Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 0,73 €
Produktdetails
  • Verlag: Molden
  • Seitenzahl: 223
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 386g
  • ISBN-13: 9783854850410
  • ISBN-10: 3854850417
  • Artikelnr.: 24348045
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2000

Der vereinnahmte Ballhausplatz
Österreich aus bürgerlicher und sozialistischer Perspektive

Thomas Chorherr: Die roten Bürger. 30 Jahre sozialistisches Österreich. Gedanken eines Konservativen. Molden Verlag, Wien 2000. 224 Seiten, 42,- Mark.

Manfred Scheuch: Österreich im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie zur Zweiten Republik. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2000. 192 Seiten, 200 Abbildungen, 95,- Mark.

Anfang Februar sind in Österreich drei Jahrzehnte sozialistisch-sozialdemokratischer Kanzlerschaft beendet worden. Mit der Bildung der Koalition aus Volkspartei und Freiheitlichen zog nach ebenso langer Abwesenheit erstmals wieder ein von der ÖVP gestellter Regierungschef ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz ein. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Bund - es ist nach dem Zwischenspiel von 1983 bis 1986, als SPÖ und FPÖ koalierten, erstmals diese Farbkombination zustande gekommen - beendet zugleich deren von Parteichef Haider verfolgte "Totalopposition".

Die eingeleitete Entwicklung - ob sie tragfähig ist, muß sich erst noch erweisen - stellt ein Novum dar in der Zweiten Republik, deren bisheriges Kennzeichen zwei verhältnismäßig lang andauernde Phasen großer Koalitionen (1945 bis 1966; 1987 bis 2000) gewesen ist.

Der Regierung Schüssel/Riess-Passer ging die entscheidende Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 voraus, aus der SPÖ, ÖVP und FPÖ annähernd gleichstark hervorgingen. Für die zwar noch immer stimmenstärkste SPÖ bedeutete das niederschmetternde Ergebnis, von der dominierenden Kraft zur Mittelpartei abgerutscht zu sein. Sie muß sich nun in die Rolle der gänzlich ungewohnten Oppositionspartei schicken und sich zugleich mit zwei Gegnern herumschlagen, die sich - jeder auf seine Weise - aller Fesseln ledig fühlen darf. Hinzu kommt, daß der SPÖ die erstarkenden Grünen, deren neuer Vorsitzender weithin gut ankommt, das Terrain streitig machen. Denn die einst fest umrissenen, gleichsam "Lagern" angehörenden Wählerschichten sprengten den seit 1945 wirksamen Schematismus. Weder stimmt mehr die Einteilung links/rechts noch jene, die nach Klassen- oder Schichtenkriterien in Bürgertum und Arbeiterschaft schieden.

Der Entwicklungsprozeß der letzten 15 Jahre sieht mehr und mehr "Arbeiter", die zur FPÖ wechselten, und "Proletarier", die "verbürgerlichten" und die SPÖ zur Entideologisierung und zum Abstreifen von Traditionsbeständen zwangen. Dies fiel der SPÖ schwer, während der ebenfalls dezimierten ÖVP am ehesten noch die Kernschichten (Kirchgänger, Bauern, Gewerbetreibende, Angestellte und Beamte) erhalten blieben.

Thomas Chorherr, langjähriger Chefredakteur, später Herausgeber der Zeitung "Die Presse", beschreibt kenntnisreich und pointiert diese Entwicklung und legt damit eine kritische Analyse von 30 Jahren SPÖ und von dieser mehr oder weniger "vereinnahmten" Republik vor. Weder Politikern und Funktionären noch Wählern der SPÖ stellt er ein gutes Zeugnis aus. Was in Triumph und Hochgestimmtheit der Ära Kreisky (1970 bis 1983) begann, führte sodann auf einem von Skandalen und Affären gesäumten Weg weg von den ideologischen Wurzeln. Dabei war die "Verbürgerlichung" zwar notwendig, trug aber wenig ein. Sie endete mit der größten Niederlage der Parteigeschichte sowie dem Verlust der Macht, weil nach Chorherrs Auffassung die "roten Bürger" der SPÖ den Rücken kehrten.

Chorherr ist ein dezidiert bürgerlicher Konservativer. Manfred Scheuch, langjähriger Chefredakteur der unter Kanzler Vranitzky liquidierten "Arbeiterzeitung", gibt sich dagegen als ein traditionsbewußter Linker zu erkennen. Wer sich für die Geschichte des Sozialismus - respektive der Sozialdemokratie, als die die SPÖ erst seit der Umbenennung 1988 unter Vranitzky auftritt - in Österreich interessiert, wen es zugleich nach einer fakten- und bilderreichen sowie ( an manchen Stellen allzu) komprimierten Darstellung der stürmischen Geschichte des Landes in diesem Jahrhundert gelüstet, dem sei sein farbenfroher Band empfohlen. Die gelegentliche Einfärbung des Stoffs aus der linken Perspektive tut indes der Solidität insgesamt keinen nennenswerten Abbruch, sondern wirkt streckenweise sogar recht belebend.

REINHARD OLT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reinhard Olt referiert lang und breit die aus der aktuellen Diskussion hinlänglich bekannten Rahmendaten der politischen Situation in Österreich: Dass im Februar 2000 drei Jahrzehnte SPÖ-Kanzlerschaft vorbei waren und die Wählerschichten nicht mehr stabil sind. Dann hängt er an, dass die zwei neuen Bücher zum Thema rundum lesenswert sind und geht kurz auf sie ein:
Thomas Chorherr: "Die roten Bürger"
Der Autor, den Olt als "dezidiert bürgerlichen Konservativen" beschreibt, war lange Jahre Chefredakteur, später Herausgeber der Zeitung "Die Presse". Olt lobt die "kenntnisreiche und pointierte" Beschreibung, mit der Chorherr den Weg der SPÖ in die Verbürgerlichung und Entideologisierung nachzeichne. Über Kreisky und seine Nachfolger wisse Chorherr nichts positives zu sagen, bemerkt der Rezensent, der daran keinen Anstoß nimmt.
Manfred Scheuch: "Österreich im 20. Jahrhundert"
Zum Ausgleich lobt Olt aber auch kurz das Buch des "traditionsbewussten Linken" und ebenfalls Journalisten Scheuch als "fakten- und bilderreichen Band". Die "linke Perspektive" wirkt auf den Rezensenten gar "streckenweise recht belebend".

©