbrechen. In Paskos "Roter", das heißt von Polizeispitzeln unterwanderter Lagerzone hatte das Denunziationsregime den Ehrenkodex der Kriminellen verdrängt. Dennoch könne man unter Häftlingen mehr wertvolle Menschen finden als unter ihren Aufsehern, lautet des Journalisten oft gehörter Befund. Während Putins Geheimdienststaat, der immer mehr kooperationsbereite Gangster in hohe Ämter befördert, immer mehr von kriminellen Energien zusammengehalten werde.
Grigori Pasko lebt heute in Moskau, wo er eine kleine Zeitschrift für Umweltrecht herausgibt. Das Blatt, das seinen Schöpfer kaum ernährt, hängt am Tropf einer amerikanischen Stiftung. Der Autor, der die Menschenmaterialverarbeitungsmaschine des demokratischen Russland von innen schilderte, ist in der Bevölkerung allenfalls als Verräter bekannt, der sein Insiderwissen aus Armeetagen journalistisch nutzte und damit den Soldateneid brach. Das Atommüllthema ist aus den Medien verschwunden. Zeitungs- und Verlagsverantwortliche meiden Pasko wie eine ansteckende Krankheit.
Als wollten sie den Befund eines seiner Zellengenossen illustrieren, dass kein Volk auf der Welt sich so unsolidarisch verhält wie die Russen. Dafür ist in diesem Land wahres Heldentum noch möglich, glaubt die Lyrikerin Alina Wituchnowskaja, die wie Pasko zweimal einsaß und auf die sich der stolze Idealist beruft. Den Europäern aber scheint die Aufgabe zuzufallen, die sonst niemand übernehmen wird, dieses Heldentum zu würdigen.
KERSTIN HOLM
Grigori Pasko: "Die Rote Zone". Ein Gefängnistagebuch. Aus dem Russischen übersetzt von Hannelore Umbreit. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 368 S., 7 Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Tobias Heyl sind Grigori Paskos Aufzeichnungen aus seiner Haftzeit unter Jelzin und Putin zugleich beunruhigendes Zeugnis des fragwürdigen russischen Rechtssystems und der furchtbaren Zustände im Gefängnis als auch ein großes literarisches Werk. Der ehemalige Militärjournalist hatte über Verfehlungen der Armee im Tschetschenienkrieg und über atomare Verseuchung durch die Pazifikflotte berichtet und wurde deshalb wegen angeblicher Spionage verurteilt, berichtet der Rezensent. Paskos Aufzeichnungen folgen keiner Tagebuch-Chronologie, sondern reihen Reflexionen, Beobachtungen und Erinnerungen aneinander, wobei durchaus komische Episoden und erschütternde Erlebnisse sich abwechseln, so der Rezensent beeindruckt. Hannelore Umbreit gelingt es, den verzweifelten Überlebenskampf im russischen Justizsystem eindrücklich ins Deutsche zu bringen, lobt Heyl, der auch ihr Nachwort für das Nachliefern der Fakten lobt, die der russische Autor ausgelassen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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