"Mit diesem Prosa-Buch, ähnlich wie Das Buch der Unruhe, tritt erstmals auf deutsch ein Pessoa zutage, der sich hinter dem Heteronym António Mora verbirgt und religionsphilosophische Fragen aufwirft, Fragen zur Rückkehr der antiken Götter, Fragen zu einem neuen Heidentum. - Pessoa sagt von sich: "Ich war ein von der Philosophie angeregter Dichter und kein Philosoph mit dichterischen Fähigkeiten", und so liest sich denn auch dieses Fesseln sprengende, aufmüpfige und anregende, verstörende Werk. Mora ist eines der spannendsten Heteronyme Pessoas, er nimmt die Fragen von Caeiro auf und sieht alle Dinge als Dinge, ohne weitere Dimension oder metaphysische Exegese. Die Fragestellungen sind von Aktualität, wird doch heute, nach der religiösen, moralischen und politischen Verunsicherung durch die Moderne, vermehrt von verschiedenartigsten Gottheiten (im Gegensatz zu den monotheistischen Glaubensrichtungen) gesprochen. Mora, der Meister Caeiro - und damit Pessoa - gehen radikal weiter als Nietzsche mit seiner Religionskritik."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2006Sehr witzig
Maskenspiel: Fernando Pessoa lädt ein zum Disput über die Götter
Benedikt XVI., damals noch Kardinal Ratzinger, hat es im Juni 2004 in einer Predigt in der Kathedrale von Bayeux so gesagt: "Die antike Welt war weithin von der Furcht vor den Göttern und ihrer unheimlichen Macht geprägt. Es gehörte zu der erlösenden Kraft der christlichen Mission, daß sie die ganze Welt der Götter als leeren Schein beiseite schob und den Gott zeigte, der in Jesus Christus Mensch geworden, den Gott, der Vernunft und Liebe ist." Nicht unähnlich, nur theologisch unvollständiger, sagt es in "Faust II" (3. Akt) Mephistopheles, der durchaus kein Atheist ist: "Höret allerliebste Klänge,/ Macht euch schnell von Fabeln frei,/ Euer Götter alt Gemenge/ Laßt es hin, es ist vorbei."
Nein, sagt Fernando Pessoa, ganz und gar nicht ist es damit vorbei. Vielmehr: Die Götter kehren zurück - heiter und befreiend. Vorbei ist es umgekehrt mit dem, was er "Christismus" nennt. Nur: Pessoa sagt dies alles nicht selbst; er läßt es sagen - durch den vorgeschobenen, den "heteronymen" Autor António Mora und andere, die in diesem Buch versammelt sind. Doch zunächst: Dieses Buch gibt es so, auch portugiesisch, noch nicht. Es ist nicht bloß eine Übersetzung. Steffen Dix, der hier als Übersetzer gute Arbeit geleistet hat (und sie war schwierig), ist auch Herausgeber, und ein interessantes Nachwort (und Anmerkungen) hat er auch hinzugesetzt.
Fernando Pessoa, dieser erstaunliche, so unangestrengt moderne Dichter aus Portugal, ist ja schon 1935 gestorben. Aber noch immer, nach mehr als siebzig Jahren, kommt von ihm Neues, zum Teil freilich auch nur neu Geordnetes. Und natürlich kann man nie genau sagen, ob oder - wichtiger - in welcher Form Pessoa selbst dies alles veröffentlicht hätte. Neues kommt also noch immer aus der "Truhe", für die der allseits neugierige Fremdsprachenkorrespondent in Lissabon neben seiner beruflichen Arbeit beharrlich schrieb. Diesmal ist nun das Neue keine Lyrik, sondern kluge, leicht und klar dahineilende philosophische Prosa. Und daß der nun fünfundzwanzig Jahre alt gewordene Verlag Ammann in Zürich Pessoa deutsch herausbringt, und zwar vollständig, ist vor allem Egon Ammann selbst zu danken - nicht genug ist er zu loben! Wir werden im August, wenn der letzte der sechs Bände erscheint, sechs Autoren vor uns haben, die alle Fernando Pessoa sind und dann doch auch wieder nicht.
Da sind zunächst das sozusagen grundlegende "Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares", dann Alberto Caeiro, der neuheidnische Lyriker, danach zwei weitere anders orientierte, aber Caeiro bewundernde Lyriker, Ricardo Reis, der "Klassizist", und Álvaro de Campos, der "Sensationist", dann der seltsame, aber profunde Aristokrat Baron von Teive und nun also noch der Philosoph António Mora. Sie alle sind, was der Autor "Heteronyme" nennt. Bernardo Soares übrigens, der ihm nähersteht als die übrigen von ihm erfundenen und mit eigener Biographie versehenen Autoren, nennt er sein "Semi-Heteronym".
Ein Heteronym ist also etwas sehr anderes als ein Pseudonym. Es geht da nicht um ein Versteckspiel, auch nicht bloß um einen literarischen Kunstgriff. Pessoa sagt selbst: "Ich fühle mich fremde Leben leben, in mir und auf unvollendete Weise, als ob mein Sein an allen Menschen teilhätte, unvollendet in jedem". In dem langen Brief an den Schriftsteller Adolfo Casais Monteiro legt er dies eindringlich dar. Dahinter steht etwas wie ein existentieller Zwang. Er selbst redet von "Hysterie". So verkörpern diese Autoren jeweils eine seiner Möglichkeiten. Übrigens ist das Verfahren, literarisch gesehen, durchaus originell, denn wo gibt es dergleichen sonst? Ansatzweise findet es sich freilich auch bei dem spanischen Lyriker, wohl dem bedeutendsten des zwanzigsten Jahrhunderts, António Machado. Jene "Heteronyme" sind also, bei gleichzeitiger Distanzierung, doch auch Pessoa. Es gibt aber auch "orthonyme", also von ihm als er selbst geschriebene Texte. Zum Beispiel den seltsam nationalen, auf Portugal bezogenen Band "Botschaft", der im Dezember 1934, kurz also vor seinem Tode, erschien - die einzige Buchveröffentlichung, die er erlebte.
Unter Pessoas Schriften in diesem Band sind drei oder vier orthonyme (faszinierend besonders der über die "Heilanstalt von Cascaes"), einer ist von Álvaro de Campos, der an seinen "Meister" Alberto Caeiro erinnert. Ein erfundener Autor erinnert also an einen anderen erfundenen, einer stammt von Ricardo Reis, der sich ebenfalls auf Caeiro bezieht, schließlich also (und dies ist der bei weitem größte Teil) die Texte des Philosophen und Religionswissenschaftlers António Mora, den Pessoa nun theoretisch explizit die "Rückkehr der Götter" darlegen läßt. So heißt eine seiner Abhandlungen direkt; eine andere "Die Fundamente des Heidentums, Gegenthese zur Kritik der reinen Vernunft". Man sieht: Das ist nicht unwitzig. Oder dann, kaum weniger kühn: "Einführung in das Studium der Metaphysik".
Und alles ist rasch und wie als Skizze und doch überlegt und mit systematischer Kraft hingeschrieben. Erstaunlich, wieviel und mit welcher Sicherheit man Vernünftiges schreiben kann, wenn die Voraussetzungen da sind, auch wenn man nicht sehr viel gelesen hat. Aber wie Nietzsche, den er bereits kannte und auch zitiert, war Pessoa weniger ein Vielleser als ein guter Leser. Er wußte, was ihn interessiert. Was seine Nietzsche-Rezeption angeht, so ist sie in der Tat früh, denn diese Texte entstanden zwischen 1915 und 1918. Im übrigen ist Pessoa die Philosophie von Heraklit bis Schopenhauer einigermaßen präsent, und der Hauptbezug ist, allein schon über Schopenhauer - kaum ein Philosoph hat ja auf die Schriftsteller so gewirkt wie er -, Kant.
Nun also die Götter Griechenlands. Mit dem, was wir dazu in der deutschen Literatur finden, bei Goethe, Schiller, Hölderlin, Nietzsche, Rilke, auch beim späten Heidegger, wenn wir diesen, wofür einiges spricht, auch zu den Dichtern zählen, hat dies wenig zu tun. Schon allein weil es bei all denen kaum um die Rückkehr der Götter geht, sondern um deren Ausbleiben. Allerdings wäre der eindrucksvolle und ebenfalls ins Dichterische gehende Altphilologe Walter F. Otto zu nennen. Für ihn - unvergeßlich seine Vorträge - waren jene Götter quasi real präsent. Aber auch Odo Marquard, nun freilich ganz anders, plädiert in unseren Tagen für einen "aufgeklärten Polytheismus", eine "aufgeklärte Polymythie".
Das Seltsame bei Mora ist, daß sich dies insgesamt gar nicht unvernünftig anhört. Man kann es nicht so einfach beiseite schieben, um das Wort des Kardinals aufzugreifen. Eigentlich müßte es ja ungleich schwieriger sein, die Existenz von rund dreißig Göttern glaubhaft zu machen als die eines einzigen. Aber Mora geht schließlich in Richtung eines religiösen und auch metaphysischen Indifferentismus, und da vermag er plausibel zu machen, daß, so gesehen, Polytheismus angemessener ist.
Auch der uns durch Jan Assmann vertraut gewordene Gedanke, daß Monotheismus eine gefährliche, weil gewaltgeladene Zuspitzung des Religiösen sei, findet sich schon bei Mora-Pessoa. Eben aus diesem Grund lehnt er den Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam in gleicher Weise ab. Und übrigens sieht er "im katholischen Glauben die verdorbenste aller Arten des Christismus", denn dieser gehe "am direktesten auf die ursprüngliche Dekadenz zurück". Da klingt Nietzsche an, wobei freilich dieser den Katholizismus, da doch noch deutlich heidnischer als der Protestantismus, im Rahmen des Negativen positiver einschätzte. Es habe ja doch, meinte er, in der Renaissance im Zentrum des Christentums selbst, in Rom, das Heidentum schon gesiegt gehabt, wäre da nicht in Luther, jenes "Verhängnis von Mönch", erschienen.
Der von Pessoa-Mora vertretene Polytheismus wird dann aber auch dadurch plausibler, daß er auf einen beunruhigenden Gedanken rekurriert, der sich bereits bei Homer findet. Dieser kannte schon die hinter den Göttern stehende Moira, also das allwaltende dunkle Schicksal oder was immer. Und da sind wir wieder, wenn die Götter ihrerseits bedingt sind, in der Nähe des Monotheismus, wenngleich nicht schon bei einem persönlichen Gott. Wobei "Gott" und "persönlich", christlich und auch jüdisch gesehen, evident tautologisch sind, weil hier "Gott" das Prädikat "persönlich" schon impliziert und "unsterblich" ohnehin. Ein gestorbener Gott ("Gott ist tot") war überhaupt nie einer. Unsterblich sind bereits die Götter Griechenlands.
Doch davon einmal abgesehen, sind sie, laut Heraklit, wie Menschen. Insofern haben sie in der Tat fürs erste etwas Beruhigendes. Sie lassen uns, da leicht zu beruhigen, in Ruhe. Wäre da nicht hinter ihnen lauernd jene dunkle Moira, der gegenüber auch sie ohnmächtig sind. Gerne möchte man darüber und über vieles andere mit Pessoa diskutieren. Vor allem aber - der Mann ist bestrickend - möchte man ihm, wie Borges es tat - da war Pessoa schon fünfzig Jahre tot -, sagen: "Laß mich dein Freund sein."
HANS-MARTIN GAUGER
Fernando Pessoa/António Mora: "Die Rückkehr der Götter". Erinnerungen an den Meister Caeiro. Übersetzt, herausgegeben und mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Steffen Dix. Ammann Verlag, Zürich 2006. 525 S., geb., 39,90 [Euro].
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Maskenspiel: Fernando Pessoa lädt ein zum Disput über die Götter
Benedikt XVI., damals noch Kardinal Ratzinger, hat es im Juni 2004 in einer Predigt in der Kathedrale von Bayeux so gesagt: "Die antike Welt war weithin von der Furcht vor den Göttern und ihrer unheimlichen Macht geprägt. Es gehörte zu der erlösenden Kraft der christlichen Mission, daß sie die ganze Welt der Götter als leeren Schein beiseite schob und den Gott zeigte, der in Jesus Christus Mensch geworden, den Gott, der Vernunft und Liebe ist." Nicht unähnlich, nur theologisch unvollständiger, sagt es in "Faust II" (3. Akt) Mephistopheles, der durchaus kein Atheist ist: "Höret allerliebste Klänge,/ Macht euch schnell von Fabeln frei,/ Euer Götter alt Gemenge/ Laßt es hin, es ist vorbei."
Nein, sagt Fernando Pessoa, ganz und gar nicht ist es damit vorbei. Vielmehr: Die Götter kehren zurück - heiter und befreiend. Vorbei ist es umgekehrt mit dem, was er "Christismus" nennt. Nur: Pessoa sagt dies alles nicht selbst; er läßt es sagen - durch den vorgeschobenen, den "heteronymen" Autor António Mora und andere, die in diesem Buch versammelt sind. Doch zunächst: Dieses Buch gibt es so, auch portugiesisch, noch nicht. Es ist nicht bloß eine Übersetzung. Steffen Dix, der hier als Übersetzer gute Arbeit geleistet hat (und sie war schwierig), ist auch Herausgeber, und ein interessantes Nachwort (und Anmerkungen) hat er auch hinzugesetzt.
Fernando Pessoa, dieser erstaunliche, so unangestrengt moderne Dichter aus Portugal, ist ja schon 1935 gestorben. Aber noch immer, nach mehr als siebzig Jahren, kommt von ihm Neues, zum Teil freilich auch nur neu Geordnetes. Und natürlich kann man nie genau sagen, ob oder - wichtiger - in welcher Form Pessoa selbst dies alles veröffentlicht hätte. Neues kommt also noch immer aus der "Truhe", für die der allseits neugierige Fremdsprachenkorrespondent in Lissabon neben seiner beruflichen Arbeit beharrlich schrieb. Diesmal ist nun das Neue keine Lyrik, sondern kluge, leicht und klar dahineilende philosophische Prosa. Und daß der nun fünfundzwanzig Jahre alt gewordene Verlag Ammann in Zürich Pessoa deutsch herausbringt, und zwar vollständig, ist vor allem Egon Ammann selbst zu danken - nicht genug ist er zu loben! Wir werden im August, wenn der letzte der sechs Bände erscheint, sechs Autoren vor uns haben, die alle Fernando Pessoa sind und dann doch auch wieder nicht.
Da sind zunächst das sozusagen grundlegende "Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares", dann Alberto Caeiro, der neuheidnische Lyriker, danach zwei weitere anders orientierte, aber Caeiro bewundernde Lyriker, Ricardo Reis, der "Klassizist", und Álvaro de Campos, der "Sensationist", dann der seltsame, aber profunde Aristokrat Baron von Teive und nun also noch der Philosoph António Mora. Sie alle sind, was der Autor "Heteronyme" nennt. Bernardo Soares übrigens, der ihm nähersteht als die übrigen von ihm erfundenen und mit eigener Biographie versehenen Autoren, nennt er sein "Semi-Heteronym".
Ein Heteronym ist also etwas sehr anderes als ein Pseudonym. Es geht da nicht um ein Versteckspiel, auch nicht bloß um einen literarischen Kunstgriff. Pessoa sagt selbst: "Ich fühle mich fremde Leben leben, in mir und auf unvollendete Weise, als ob mein Sein an allen Menschen teilhätte, unvollendet in jedem". In dem langen Brief an den Schriftsteller Adolfo Casais Monteiro legt er dies eindringlich dar. Dahinter steht etwas wie ein existentieller Zwang. Er selbst redet von "Hysterie". So verkörpern diese Autoren jeweils eine seiner Möglichkeiten. Übrigens ist das Verfahren, literarisch gesehen, durchaus originell, denn wo gibt es dergleichen sonst? Ansatzweise findet es sich freilich auch bei dem spanischen Lyriker, wohl dem bedeutendsten des zwanzigsten Jahrhunderts, António Machado. Jene "Heteronyme" sind also, bei gleichzeitiger Distanzierung, doch auch Pessoa. Es gibt aber auch "orthonyme", also von ihm als er selbst geschriebene Texte. Zum Beispiel den seltsam nationalen, auf Portugal bezogenen Band "Botschaft", der im Dezember 1934, kurz also vor seinem Tode, erschien - die einzige Buchveröffentlichung, die er erlebte.
Unter Pessoas Schriften in diesem Band sind drei oder vier orthonyme (faszinierend besonders der über die "Heilanstalt von Cascaes"), einer ist von Álvaro de Campos, der an seinen "Meister" Alberto Caeiro erinnert. Ein erfundener Autor erinnert also an einen anderen erfundenen, einer stammt von Ricardo Reis, der sich ebenfalls auf Caeiro bezieht, schließlich also (und dies ist der bei weitem größte Teil) die Texte des Philosophen und Religionswissenschaftlers António Mora, den Pessoa nun theoretisch explizit die "Rückkehr der Götter" darlegen läßt. So heißt eine seiner Abhandlungen direkt; eine andere "Die Fundamente des Heidentums, Gegenthese zur Kritik der reinen Vernunft". Man sieht: Das ist nicht unwitzig. Oder dann, kaum weniger kühn: "Einführung in das Studium der Metaphysik".
Und alles ist rasch und wie als Skizze und doch überlegt und mit systematischer Kraft hingeschrieben. Erstaunlich, wieviel und mit welcher Sicherheit man Vernünftiges schreiben kann, wenn die Voraussetzungen da sind, auch wenn man nicht sehr viel gelesen hat. Aber wie Nietzsche, den er bereits kannte und auch zitiert, war Pessoa weniger ein Vielleser als ein guter Leser. Er wußte, was ihn interessiert. Was seine Nietzsche-Rezeption angeht, so ist sie in der Tat früh, denn diese Texte entstanden zwischen 1915 und 1918. Im übrigen ist Pessoa die Philosophie von Heraklit bis Schopenhauer einigermaßen präsent, und der Hauptbezug ist, allein schon über Schopenhauer - kaum ein Philosoph hat ja auf die Schriftsteller so gewirkt wie er -, Kant.
Nun also die Götter Griechenlands. Mit dem, was wir dazu in der deutschen Literatur finden, bei Goethe, Schiller, Hölderlin, Nietzsche, Rilke, auch beim späten Heidegger, wenn wir diesen, wofür einiges spricht, auch zu den Dichtern zählen, hat dies wenig zu tun. Schon allein weil es bei all denen kaum um die Rückkehr der Götter geht, sondern um deren Ausbleiben. Allerdings wäre der eindrucksvolle und ebenfalls ins Dichterische gehende Altphilologe Walter F. Otto zu nennen. Für ihn - unvergeßlich seine Vorträge - waren jene Götter quasi real präsent. Aber auch Odo Marquard, nun freilich ganz anders, plädiert in unseren Tagen für einen "aufgeklärten Polytheismus", eine "aufgeklärte Polymythie".
Das Seltsame bei Mora ist, daß sich dies insgesamt gar nicht unvernünftig anhört. Man kann es nicht so einfach beiseite schieben, um das Wort des Kardinals aufzugreifen. Eigentlich müßte es ja ungleich schwieriger sein, die Existenz von rund dreißig Göttern glaubhaft zu machen als die eines einzigen. Aber Mora geht schließlich in Richtung eines religiösen und auch metaphysischen Indifferentismus, und da vermag er plausibel zu machen, daß, so gesehen, Polytheismus angemessener ist.
Auch der uns durch Jan Assmann vertraut gewordene Gedanke, daß Monotheismus eine gefährliche, weil gewaltgeladene Zuspitzung des Religiösen sei, findet sich schon bei Mora-Pessoa. Eben aus diesem Grund lehnt er den Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam in gleicher Weise ab. Und übrigens sieht er "im katholischen Glauben die verdorbenste aller Arten des Christismus", denn dieser gehe "am direktesten auf die ursprüngliche Dekadenz zurück". Da klingt Nietzsche an, wobei freilich dieser den Katholizismus, da doch noch deutlich heidnischer als der Protestantismus, im Rahmen des Negativen positiver einschätzte. Es habe ja doch, meinte er, in der Renaissance im Zentrum des Christentums selbst, in Rom, das Heidentum schon gesiegt gehabt, wäre da nicht in Luther, jenes "Verhängnis von Mönch", erschienen.
Der von Pessoa-Mora vertretene Polytheismus wird dann aber auch dadurch plausibler, daß er auf einen beunruhigenden Gedanken rekurriert, der sich bereits bei Homer findet. Dieser kannte schon die hinter den Göttern stehende Moira, also das allwaltende dunkle Schicksal oder was immer. Und da sind wir wieder, wenn die Götter ihrerseits bedingt sind, in der Nähe des Monotheismus, wenngleich nicht schon bei einem persönlichen Gott. Wobei "Gott" und "persönlich", christlich und auch jüdisch gesehen, evident tautologisch sind, weil hier "Gott" das Prädikat "persönlich" schon impliziert und "unsterblich" ohnehin. Ein gestorbener Gott ("Gott ist tot") war überhaupt nie einer. Unsterblich sind bereits die Götter Griechenlands.
Doch davon einmal abgesehen, sind sie, laut Heraklit, wie Menschen. Insofern haben sie in der Tat fürs erste etwas Beruhigendes. Sie lassen uns, da leicht zu beruhigen, in Ruhe. Wäre da nicht hinter ihnen lauernd jene dunkle Moira, der gegenüber auch sie ohnmächtig sind. Gerne möchte man darüber und über vieles andere mit Pessoa diskutieren. Vor allem aber - der Mann ist bestrickend - möchte man ihm, wie Borges es tat - da war Pessoa schon fünfzig Jahre tot -, sagen: "Laß mich dein Freund sein."
HANS-MARTIN GAUGER
Fernando Pessoa/António Mora: "Die Rückkehr der Götter". Erinnerungen an den Meister Caeiro. Übersetzt, herausgegeben und mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Steffen Dix. Ammann Verlag, Zürich 2006. 525 S., geb., 39,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gedankennahrung für Jahrzehnte verspricht Andreas Dorschel den Lesern von Fernando Pessoas "Die Rückkehr der Götter", das Steffen Dix in ein "lebendiges Deutsch hinübergerettet" habe. Pessoa greift in diesem Buch, dessen Wunder dem Rezensenten als unausschöpflich erscheinen, auf einen bewährten Kunstgriff zurück: Er erfindet Autoren, die für ihn zur Feder greifen; ein ganzes Kabinett von Kunstfiguren: Antãnio Mora, Alvaro de Campos, Alberto Caeiro und Ricardo Reis melden sich abwechselnd zu Wort, um "das Programm eines neuen Heidentums" weniger darzulegen denn zu diskutieren, von allen Seiten zu beleuchten, in seine Facetten zu zerlegen. Doch gibt es mehr als nur ideentheoretischen Genuss. Pessoa, "Alteuropas rhetorischer Tradition verbunden", lässt seinen Witz leuchten und schreibt mit "kristalliner Klarheit" über so Vertracktes, dass der Leser, sobald er das Buch zuklappt, mit dem Gefühl zurückbleibt, er habe, obgleich doch kein Satz unverständlich war, ein Mysterium nur gestreift. Kurz und gut: "Ein ingeniöses Stück Literatur."
© Perlentaucher Medien GmbH
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